Weisheit zeigt sich an ihren Taten

Der Sohn des Menschen ist gekommen, der da ißt und trinkt, und sie sagen: Siehe, ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder; -und die Weisheit ist gerechtfertigt worden von ihren Kindern.
Elberfelder 1871 – Matthäus 11,19

Der Sohn des Menschen, der isst und trinkt, ist gekommen und man verbreitet: »Siehe da: Jemand, der ein Fresser und Weintrinker ist, ein Freund von Zolleintreibern und vor Gott schuldigen Menschen.» Und doch ist die Weisheit infolge ihrer Wirkungen für berechtigt gehalten worden.“
Gottes Agenda – Das Neue Testament urtextnah ins heutige Deutsch übersetzt von Andreas Eichberger – Matthäus 11:19

Denn Johannes ist gekommen: Er isst und trinkt nicht; und sie sagen: Er hat einen Dämon. Der Sohn des Menschen ist gekommen: Er isst und trinkt; und sie sagen: Siehe: Ein Fressmensch und Säufer, Freund von Steuereintreibern und Sündern!
Und Recht hat die Weisheit von ihren Werken her bekommen.“
Das neue Testament – Übersetzt von Peter Knauer – Matth 11,18–19

Fresser und Weinsäufer, Anspielung auf den widerspenstigen Sohn (Dtn 21,20).
Zöllner und Sünder, vgl. Anm. zu 5,46 und 9,10.
Weisheit, gr. sophia; hebr. chochma, ist die weibliche Erscheinungsform des Göttlichen (Spr 1–9 [besonders Kap. 8]); Weish 7,21–8,1).

Das Neue Testament – jüdisch erklärt

Während das Verabreichen der Taufe kein durchgängiges Merkmal von Jesu öffentlichem Wirken war, muss man das Gegenteil davon sagen, dass er mit seinen Jüngern und mit sozial Ausgestoßenen aß, sogar mit denen, die öffentliche Sünder waren. Dass er mit seinen Jüngern aß, war nicht nur bei ihm so. Gruppen von Pharisäern kamen zu gemeinsamen Mahlzeiten zusammen, um das Gebot der rituellen Reinheit besser einhalten zu können (siehe Lk 7:36; 11:37-39). Auch die Essener hatten gemeinsame Mahlzeiten, die als Vorwegnahme des messianischen Festmahls in der Endzeit angesehen wurden. In den Evangelien ist Jesus oft Gast bei den Mahlzeiten (Mk 1,29-31; 14,3; Lk 7,34; 11,37; 14,1) und es gibt Hinweise darauf, dass er auch andere zu sich eingeladen hat (Mk 2,15; Lk 15,1-2). Die Mahlzeiten Jesu waren so bekannt, dass er von seinen Gegnern beschuldigt wurde, „ein Vielfraß und Trunkenbold, ein Freund der Zöllner und Sünder“ zu sein (Mt 11,19). Ein solcher Ausdruck hat höchstwahrscheinlich eine solide historische Grundlage: Es muss den Evangelisten sicherlich gegen den Strich gegangen sein, eine solch unfreundliche Einschätzung festzuhalten, aber da sie in der Überlieferung begründet ist, konnte sie nicht so einfach eliminiert werden.

Es ist die Bedeutung der Mahlzeiten Jesu, die am wichtigsten ist. Für die Menschen in der Kultur Jesu bedeutete das gemeinsame Essen ein Band der Einheit, ein Teilen des eigenen Lebens. Mehr noch, die Tischgemeinschaft im Judentum bedeutete Gemeinschaft vor Gott: Wer bei Tisch das Brot brach, nahm am Segen teil, den das Oberhaupt des Haushalts über das Brot aussprach.

