Schlagwort: Jesus

alljährlich

Und seine Eltern gingen alljährlich am Passahfest nach Jerusalem.
Elberfelder 1871 – Lukas 2,41

Und alljährlich pflegten seine Eltern nach Jerusalem zu ziehen – zum Passafest.
Jantzen & Jettel 2017 – Lukas 2:41

SEINE Eltern pflegten aber alle Jahre zum Passahfest nach Jerusalem zu wandern -a 2 Mo. 23,14-17. –
Hermann Menge Übersetzung – 1926 – Lk 2,41

Jüdische Männer waren gesetzlich verpflichtet, jedes Jahr drei Feste in Jerusalem zu besuchen (Dtn 16:16), aber nicht alle hielten sich daran. Das eine Fest, an dem sie alle teilzunehmen versuchten, war das Passahfest; und als Jesus zwölf Jahre alt war (das Alter, in dem er „ein Sohn des Gesetzes“ wurde), ging er mit Maria und Josef zu diesem Fest. Freunde und Verwandte reisten gemeinsam und machten es zu einem festlichen Ereignis, Frauen und Kinder an der Spitze der Prozession und die Männer am Ende. Jesus war ein so gehorsames Kind (V. 40, 51-52), dass Maria und Josef keine Angst hatten, dass er etwas falsch machen würde. Stellen Sie sich ihre Überraschung vor, als er nicht zu finden war!

Wiersbes Erläuterungen zum Neuen Testament

Es entsprach der damaligen Sitte, daß ein jüdischer Knabe von 12 Jahren zum Tempel nach Jerusalem hinaufzog. Von zwölf Jahren an und darüber sollten die männlichen Israeliten dreimal des Jahres vor dem Herrn erscheinen: am Passah, am Wochenfest (Pfingsten) und am Laubhüttenfest (2Mo 23,14-17; 5Mo 16,16). Obwohl nicht ausdrücklich gesagt wird, daß Er es tat, können wir gewiß sein, daß Er, der „das Gesetz groß machte und es ehrte“ auch dieses Gebot erfüllte. Es mag wohl sein, daß Er bei dieser Gelegenheit als Zwölfjähriger das erste Mal seit Seiner Darbringung als Säugling wieder in Jerusalem war, aber Er muß seither jedes Jahr dort gewesen sein, bis zu Seinem Tod zur Zeit des Passahfestes.

Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt

Das Erscheinen zu den drei großen Festen (Passah-, Wochen- u. Laubhüttenfest) beim Heiligtum ist vorgeschrieben Ex 23, 17; 34, 23 f.; Dt 16, 16 f.

Wer ist zum Erscheinen verpflichtet? Chag 1, 1: Alle sind zum Erscheinen רְאיָּה verpflichtet, ausgenommen der Taube, der Blödsinnige, der Minderjährige, der Tumtom (dessen Geschlecht nicht erkennbar ist), der Zwitter (Mannweib), die Frauen, die Sklaven, die nicht freigelassen worden sind, der Lahme, der Blinde, der Kranke, der Greis u. derjenige, der nicht zu Fuß hinaufziehen kann. Welches ist ein Minderjähriger קטן? Der nicht auf den Schultern seines Vaters reiten u. (so) von Jerusalem auf den Tempelberg hinaufkommen kann. So die Schule Schammais. Die Schule Hillels sagte: Der nicht die Hand seines Vaters anfassen u. (so) von Jerusalem auf den Tempelberg hinaufkommen kann; denn es heißt Ex 23, 14: Drei רְגָלִים (d. h. drei Wallfahrtsfeste, zu denen man zu Fuß בְּרַגְלָיו muß wandern können) sollst du mir im Jahre feiern. ‖ Mekh Ex 23, 14 (107a): Drei Male רגלים sollst du mir im Jahre ein Fest feiern Ex 23, 14. Warum wird das gesagt? Wenn es heißt: Dreimal שלש פעמים im Jahre soll all dein Männliches vor Jahve erscheinen (Ex 23, 17; 34, 23; Dt 16, 16), so entnehme ich daraus: „Zu jeder beliebigen Zeit.“ Da sagt die Schrift lehrend Dt 16, 16: Am Fest der ungesäuerten Brote u. am Wochenfest u. am Hüttenfest. — Oder (ist etwa gemeint:) am Fest der ungesäuerten Brote dreimal u. am Wochenfest dreimal u. am Hüttenfest dreimal? Die Schrift sagt lehrend Ex 23, 14: Drei Male sollst du mir im Jahre ein Fest feiern. „Dreimal im Jahre soll erscheinen“ (יֵרָאֶה, gesehen werden) Ex 23, 17; das will die Blinden ausschließen (vom Erscheinen beim Heiligtum; denn wie man dort soll gesehen werden, so muß man auch selbst sehen können). „Dein Männliches“ Ex 23, 17; das will die Frauen ausschließen (sie sind also nicht verpflichtet). Eine andre Erklärung. „Drei Wallfahrtsfeste“ (so wird jetzt רגלים Ex 23, 14 gedeutet); das will die Lahmen ausschließen (denn zum Wallfahrten gehören nicht lahme, sondern leistungsfähige Beine). „All“ dein Männliches (Ex 23, 17); das will den Tumtom (s. oben) u. das Mannweib ausschließen (denn was „ganz“ Männliches ist, soll erscheinen). „Du sollst diese Tora vor ganz Israel, vor ihren Ohren vorlesen“ (am Hüttenfest nach Ausgang des Erlaßjahres) Dt 31, 11; das will die Tauben ausschließen. „Und du sollst fröhlich sein an deinem Feste“ Dt 16, 14, das will den Kranken u. den Greis ausschließen (die nicht zu den Fröhlichen gehören). „Vor Jahve deinem Gott“ Dt 16, 16; das will den Unreinen (der das Heiligtum nicht betreten darf) ausschließen. Von hier aus hat man gesagt: Alle sind zum Erscheinen verpflichtet, ausgenommen … — Stellen mit ähnlicher Beweisführung s. SDt 16, 16 § 143 (102b); TChag 1, 1 (231); am ausführlichsten pChag 1, 75d, 44; bChag 2a, 11. Einige abweichende Meinungen s. ʿArakh 2b. ‖ pChag 1, 75d, 32 wird unterschieden zwischen dem Erscheinen im Heiligtum zwecks Darbringung eines Opfers ראיית קרבן u. dem einfachen Anwesendsein im Heiligtum ראיות פנים; zu letzterem, so heißt es, seien auch die unmündigen Kinder verpflichtet (desgleichen die Frauen): „Die (eingangs gebrachte) Mischna (Chag 1, 1) bezieht sich auf das Erscheinen zum Opfer (davon sind also Frauen und Kinder frei); aber zum persönlichen Erscheinen ist auch der Unmündige (u. die Frau) verpflichtet, u. zwar auf Grund von Dt 31, 12: ‚Versammle das Volk, die Männer u. die Weiber u. die Kindlein‘ והטף usw. Ist der Unmündige (ein Knabe bis nach vollendetem 13., ein Mädchen bis nach vollendetem 12. Lebensjahre) nicht älter (größer) als ein Kindlein טף?“ ‖ ʿEr 96a Bar: Die Frau des (Propheten) Jona pflegte zum Fest (gen Jerus.) hinaufzuziehen, u. die Gelehrten haben es ihr nicht verwehrt. Weil es ihr die Gelehrten nicht verwehrt haben, so sind sie also der Meinung gewesen, daß das Erscheinen beim Heiligtum ein Gebot sei, das nicht von einer bestimmten Zeit abhange (u. zur Erfüllung solcher Gebote ist auch die Frau verpflichtet). — Aus diesen Stellen erkennt man, daß die Frage betreffs des Erscheinens der Frauen u. Kinder zum Fest beim Heiligtum in älterer Zeit kontrovers gewesen ist.

