Einen interessanten Absatz aus einem Buch möchte ich mit euch teilen:

Wir haben jetzt wie selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Kirche im Horizont des Reiches als erstes ihr Hoffnungsverhältnis zu Israel zu klären habe und daß ihre anderen Hoffnungsverhältnisse zu den Religionen, zu den Gesellschaftssystemen und den natürlichen Systemen daran anzuschließen seien und daraus folgen. Das ist in der christlichen Tradition keineswegs selbstverständlich, sondern neu. Wir drücken damit die noch zu belegende Überzeugung aus, daß die Aufgabe der Mission und damit das Verhältnis zu den Religionen aus der Beziehung der Kirche zu Israel sachlich und zeitlich begründet ist; daß ferner das Verhältnis der Kirche zum Staat und das politische Engagement der Christen von ihrem Verständnis des Alten Testaments und ihrem Verhältnis zum jüdischen Messianismus bestimmt wird; und daß endlich auch das Naturverhältnis und die Hoffnung für dieses Verhältnis von der Aufnahme oder Verdrängung israelitischen Denkens abhängt. Israel ist der ursprüngliche, bleibende und letzte Partner der Christenheit in der Geschichte. Verliert die Kirche die Orientierung an Israel aus den Augen, dann verkehren sich auch ihre religiösen, politischen und irdischen Verhältnisse ins Heidnische, ja ins Nachchristliche und Antichristliche. Die Kirche Christi kann ihr geschichtliches Selbstbewußtsein und ihre Beziehungen in der Welt, zu Staat, Gesellschaft, Technik und der natürlichen Umwelt nur dann dem Reich entsprechend und messianisch, d. h. konkret-befreiend verstehen, wenn sie ihr Verhältnis zu Israel, zum Alten Testament und zur Zukunft Gottes begreift. Das aber hat sie jahrhundertelang notorisch nicht getan. Ihr Antijudaismus hat sie paganisiert, hat zur Korruption heidnischer Religion geführt und die Kirche um die Kraft ihrer Hoffnung gebracht. Die Krisen, in die solche paganisierten und korrumpierten Formen des Christentums die Welt ökonomisch, politisch, kulturell und ökologisch gebracht haben, verlangen heute nach einer Rückwendung der Kirche zu ihrem israelitischen Ursprung: eine Rückwendung zum Alten Testament, die zugleich eine Umkehr zur messianischen Hoffnung für die Welt bedeutet. Denn die Rückwendung zum israelitischen Ursprung kann für die Christenheit nichts anderes bedeuten als die christliche Freisetzung des israelitischen Messianismus, damit Christen und Juden sich mit dem »Elan der Hoffnung« gemeinsam der Welt zuwenden.
Jürgen Moltmann – Kirche in der Kraft des Geistes: Ein Beitrag zur messianischen Ekklesiologie – Seite 155
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