Den Pharisäern war es fremd, mit bekannten Sündern beim Essen zu sitzen. Jesus tat es trotzdem und benutzte wahrscheinlich Gleichnisse wie das vom verlorenen Schaf, von der verlorenen Münze, vom verlorenen Sohn (Lk 15) und von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16), um sein Handeln zu rechtfertigen. Die Mahlzeiten Jesu mit seinen Jüngern, die eng mit seinen Predigten und Lehren verbunden waren, sollten ein Symbol dafür sein, dass Gott sein Volk beim Festmahl der Endzeit umarmt (siehe Mk 2,19; 10,35-40; Mt 22,1-10; 25,10; Lk 22,30). Die Mahlzeiten Jesu waren der Kern seiner Botschaft und seiner Mission

Frederick J. Cwiekowski – Die Anfänge der Kirche

Wie hat Jesus gelebt? Darf man ihn als Genießer bezeichnen? Hatte der Sohn Gottes, der eine heilige Mission hier auf dieser Welt zu vollbringen hatte, Zeit für so etwas „Banales“ wie Genuss? War sein Tag nicht mit vielen Wichtigkeiten gefüllt, ähnlich wie der einer Außenministerin oder eines mächtigen Firmenchefs? In der Bibel finden wir tatsächlich keinen Absatz über „Tipps von Jesus zur Freizeitgestaltung“. Wenn wir aber tiefer in die Evangelien eintauchen, dann sehen wir einen Jesus, der sich Gutes gönnte: Essen und Trinken, Feiern, Schlaf, Stille und immer wieder Natur. Offenbar lechzte er aber nicht danach wie ein Erschöpfter, der auf seinen Urlaub hinlebt. Hoffend, dort wieder aufgemöbelt zu werden. Sondern die Genüsse waren ein natürlicher, selbstverständlicher Teil seines Alltags.
Viele biblische Geschichten zeigen Jesus als einen Mann, der von der zukünftigen Tischgemeinschaft sprach (Matthäus 8,11) und während seines irdischen Lebens gerne Tischgemeinschaft hatte. Beispielsweise sein Besuch bei Zachäus: „Denn ich muss heute Gast in deinem Haus sein“ (Lukas 19,5). Letztlich kam es durch den Lebensstil von Jesus sogar zu dem Urteil: „Der Menschensohn trinkt und feiert, und von ihm sagt ihr: ‚Er ist ein Schlemmer und Säufer und die schlimmsten Leute sind seine Freunde!‘“ (Matthäus 11,19). Jesus war natürlich kein Schlemmer und Säufer, obwohl er gern mitfeierte. Er war offensichtlich innerlich frei und hatte keine Angst vor dem Genuss. Er geriet auch nicht in falsche Abhängigkeiten. In seiner Beziehung zu seinem Vater im Himmel war er immer so gefestigt und gestärkt, dass ihn nichts von seinem Lebensmittelpunkt wegreißen konnte. Wir merken außerdem, dass auf Essen und Trinken nicht sein Hauptfokus lag. Er ging nicht zu den Verachteten, um es sich nun mal endlich richtig gut gehen zu lassen. Um mit Genuss seine Überlastung, seinen Frust oder seine Mangelerfahrung auszugleichen. Vielmehr aß und trank er mit den Sündern, um das Reich Gottes zu ihnen zu bringen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht isoliert irgendwo am Rand saß. Nein, Jesus war mittendrin. Lachte. Fragte. Antwortete. Feierte. Stärkte sich. Genoss die Güte seines Vaters im Himmel. Mitten im Feiern war er immer ein Vorbild: unabhängig, frei, genießerisch.
Feiern zu können, bedeutet auch, sich tief im Herzen freuen zu können. Auch dazu fordert Jesus immer wieder auf. Beispielsweise im Gleichnis von der verlorenen Münze: „Und wenn sie sie gefunden hätte, würde sie nicht ihre Freundinnen und Nachbarinnen rufen, damit sie sich mit ihr freuen, dass sie ihre verlorene Münze wiedergefunden hat?“ (Lukas 15,9). Jesus sagt das, weil er Anstifter und Anführer zum Leben ist. Das Wesentliche, nämlich eine innere Umkehr, ist laut Jesus ein Freudenfest wert. Anselm Grün schreibt: „Leider verstehen viele Christen Jesus nicht als Anführer zum Leben, sondern eher als Zuflucht vor dem Leben. Weil sie Angst vor dem Leben und seinen Auseinandersetzungen haben, fliehen sie zu ihm. Doch damit verfälschen sie Jesus und sein Anliegen. Jesus ist dort, wo Leben ist […].“

