Tag: 11. September 2019

Kann ich mir bei Gott etwas verdienen?

So manch einer denkt, dass er mit besonderer Anstrengung Gott zu einer Gegenleistung zwingen könnte. So ist bei manchen der Gottesdienst einmal oder mehrmals die Woche „Pflicht“ – bei anderen „das Gespräch mit Nichtgläubigen“ oder gar „mit Gewalt gegen Andersgläubige vozurgehen“.

Jesus sagte gemäß Matthäus 5:19 das „unsere Gerechtigkeit größer sein muss, als die Gerechtigkeit der Pharisäer“. Da stellt sich ja die Frage: WIE war den die Gerechtigkeit der Pharisäer zu seiner Zeit????

Ich habe einfach mal den Gedanken aus „Kommentar zum NT aus Talmud und Midrasch“ zu diesem Vers hierher kopiert. Vielleicht wird daraus klar, was Jesus meinte 😉

Wenn eure Gerechtigkeit nicht erheblich mehr wird als die der Schriftgelehrten u. Pharisäer.
γραμματεῖς, Schriftgelehrte = סוֹפְרִים, s. bei 2, 4. ‖ Φαρισαῖοι = פְּרוּשִׁים, Sing. פָּרוּשׁ, s. den Exkurs „Pharisäer u. Sadduzäer“.
Zu den Schriftgelehrten gehörten nicht nur Pharisäer, sondern auch Sadduzäer; erst als mit dem Untergang des jüd. Staatswesens i. J. 70 n. Chr. die Partei der Sadduzäer aus der inneren Geschichte des Judentums verschwand, nahm auch die sadduzäische Schriftgelehrsamkeit ein Ende. — Die Partei der Ph. umfaßte nicht bloß Schriftgelehrte, sondern in noch weit höherem Maße auch Laien, nämlich alle, die bereit waren, ihr Leben nach den religionsgesetzl. Anschauungen u. Anordnungen der pharis. Schriftgelehrten zu führen. — Wenn hier die Schriftgelehrten u. Ph. nebeneinander genannt werden, so haben wir bei jenen in erster Linie an die Männer der Theorie zu denken, die die pharis. Lehrmeinungen schulmäßig ausbildeten u. begründeten. Unter den Ph. aber werden wir besonders die Vertreter der Praxis zu verstehn haben, die das tägliche Leben in Handel u. Wandel nach den Satzungen der Schriftgelehrten zu gestalten u. zu regeln sich bemühten.
ὑμῶν ἡ δικαιοσύνη πλεῖον τῶν γραμματέων καὶ Φ., abgekürzte Vergleichung mit Auslassung von ἤ. — Die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten u. Ph. wird von Paulus, also demjenigen Apostel, der vermöge seines Bildungsganges einen genauen Einblick in die pharis. Schulmeinungen gewonnen hatte, charakterisiert als eine δικαιοσύνη ἐκ τοῦ νόμου oder als eine δ. ἐξ ἔργων νόμου, d. h. als eine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz u. seinen Werken erwächst, s. Röm 10, 5; Gal 3, 21; Phil 3, 9; Röm 3, 20; Gal 2, 16. Diese Charakterisierung finden wir auch außerhalb des NTs. Test Dan 6: Stehet ab von jeder Ungerechtigkeit u. hangt der Gerechtigkeit des Gesetzes Gottes an κολλήθητε τῇ δικαιοσύνῃ τοῦ νόμου τοῦ θεοῦ. — Apoc Bar 67, 6: Der balsamische Weihrauchduft der Gerechtigkeit aus dem Gesetz iustitiae ex lege ist aus Zion getilgt. — Auch hier bezeichnet die δικαιοσύνη τοῦ νόμου, bezw. die iustitia ex lege die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt. Aber aus allem dem erfahren wir nichts Näheres darüber, wie denn nun eigentlich nach der Meinung der alten Synagoge des Israeliten Gerechtigkeit aus dem Gesetz u. seinen Werken hervorgeht. Darüber belehrt uns erst die rabbin. Literatur. Die Sache verhält sich so. Jede Gebotserfüllung מִצְוָה schließt als ein Akt des Gehorsams gegen den göttlichen Gesetzgeber ein Verdienst זָכוּת (Plur. זָכִיּוֹת) des Israeliten vor Gott in sich, ebenso wie jede Gesetzesübertretung עֲבֵירָה eine Schuld חוֹבָה vor Gott nach sich zieht. Von den Gebotserfüllungen abgesehen werden Verdienste vor Gott weiter erworben durch Almosen, Fasten u. besondere Liebeswerke, nicht zuletzt durch das Torastudium. Das Verhältnis, in welchem die Verdienste des Menschen nach Zahl u. innerm Wert zu seinen Übertretungsschulden stehen, stellt den jeweiligen rechtl. Stand des Menschen vor Gott dar: überwiegen die Verdienste, so wird der Mensch von Gott als ein Gerechter צַדִּיק angesehen; überwiegen seine Übertretungsschulden, so