Wozu verpflichtet das Erscheinen beim Heiligtum? Ex 23, 15; 34, 20; Dt 16, 16 wird bestimmt, daß man nicht leer vor Jahve erscheine, u. Dt 16, 11. 14 f., daß man mit den Seinen fröhlich sei vor Jahve. Hieraus hat R. Jose der Galiläer (um 110) SDt 16, 11 § 138 (102a) die Regel formuliert: Drei Gebote gelten an einem Fest: Das Festopfer חֲגִיגָה, das Erscheinungsopfer רְאִיָּיה u. die Festfreude שִׂמְתָה Es gibt beim Erscheinungsopfer etwas, was sich gleicherweise bei den beiden andren nicht findet, u. es gibt beim Festopfer etwas, was sich gleicherweise bei den beiden andren nicht findet, u. es gibt bei der Festfreude etwas, was sich bei den beiden andren nicht findet. Das Erscheinungsopfer gehört ganz dem Höchsten (ist also ein Brandopfer עולח), was bei den beiden andren nicht gleicherweise der Fall ist. Das Festopfer war gebräuchlich vor der Gesetzgebung (הדיבור = הדבר) u. nach der Gesetzgebung, was bei den beiden andren nicht gleicherweise der Fall ist. Die Festfreude ist in Übung bei Männern u. bei Frauen, was nicht gleicherweise bei den beiden andren der Fall ist. So gibt es bei diesem, was nicht bei jenem, u. bei diesem, was nicht bei jenem der Fall ist; es mußte die Schrift sie alle sagen. — Dasselbe Chag 6b; in TChag 1, 4 (232) u. pChag 1, 76b, 10 anonym. An letzterer Stelle wird der Unterschied zwischen der Festfreude auf der einen Seite u. dem Erscheinungs- u. Festopfer auf der andren Seite so fixiert: Die Festfreude wird geübt sowohl durch etwas aus dem eigenen Besitz als auch durch etwas von andren Stammendes; sowohl durch etwas, was für gewöhnlich dazu dient, als auch durch etwas, was für gewöhnlich nicht dazu dient; jene beiden andren aber sind gebräuchlich nur aus dem eigenen Besitz u. nur von etwas, was für gewöhnlich dazu dient (nämlich von Opfertieren).

Strack & Billerbeck – Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch

    Schon früh wurde es für Juden üblich, zu großen Festen nach Jerusalem zu pilgern, wovon z. B. Mk 10, 32; 11–16 parr.; Lk 2, 41f., Josephus Flavius und der Talmud berichten. Dabei zog das Passafest die meisten Pilger an.

    Seit der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. musste auf das Schlachten der Passalämmer im Tempel verzichtet werden. Nach dem verlorenen zweiten jüdischen Aufstand gegen die Römer (132–135 n. Chr.) brachen die Wallfahrtstraditionen für einige Zeit ganz ab, weil Juden die Stadt Jerusalem bei Todesstrafe nicht mehr betreten durften. Ab dem 3., spätestens aber im 4. Jh. n. Chr. konnten sie jedoch am Gedenktag der Tempelzerstörung (am 9. Av) wieder an der Westmauer des ehemaligen Tempelplatzes beten. Die Tradition der ›Klagemauer‹ reicht bis in diese Zeit zurück. Erst Saladin erleichterte nach seiner Eroberung des Landes 1187 n. Chr. den Juden die Pilgerreisen nach Jerusalem4.

    Vieweger – Archäologie der biblischen Welt

    Josef und Maria lebten in Nazareth, nördlich von Jerusalem. Warum heißt es dann, dass sie „hinauf“ nach Jerusalem gingen? Nun, weil Jerusalem auf einem Hügel liegt.

    Nach Exodus 34:22-23 sollten alle Männer Israels jedes Jahr drei Feste feiern: Passah, Pfingsten und das Laubhüttenfest.

    Wie im Buch Genesis beschrieben, feierten Josef und Maria jedes Jahr das Passahfest (2. Mose 23,15) an dem Ort, den Gott selbst ausgewählt hatte: Jerusalem (2. Mose 16,2). a) Das Passahfest wurde nur einen Tag lang gefeiert, aber danach folgte ein siebentägiges Fest, das „Fest der ungesäuerten Brote“ (Lk 22,1).

    Die Tatsache, dass die Eltern von Jesus „jedes Jahr“ zum Passahfest gingen, bedeutet, dass sie fromme und religiöse Juden waren.

    Josef, Maria, Jesus und wahrscheinlich auch die Halbgeschwister Jesu (Matthäus 13:55-56) waren als Pilger nach Jerusalem gekommen, um dieses Fest zu feiern. a) Wahrscheinlich war es für eine Tischlerfamilie ein großes und teures Projekt, ihr Haus und ihren Arbeitsplatz für eine ganze Woche zu verlassen. b) Wir sehen jedoch, dass die Familie dem Willen Gottes Vorrang vor ihren eigenen Finanzen einräumte und sich für das Geistige und nicht nur für das Wertvolle entschied. c) In gleicher Weise sollten wir heute darüber nachdenken, wie wir unsere Zeit einteilen. Natürlich sollten wir arbeiten und für unsere Familien sorgen, aber wir sollten nicht vergessen, uns auch um unsere geistlichen Bedürfnisse zu kümmern. Es ist wichtig, Zeit einzuplanen und beiseite zu legen, um zum Gottesdienst zu gehen und mit unserem Vater zu sein.

    Christian Mölk’s Bibelkommentar

      Nur EINMAL wird das große Schweigen, das über der Geschichte des frühen Lebens Christi liegt, durchbrochen. Es wird berichtet, was sich bei seinem ersten Besuch im Tempel ereignete. Was dies selbst für einen gewöhnlichen frommen Juden bedeutete, kann man sich leicht vorstellen. Wo Leben und Religion so miteinander verflochten waren und beide in einer so organischen Verbindung mit dem Tempel und dem Volk Israel standen, muss jeder nachdenkliche Israelit das Gefühl gehabt haben, dass sein wirkliches Leben nicht in dem lag, was um ihn herum war, sondern in die große Einheit des Volkes Gottes hineinreichte und von dem Heiligenschein seiner Heiligkeit umgeben war. Für ihn wäre es im tiefsten Sinne des Wortes wahr, dass jeder Israelit sozusagen in Zion geboren wurde, da dort gewiss alle Quellen seines Lebens lagen. Es war also nicht nur das natürliche Verlangen, die Stadt ihres Gottes und ihrer Väter, das herrliche Jerusalem, zu sehen; auch nicht die gesetzliche, nationale oder religiöse Begeisterung, die bei dem Gedanken aufflammte, dass „unsere Füße“ in diesen Toren stehen würden, durch die Priester, Propheten und Könige gegangen waren; sondern viel tiefere Gefühle, die sich freuten, wenn es hieß: „Lasst uns in das Haus Jehovas gehen“. Es waren keine Ruinen, an denen kostbare Erinnerungen hingen, noch schien die große Hoffnung in weiter Ferne zu liegen, hinter dem Abendnebel. Aber von Zion, der Stadt Gottes, wurde in der Vergangenheit und in der nahen Zukunft „der Thron Davids“ innerhalb ihrer Mauern und inmitten ihrer Paläste verkündet.

      Nach dem strengen Gesetz war ein Jugendlicher erst mit der Volljährigkeit, d. h. mit dreizehn Jahren, zur persönlichen Einhaltung der Vorschriften und damit zur Teilnahme an den Festen in Jerusalem verpflichtet. Dann wurde er zu dem, was man einen „Sohn des Gebots“ oder „der Thora“ nannte.Tatsächlich aber wurde das gesetzliche Alter in dieser Hinsicht um zwei Jahre oder zumindest um ein Jahr vorverlegt. Diesem Brauch nahmen ihn seine Eltern am ersten Pascha, nachdem Jesus sein zwölftes Lebensjahr vollendet hatte, in der „Gesellschaft“ der Nazarener mit nach Jerusalem. Der Text scheint darauf hinzuweisen, dass es ihre Gewohnheit1 war, zum Tempel hinaufzugehen; und wir stellen fest, dass Maria, obwohl Frauen nicht verpflichtet waren, persönlich zu erscheinen, gerne von der Anweisung Hillels Gebrauch machte (die auch von anderen religiösen Frauen befolgt wurde, die in den rabbinischen Schriften erwähnt werden), zu den feierlichen Gottesdiensten des Heiligtums hinaufzugehen. Politisch hatten sich die Zeiten geändert. Die schwache und verruchte Herrschaft des Archelaus hatte nur neun Jahre gedauert,als er aufgrund der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen nach Gallien verbannt wurde. Judäa, Samaria und Idumäa waren nun in die römische Provinz Syrien eingegliedert und unterstanden deren Statthalter oder Legat. Die besondere Verwaltung dieses Teils Palästinas wurde jedoch einem Prokurator anvertraut, der seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Cæsarea hatte. Man wird sich daran erinnern, dass die Juden selbst eine solche Regelung gewünscht hatten, in der vergeblichen Hoffnung, dass sie, von der Tyrannei der Herodianer befreit, die Halbunabhängigkeit ihrer Brüder in den griechischen Städten genießen könnten. Aber sie fanden das Gegenteil. Ihre Privilegien waren ihnen nicht sicher; ihre religiösen Gefühle und Vorurteile wurden ständig, wenn auch vielleicht nicht absichtlich, verletzt; und ihr Sanhedrin wurde seiner wirklichen Macht beraubt, obwohl die Römer sich wahrscheinlich nicht in das einmischten, was als rein religiöse Fragen betrachtet werden könnte. Allein die Anwesenheit der römischen Macht in Jerusalem war ein ständiges Ärgernis und muss zwangsläufig zu einem Kampf auf Leben und Tod geführt haben. Eine der ersten Maßnahmen des neuen Legaten von Syrien, P. Sulpicius Quirinius,c nachdem er den unrechtmäßig erworbenen Reichtum des Archelaus konfisziert hatte, war die Anordnung einer Volkszählung in Palästina, um die Besteuerung des Landes festzulegen. Die Aufregung, die dies in der Bevölkerung hervorrief, war wahrscheinlich weniger auf prinzipiellen Widerstand zurückzuführen,3 sondern darauf, dass die Volkszählung als Zeichen der Knechtschaft und als unvereinbar mit dem theokratischen Charakter Israels angesehen wurde. Wäre eine Volkszählung als absolut gesetzeswidrig angesehen worden, hätten sich die führenden Rabbiner ihr niemals unterworfen; 2 noch wäre der Widerstand des Volkes gegen die Maßnahme des Quirinius durch die Darstellungen des Hohenpriesters Joazar gebrochen worden. Doch obwohl die Volkszählung dank seines Einflusses zugelassen wurde, konnte der Aufruhr im Volk nicht unterdrückt werden. Diese Bewegung war in der Tat Teil der Geschichte jener Zeit und betraf nicht nur die politischen und religiösen Parteien im Lande, sondern muss auch Jesus selbst vor Augen gestanden haben, da sie, wie noch zu zeigen sein wird, einen Vertreter in seinem eigenen Familienkreis hatte.

