Tag: 2. Oktober 2020

„Laß vor dich kommen das Seufzen“

Laß vor dich kommen das Seufzen des Gefangenen; nach der Größe deines Armes laß übrigbleiben die Kinder des Todes!
Elberfelder 1871 – Psalm 79,11

Vors Antlitz komme dir
des Gefesselten Ächzen!
Der Größe deines Armes gemäß
laß überbleiben die Kinder des Sterbens!
Buber & Rosenzweig – Ps 79,11

Der Gefangenen Seufzen dringe zu dir! Erlöse die Todgeweihten mit der Macht deines Armes!
Paderborner Bibel – Ps 79,11

Gerade in dieser Zeit, wo sich die Menschen die sich Christen nennen in verschiedene Parteien aufspalten, wo Christen meinen, sie müssten demonstrativ sich für ihre eigene Freiheit einsetzen, klingen diese Verse von Asaph ziemlich ungewöhnlich! Gott soll sich für mein Recht einsetzen? Das würde ja bedeuten, dass ich auf IHN vertrauen soll und nicht selber streiten soll?
Schauen wir uns die Erklärung zu diesen Vers aus verschiedenen Blickwinkel an:

Lass vor dich kommen usw. Da das Volk Gottes damals, als der Geist dieses Bittgebet erzeugte, ohne Zweifel in der Verbannung lebte, so denkt der Prophet, wenn er von den „Gefangenen“ redet, ganz allgemein an die Volksgenossen, die im Gebiete von Assyrien und Chaldäa eingeschlossen gehalten wurden und dasselbe bei Todesstrafe nicht verlassen durften. „Kinder des Todes“ nennt er sie als solche, die in Anbetracht ihrer Gefangenschaft gleichsam dem Tode geweiht waren. Doch kann man den Ausdruck auch enger fassen und auf die wenigen beziehen, die in strengere Haft übergeben worden waren. Der Prophet deutet mit diesem Worte an, dass jene unbändigen Geister, die ehedem sich gegen Gott aufgelehnt hatten, nun gebrochen und wahrhaft gedemütigt waren. Und nach dem „großen Arm“ ruft er, weil man ohne ein hervorragendes Wunder nicht mehr auf eine Wiederherstellung der Gemeinde hoffen konnte.

Jean Calvon – Aus dem Psalmenkommentar

Der Psalmist wollte den Herrn dazu bewegen, seine Bitte um Errettung zu beantworten. Er wünschte sich, daß er die Gefangenen am Leben erhalten und dem Spott über das Volk Gottes ein Ende setzen möge ( Wo ist ihr Gott? vgl. Ps 42,4.11;115,2 ), indem er ihnen siebenfach zurückgäbe (d. h. gründlich und genau; vgl. Ps 12,7 ) und dem Vorwurf des Volkes ein Ende setzen möge, der besagte, daß Gott seinem Eigentum gar nicht zu helfen vermochte.

Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

Volksklage-ähnliche Stücke haben praktisch keinen Eingang in christliche Gottesdienst-Liturgien gefunden. Entsprechend kommt man vielfach auch in christlichen Kreisen bei Ereignissen wie Kriege, grossen Unglücksfälle oder Attentate über das Ausdrücken von Entsetzen, Ratlosigkeit oder Betroffenheit kaum hinaus. Das hat auch damit zu tun, dass an Gottes Wirken und Walten in der Geschichte im Konkreten nicht mehr festgehalten und die Möglichkeit seines Richtens weithin ausgeblendet wird.

In der eminent theologischen Krise und Anfechtung, die die Zerstörung von Jerusalem und v.a. von JHWHs Tempel auf dem Zion verursacht hat – ist JHWH nicht in der Lage gewesen, seinen eigenen Wohnsitz zu schützen? –, gibt dieser Psalm Zeugnis davon, dass die Ursache der Niederlage nicht in der Ohnmacht JHWHs, sondern in seinem Zorn angesichts der Sünde des Volkes gesehen wird (wobei eine Solidarität zwischen Väter- und eigener Schuld besteht). Zugleich ist das Bewusstsein da, dass die Völker, die Gott als Gerichtswerkzeuge dienten, selber in ihrer Hybris nicht ungestraft bleiben, denn sie haben in Wort und Tat nicht nur das Volk, sondern Gott selber verhöhnt. Gewiss, die enge Verknüpfung des eigenen Ergehens mit demjenigen von Gott, hat auch problematische Seiten. So lässt etwa 12 mit dem Wunsch der siebenfachen Rächung an den Lamech-Spruch denken. Doch da ist innerbiblisch auch an dessen Umkehrung zu erinnern, als Jesus in seiner Antwort auf die Frage von Petrus eine Bereitschaft zur Vergebung “siebzigmal siebenmal” verlangt und sie mit dem anschliessenden “Schalksknechts”-Gleichnis illustriert hat (vgl. Gen 4,24; Mt 18,21–34).

Werkbuch Psalmen: Die Psalmen 73 bis 150

Dieser Psalm ist nur im Zusammenhang mit der Bitte des treuen Überrests an den Messias zu verstehen, zurückzukehren und sie vor den einfallenden Heidenarmeen zu retten. Nachdem sie sich an die Ereignisse des Falls Jerusalems (die dritte Stufe) erinnert haben, mit der Stadt in Trümmern, dem Greuel der Verwüstung des Tempels und dem Tod so vieler Juden (Verse 1-4), werden sie Gott bitten Komm herab, um sie zu retten und seinen Zorn auf die Nationen der Heiden zu schütten (Verse 5-7). Sie werden um Vergebung der Sünden ihrer Vorfahren bitten (wie in Lev. 26:40 gefordert), die die Nation zur Ablehnung des Messias Jesu führten, sowie um Vergebung ihrer eigenen Sünden (Vers 8–). 9). Auf der Grundlage dessen, was diese nichtjüdischen Nationen Israel angetan haben, werden sie Gott bitten, sie zu rächen, wie er es versprochen hatte, und sie vor ihren Feinden zu retten (Verse 10-12). Dann werden sie danken und das Lob Gottes für immer singen (Vers 13).

Fruchtenbaum – Die Schritte des Messias: eine Untersuchung der Abfolge prophetischer Ereignisse

Fazit: wir vertrauen, dass Jehovah für uns eintritt – und aus der Perspektive Ewigkeit – für gerechte Verhältnisse sorgt. Deshalb ist unser Bemühen und unsere Anstrengung auf sein Wort und sein Handeln konzentriert und nicht auf Kriege, Seuchen und Ungerechtigkeit um uns herum. Lies täglich persönlich in der Bibel – und du wirst lernen, dass SEINE Liebe größer ist, als alle Sorgen die um uns herum sind. Und selbst in der letzten Phase der Endzeit wird Jehovah für sein wahres Volk eintreten – und ER wird sich an denen rächen, die seinen Namen mißbrauchten.