gilt er als ein Frevler רָשָׁע. — Hierbei ist die wichtige Frage noch nicht berührt, von deren Beantwortung die ganze Verdiensttheorie abhängt, die Frage: was ist als Gebotserfüllung u. was ist als Gebotsübertretung anzusehn? Eine Gesetzesübertretung läßt sich nur an der Hand des Wortlautes des Gesetzes feststellen; eine Handlung, auf die der Wortlaut eines Gesetzes nicht zutrifft, kann nicht als Übertretung dieses Gesetzes hingestellt werden. Demgemäß haben auch die rabbin. Gelehrten für eine Gesetzesübertretung nur diejenige Handlung angesehen, die entweder dem Buchstaben einer Gesetzesbestimmung nicht voll entsprach oder ihm geradezu widersprach. Liegt aber darin nicht zugleich die Anerkennung beschlossen, daß nun auch umgekehrt jede buchstäbliche Erfüllung eines Gebotes als eine volle, dem Gesetz Genüge tuende anzusehn sei? Die alte Synagoge hat diese Frage bejaht. Gewiß können auch nach ihrer Meinung subjektive Momente den Wert einer Gebotserfüllung erhöhen. Hat jemand zB ein Verbot beobachtet unter schwerem innerem Kampf gegen den eignen bösen Trieb; oder hat ein andrer keine Kosten gescheut, um die Ausführung eines Gebotes so schön zu gestalten, wie es nur in seinen Kräften stand; oder hat ein dritter einer Gesetzesbestimmung nicht aus Furcht vor Gott, sondern aus Liebe zu Gott genügt: so sind das alles Gründe, die der Gebotserfüllung einen besonderen Wert verleihen; aber es sind doch immer nur Akzidenzien; fehlten sie, so würde auch ohne sie eine vollgültige Gebotserfüllung vorliegen, falls nur dem Buchstaben des Gebotes genügt war. Erst die Anerkennung dieses Grundsatzes, daß die buchstäbliche Erfüllung eines Gebotes als eine vollgültige u. verdienstliche Gebotserfüllung anzusehen sei, hat die Verdienstlehre der alten Synagoge möglich gemacht.
Hiernach kommt die Gerechtigkeit aus dem Gesetz zustande dadurch, daß der Israelit durch pünktliche, wäre es auch nur äußerliche Erfüllung der einzelnen Gesetzesbestimmungen eine solche Menge von Gebotserfüllungen u. einen solchen Schatz von Verdiensten erwirbt, daß die Gebotsübertretungen u. die daraus sich ergebenden Übertretungsschulden nach Zahl u. Gewicht überragt werden. Ist diese Bedingung erfüllt, dann hat er Gottes Urteil für sich, d. h. Gott sieht ihn als einen Gerechten an.
Diese Art von Gerechtigkeit hat Jesus nicht anerkannt: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht erheblich mehr wird als die der Schriftgelehrten u. Pharisäer (d. h. wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten nicht bei weitem übertrifft), so werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehn.“ Aber dabei bleibt Jesus nicht stehn: er tritt auch in den Kampf gegen die Gesetzesgerechtigkeit der Ph. ein. Das tut er, indem er das Fundament zerstört, auf dem die Verdienstlehre der Schriftgelehrten mit der ganzen Gesetzesgerechtigkeit ruhte. Dieses Fundament war der Satz, daß die buchstäbliche Erfüllung des Gesetzes eine volle, den göttl. Ansprüchen genügende Gesetzeserfüllung sei. Gegen diesen Satz erhebt die ganze Bergpredigt Jesu Protest: nicht dem Buchstaben nach gilt es das Gesetz zu erfüllen; Gott will eine bessere Erfüllung seiner Gebote, eine Erfüllung im Geist u. in der Wahrheit. Was das heißt, macht Jesus dann klar durch die Auslegung, die er einzelnen Geboten zuteil werden läßt. Dabei stellt er überall der buchstäblichen Ausdeutung der Gebote, wie sie von den Schriftgelehrten beliebt wurde, seine Auslegung entgegen, die den vollen religiös-ethischen Gehalt aufdeckt, den Gott in seine Gebote hineingelegt hat. In solcher Tiefe sollen seine Jünger die Gebote erfassen u. erfüllen; dann werden sie bald erkennen, daß es um die Gesetzeserfüllung der Ph. nichts sei, u. daß die Verdienstlehre der Schriftgelehrten samt der darauf aufgebauten Gesetzesgerechtigkeit vor dem Richterstuhl des menschl. Gewissens haltlos in sich selbst zusammenbricht.