      Die Thronbesteigung des Herodes, der fälschlicherweise als der Große bezeichnet wird, markiert eine Periode in der jüdischen Geschichte, die mit dem Verzweiflungskrieg gegen Rom und den Flammen von Jerusalem und dem Tempel endet. Es entstand das, was Josephus trotz seiner falschen Darstellung zu Recht als vierte Partei – neben den Pharisäern, Sadduzäern und Essenern – bezeichnet: die Nationalisten. Ein tieferer und unabhängigerer Blick auf die Geschichte der Zeit würde uns vielleicht dazu bringen, das ganze Land entweder auf der Seite dieser Partei oder gegen sie zu sehen. Wie später in ihrer reinsten und einfachsten Form ausgedrückt, lautete ihre Losung negativ, dass kein Mensch ihr absoluter Herr sei; positiv, dass Gott allein als absoluter Herr herrsche. c Es war in der Tat eine Wiederbelebung der Makkabäer-Bewegung, vielleicht mehr in ihrem nationalen als in ihrem religiösen Aspekt, obwohl die beiden in Israel kaum voneinander zu trennen waren, und ihr Motto liest sich fast wie das, das nach Meinung einiger die Buchstaben lieferte, aus denen der Name Makkabäer zusammengesetzt wurde: Mi Camochah Baelim Jehovah, ‚Wer ist wie Du unter den Göttern, Jehovah?’Es ist bezeichnend für die Zeit und die religiösen Tendenzen, dass ihre Anhänger nicht mehr, wie früher, Assideaner oder Chasidim, ‚die Frommen‘, genannt wurden, sondern Zeloten (ζηλωται), oder mit dem hebräischen Äquivalent Qannaim (Kanaanäer, nicht ‚Kanaaniter‘, wie im A.V.). Die eigentliche Heimat dieser Partei war weder Judäa noch Jerusalem, sondern Galiläa.

      In der Hochburg der Herodianer, Sadduzäer und Pharisäer herrschten ganz andere, in der Tat antagonistische Tendenzen. Von letzteren hatte nur ein kleiner Teil wirkliche Sympathien für die nationale Bewegung. Jede Partei verfolgte ihre eigene Richtung. Die Essener, die in theosophische Spekulationen vertieft waren, die mit der östlichen Mystik nicht ungetrübt waren, zogen sich von jedem Kontakt mit der Welt zurück und führten ein asketisches Leben. Bei ihnen, was auch immer Einzelne empfunden haben mögen, konnte eine solche Bewegung nicht entstehen; auch nicht bei den Herodianern oder Boethusianern, die streng pharisäische Ansichten mit herodianischer Parteinahme verbanden; auch nicht bei den Sadduzäern; und schließlich auch nicht bei dem, was den größten Teil der rabbinischen Partei ausmachte, der Schule des Hillel. Aber die tapferen, freien Hochlandbewohner Galiläas und der Region jenseits ihres herrlichen Sees schienen den Geist geerbt zu haben und betrachteten ihren eigenen Elias als ihr Ideal – leider oft zu Unrecht -, als er in wilder, zotteliger Kleidung von den Bergen Gileads herabstieg, um gegen die ganze Macht Ahabs und Isebels zu kämpfen. Ihr Enthusiasmus ließ sich nicht durch die logischen Spitzfindigkeiten der Schulen entfachen, sondern ihr Herz brannte in ihnen für ihren Gott, ihr Land, ihr Volk, ihre Religion und ihre Freiheit.

      In Galiläa wurde der wilde, irreguläre Widerstand gegen Herodes zu Beginn seiner Karriere von Guerillabanden organisiert, die durch das Land zogen und einen Ezechias als Anführer hatten. Josephus bezeichnet sie zwar als „Räuber“, aber in Jerusalem wurden sie ganz anders eingeschätzt, denn wie wir uns erinnern, wurde Herodes vom Sanhedrin vorgeladen, um sich für die Hinrichtung von Ezechias zu verantworten. Was dann folgte, wird im Wesentlichen auf die gleiche Weise, wenn auch mit Unterschieden in der Form1 und manchmal in der Bezeichnung, von Josephus,und im Talmud erzählt. c Die Geschichte wurde bereits in einem anderen Zusammenhang erzählt. Es genügt zu sagen, dass der Sanhedrin nach der Thronbesteigung des Herodes nur noch ein Schatten seiner selbst war. Er war voll von Sadduzäern und Priestern, die vom König ernannt worden waren, und von Doktoren des kanonischen Rechts, deren einziges Ziel darin bestand, in Ruhe ihre Spitzfindigkeiten zu betreiben; die keine wirkliche Sympathie für nationale Bestrebungen hatten und aufgrund ihrer Verachtung für das Volk auch keine haben konnten; und deren ideales Himmelreich eine wundersame, vom Himmel eingesetzte, absolute Herrschaft der Rabbiner war. Dementsprechend fand die nationale Bewegung, wie sie sich später entwickelte, weder die Sympathie noch die Unterstützung der führenden Rabbiner. Am krassesten zeigte sich dies vielleicht bei R. Jochanan ben Saccai, dem berühmtesten ihrer Lehrer, kurz vor der Einnahme Jerusalems. Beinahe ungerührt war er Zeuge des Vorzeichens des Öffnens der Tempeltüren durch eine unsichtbare Hand geworden, was nach einer Auslegung von Sach 11,1 im Volksmund als Zeichen für die baldige Zerstörung des Tempels angesehen wurde. 2 Die überlieferte Geschichte, dass Jochanan, als er in der Hungersnot während der Belagerung sah, wie die Menschen eifrig Suppe aus Stroh aßen, die Idee einer solchen Garnison, die Vespasian widerstand, verwarf und sofort beschloss, die Stadt zu verlassen, zeugt von Zynismus und mangelndem Mitgefühl. Tatsächlich haben wir eindeutige Beweise dafür, dass R. Jochanan als Führer der Schule des Hillel seinen ganzen Einfluss geltend gemacht hatte, wenn auch vergeblich, um das Volk zur Unterwerfung unter Rom zu bewegen.

      Wir können verstehen, dass diese Schule so wenig Interesse an etwas rein Nationalem hatte. Im Allgemeinen wurde von den Schriftstellern nur eine Seite des Charakters von Hillel dargestellt, und selbst diese in stark übertriebener Form. Seine viel gepriesene Sanftmut, Friedfertigkeit und Nächstenliebe waren eher negative als positive Eigenschaften. Er war ein philosophischer Rabbi, dessen wirkliches Interesse in eine ganz andere Richtung ging als in die der Sympathie mit dem Volk – und dessen Motto in der Tat zu bedeuten schien: „Wir, die Weisen, sind das Volk Gottes; aber dieses Volk, das das Gesetz nicht kennt, ist verflucht“.Ein viel tieferes Gefühl und ein intensiver, wenn auch fehlgeleiteter Ernst durchdrangen die Schule Schammais. Sie war in der Minderheit, aber sie sympathisierte mit den Bestrebungen des Volkes. Sie war weder philosophisch noch eklektisch, sondern zutiefst national. Sie wandte sich gegen jede Annäherung von und an Fremde; sie ging hart mit Proselyten um, selbst mit den vornehmsten (wie Akylas oder Onkelos); sie erließ, nachdem sie zuvor eine Reihe von Hilleliten ermordet hatte, die zur beratenden Versammlung gekommen waren, achtzehn Dekrete, deren Ziel es war, jeglichen Verkehr mit Heiden zu verhindern; 1 und sie stellte Führer oder Unterstützer der nationalen Bewegung.

