der Einzelgänger

Wer sich absondert, trachtet nach einem Gelüst; gegen alle Einsicht (S. die Anm zu Kap 2,7) geht er heftig an. (Eig fletscht er die Zähne)
Elberfelder 1871 – Sprüche 18,1

Wer sich absondert, sucht nur nach eigenem Verlangen, er geht heftig gegen alles an, was heilsam ist.
Die Philippson-Bibel – Sprüche 18:1

Dem Wunsch nur trachtet der sich Absondernde nach,
gegen alle Besinnlichkeit platzt er los.
Buber & Rosenzweig – Spr 18,1

Vorwände sucht ein Mann, der beschlossen hat,
sich von Freunden zu trennen,
zu jeder Zeit aber wird er dem Tadel ausgesetzt sein.
Septuaginta Deutsch 2009 – Spr 18:1

Der Eigenbrötler tut nur, was ihm in seinen Kram passt; heftig wehrt er sich gegen jede bessere Einsicht.
Gute Nachricht Bibel 2018 – Sprichwörter 18,1

Der ursprüngliche Text dieses Verses ist schwierig. Manche sehen ihn als Zurechtweisung affektierter Überlegenheit. Wenn ein Mensch stolz darauf ist, sich von den Gefühlen und der Gemeinschaft mit anderen abzusondern, allem widerspricht, was gesagt wird, und eigene Vorstellungen vorantreibt, dann will er sein Verlangen befriedigen zu prahlen. Er sucht und mischt sich in Dinge, die ihn nicht betreffen, und beurteilt die Lage aller Menschen. Unsere Übersetzung (KJV) andererseits scheint den Vers als einen Ansporn zu verstehen, der Weisheit fleißig nachzujagen. Wenn wir Weisheit erlangen wollen, müssen wir danach verlangen. Wir müssen uns von all dem absondern, was uns dabei bremsen würde, ihr nachzujagen, wir müssen uns von dem Gedränge nach den wertlosen Dingen dieser Welt zurückziehen. Dann müssen wir mit allen Mitteln und Weisungen der Weisheit suchen und uns einmischen, das heißt, eine Reihe von Meinungen kennenlernen, damit wir alles prüfen und das Gute behalten können (1.Thess 5,21).

Der Neue Matthew Henry Kommentar

Der Vers ist schwierig und hat viele Deutungen erfahren. LXX hat statt Erfüllung »Vorwand, Gelegenheit«. Schließt man sich ihr an, kann man in dem Abgesonderten einen Menschen sehen, der seinen Freund, vielleicht weil er verarmt ist, loswerden will. Oder der Abgesonderte ist jemand, der aus der Gemeinschaft ausgeschlossen worden ist, der nun mit »aller Kraft losbrechen« will – so wird dann der zweite Halbvers formuliert –, um sich zu rächen. Das hebr. Wort bedeutet »Gelüst, Begierde, erfüllter Wunsch«. Gern wird »eigenes« Gelüst o.ä. ergänzt. Aber man braucht den Spruch nicht nur so negativ zu sehen. Der Abgesonderte hat sich von der Gemeinde oder Volksgemeinschafty isoliert und trachtet nach Erfüllung seines Lebens oder eines besonderen Zieles ohne die Gemeinschaft, außerhalb ihres Bereiches. Vielleicht ist er von ihr enttäuscht, vielleicht hat sie (noch) kein Verständnis für sein Anliegen. Sie kann ihm also nicht raten, was gut ist oder erfolgversprechend. Er ist überzeugt, daß nur er den rechten Weg weiß. Deshalb begehrt er gegen alle Hilfe auf. Solche Menschen wird und muß es immer geben. Wenn diese Lebensweise zur Regel wird, sollte man die Mahnung von Hebr 10,25 beachten.

Wuppertaler Studienbibel

In Frieden – mit allen Menschen!

Beziehungen. Sie sind nicht immer einfach. Schlimmer noch: Manchmal sind sie zum Davonlaufen! Hast du dir auch schon mal gedacht: „Ich will mit keinem mehr was zu tun haben! Alleinsein ist immer noch besser als ständig verletzt zu werden“? Ich schon. Immer wieder. Doch sozialer Rückzug ist keine Alternative. In 18,1 (SCH) heißt es: „Wer sich absondert, der sucht, was ihn gelüstet, und wehrt sich gegen alles, was heilsam ist.“ Tatsache ist: Du brauchst andere Menschen, und je näher du ihnen kommst, desto eher wird es Konflikte geben. Um sie zu vermeiden – und zu lösen – will dir Gottes Weisheit helfen.