SCM – Dran 5/2022

Daß der Herr sich unter die Leute mischte und mit ihnen aß und trank, behagte ihnen aber auch nicht; er sei »ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder«. Ja, der Herr ging in das Haus des Zöllners Matthäus (Matthäus 9,10) und des Pharisäers Simon (Lk 7,36), in das Heim in Bethanien (Lk 10,38) und in das Haus des Oberzöllners Zachäus (Lk 19,5). Daran nun nahmen die Pharisäer willentlich Anstoß. Die Weisheit aber »ist gerechtfertigt worden von ihren Kindern«: Die Früchte des Dienstes sowohl des Täufers als auch des Sohnes Gottes bewiesen, daß sie das taten, was vor Gott recht war. Die Buße und die Errettung würden bleibende Frucht bringen, und zwar dreißig-, sechzig- und hundertfältig (Matthäus 13,8). Selbst die Pharisäer mußten schließlich befürchten, daß »alle an ihn glauben« (Joh 11,48).

Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt

Wenn Johannes kam »als einer, der weder aß noch trank«, dann bedeutet das regelmäßiges Fasten (vgl. Mt 3,4), nicht aber, dass er nie aß und trank. In dem »er ist gekommen« drückt sich wie in Mt 8,29; 9,13; 10,34ff.) die göttliche Sendung aus. So wollte ihn also Gott haben, wie er als Faster lebte. Aber die Masse hat weder Einsicht noch geistliches Urteilsvermögen. Das zeigt sich schon daran, dass sie ihr Urteil an etwas Äußerlichem bildete, eben am Fasten. Das zeigt sich aber auch an der Feststellung: »Er hat einen Dämon«, mit der viele seine Enthaltsamkeit zu erklären versuchten. Johannes stand für sie also unter einer dämonischen Macht. So einfach kann man der eigenen Betroffenheit in Glaubensdingen ausweichen! Wie oft tut man auch bei uns Christen ab mit dem Urteil: »Er ist verrückt.« Übrigens traf das Urteil: »Er hat einen Dämon« später sogar Jesus (vgl. Joh 7,20.8.48.52; 10,20 ; vgl. Apg 26,24 für Paulus).

Der nächste Vers ist schon deshalb interessant, weil er wie Mt 8,20; 9,6 zeigt, dass Jesus sich selbst als den »Menschensohn« aus Dan 7,13 betrachtete. Zweitens jedoch geht aus ihm hervor, dass Jesus sehr normal aß und »Wein« trank. Nach Mt 9,14ff.) wurden in seinem Jüngerkreis und d. h. wohl auch bei ihm persönlich nicht einmal die 2 Fasttage eingehalten, die die Pharisäer gemäß den »Aufsätzen der Ältesten« hielten (vgl. zu Mt 9,14ff.); dazu Lk 18,12). Was das Weintrinken betrifft, so müssen wir uns in Mitteleuropa daran erinnern, dass Wein in Israel kein Luxus war, sondern ein Tagesgetränk für arm und reich. Manchmal ist Wein in den trockenen Ländern des Südens leichter zu bekommen als gutes Wasser. Es war des Vaters Wille, dass der Sohn in aller Unauffälligkeit und Schlichtheit als Mensch lebte. Denn er »musste in allen Dingen seinen Brüdern gleich werden, dass er barmherzig würde« (Hebr 2,17). So ist der Menschensohn zu uns »gekommen als einer, der isst und trinkt«. In hässlicher Verdrehung der Tatsachen – Jesu war niemals ein Schlemmer oder Säufer, vgl. Joh 8,46; Jes 5,11ff.); 5 Mose 31,20 – machten böse Zungen daraus einen »Fresser und Weinsäufer«.

