Tag: 4. Februar 2010

Gläubige Gehirne

Gläubige Gehirne

Neurowissenschaftler haben entdeckt, was in den Köpfen religiöser Menschen vorgeht

Ist der Zufall nur eine Illusion? Nach Ansicht vieler religiöser oder abergläubiger Menschen ist das der Fall. In der stetigen Abfolge scheinbar zufälliger Begebenheiten wie dem Zusammentreffen von Menschen, in Unfällen oder in Krankheiten sehen sie den Willen einer höheren Macht am Werk. Religion schafft Ordnung in dieser von unvorhersehbaren Ereignissen bestimmten Welt. Sie gibt Halt und Trost und hilft, mit den schmerzlichen Seiten fertig zu werden. Theologen, spirituelle Gelehrte und Religionswissenschaftler befassen sich seit vielen Jahrhunderten mit diesen Fragen von Gott und Schicksal. Doch seit einigen Jahren sind auch Neurowissenschaftler und Psychologen in dieses Gebiet vorgedrungen und suchen im Gehirn religiöser Menschen nach den Spuren des Glaubens.

Wer Übernatürlichem aufgeschlossen ist, bei dem ist die rechte Großhirnhälfte aktiver bei der Verarbeitung von Wörtern, fanden beispielsweise kanadische Forscher heraus. Die Aktivität dieser Hirnhälfte führt dazu, dass vermehrt Zusammenhänge gesucht und auch gefunden werden. Die rationalere, linke Hirnhälfte wird bei diesen Menschen hingegen seltener als Zensor aktiv. Da insgesamt das neuronale Warnsystem bei diesen Menschen weniger oft anzuspringen scheint, sind sie offener für Irrationales und damit auch empfänglicher für Glauben und Religion, berichtet der Wissenschaftsjournalist, Biologe und Buchautor Rüdiger Vaas im Titelbeitrag der Januarausgabe des Magazins „bild der wissenschaft“.

In Experimenten mit gläubigen und nichtgläubigen Menschen fand Peter Brugger vom Universitätsspital Zürich deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung: Der Neurologe zeigte den Probanden Zufallsmuster an einem Bildschirm. Religiöse Menschen glaubten in diesen Muster häufiger Gesichter oder Objekte zu erkennen als Versuchspersonen, die Tests und Befragungen zufolge skeptisch sind. Das änderte sich allerdings, als die Skeptiker eine Vorstufe des Hirn-Botenstoffs Dopamin verabreicht bekamen: Plötzlich glaubten auch sie deutlich häufiger vermeintliche Gesichter in den zufälligen Mustern zu erkennen.

Dopamin steigert die Aufmerksamkeit, regt das Lernen an und fördert daher die Fähigkeit eines Menschen, die Welt um sich zu strukturieren – eine unabdingbare Voraussetzung, um sich im Leben zurechtzufinden. Offenbar kann diese Reaktion auch überschießen und dazu führen, dass kausale Zusammenhänge angenommen werden, wo überhaupt keine existieren.

Wie stark der Mensch zu solchen Verknüpfungen neigt, das haben die Wissenschaftler um Brugger mit einem einfachen Computerspiel gezeigt: Die Probanden sollten auf einem Spielfeld eine Maus zu einer Mausefalle bewegen. Benötigten sie dazu weniger als fünf Sekunden, schnappte die Falle zu. Ließen sie sich etwas länger Zeit, blieb die Falle offen und die Maus konnte sich gefahrlos den virtuellen Käse schnappen. Nur zwei von 40 Versuchspersonen durchschauten dieses einfache Prinzip und warteten einfach fünf Sekunden ab. Die anderen dirigierten die Maus hingegen auf den oftmals komplizierten Routen zur Falle, die bei einem ihrer Versuche zum Erfolg geführt hatten und glaubten, genau darin liege der Schlüssel zum Erfolg. Dieser Glaube an eine Gesetzmäßigkeit, die gar nicht existierte, war bei den Probanden umso stärker ausgeprägt, je mehr sie auch außersinnliche Wahrnehmung und magische Phänomene für Realität hielten, wiesen die Wissenschaftler in Fragebogen-Tests nach.

Forscher wie Brugger sehen in dem Bestreben, kausale Zusammenhänge auch dort herzustellen, wo es sie gar nicht gibt, eine Wurzel des Aberglaubens: Wenn der Regentanz lange genug getanzt worden war, regnete es tatsächlich, und wer dreimal auf Holz geklopft hat, und es ist ihm danach kein Unglück geschehen, wird auch weiterhin an den Nutzen dieses Rituals glauben.

