Tag: 6. Juni 2022

mutiger Held oder Angsthase?

siehe, ich lege ein Wollvließ (Eig eine Woll-Schnur; so auch nachher) auf die Tenne; wenn Tau auf dem Vließe allein sein wird und auf dem ganzen Boden Trockenheit, so werde ich erkennen, daß du Israel durch meine Hand retten wirst, so wie du geredet hast. Und es geschah also. Und er stand am anderen Morgen früh auf, und er drückte das Vließ aus und preßte Tau aus dem Vließe, eine Schale voll Wasser.
Und Gideon sprach zu Gott: Dein Zorn entbrenne nicht wider mich! Und ich will nur noch diesmal reden. Laß mich es doch nur noch diesmal mit dem Vließe versuchen: Möge doch Trockenheit sein auf dem Vließe allein, und auf dem ganzen Boden sei Tau. Und Gott tat also in selbiger Nacht; und es war Trockenheit auf dem Vließe allein, und auf dem ganzen Boden war Tau.
Elberfelder 1871 – Richter 6,37–40

Inzwischen betete Gideon zu Gott: „Ich weiß, dass du versprochen hast, Israel durch mich zu befreien, aber ‹gib mir doch bitte noch eine Bestätigung dafür›!  Schau, ich lege jetzt frisch geschorene Wolle auf den Dreschplatz. Wenn die Schafwolle morgen früh nass sein wird und ringsum alles trocken, dann werde ich sicher sein, dass du Israel durch mich retten willst, wie du es gesagt hast.“ Als Gideon früh am nächsten Morgen aufstand und den Tau aus der Wolle ausdrückte, füllte das Wasser eine ganze Schale.  Doch Gideon betete noch einmal zu Gott: „Sei mir nicht böse, wenn ich dich noch ein einziges Mal um ein Zeichen bitte. Lass es mich doch noch einmal mit der Wolle versuchen und lass sie morgen früh trocken sein, aber ringsum alles nass vom Tau!“ Gott erfüllte ihm auch diese Bitte in der kommenden Nacht: Die Wolle blieb trocken und der ganze Boden war nass vom Tau.
Neue evangelistische Übersetzung 2019 – Richter 6,36–40

Und Gedeon sagte zu dem Gott: Wenn du durch meine Hand Israel rettest, so wie du gesagt hast – siehe, ich lege die frisch geschorene Wolle auf die Tenne, und wenn der Tau sich nur auf die Wolle legt und auf den ganzen Boden Trockenheit, dann werde ich erkennen, dass du durch meine Hand Israel rettest, wie du gesagt hast. Und so geschah es: Und Gedeon stand am nächsten Morgen auf und drückte die Wolle aus, und der Tau floss aus der Wolle, ein Wasserbecken voll. Und Gedeon sagte zu dem Gott: Dein Inneres gerate nicht in Zorn über mich, ich will nämlich noch einmal sprechen: denn ich will noch einmal einen Versuch mit der Wolle machen, und (dieses Mal) soll Trockenheit nur auf der Wolle sein, auf den ganzen Boden aber soll sich Tau legena. Und der Gott machte es so in jener Nacht, und Trockenheit war allein auf der Wolle, auf den ganzen Boden aber legte sich Tau.
Septuaginta Deutsch – Richter 6,36–40

The Bible and its Story, Volume 3: The History, Joshua to II Samuel – 1909

Zu Gideons Zeiten hatte Israel Gott so sehr vergessen, dass sich die ersten Bemühungen des jungen Helden um die Rettung des Landes nicht gegen die Midianiter, sondern gegen die Einwohner seiner eigenen Stadt Ophra richteten. Der Hauptaltar in Ophrah war nicht dem Herrn, sondern dem Baal geweiht, und Gideons Vater war sein Hüter. Da nahm Gideon zehn seiner treuen Diener und stürzte in der Nacht den Altar des Baal um. An seiner Stelle errichtete er einen Altar für Gott. Am nächsten Morgen wollten ihn die Bewohner der Stadt erschlagen, aber sein Vater wies darauf hin, dass Baal sich nicht einmal selbst geschützt hatte. So verlor das Volk eher den Glauben an Baal. Gideon wurde ein angesehener Mann im Land und wurde Jerubbaal, der Feind Baals, genannt.
Dann rief er das Volk auf, sich ihm gegen Midian anzuschließen. Als sie ihm jedoch zu Tausenden folgten, kamen ihm seine früheren Zweifel wieder, denn er wollte nicht alle diese Männer in den Tod führen. Also bat er Gott um ein weiteres Zeichen. Er ließ die ganze Nacht ein Schafsfell auf dem Boden liegen und bat zuerst darum, dass es nass sein möge, während die ganze Erde ringsum trocken war. In der nächsten Nacht bat er darum, dass es umgekehrt sein sollte. In beiden Nächten tat Gott, worum Gideon gebetet hatte. So kehrte der ängstliche Anführer zu seinem vollen Glauben zurück.