Also auch Verleumdung hat Jesus zu seinen Lebzeiten kosten müssen! Das tröstet uns in alledem, was man über uns erzählt – »so sie daran lügen«. Möglicherweise hat die Fastenfrage, die in Mt 9,14ff.) von den Johannesjüngern an Jesus herangetragen wurde, einem solchen Urteil einen gewissen Wahrheitskern gegeben. Es ist ja immer das Traurige an den Verleumdungen in dieser Welt, dass um 10-20 Prozent Wahrheit ein Gebäude von Lügen gebaut wird. Ist die Fastenfrage für die prophetische Bewegung der Johannesjünger wichtig gewesen, so stammt der Vorwurf »ein Zöllner und Sünderfreund« vermutlich aus pharisäischen Kreisen (vgl. Mt 9,11). Auch hier wird grausam Wahres und Erdichtetes gemischt. Jesus ist ja nicht in der Weise ein Freund der »Zöllner und Sünder« – die Zusammenstellung ist typisch pharisäisch! (vgl. zu Mt 9,9ff.) – geworden, dass er mit ihnen sündigte. Aber gerade das will uns ja die Wortverbindung »Fresser Weinsäufer – Sünderfreund« einreden. Nein, Jesus war in der Weise Sünderfreund, dass er Sünderheiland wurde. D.h., er befreite die Sünder zu einem neuen Leben in seiner Nachfolge, aber er teilte nicht ihre Sünde. Um dies konkret auf die Mahlgemeinschaft anzuwenden: Wenn Jesus mit Zöllnern und Sündern am Tisch sitzt, dann macht er nicht schlechte Witze, säuft, lächelt zu Unreinem, biedert sich nicht an, will nicht gewissermaßen als Prediger »Mensch sein«, sondern er zeigt seine Liebe und wirbt um Nachfolge.

Der letzte Satz ist schwer und auch von den Handschriften her nicht ganz durchsichtig. Denn die meisten Handschriften haben: »Und doch wurde die Weisheit von allen ihren Kindern her gerechtfertigt.« Wer ist diese »Weisheit«? Nach Lk 11,49; 1 Kor 1,24ff.) kann es nur die Weisheit Gottes sein, die sich im göttlichen Plan der Heilsgeschichte niederschlägt. Diese Weisheit hat Geheimnisse, sie sich nur dem Glauben und dem Gehorsam erschließen. Von da aus verstehen wir das Wort in beiden Fassungen. Die »Werke« des Täufers waren trotz seiner Zweifel und Schwächen gottgemäß. Und auch die »Werke« des Gottessohnes schufen, was dem Willen des Vaters entsprach. So lebte in beiden wirklich Gottes Weisheit: im Fasten des Täufers und in der Alltäglichkeit des Gottessohnes. Nur Gottes Sohn konnte so alltäglich sein – nicht der prophetische Täufer Gottes Weisheit rechtfertigte sich im beiderseitigen Ergebnis. Fasst man dieses Ergebnis personal, nämlich im Täufer und Jesus selbst bzw. ihren Jüngern, dann gilt noch einmal: auch an diesen »Kindern« kommt heraus, dass Gottes heilsgeschichtliche Weisheit am Wirken war. Unser Satz steht also dem anderen Satz des NT nahe: »an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen« (Mt 7,20 im Luthertext). Fazit: Die bösen Zungen im Volk gehen an der Realität vorbei. Gottes Weisheit aber zeigt sich allem menschlichen Klugseinwollen überlegen und kommt sowohl beim Täufer als auch bei Jesus an ihr Ziel. Was bei ihr herauskommt, wird zum Beweis ihrer Wahrheit.

Gerhard Maier – Edition C