      Wir haben den Aufstieg der nationalistischen Partei in Galiläa beobachtet, als Herodes zum ersten Mal auf der Bildfläche erschien, und wir haben erfahren, wie unbarmherzig er versuchte, sie zu unterdrücken: zuerst durch die Hinrichtung von Ezechias und seinen Anhängern, und danach, als er König von Judäa wurde, durch die Ermordung der Sanhedristen. Die Folge dieser schonungslosen Strenge war, dass der Rabbinismus eine andere Richtung einschlug. Die Schule des Hillel, die von nun an die Mehrheit stellte, waren Männer ohne politische Couleur, theologische Theoretiker, selbstsüchtige Juristen, die eher eitel als ehrgeizig waren. Die Minderheit, vertreten durch die Schule Schammais, waren Nationalisten. So mangelhaft und sogar falsch beide Strömungen auch waren, die Nationalisten hatten in Bezug auf das Reich Gottes sicherlich mehr Hoffnung als die Sophisten und Juristen. Es war natürlich die Politik des Herodes, alle nationalen Bestrebungen zu unterdrücken. Niemand verstand die Bedeutung des jüdischen Nationalismus so gut wie er; niemand hat ihn jemals so systematisch bekämpft. Sein Versuch, den König der Juden inmitten der Kinder von Bethlehem zu töten, hatte sozusagen einen inneren Sinn. Die Ermordung der Sanhedristen mit der daraus folgenden neuen antimessianischen Tendenz des Rabbinismus war eine Maßnahme in dieser Richtung; die verschiedenen Ernennungen, die Herodes für das Hohepriestertum vornahm, eine andere. Und doch war es auch damals nicht einfach, das Pontifikat seiner Macht und seines Einflusses zu berauben. Der Hohepriester war immer noch der Repräsentant des religiösen Lebens des Volkes, und er handelte bei allen Gelegenheiten, bei denen es nicht ausschließlich um subtile kirchenrechtliche Fragen ging, wie der Präsident des Sanhedrins, in dem die Mitglieder seiner Familie natürlich Sitz und Stimme hatten. Die vier Familien1 , aus denen die Hohepriester – von wenigen Ausnahmen abgesehen – gewählt wurden, verfügten in ihren schlimmsten Zeiten über den Reichtum und den Einfluss einer staatlich dotierten Einrichtung. Es war daher von größter Bedeutung, den Hohepriester weise auszuwählen. Mit Ausnahme der kurzen Amtszeit von Aristobulus, dem letzten der Makkabäer – dessen Ernennung, auf die allzu bald seine Ermordung folgte, damals eine Notwendigkeit war – waren alle herodianischen Hohepriester Nichtpalästinenser. Ein schärferer Schlag als dieser hätte dem Nationalismus nicht versetzt werden können.

      Die gleiche Verachtung für das Hohepriestertum kennzeichnete auch die kurze Regierungszeit von Archelaos. Auf seinem Sterbebett hatte Herodes Joazar, einen Sohn des reichen alexandrinischen Priesters Boethos, dessen Tochter Mariamme II. er geheiratet hatte, zum Pontifikat ernannt. Die mit Herodes verbündete Familie Boethos bildete eine Partei – die Herodianer -, die strenge pharisäische Ansichten mit der Ergebenheit gegenüber der Herrscherfamilie verband. Joasar stellte sich bei der Thronbesteigung des Archelaos auf die Seite des Volkes. Dafür wurde er zugunsten eines anderen Sohnes von Boethos, Eleasar, seiner Würde beraubt. Doch Archelaos‘ Laune war unbeständig – vielleicht misstraute er der Familie des Boethos. Auf jeden Fall musste Eleasar den Platz von Jesus, dem Sohn von Sië, einer ansonsten unbekannten Person, einnehmen. Zur Zeit der Besteuerung des Quirinius ist Joasar wieder im Amt,a das offenbar von der Menge wiederhergestellt wurde, die nach dem Regierungswechsel die Dinge selbst in die Hand nahm und einen Mann zurückholte, der zuvor die nationalen Bestrebungen unterstützt hatte. So erklärt sich sein Einfluss auf das Volk, das er dazu brachte, sich der römischen Besteuerung zu unterwerfen.

      Aber auch wenn Joazar bei der unreflektierten Bevölkerung Erfolg hatte, gelang es ihm nicht, die fortschrittlicheren Mitglieder seiner eigenen Partei zu versöhnen, und, wie sich herausstellte, auch nicht die römischen Behörden, deren Gunst er zu gewinnen gehofft hatte. Es sei daran erinnert, dass die nationalistische Partei – oder „Zeloten“, wie sie später genannt wurden – zuerst in jenen Guerillabanden auftrat, die unter der Führung des von Herodes hingerichteten Ezechias durch Galiläa zogen. Aber die nationale Partei wurde während seiner eisernen Herrschaft nicht vernichtet, sondern nur in Schach gehalten. Erneut war es die Familie des Ezechias, die die Bewegung anführte. Während des Bürgerkriegs, der auf die Thronbesteigung des Archelaus folgte, oder besser gesagt, während er in Rom für seine Sache eintrat, wurde die Fahne der Nationalisten in Galiläa wieder erhoben. Judas, der Sohn des Ezechias, nahm die Stadt Sepphoris in Besitz und bewaffnete seine Anhänger aus dem dortigen königlichen Arsenal. Wie wir wissen, sympathisierte der Hohepriester Joazar zu dieser Zeit zumindest indirekt mit den Nationalisten. Der Aufstand, der sich in ganz Palästina ausbreitete, wurde mit Feuer und Schwert niedergeschlagen, und die Söhne des Herodes konnten ihre Besitztümer wieder in Besitz nehmen. Doch als Joazar nach der Absetzung des Archelaus das Volk überredete, sich der Steuererhebung des Quirinius zu unterwerfen, war Judas nicht bereit, der seiner Meinung nach verräterischen Führung des Pontifex zu folgen. Zusammen mit dem schammaitischen Rabbi Sadduk erhob er erneut die Fahne der Revolte, wenn auch erneut erfolglos. Wie die Hilleliten diese Bewegung sahen, erfahren wir sogar aus der geringfügigen Anspielung Gamaliels. d Die Familie des Ezechias stellte weitere Märtyrer für die nationale Sache. Die beiden Söhne des Judas starben 46 N. CHR. am Kreuz für sie. Ein dritter Sohn, Manahem, der von Beginn des Krieges gegen Rom an einer der Anführer der fanatischsten Nationalisten, der Sikarier – der Jakobiner der Partei, wie sie treffend bezeichnet wurden – war, starb unter unsagbaren Leiden,f während ein viertes Mitglied der Familie, Eleasar, der Anführer von Israels vergeblicher Hoffnung war und in Masada, im Schlussdrama des jüdischen Unabhängigkeitskrieges, edel starb. Aus solchem Material waren die galiläischen Zeloten gemacht. Aber wir müssen diese starke nationalistische Tendenz auch in der Geschichte Jesu berücksichtigen, zumal zumindest einer seiner Jünger und er selbst ein Mitglied seiner Familie einmal dieser Partei angehört hatten. Nur das Reich, dessen König Jesus war, war, wie er selbst sagte, nicht von dieser Welt und von ganz anderer Konzeption als das, wonach sich die Nationalisten sehnten.

