Was für Gewinn ist in meinem Blute, in meinem Hinabfahren in die Grube? Wird der Staub dich preisen? Wird er deine Wahrheit verkünden?
Elberfelder 1871 – Psalm 30,10
»Was für Gewinn ist an meinem Blut,
an meinem Sinken zur Schluft?
kann der Staub dich bekennen?
kann er deine Treue vermelden?
Höre mich, DU, leihe mir Gunst!
DU, sei ein Helfer mir!«
Buber & Rosenzweig – Psalm 30,10–11
Was nützet mein Verbluten
sink ich zur Grube?
Kann Staub dir huldigen
verkünden deine Treue?
Neftali-Herz-Tur-Sinai – Psalm 30,10

Hier beginnt die Geschichte wirklich, denn es war Davids Stolz, der es notwendig machte, dass der Herr ihn züchtigte. „Wohlstand“ bedeutet „sorglose Leichtigkeit, eine sorglose Selbstsicherheit, weil es so gut läuft“. Das ist häufig die Haltung der Unbekehrten (10,6; 73,12; Lk 12,16-21), aber auch für Gläubige ist es eine ständige Versuchung (siehe Deut 8). Ein Grund, warum der Herr Prüfungen zulässt, ist, dass wir es uns in unserem Glauben nicht bequem machen und aufhören zu wachsen. „Ich habe mich wohl gefühlt“, sagte Hiob, „aber er hat mich erschüttert, und er hat mich am Hals gepackt und in Stücke gerissen: Er hat mich auch zur Zielscheibe gemacht“ (Hiob 16,12, NASB). Wohlstand ohne Demut kann zu Unglück führen. Davids Berg (Königreich, wie in Jer. 51,25) schien stark zu sein, aber der Herr zeigte David, wie schwach er war.
Warren W. Wiersbe – Sei Commentary Series
Wenn Gottes Angesicht auf uns scheint (Num 6,23-27), dann genießen wir seine reichen Segnungen; wenn wir aber rebellieren, kann er sein Angesicht verbergen, und das verursacht Schwierigkeiten (siehe 10,11; 13,1; 27,9; 88,14; Dtn 31,17-18; 32,20). Das hebräische Wort, das mit „beunruhigt“ übersetzt wird, beschreibt „intensive Qualen, Schrecken, Angst“. Es wird in 1 Samuel 28,21 verwendet, um König Sauls Gefühle im Haus der Hexe zu beschreiben. David wusste, dass er gesündigt hatte, aber er flehte den Herrn immer wieder um Gnade an und diskutierte sogar mit ihm. „Bin ich dir im Grab nützlicher als lebendig auf Erden? Können die Toten dich preisen und dir dienen?“ (Siehe 88:7-12; 115:17; Jes 38:18-19.) David war ein großer König mit einem starken Königreich, aber er war nur Staub, einen kurzen Atemzug vom Grab entfernt. Er demütigte sich und bekannte seine Sünde, und der Herr vergab ihm barmherzig und stellte ihn wieder her.
Dieser Schrei aus der Tiefe verbindet sich nun – aus unserer Sicht merkwürdig, aber typisch für alttestamentlichen Glauben – mit einem Appell an Gottes Ehre. Was wir geneigt sind, als Dreistigkeit auszulegen, ist für alttestamentlich-biblisches Denken genau umgekehrt ein Zeichen für festen Glauben, wenn es nun heißt: Was für einen Gewinn (bringt) dir mein Blutg? Wenn also David in der Finsternis bliebe, wenn er sein Blut ließe, im übertragenen und wörtlichen Sinn, dann müßte Gott einen großen Verlust verbuchen, weil ein von ihm Begnadigter vor der Zeit die Segel streicht. Gott kann aber nicht als unfähig erscheinen, und deshalb wird Gott aufgefordert, auch in seinem eigenen Interesse die Initiative für David (und für jeden anderen Gerechten) zu ergreifen. Im Falle des Hinscheidens »würde sich Gott des Lobpreises berauben, den ihm der Lebende bringen würde und so gern bringen möchte. Seine Bitte um Lebensfristung war also nicht auf irdischen Besitz und Genuß, sondern auf Gottes Ehre gerichtet. Er fürchtete den Tod als Ende des Lobes Gottes« (Delitzsch). Der Schrei um Rettung ist somit ein Teil der Verherrlichung des Schöpfers, die ihm ein Geschöpf darbringt. Gott und Tod, Gott und Staub gehören grundsätzlich nicht zusammen. Im Tode kann man Gottes Treue nicht verherrlichen. So endet dieser zurückblickende Gebetsgang in einer neuerlichen Bitte, weil David auch in Zukunft vom aktuellen Erhören Gottes leben wird: Höre, Jahwe, und erbarme dich.
Dieter Schneider – Wuppertaler Studienbibel
Der Staub wird Gott nicht preisen, sondern die Lebenden preisen ihn. Das hatte auch Hiskia gesagt, nachdem Gott ihn aus der Grube heraufgeholt hatte (Jes 38,18.19), und David auch (Ps 6,5.6). Diese Wahrheit ist dem David ein Argument für einen Handel: »Was gewinnst du, wenn du mich sterben lässt? Du gewinnst nichts, sondern im Gegenteil: Du verlierst einen Diener und Anbeter.« Das ist sehr kühn gebetet, aber Gott hört David und gibt ihm damit recht. So bleibt beides wahr: Gott braucht uns nicht; er ist auch ohne uns der glückselige Gott (1Tim 1,11). Und doch sucht er Anbeter (Joh 4,23), und jeder verlorene Anbeter ist ihm ein Verlust. Und damit haben wir Davids Beweggrund erkannt. Er betet nicht um seinetwillen, dass Gott ihn beleben möchte. Er betet um Gottes willen, dass an ihm das geschehen möchte, was Gott erfreut, und er das werden möchte, was Gott sucht.
Benedikt Peters – Die Psalmen
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