Vor vielen Jahren stand ich in einer Auseinandersetzung, die bereits einige Jahre andauerte. Die Fronten waren ziemlich verhärtet. Die Verbitterung auf beiden Seiten wuchs, und ein Ausweg schien nicht in Sicht. Ich schilderte die Situation dem Bibellehrer William MacDonald. Er riet mir: „Beuge dich so weit wie möglich, ohne dabei gegen deine Überzeugungen zu handeln.“ Anders gesagt: „Komm deinem Gegner entgegen – und geh dabei an deine persönliche Schmerzgrenze!“

Ein weiser Rat. Er erinnert mich an ein Wort des Apostels Paulus in Römer 12,18 (NeÜ): „Soweit es irgend möglich ist und soweit es auf euch ankommt, lebt mit allen Menschen in Frieden!“ Frieden: mit Eltern, Ehepartner und Kindern. Mit deinen Freunden, deinem Nächsten, deiner Obrigkeit. Nicht um jeden Preis: Wenn es um die Wahrheit des Evangeliums geht, darfst du Konflikten nicht aus dem Weg gehen.a Aber du sollst keiner sein, der Streit anzettelt. Hass schürt. Unruhe stiftet. Wenn du schuldig geworden bist, dann bitte um Vergebung. Sei zur Vergebung bereit. Und zur Versöhnung. Soviel an dir liegt, gib dein Bestes!

Kurze Reden langer Sinn: Ein Kurs zum Buch der Sprüche

Die Aussage dieses Verses erscheint manchem vielleicht sonderbar. Ist Absonderung denn nicht gut? Ja und nein, denn es kommt immer darauf an, wovon man sich absondert und zu wem oder was man sich wendet. Sondern wir uns von der Welt ab und zu dem Herrn Jesus hin, ist das natürlich positiv. Sondern wir uns aber vom Guten ab (z. B. von treuen Glaubensgeschwistern; Jud 19), ist das stets negativ. So auch hier. Man sondert sich ab, um heimlich eigenen Wünschen und Vergnügungen („Gelüst“) nachzugehen. „Wir alle irrten umher wie Schafe“ (Jes 53,6). Das ist ein typisches Merkmal gottloser Menschen.
Es kann auch sein, dass man mit den anderen nichts mehr zu tun haben will, weil diese anders denken. Man zieht sich verärgert oder beleidigt zurück, statt sich in Ruhe mit ihnen auszutauschen. „Gegen alle Einsicht“ geht man dann heftig an. – Dieser zweite Versteil kann aber auch bedeuten, dass eine böse Absonderung nicht zum Erfolg führt (FußEÜ).

Leben in Weisheit: Das Buch der Sprüche Vers für Vers praxisnah erklärt

Wenn wir Rat suchen, müssen wir aufrichtig sein, denn ein liebevoller und weiser Freund kann oft Gefahren und Umwege sehen, die uns verborgen sind. Es ist am besten, einem anderen Gläubigen gegenüber Rechenschaft abzulegen und sich der Autorität der geistlichen Leiter in unserer Gemeinde zu unterwerfen. In den mehr als vierzig Jahren meines Dienstes habe ich den schmerzhaften Niedergang mehrerer „einsamer Ranger“ miterlebt, die dachten, sie bräuchten den Rat anderer nicht. „Ein Mann, der sich abkapselt, sucht sein eigenes Verlangen; er wütet gegen alles weise Urteil“ (Spr 18:1, NKJV). Christen sind die Schafe Gottes, und wir müssen uns zusammenschließen. Als Glieder des geistlichen Leibes Christi (1. Korinther 12) gehören wir zueinander und brauchen uns gegenseitig.

Warren W. Wiersbe – Sei Commentary Series Sprüche

»… wer sich absondert«, ist ein Individualist; er mag viele Gründe nennen für sein Handeln, doch im Kern sucht er nur »ein Gelüst«. Er will sich in seiner eigenen Welt selbst verwirklichen, und damit flieht er vor seiner Pflicht am Nächsten. Er ist ein von sich eingenommener, selbstverliebter Mensch. Als solcher verschließt er sich aller Korrektur: »… gegen alle Einsicht bricht er los«, jitgallac (wie in 17,14 und 20,3 [ein Verb, das nur im Buch der Sprüche verwendet wird]). Buber übersetzt »platzt er los«.
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V. 1 – »Wer sich … absondert … setzt sich … wider alles, was gut ist, nämlich gegen die in jener Gemeinschaft vorhandene Weisheit, den Schatz der dem Volke Gottes überlieferten Erfahrung, deren weisen und besonnenen Rat er nicht mehr hören mag« (Dächsel).
V. 1 – »Der Weise steht in der Gemeinschaft anderer. Individualismus entspringt dem Trotz oder der Laune. Auch in der Gemeinde Jesu wird der Einspänner leicht zum wunderlichen Heiligen« (Hans Brandenburg, Das Buch der Sprüche, der Prediger und das Hohelied, S. 81).

Benedikt Peters – Das Buch der Sprüche