Religiosität ist jedoch für die meisten Menschen sehr viel mehr als nur die Deutung vermeintlich kausaler Zusammenhänge, kann sie doch wesentliche Teile einer Persönlichkeit bestimmen: Bei religiösen Menschen ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion häufig weniger stark ausgeprägt. Ihr Selbstbild, nach dem sie sich selbst als aktiv Handelnder begreifen, ist oft schwächer. Auch geht Religiosität häufig mit einer einseitigen Zuschreibung von Absichten einher. Dies hat fließende Übergänge zu Wahnstörungen: Der Betreffende glaubt dann, andere Menschen seien ihnen böse gesonnen, oder aber sie würden seine Auffassungen vorbehaltlos teilen. „All diese Aspekte gehören zur kognitiven Architektur der Religiosität“, vermutet der Psychiatrieprofessor Martin Brüne von der Universität Bochum in „bild der wissenschaft“. „Sind die normalen psychischen Prozesse nicht mehr der eigenen Kritik- und Urteilsfähigkeit zugänglich, kommt es zu psychiatrischen Erkrankungen –¬ religiöse Wahnformen eingeschlossen.“

Trotz dieser Ergebnisse und der Differenzen in der Hirnchemie von Gläubigen und nichtreligiösen Menschen handelt es sich überwiegend um quantitative, weniger um qualitative Unterschiede: Die Gehirne der meisten Gläubigen „ticken“ nicht grundsätzlich anders als die nichtreligiöser Menschen.

Religiöse Überzeugungen basieren auch gar nicht auf rationalen Urteilen, sondern sind vor allem emotionale Befindlichkeiten und Projektionen, die normalen sozialen Zusammenhängen entrissen werden. Das entdeckten amerikanische Hirnforscher in Experimenten, bei denen sie die Aktivität einzelner Hirnregionen von Gläubigen untersuchten, während diese Sätze beurteilten wie „Gott wird meine Handlungen leiten“ oder „Das Leben hat keinen höheren Sinn“. Hierbei zeigte sich, dass Hirnareale aktiv wurden, die für gewöhnliche Gefühle und zwischenmenschliche Kontakten „zuständig“ sind. Glaube und Religion scheinen in der Evolution des Menschen nicht als eigenständige Elemente, sondern als Nebenprodukte der sozialen und geistigen Entwicklung entstanden zu sein, folgern die Forscher.

ddp/wissenschaft.de – Ulrich Dewald

Gedanken – unkompliziert oder konstruiert?

Wer kann wohl unsere Gedanken sehen/lesen, wenn diesem die Forschung nahe gekommen ist? Mekdung von wissenschaft.de

Denken in 3D

Forscher schauen Nerven beim Informationsaustausch zu

Erstmals sind Nervenzellen bei ihrer Kommunikation genau beobachtet worden: Mit einer speziellen Bildgebungstechnik, der Kryoelektronen-Tomografie, haben Forscher aus Deutschland detaillierte 3D-Aufnahmen von Synapsen eingefangen. Dabei sind in diesen Verbindungen zwischen den Nervenzellen bisher unbekannte Strukturen aufgespürt worden: Die Botschaften zwischen den Nervenzellen werden quasi in Umschläge eingepackt, damit sie punktgenau ihr Ziel erreichen.

Das menschliche Gehirn besitzt mehr als 100 Milliarden Nervenzellen, die wiederum in der Lage sind, mit Tausenden ihrer Nachbaren zu kommunizieren. Verknüpft sind Nervenzellen über sogenannte Synapsen, die Nervenimpulse transportieren. Durch diese Kommunikationstechnik handelt, bewegt und denkt der Mensch. Wenn Neurone miteinander kommunizieren, feuert die Senderzelle Transmittermoleküle auf die Empfängerzelle. Das Ergebnis ist ein elektrischer Impuls in der Empfängerzelle und somit die Übertragung von Informationen von einer Zelle auf die andere.

In ihrer Arbeit konzentrierten sich die Wiessenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biochemie auf die Vesikel, kleine Verpackungseinheiten, in denen die Transmittermoleküle transportieren werden. Die Wissenschaftler zeigten in ihren 3D-Aufnahmen, dass diese Vesikel miteinander verknüpft sind durch feinste fadenförmige Zellstrukturen, so genannte Filamente. Diese verbinden auch die Vesikel mit der aktiven Zone der Synapse, also der Stelle in der Zellhülle, wo die Transmittermoleküle freigesetzt werden. „Diese filamentartigen Strukturen sind wie Barrieren, die das freie Bewegen der Vesikel verhindern“, erläutert Fernández-Busnadiego. „Sie halten sie an ihrem Platz, bis der auslösende elektrische Impuls ankommt und sorgen dann dafür, dass die Vesikel die Zellhülle erreichen.“

Rubén Fernández-Busnadiego (Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried) et al.: Journal of Cell Biology, doi: 10.1083/jcb.200908082

ddp/wissenschaft.de – Rochus Rademacher