The Bible and its Story, Volume 3: The History, Joshua to II Samuel – 1909

War Gideon nun mutig oder ängstlich?
Die Ausleger sind sich da nicht wirklich einig – aber scheinbar war es für Jehovah egal! ER handelte und tat die Zeichen, die Gideon haben wollte! Und wie ist es heute bei dir und mir? Ob Jehovah auch auf deine und meine „Macken“ eingeht?

Gideons scheinbarer Mangel an Glauben, der sich in dem Ersuchen eines wunderhaften Zeichen Gottes ausdrückt (vgl. Mt 12,38; 1Kor 1,22-23 ), erscheint seltsam für einen Mann, der unter den Glaubenshelden aufgezählt wird ( Hebräer 11,32 ). Eigentlich hatte Gideon bereits bei seiner Berufung ein Zeichen Gottes erhalten ( Ri 6,17.21 ). Es ist jedenfalls erwähnenswert, daß Gideon die Wolle nicht benutzte, um Gottes Willen zu erforschen, denn den wußte er ja bereits durch göttliche Offenbarung (V. 14 ). Das Zeichen bezog sich auf eine Versicherung der Anwesenheit Gottes oder der Ermächtigung für die bevorstehende Aufgabe. Gott ging auf Gideons schwachen Glauben ein und benetzte die Wolle so stark mit Tau, daß dieser eine Schale voll Wasser auswrang . Vielleicht hatte Gideon Zweifel an der Einzigartigkeit dieses Vorkommnisses, da der umgebende Dreschboden auf natürliche Weise vor der Wolle trocknen konnte. Deshalb erbat er nun das Gegenteil: Laß dieses Mal die Wolle trocken und den Boden mit Tau bedeckt sein . Gott tat auch das geduldig, und Gideon war erneut davon überzeugt, seine Aufgabe fortzusetzen.

Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

Außer zu seinem eigenen Stamm, Manasse, sendet Gideon auch Boten zu anderen, nördlich gelegenen Stämmen. Auch sie schließen sich ihm an. Dann fragt Gideon Gott. Es ist bemerkenswert, wie sehr Gott allen Fragen Gideons mit Bezug auf seinen Auftrag entgegenkommt. Gott hat bereits sonnenklar mitgeteilt, was er von Gideon will (Verse 14–16). Als Gideon ein Zeichen erbat, hat Er das gegeben (Vers 17). Jetzt erbittet Gideon noch eine Bestätigung seines Auftrages, sogar zweimal. Er bekommt keinen Vorwurf zu hören, sondern Gott gibt ihm das, worum er bittet, auch zweimal.
Das „Auslegen eines Vlieses” ist beinahe sprichwörtlich geworden, wenn es darum geht, den Willen Gottes in einer bestimmten Angelegenheit zu erfahren. Es ist die Bitte um ein Zeichen zur Bestätigung der Erfüllung einer Aufgabe, die wir auf uns nehmen wollen. An und für sich ist es nicht verkehrt, wenn wir Sicherheit über das haben wollen, was wir für den Herrn tun wollen.
Über diese Bitte um ein Zeichen ist bereits etwas bei der Betrachtung von Vers 17 gesagt. Dazu kann im Zusammenhang mit dem „Vlies” folgendes hinzugefügt werden. Gott kann seinen Willen auch durch Umstände, in denen wir uns befinden oder in die wir kommen, deutlich machen oder bestätigen. Du wirst wahrscheinlich schon einmal von Joni gehört haben. Diese Frau ist als Folge eines Kopfsprungs in flaches Wasser, wodurch sie ihren Nacken gebrochen hat, völlig Invalide geworden. Sie wird von Gott aber noch immer auf eine besondere Weise gebraucht.
Nun brauchen sich unsere Umstände nicht so drastisch zu verändern. Es geht darum, anzudeuten, dass Dinge in unserem Leben geschehen können, durch die wir wissen: Dies ist es, was Gott von mir verlangt. Das werden übrigens niemals Dinge sein, die seinem Wort widersprechen. Wenn beispielsweise ein Gläubiger um einen Ehepartner bittet, und die Umstände scheinen ihm jemand auf seinen Weg zu bringen, doch dieser erweist sich als ein Ungläubiger, dann kann dies niemals die Leitung Gottes sein. Er verbietet nämlich in seinem Wort, dass ein Gläubiger einen Ungläubigen heiratet (2Kor 6,14).
Jetzt noch etwas über die geistliche Bedeutung des Vlieses mit Bezug auf den Boden und den Tau. Ein Zeichen „bezeichnet” etwas, gibt etwas wieder, stellt etwas vor, lässt etwas erkennen. Tau spricht von Erfrischung, Erquickung. Er ist die Frische eines neuen Tages. Tau wird im Alten Testament mehrere Male als ein Segen des Himmels für das Land Gottes beschrieben. Als Gideon beim ersten Zeichen um Tau auf dem Vlies und Trockenheit auf dem ganzen Boden bittet, scheint das eine Vorstellung des Segens Gottes für sein irdisches Volk Israel zu sein, während die Völker der Umgebung kein Teil daran haben. Israel hat durch die Verwerfung seines Messias den Segen jedoch verspielt, aber dieser wird für später aufbewahrt.
Das zweite Zeichen stellt das Gegenteil vor, denn jetzt bleibt das Vlies trocken und der ganze Boden wird durch den Tau nass. Dies will sagen, dass Gott nach der Verwerfung des Messias durch Israel sein Volk beiseitegesetzt und die Nationen zu segnen begonnen hat.
Beide „Zeichen” finden wir in dem Brief an die Römer wieder. Wir lesen dort im Blick auf Israel über „ihren Fall“, „ihren Verlust“, „ihre Verwerfung“. Diese Ausdrücke zeigen an, dass sie von Gott beiseitegesetzt worden sind. Durch „ihren Fall [ist] den Nationen das Heil geworden“ und dadurch ist die Rede von dem „Reichtum [der] Welt“, dem „Reichtum [der] Nationen“ und der „Versöhnung [der] Welt“ (Röm 11,11–15).
Doch damit ist Israel nicht endgültig verstoßen. Es kommt eine Zeit, die „ihre Vollzahl“ und „Annahme“ genannt wird. Dann wird Israel nachträglich den Segen empfangen. In beiden Zeichen ist deutlich, dass Gott es tut. Gideon trägt nichts dazu bei. Allein in Gottes Macht steht es, den Segen zu geben, sowohl Israel als auch den Nationen.
Der Ort, wo Gideon das Vlies niederlegt, ist auch von Bedeutung. Er wählt dafür die Tenne. Das erinnert an den Kelter, wo er zum ersten Mal dem HERRN begegnet ist und wo er seine Wertschätzung für Gottes Segen gezeigt hat (Vers 11). Er ist dort mit der Frucht des Landes beschäftigt gewesen. Von diesem Ort aus, der von dem Gericht spricht, das der Herr Jesus auf dem Kreuz erlitt, kommt alle Erquickung und Kraft, das uns aufgetragene Werk zu tun.
Wie gesagt, braucht Gideon nichts zu tun. Was er wohl tut, ist, früh aufzustehen, wodurch er sein Verlangen nach dem Ergebnis erkennen lässt. Die Weise, wie Gideon sich hier an den Herrn wendet, ähnelt der von Abraham in seiner Fürbitte für Sodom um Lots willen (1Mo 18,23–33; 19,29).