      Zu der Zeit, als Jesus zu dem Fest hinaufging, war Quirinius, wie bereits erwähnt, Statthalter von Syrien. Die Besteuerung und der Aufstand des Judas waren vorbei, und der römische Statthalter, der mit der Amtsführung des Joasar unzufrieden war und ihm misstraute, hatte an seiner Stelle Ananos, den Sohn des Seth, ernannt, den Annas, der im Neuen Testament in schändlicher Erinnerung ist. Mit kurzer Unterbrechung hatten er oder sein Sohn das Pontifikalamt inne, bis unter der Prokuratur des Pilatus Kaiphas, der Schwiegersohn des Hannas, diese Würde übernahm. Es wurde bereits erwähnt, dass die Herrschaft in Palästina unter den römischen Statthaltern von Syrien auf Prokuratoren übertragen wurde, von denen Coponius der erste war. Von ihm und seinen unmittelbaren Nachfolgern, Marcus Ambivius,Annius Rufus,c und Valerius Gratus,wissen wir wenig. Sie machten sich in der Tat schwerster fiskalischer Unterdrückung schuldig, aber sie scheinen die religiösen Gefühle der Juden respektiert zu haben, soweit es ihnen möglich war. Wir wissen, dass sie sogar das Bild des Kaisers von den Standarten der römischen Soldaten entfernten, bevor sie in Jerusalem einmarschierten, um den Anschein eines Kaiserkultes zu vermeiden. Es war Pontius Pilatus vorbehalten, den Juden dieses verhasste Emblem aufzuzwingen und ansonsten ihre heiligsten Gefühle zu missachten. Aber wir können schon jetzt feststellen, mit welchen kritischen Perioden in der jüdischen Geschichte das öffentliche Auftreten Christi zusammenfiel. Sein erster Besuch im Tempel folgte auf die römische Inbesitznahme Judäas, die Steuererhebung und den Volksaufstand sowie auf die Einsetzung des Hannas in das Hohepriesteramt. Und der Beginn Seines öffentlichen Dienstes war zeitgleich mit dem Amtsantritt von Pilatus und der Einsetzung von Kaiphas. Ob subjektiv oder objektiv betrachtet, haben auch diese Dinge einen tiefen Einfluss auf die Geschichte Christi.

      Es war im Frühjahr 9 N. CHR., als Jesus zum ersten Mal zum Osterfest nach Jerusalem hinaufging. Koponius würde dort als Prokurator anwesend sein, und Hannas regierte im Tempel als Hohepriester, als er unter den Ärzten erschien. Aber nicht nur politische Gedanken müssen den Geist Christi beschäftigt haben. In der Tat war eine Zeit lang eine kurze Ruhe über das Land hereingebrochen. Es gab nichts, was aktiven Widerstand hätte hervorrufen können, und die Partei der Zeloten war, obwohl sie existierte und tiefere Wurzeln in den Herzen des Volkes schlug, für diese Zeit eher das, was Josephus sie „die philosophische Partei“ nannte – ihre Gedanken beschäftigten sich mit einem Ideal, das ihre Hände noch nicht bereit waren, in die Realität umzusetzen. Wenn also die festliche Gesellschaft aus Nazareth, zu der bald noch andere festliche Gruppen hinzukamen, nach alter Gewohnheit nach Jerusalem hinaufzog und auf dem Weg dorthin die „Psalmen des Aufstiegs „zur Begleitung der Flöte sang, konnten sie sich den geistigen Gedanken, die durch solche Worte entfacht wurden, vorbehaltlos hingeben.

      Als die Pilger vor den Toren Jerusalems standen, konnte es keine Schwierigkeiten geben, Gastfreundschaft zu finden, wie voll die Stadt bei solchen Gelegenheiten auch gewesen sein mag1 – umso mehr, wenn wir uns an die extreme Einfachheit der orientalischen Sitten und Bedürfnisse und den Überfluss an Vorräten erinnern, den die vielen Opfer der Saison liefern würden. Aber auch zu diesem Thema schweigt die evangelische Erzählung. So herrlich der Anblick Jerusalems einem Kind, das zum ersten Mal aus der Abgeschiedenheit eines galiläischen Dorfes dorthin kam, auch erschienen sein muss, so müssen wir doch bedenken, dass derjenige, der es jetzt betrachtete, kein gewöhnliches Kind war. Und vielleicht irren wir uns auch nicht in der Vorstellung, dass der Anblick ihrer Größe in Ihm, wie bei einer anderen Gelegenheit,nicht so sehr Gefühle der Bewunderung, die denen des Stolzes ähnlich gewesen sein könnten, als vielmehr der Traurigkeit weckte, obwohl Er sich des tieferen Grundes noch kaum bewusst gewesen sein mag. Aber der einzige Gedanke, der ihn beherrschte, war der des Tempels. Dies, sein erster Besuch in seinen Hallen, scheint auch den ersten ausgesprochenen – und, dürfen wir nicht folgern, den ersten bewussten – Gedanken an diesen Tempel als das Haus seines Vaters hervorgerufen zu haben, und damit den ersten bewussten Impuls seiner Mission und seines Seins. Auch hier wäre es eher die höhere Bedeutung als die Struktur und das Aussehen des Tempels, die den Geist absorbieren würde. Und doch gab es selbst in letzterem genug, um Begeisterung zu wecken. Wenn der Pilger den Berg hinaufstieg, über dem dieses symmetrische Gebäude thronte, das in seinem gigantischen Gürtel nicht weniger als 210.000 Menschen fassen konnte, konnte sein Staunen bei jedem Schritt größer werden. Der Berg selbst wirkte wie eine Insel, die sich abrupt aus tiefen Tälern erhob, umgeben von einem Meer aus Mauern, Palästen, Straßen und Häusern, und gekrönt von einer Masse aus schneebedecktem Marmor und glitzerndem Gold, die sich Terrasse um Terrasse erhob. Insgesamt maß sie ein Quadrat von etwa 1.000 Fuß, oder, um die von den Rabbinern angegebenen Maße genauer wiederzugeben, 927 Fuß. Im nordwestlichen Winkel der Burg befand sich die Burg Antonia, die von einer römischen Garnison gehalten wurde. Die hohen Mauern wurden von massiven Toren durchbrochen – dem unbenutzten Tor (Tedi) im Norden, dem Susa-Tor im Osten, das sich auf die gewölbte Straße zum Ölberg öffnete,den beiden so genannten „Huldah“-Toren (wahrscheinlich „Wiesel“-Tore), die durch Tunnel2 von der Priestervorstadt Ophel in den äußeren Hof führten, und schließlich vier Toren im Westen.

      Innerhalb der Tore verliefen rundherum überdachte Doppelkolonnaden mit Bänken für diejenigen, die sich zum Gebet oder zur Besprechung dorthin begaben. Der prächtigste dieser Säulengänge war der südliche oder doppelte Säulengang mit einem breiten Zwischenraum; der ehrwürdigste war der alte „Salomonische Vorbau“ oder östliche Säulengang. Wenn man von der Xystus-Brücke und unter dem Johannes-Turm hindurchging, gelangte man entlang dieser südlichen Kolonnade (über den Tunnel der Huldah-Tore) zu ihrem östlichen Ende, über dem sich ein weiterer Turm erhob, wahrscheinlich die „Spitze“ der Geschichte der Versuchung. Von dieser Höhe aus gähnte das Kedrontal 450 Fuß tief. Von dieser hohen Zinne aus wachte der Priester jeden Morgen und verkündete den ersten Anflug des Tages. Wenn wir die östliche Kolonnade oder Salomons Vorhalle entlanggingen, hätten wir, wenn die Beschreibung der Rabbiner glaubwürdig ist, das Susa-Tor erreicht, wobei die geschnitzte Darstellung dieser Stadt über dem Tor uns an die östliche Zerstreuung erinnert. Hier sollen die Standardmaße des Tempels aufbewahrt worden sein; und hier müssen wir auch den ersten oder untersten der drei Sanhedrinen lokalisieren, die der Mischna zufolge im Tempel tagten; der zweite oder dazwischen liegende Berufungsgerichtshof befand sich im „Hof der Priester“ (wahrscheinlich in der Nähe des Nikanor-Tors); und der höchste, der des Großen Sanhedrins, befand sich einst in der „Halle der behauenen quadratischen Steine“ (Lishkath ha-Gazith).

      Wenn man aus diesen „Kolonnaden“ oder „Vorhallen“ heraustrat, betrat man den „Vorhof der Heiden“ oder das, was die Rabbiner „den Berg des Hauses“ nannten, der an der Westseite am breitesten und an der Ost-, Süd- und Nordseite immer schmaler war. Dies war der Chol, der „profane“ Ort, zu dem die Heiden Zugang hatten. Hier muss sich der Markt für den Verkauf von Opfertieren, die Tische der Geldwechsler und Orte für den Verkauf anderer notwendiger Artikel befunden haben. 3 Wenn man innerhalb dieses Hofes weiterging, erreichte man eine niedrige Brustwand (den Soreg), die den Raum markierte, über den weder Heiden noch levitisch unreine Personen hinausgehen durften – Tafeln mit entsprechenden Inschriften warnten sie davor. Dreizehn Öffnungen führten in den inneren Teil des Hofes. Von dort führten vierzehn Stufen hinauf zum Chel oder zur Terrasse, die im engeren Sinne von der Mauer des Tempelgebäudes begrenzt wurde. Eine Treppe führte hinauf zu den massiven, prächtigen Toren. Die beiden Tore auf der Westseite scheinen für die Gläubigen nicht von Bedeutung gewesen zu sein und waren wahrscheinlich für die Arbeiter bestimmt. Nördlich und südlich befanden sich vier Tore. Das prächtigste Tor war jedoch das im Osten, das als „das Schöne“ bezeichnet wurde.

