Tag: 13. April 2013

„Seit wann ist Treue out?“

heute war ein sehr interessanter Artikel in der Bild-Zeitung!

TREUE Gehört sie noch zum guten Ton?

Treue bis ins hohe Alter: Die Würde, die Selbstachtung erwächst aus dem Vermögen, sich selbst zu etwas verpflichten zu können – und dabei dann zu bleiben

… Treue, das galt früher als Tugend. Heute hat es eher den Klang von: „treudoof“. Wer nach fünf Jahren immer noch in derselben Firma ist, gilt als arme Wurst. Wenn mich meine Chefin als „mein treuer Mitarbeiter Alexander“ vorstellen würde – mir wäre das peinlich. Wenn früher große Firmen Hunderte Mitarbeiter feuerten, galt das als Makel. Heute sprechen Wirtschaftsmedien anerkennend von „natürlichem Abschmelzungsprozess“.

Erinnert sich noch jemand an den Liebesroman „Die Brücken am Fluss“? Verfilmt von Clint Eastwood?

Es ist einer der schönsten Liebesfilme überhaupt. Und zwar weil sie, die Ehefrau (Meryl Streep), eben nicht mit dem Mann ihrer Träume davonläuft. Die Szene, wie er stundenlang an ihrem Geheimversteck auf sie wartet – und weiß, dass sie nicht kommen wird. Und das hinnimmt. Aus Liebe!

Wie sie ihn noch ein letztes Mal sieht, ihr ganzes Herz sich nach ihm verzehrt, und sie sich – gegen ihr Herz – für ihre Familie entscheidet. Der Film ist aus dem Jahr 1995. Könnte man ihn heute noch so drehen? Ein „Happy End“ sähe heute so aus: Sie schmeißt alles hin, ihre Ehe, ihre Familie, und folgt ihm in den Sonnenuntergang.

Was ist in unserer Gesellschaft schiefgelaufen, dass Treue von der Tugend zum Makel geworden ist?

Andererseits: Wenn ein Fußballstar und seine Frau sich trennen – und sich dann rausstellt, dass ihre beste Freundin mit ihm … dann sind unsere Instinkte doch noch intakt. Wir reden von Verrat.

VERRAT. Mit hartem R! Die Umkehrung von Treue!

In Dantes „Göttlicher Komödie“ (vor 700 Jahren geschrieben!), dem vielleicht wichtigsten literarischen Werk des Abendlandes, schmoren Verräter (Judas, Brutus) im alleruntersten Kreis der Hölle. Gleich neben Luzifer, auch jemand, der illoyal war. In unseren Herzen, in unserer Kultur, schlummert – verdeckt vom liebreizenden Schein der neuzeitlichen Angebotsvielfalt – das Wissen, dass das eine tugendhaft und das andere teuflisch ist.

„Kein moderner Mensch gibt zu, dass er sich nach Treue und Bindung sehnt“, sagt die Autorin Birgit Ehrenberg („Die Mami-Falle“), „in Wirklichkeit tun wir das alle, gerade in diesen Zeiten der Unsicherheit und Unverbindlichkeit.“

Warum gestehen wir uns diese Sehnsucht nicht ein? Ehrenberg: „Weil wir stark erscheinen wollen. Keiner soll merken, dass man jemanden braucht und dass man gebraucht werden will. Treue ist das Gegenteil von Egoismus.“

Stimmt das wirklich? Hat Treue immer mit dem anderen zu tun?

Das Wort, sagen Sprachforscher, stammt aus dem Althochdeutschen – von triuwe, ein Eigenschaftswort, das so viel bedeutet wie „fest sein“ – heute würde man sagen: stehen können, Rückgrat zeigen! Darum geht es doch eigentlich: Das Festhalten an einer Pflicht sich selbst gegenüber.

Die Würde, die Selbstachtung erwächst aus dem Vermögen, sich selbst zu etwas verpflichten zu können – und dabei dann zu bleiben. Egal ob es eine Überzeugung, ein Mensch, ein Geschäft, ein Versprechen ist. Wir verraten, bevor wir jemand anders verraten, immer erst uns selbst. Nur wer sich selbst treu ist, kann auch anderen treu sein. Weil das uns erst zur Liebe befähigt.

Dem Partner treu zu sein, wenn man verliebt ist, ist keine Kunst. Sich anbrüllen, miteinander hadern, verzweifelt über den anderen sein – und trotzdem dableiben, nicht gedanklich bereits – quasi per Mausklick – nach Alternativen suchen, DAS ist Treue.

Wir brauchen die Treue, weil wir sie uns selbst schuldig sind. Die Rückkehr der Treue in die Welt wäre ein Geschenk.