Ger de Koning – Das Buch Richter – Ausgelegt & angewandt – Der Verfall

Gideon bat eigentlich um zwei verschiedene Zeichen, wobei das erste Zeichen in den Versen 36 bis 38 erwähnt wird. Der Grund für die Bitte um diese Zeichen war Gideons Bedürfnis nach Sicherheit: Wenn du Israel durch meine Hand retten wirst, wie du es gesagt hast. Er war immer noch nicht der mächtige und tapfere Mann, als der er geweissagt worden war. Das erste Zeichen sollte folgendes sein: Siehe, ich will ein Wollvlies auf die Tenne legen; wenn nur auf dem Vlies Tau ist und es auf dem ganzen Boden trocken ist. Die Folge wäre dann: Dann werde ich wissen, dass du Israel durch meine Hand retten wirst, wie du es geredet hast. Der wundersame Charakter des Zeichens lag in der Tatsache, dass normalerweise die Feuchtigkeit des Vlieses in den Boden unter dem Vlies absorbiert wird. Das Vorhandensein von Tau zeigt, dass die Regenzeit beendet war und die Tauzeit begonnen hatte, wobei der April der Monat des Wechsels ist. Die Tatsache, dass Gideon Weizen dreschte, würde das Ereignis in den Monat Juni legen. Gideons Bitte wurde erfüllt: Und so war es auch. Denn er stand am nächsten Morgen früh auf und drückte das Vlies zusammen und wrang den Tau aus dem Vlies, eine Schale voll Wasser.
Das zweite Zeichen findet sich in den Versen 39 bis 40. Nachdem er versprochen hatte, nur dieses eine Mal zu reden, bat Gideon Gott um ein weiteres Zeichen der Bestätigung: „Lass mich den Versuch machen, ich bitte dich, nur dieses eine Mal mit dem Vlies. Gideon suchte in einer schweren Krise nach einer weiteren Bestätigung von Gott. Vielleicht kam ihm der Gedanke, dass die Tenne aus Felsgestein bestand und daher den Tau nicht aufgesogen hätte. Stattdessen bittet er nun um ein noch deutlicheres Zeichen: Nur auf dem Vlies soll es trocken sein, auf dem ganzen Boden aber soll Tau sein. Das Wunder bestand darin, dass unter normalen Umständen der Boden schneller austrocknete als die gesättigte Wolle. Auch diese Bitte wurde erfüllt: Und Gott tat es in dieser Nacht, denn es war trocken nur auf dem Vlies, und auf dem ganzen Erdboden war Tau.
Obwohl dieser Abschnitt oft zu diesem Zweck verwendet wird, ist er keine Ermutigung, Tests durchzuführen, um den Willen Gottes herauszufinden. Gläubige sagen oft, sie hätten „ein Vlies ausgelegt“, um herauszufinden, was der Wille Gottes in ihrer Entscheidungsfindung ist, aber das ist eine falsche Schlussfolgerung aus diesem Abschnitt. Gideon streckte das Vlies nicht aus, um Gottes Willen zu ermitteln, denn er wusste ihn bereits; Gott hatte ihm bereits gesagt, was er tun sollte. Dass Gideon das Vlies benutzte, war kein Zeichen seiner Geistlichkeit, sondern ein Zeichen für seinen sehr schwachen Glauben. Es war nicht das Zeichen eines reifen Gläubigen, sondern eines unreifen Gläubigen, der Schwierigkeiten hatte zu glauben, was Gott ihm bereits gesagt hatte.

Arnold Fruchtenbaum – Richter

Alles war bereit – und doch suchte Gideon noch etwas. Nicht aus Unglauben und auch nicht aus Glaubensschwäche bat Gideon den Herrn um ein Zeichen, oder vielmehr um ein Zeichen, ein Unterpfand seiner Gegenwart. Jene Stunden in der Geschichte der Helden Gottes, in denen am Vorabend einer großen Tat des erhabensten Glaubens der Geist mit dem Fleisch ringt, sind heilige Zeiten, auf die die oberflächliche Kritik eines oberflächlichen Bekenntnisses, das nie die Strapazen einer äußersten Prüfung ertragen hat, nicht ohne grobe Anmaßung angewendet werden kann. Wenn man in solchen Stunden sieht, wie die Seele in ihrer Qual ihre Last auf den Herrn wirft, spürt man, dass man auf heiligem Boden steht. Es ist wie ein stattliches Schiff in einem schrecklichen Sturm, bei dem jeder Balken und jedes Holz bis zum Äußersten belastet wird, das sich aber schließlich aufrichtet und sicher den Hafen erreicht. 13 Oder besser gesagt, es ist wie eine enge Nachfolge Jesu im Garten Gethsemane – mit seinen Qualen, seinem Gebet und seinem Sieg. Dem Wesen nach, wenn auch nicht den Umständen nach, war es derselbe Kampf wie der, der in der Nacht geführt wurde, als Jakob betete: „Ich lasse Dich nicht los, es sei denn, Du segnest mich“, und als viele Jahrhunderte später der Täufer seine Jünger aussandte, um Jesus zu fragen: „Bist Du es, oder warten wir auf einen anderen?“
Das „Zeichen“ hatte sich Gideon selbst ausgesucht, wurde ihm aber von Gott gnädig gewährt. Es war ein zweifaches. In der ersten Nacht sollte das Wollvlies, das auf dem Boden ausgebreitet war, voller Tau sein, aber der Boden rundherum sollte trocken sein. Daran konnte man allerdings noch zweifeln, denn ein Vlies zieht natürlich den Tau an. In der nächsten Nacht wurde das Zeichen daher umgekehrt, und das Vlies allein blieb trocken, während der Boden ringsum mit Tau benetzt war. Die symbolische Bedeutung des Zeichens ist klar. Israel war wie das Wollvlies, das sich über die weite Fläche der Völker ausbreitete. Aber während der ganze Boden ringsum trocken war, wurde Israel mit Tau erfüllt, als Symbol des göttlichen Segens. 14 Und das zweite Zeichen bedeutete, dass es ebenso von Gott war, als während Israels Abtrünnigkeit der Boden ringsum nass war und das Vlies der Herde Jehovas allein trocken blieb.

Alfred Edersheim – Geschichte der Bibel – altes Testament