      Wenn man durch den letzteren eintrat, kam man in den Hof der Frauen, der so genannt wurde, weil die Frauen darin zwei erhöhte und getrennte Galerien bewohnten, die jedoch nur einen Teil des Hofes ausfüllten. Fünfzehn Stufen führten hinauf zum Oberen Hof, der von einer Mauer begrenzt war und in dem sich das berühmte Nikanor-Tor befand, das mit korinthischem Messing verkleidet war. Hier waren die Leviten, die den musikalischen Teil des Gottesdienstes leiteten, untergebracht. Im Hof der Frauen befanden sich die Schatzkammer und die dreizehn „Trompeten“, während sich an jeder Ecke Kammern oder Säle befanden, die für verschiedene Zwecke bestimmt waren. Auch jenseits der fünfzehn Stufen befanden sich Aufbewahrungsorte für die Musikinstrumente. Der Obere Hof war durch eine Begrenzung in zwei Teile geteilt – der schmale Teil bildete den Hof Israels, der breitere den der Priester, in dem sich der große Altar und das Waschbecken befanden.

      Das Heiligtum selbst lag auf einer höheren Terrasse als der Priesterhof. Zwölf Stufen führten hinauf zu seiner Vorhalle, die sich auf beiden Seiten (Norden und Süden) ausdehnte. Hier, in separaten Kammern, wurde alles aufbewahrt, was für den Opferdienst notwendig war. Auf zwei Marmortischen in der Nähe des Eingangs wurden jeweils die alten Schaubrote, die herausgenommen wurden, und die neuen, die hereingebracht wurden, aufgestellt. Die Vorhalle war mit Votivgaben geschmückt, unter denen eine mächtige goldene Ranke besonders auffiel. Eine zweiflügelige Pforte führte in das Heiligtum selbst, das in zwei Teile geteilt war. Das Heiligtum bestand aus dem goldenen Leuchter (im Süden), dem Tisch der Schaubrote (im Norden) und dem goldenen Räucheraltar dazwischen. Ein schwerer doppelter Vorhang verdeckte den Eingang zum Allerheiligsten, das im zweiten Tempel leer war, da sich dort nichts befand außer dem Felsen, der Ebhen Shethiyah oder Grundstein genannt wurde, der der Überlieferung nach die Öffnung der Grube bedeckte und auf dem, so glaubte man, die Welt gegründet wurde. All dies vermittelt keine angemessene Vorstellung von der Größe der Tempelbauten. Denn rund um das Heiligtum und jeden der Höfe befanden sich verschiedene Kammern und Nebengebäude, die unterschiedlichen Zwecken im Zusammenhang mit den Diensten des Tempels dienten.

      Aldred Edersheim – Das Leben und die Zeiten von Jesus dem Gesalbten

      Herr, wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben

      Da sprach Martha zu Jesu: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben; aber auch jetzt weiß ich, daß, was irgend du von Gott bitten magst, Gott dir geben wird.
      Elberfelder 1871 – Johannes 11,21–22

      Martha sagte nun zu Jesus: Herr, wärest du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben. V. 3 32
      Und jetzt weiss ich (trotzdem): Alles, um was du Gott bitten wirst, wird Gott dir geben. Joh 9:31.33
      Zürcher 1931 – Johannes 11:21–22

      Traurig sagte Martha zu Jesus: «Herr, wärst du hier gewesen, würde mein Bruder noch leben. Aber auch jetzt weiß ich, daß Gott dir alles geben wird, worum du ihn bittest.»
      Hoffnung für alle – 1996 – Joh 11,21–22

      Beim Anblick ihres Herrn sprach Martha den Gedanken aus, der sie und Maria tagelang gequält hatte: „Herr, wenn du hier gewesen wärst, so wäre mein Bruder nicht gestorben.“ Dennoch waren Marthas Glaube und ihre Hoffnung noch lebendig. Sie sagte: „Und doch weiß ich jetzt, dass, so vieles du von Gott erbittest, Gott dir geben wird.“ Jesus sagte sofort etwas, um sie im Glauben zu stärken: „Dein Bruder wird auferstehen“ (Joh 11:21-23).

      jW – Ahmt ihren Glauben nach

      Jesus hätte Lazarus natürlich heilen können, wie Martha im heutigen Tagestext sagte. Aber er hat etwas anderes vor, etwas Großartiges.

      Der Wachtturm 04-2023

      Jeschua näherte sich Bethanien, und als Martha hörte, dass Er kam, ging sie hinaus, um Ihm entgegenzugehen, bevor Er am Grab ankam (Johannes 11:17-20). Sie schimpfte mit Jeschua, weil er nicht gehandelt hatte, als sie ihn zuerst riefen: Herr, wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben (Joh 11,21). Wenn Jeschua gekommen wäre, als sie Ihn zuerst gerufen hatten, hätte Er Lazarus heilen können. Wäre Er früher gekommen, wäre ihr Bruder noch am Leben. Sie bekräftigte jedoch ihren Glauben an Ihn (Johannes 11:22).

      Jeschua antwortete auf ihre Zurechtweisung mit den Worten: „Dein Bruder wird auferstehen“ (Johannes 11:23). Martha nahm an, dass Er von der prophetischen Zukunft und der endgültigen Auferstehung am letzten Tag sprach (Johannes 11:24), ein grundlegender Glaube des Judentums. Sie bekräftigte klar ihren Glauben an seine Messiasschaft, und sie erkannte klar seine Macht vor dem Tod, aber sie erkannte nicht seine Macht über den Tod. Das gab Jeschua die Gelegenheit, seine fünfte „Ich bin“-Aussage zu machen, die von Jochanan aufgezeichnet wurde: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben“ (Johannes 11:25-26). Diejenigen, die an die Messiasschaft Jeschuas glauben, mögen zwar physisch sterben, aber sie werden nie wieder geistlich sterben; und obwohl sie physisch sterben, wird ihr Körper eines Tages auferweckt werden.

      Arnold Fruchtenbaum – Jeschua – Das Leben des Messias aus einer messianisch-jüdischen Perspektive

      Was den Zeitlauf betrifft, irren sowohl der Wachtturm als auch Arnold Fruchtenbaum! Denn wenn wir uns die Verse anschauen, so wartet Jesus nur 2 Tage, um sich dann auf den Weg zu machen – und nicht 4 Tage 😉

      Marta, die Tatkräftige, ging Jesus entgegen, während Maria, die kontemplative Schwester, wartete. (Vgl. Lk 10,39-42 ,wo die beiden Schwestern ähnlich charakterisiert werden.) Martas Gruß war so etwas wie ein Glaubensbekenntnis. Sie war überzeugt, daß Jesus ihren Bruder hätte heilen können, wenn er da gewesen wäre. Darin scheint keine Kritik an Jesus zu stecken, denn sie wußte ja, daß ihr Bruder bereits tot war, als die Boten bei Jesus anlangten. Ihre Worte „aber auch jetzt weiß ich: was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben“ könnten zwar als Hinweis auf die Aufweckung ihres Bruders verstanden werden, doch ihr Protest vor dem Grab (Joh 11,39) und ihre Worte in Vers 24 widersprechen dieser Interpretation. Was sie hier sagte, war also wohl nur ganz allgemein ein Ausdruck ihrer Überzeugung, daß Jesus den Segen des Vaters besaß.

      Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

      Wiederum ist es charakteristisch, dass »Marta« zuerst das Wort ergreift. Zwar redet auch Maria in Vers 32 als Erste, aber ihrem Reden geht das Niederknien voraus; außerdem wird ihr Weinen berichtet (V. 33), während von Martas Tränen nicht gesprochen wird. Mit wenigen Strichen zeichnet der Evangelist ein außerordentlich einprägsames Bild der verschiedenartigen und doch im Glauben verbundenen Schwestern.
      Offenbar hat sich damals im Jüngerkreis schon die Anrede »Herr« für »Jesus« durchgesetzt (vgl. V. 12 und Joh 6,68; 9,38; 11,3). Das aramäische Wort für »Herr«, Mar, hat sich dann noch lange Zeit in der Gebetssprache der griechischsprechenden Gemeinden erhalten (1Kor 16,22).
      Was Marta sagt, ist Ausdruck eines ganz großen Vertrauens, das unseren Kleinglauben zutiefst beschämt:
      »Wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben.« Sie traut also Jesus die Macht zu, jede Krankheit zu stoppen und zu heilen; und offensichtlich geht sie von dem engen Verhältnis aus, das die Betanien -Jünger zu Jesus hatten. Nicht umsonst lautete ja die Botschaft in Vers 3:
      »Siehe, den du lieb hast, der liegt krank.« Der heutige Leser darf allerdings den Text nicht missverstehen, als wolle er sagen, dass kein Jünger krank werde oder dass jeder kranke Christ von Jesus geheilt werde.
      Der nächste Satz (V. 22) vertieft dieses Vertrauen noch:
      »Aber auch jetzt noch weiß ich, dass Gott dir alles geben wird, was du von Gott erbittest.« Das heißt doch:
      »Auch jetzt noch« sind deiner Hilfe keine menschlichen Grenzen gezogen! Dabei überlässt sie es ganz und gar Jesus, »was« er tun will – und gerade das ist das Großartige! Vielleicht hat Marta so gesprochen, weil sie sich an das Vaterunser hielt:
      »Dein Wille geschehe.« Hochinteressant ist die genauere Formulierung. Marta hat begriffen, dass Jesus nicht aus eigener Vollmacht handeln will, sondern ganz aus der Vollmacht des Vaters. Deshalb sieht sie Jesu Wunder als die Erhörung seiner Gebete an – ein Gedanke, der entsprechend der Verse 41ff. sein Recht hat. Dennoch liegt in dieser Ansicht noch etwas Unausgereiftes. Gebetsheilungen vollbrachten ja auch die Rabbinen. Im Talmud heißt es nicht nur:
      »Größer noch ist das Gebet als gute Taten« (b Berachot 32 b), sondern es gab Rabbinen, die Regen »erbitten« konnten, wann immer es nötig war (z. B. Choni der Kreiszieher und dessen Enkel; b Taanit 23 b). Und es gab Beter, wie Rabbi Chanina ben Dosa, die Schwerkranke durch ihr Gebet vom Tode erretteten (b Berachot 34 b). Der Unterschied zu diesen bevollmächtigten Rabbinen wird noch nicht sichtbar, wenn Marta sagt:
      »Ich weiß, dass Gott dir alles geben wird, was du von Gott erbittest.« Deshalb führt sie Jesus im folgenden Gespräch weiter, damit sie die Einzigartigkeit des Gottessohnes erkennen und bekennen kann.

      Gerhard Maier – Edition C

      Sie redete Ihn mit „Herr“ ( kyrie) an, das hier als göttlicher Titel zu verstehen ist, da Sie Ihn tiefer erkannte, als daß sie in bloß höflich mit „Herr“ angeredet hätte. Als sie sagte: „Wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben“, dachte sie an die vergangenen Tage, an dessen Krankheit und wie der Herr ihn hätte heilen können. Sie dachte nicht mehr an ein gegenwärtiges Wunder. Vielleicht wußte sie nicht um andere Totenauferweckungen durch den Herrn (Mt 11,5). Man beachte, daß sie die gleiche Aussage macht, wie nachher Maria in
      V.32. Offensichtlich hatten sie miteinander zu Hause darüber geredet und festgestellt, daß ihr Vertrauen und ihre Erkenntnis gleich waren. Übereinstimmung zu Hause führte auch zu Übereinstimmung außer Hause in der Gegenwart des Herrn. Das muß mit dem Geschehen in Apg 5,1-11 verglichen werden, wo Übereinstimmung zu Hause zu Übereinstimmung auch vor den Aposteln führte, freilich diesmal im Belügen des Heiligen Geistes.
       Sie war dennoch bereit, ihre Gedanken von den eben verstrichenen Tagen zu lösen und in V.22 eine schwache Hoffnung auszudrücken, die sich auf die Gegenwart oder auf die Zukunft bezogen haben mag. Sie erreichte nicht die Höhe eines Bekenntnisses, das die Gottheit Christi anerkannte. Sie dachte, daß Seine Bitte an Gott gerichtet und von Gott beantwortet werden würde, übersah also Seine göttliche Macht und Person. Ihr Glaube machte aber Fortschritte, wie beim Blindgeborenen in Kap. 9.

      Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt

      „Von ganzem Herzen preise ich den Herrn“

      Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,
      und mein Geist hat frohlockt in Gott, meinem Heilande;
      Elberfelder 1871 – Lukas 1,46–47

      Da sagte Maria:
      »Von ganzem Herzen preise ich den Herrn,
      und mein Geist jubelt vor Freude über Gott, meinen Retter.
      Neue Genfer Übersetzung 2013 – Lukas 1,46–47

      Καὶ εἶπεν Μαριάμ· Μεγαλύνει ἡ ψυχή μου τὸν κύριον, καὶ ἠγαλλίασεν τὸ πνεῦμά μου ἐπὶ τῷ θεῷ τῷ σωτῆρί μου,
      Von Soden 1913 – Die Schriften des Neuen Testaments – Lukas 1,46–47

      אָז אָמְרָה מִרְיָם׃ ״תְּרוֹמֵם נַפְשִׁי אֶת אֲדֹנָי וְתָגֵל רוּחִי בֵּאלֹהֵי יִשְׁעִי (תהילים לה׳ ט׳//חבקוק ג׳ יח׳)
      ha-Berit ha-ḥadashah 2000 – Lukas 1,46–47

      Mirijam war ja noch eine sehr junge Frau, noch nicht verheiratet sondern nur verlobt.
      Aber ihre Augen waren auf Jehovah gerichtet, weil sie ein persönliches Verhältnis zu Jehovah hatte.Sie brauchte keinen Priester oder Organisation, um zu verstehen, was Jehovah von ihr wollte. Deshalb hatte sie verstanden, dass nun endlich der im Garten Eden verheißene Same kommen würde! Nicht Eva, sondern sie – Maria bzw Mirijam – war die von Gott erwählte Person, die den „Retter der Menschheit“ zur Welt bringen sollte! Die Verheißungen wurden endlich wahr! Und das, worum so viele Frauen vor ihr sehnsüchtig gebetet hatten!
      Aber Jehovah hatte sicher Gründe, warum er gerade sie ausgewählt hat! Schauen wir auch direkt zu Jehovah – oder brauchen wir einen „Erklärbären“, einen „Kanal“, der uns die Bibel ständig erklärt, oder genügt uns der heilige Geist und eine persönliche Beziehung zum Schöpfer?


      Vers 45 und Vers 49 hatten wir ja schon


      Wie wenn sie sagte: Was Gott Wunderbares vorher verkündet hat, wird er an meinem Leib vollbringen; aber meine Seele wird bei Gott nicht unfruchtbar bleiben. Ich soll auch die Frucht meines Willens beisteuern; denn gerade weil er mich durch ein großes Wunder so viel gelehrt hat, umso mehr muss ich den verherrlichen, der an mir Großes tut. (GRAECUS)
      Die ersten Früchte des Geistes sind Friede und Freude. Die Heilige Jungfrau hatte die ganze Gnade des Geistes in sich aufgenommen, daher fügt sie mit Recht an: „Und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ Sie meint mit Seele und Geist dasselbe. Das Ausbrechen in Jubel, wie es in den Schriften vorkommt, bezeichnet eine Art von heiterer und freudiger Haltung der Seele bei denen, die würdig sind. Daher jubelt die Jungfrau: ihr Herz springt und klingt in einem unaussprechlichen Tanz. (GRAECUS)
      Zuerst lobt ihre Seele den Herrn, damit sie später jubelt in Gott. Wenn wir nicht zuerst geglaubt haben, werden wir nicht fähig sein zu jubeln. (ORIGENES)

      Thomas von Aquin – Catena Aurea: Kommentar zu den Evangelien im Jahreskreis

      Dieses Lied von Mirijam offenbart zwei Dinge: Erstens zeigt es das Ausmaß ihrer persönlichen Spiritualität, und zweitens zeigt es ihre Kenntnis der Heiligen Schrift, denn ihr Lied ist dem Lied Hannas in 1 Samuel 2,1-10 sehr ähnlich.

      Mirjams Lied kann in zwei Abschnitte unterteilt werden, wobei jeder Abschnitt einem der beiden Hauptpunkte des Liedes gewidmet ist. Der erste Abschnitt (Lukas 1,46-50) beschreibt, was Gott für sie getan hat. In den Versen 46-47 heißt es: Und Miriam sprach: Meine Seele preist den Herrn, und mein Geist freut sich über Gott, meinen Retter. Sie nannte Gott ihren Retter. Die Art von Menschen, die einen Retter brauchen, sind Sünder. (835) Diese Aussage zeigt deutlich, dass Miriam eine Sünderin war und beweist, dass die Lehre eines bestimmten Segments der Christenheit, dass sie ewig sündlos war, falsch ist. Indem sie Gott ihren Erlöser nannte, offenbarte sie, dass er sie von ihren Sünden errettete.

      Arnold Fruchtenbaum – Jeschua – Das Leben des Messias aus einer messianisch-jüdischen Perspektive

      Was ist nun der genaue Inhalt? »Da sagte Maria: Meine Seele erhebt den Herrn« (V. 46). Das ist die Sprache der hebräischen Bibel, wie alle Ausleger feststellen. Die Ausleger der Alten Kirche haben daraus sogar den Schluss gezogen, dass der Gott des AT und der Gott des NT derselbe sein müsse. Man kann aber den Bezug zum AT noch genauer angeben, denn von Anfang an weist Marias Lobgesang eine starke Übereinstimmung mit dem Lobgesang der Hanna in 1Sam 2,1-10 auf. Er ist also ein Gebet und keineswegs ein Aufruf zur Revolution. Auch andere Bibelstellen sind mit dem Magnificat verwandt. Man vergleiche zu V. 46 beispielsweise Jes 29,19 oder Ps 34,3ff.; Ps 35,9. Der Schluss liegt nahe: Die junge Maria lebte in biblischer Atmosphäre. Wie Timotheus (2Tim 3,15) kannte sie offensichtlich von Kindesbeinen an die Aussagen der Heiligen Schrift und betete mit den Worten aus den Psalmen. Es braucht uns dann nicht zu wundern, dass sie bei dieser Begegnung mit Elisabeth, inmitten der glaubenstärkenden Erfahrungen, mit Worten aus eben dieser Bibel gebetet und gelobt hat.

      Ob wir ebenso tief in den Geist der Bibel eingetaucht sind?

      Mit wenigen Worten – im Hebräischen sind es wohl nur drei Worte – gibt uns Maria den Schlüssel zum Verständnis ihres ganzen Lobgesanges: »Der Herr« ist groß – nicht irgendein Mensch! Auch nicht sie selbst! Damit hat Maria in eigener Person aller Marienverehrung den Boden entzogen. Vorbild des Glaubens bleibt sie. Sie im Gebet anzurufen, ist verkehrt.
      Übrigens könnte man statt »erheben« auch übersetzen: »groß machen« oder »preisen«.

      »Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter« (V. 47). »Mein Geist und meine Seele« bezeichnen beide die innere Persönlichkeit, wie sie wirklich ist. Man darf also nicht den »Geist« allein als das Denken oder die »Seele« (V. 46) allein als das Empfinden bzw. das Gefühl deuten. Vielmehr umfasst in der biblischen Sprache »Geist« und »Seele« jeweils beides, sowohl das Denken als auch das Empfinden, während das Herz eher der Sitz des Willens ist.

      »Mein Geist jubelt«, sagt Maria. Man kann auch übersetzen: »hat gejubelt«. Jedoch geht es um eine noch fortdauernde Tatsache. Das Wort »Jubeln« oder »Jubel« hat in der Bibel an vielen Orten eine sehr spezielle Bedeutung: Es meint die endzeitliche Freude. Diese Bedeutung liegt vermutlich auch hier vor. D. h. Maria freut sich über den Anbruch der göttlichen Weltvollendung. Und wieder ist es Gott, der in der Mitte ihres Lobpreises steht.

      Was tut dieser Gott? Er ist »mein Retter«, sagt Maria. Hier wird dasselbe Wort für »Retter« benutzt, das später Jesus bezeichnet (vgl. Mt 1,21 !) – im Deutschen früher als »Heiland« wiedergegeben. »Mein Retter« heißt: Gott erlöst mich aus Sünde und Finsternis, er hilft mir ganz umfassend auf allen Gebieten meines Lebens, vor allem aber bringt er mich in sein ewiges Reich. Hier spiegeln sich Jes 63,16 und Hab 3,18 ganz deutlich wider, aber auch Ps 24,5; 25,5; 35,9. Die zweite Hälfte von Lk 1,47 stimmt sogar wörtlich mit dem Schluss von Hab 3,18 in der griechischen Bibel überein.

      »Gott der Retter«: Das also ist das Zentrum ihres Gebets. Unendlicher Jubel strömt in diejenigen hinein, die Gott als diesen Retter annehmen und anbeten. Frederic Godet, einer der tiefsinnigsten Ausleger des 19. Jh., sagt zu unserer Stelle: »Durch ihre Anbetung bereitet sie (= Maria) Gott in ihrem eigenen Herzen und in dem der Menschen eine größere Stätte.« Wir sollten besonders beachten, dass die erste konkrete Aussage Marias von der Erlösung spricht. Wer aber Erlösung wünscht, dessen Ziel kann nicht mehr die menschliche Revolution sein (vgl. Lk 13,1ff.).

      Gerhard Maier – Edition C

       In ihren Wendungen der Anbetung werden uns Dinge gezeigt, die unser Herz in Lobpreis überfließen lassen: es ist ein Bewußtsein der Größe, der Heiligkeit, der gerechten Taten Gottes, Seiner gewaltigen Macht und Treue, verbunden mit einer Anerkennung all dessen, was Er für uns getan hat.
       Das Lied Marias wird oft verglichen mit dem Lied der gottesfürchtigen Hanna in 1Sam 2,1-10. Stellt man die beiden nebeneinander, erkennt man einzigartige Übereinstimmung. Wir können daraus lernen, daß, entgegen den Überzeugungen der Pharisäer über Frauen, diese beiden Frauen allertiefste geistliche Erkenntnis besaßen. Es ist unmöglich, das großartige Loblied zu lesen, das aus Marias Brust zu Gott emporstieg, ohne von ihrer gründlichen Kenntnis der Schrift, ihrer geistlichen Einsicht und der Tiefe ihrer Anbetung beeindruckt zu sein. Der Heiland Gott ist ein Thema der Hirtenbriefe, aber in der ganzen Schrift sprach allein Maria von „Gott ihrem Retter“. Es ist nicht falsch, ihre Worte so zu verstehen, daß sie ihr Bedürfnis nach einem Retter erkannt hatte, und daß sie Gott Selbst als ihren persönlichen Heiland kannte. Ein Verständnis, das geringe Tiefe annimmt, wird diesem Evangelium des Heils nicht gerecht. Weit davon entfernt, sündlos zu sein, wie das große System der Kirche von Rom lehrt, anerkennt sie ihre eigene Unwürdigkeit. Weil aber Gott an und in ihr gewirkt hat, werden alle nachfolgenden Geschlechter urteilen, daß sie von Gott gesegnet ist.

      Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt

      War es Jesus egal?

      Als aber Jesus es hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, auf daß der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde.
      Elberfelder 1871 – Johannes 11:4

      Als Jesus das hörte, sagte er: „Am Ende dieser Krankheit steht nicht der Tod, sondern die Herrlichkeit Gottes. Der Sohn Gottes soll dadurch geehrt werden.“
      Neue evangelistische Übersetzung 2019 – Johannes 11:4

      Als Jesus jedoch davon hörte, sagte er: »Lazarus’ Krankheit wird nicht zum Tode führen; sie dient vielmehr der Verherrlichung Gottes. Der Sohn Gottes wird durch sie verherrlicht werden.«
      Neues Leben Bibel 2014 – Joh 11,4

      Doch Jesus machte sich keineswegs sofort nach Betanien auf (vgl. V. 6). Diese Verzögerung hatte nichts damit zu tun, daß er Lazarus nicht genügend liebte (vgl. V. 5) oder Angst vor den Juden hatte; er wartete vielmehr, bis der richtige Moment im Plan des Vaters gekommen war. Lazarus‘ Krankheit sollte nicht zum Tode, d. h. nicht zum dauernden Tod führen, sondern in ihr sollte Jesus verherrlicht werden (vgl. Joh 9,3). Darin liegt auch eine gewisse Paradoxie: Jesu Macht und Gehorsam gegenüber dem Vater waren bereits ausreichend erwiesen, die Auferweckung des Lazarus aber führte schließlich zu seinem Tod (vgl. Joh 11,50-53), der zugleich seine wahre Herrlichkeit an den Tag brachte (Joh 17,1).

      Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

      Der Herr Jesus hörte von der Not, die in das Haus seiner drei Freunde in Bethanien eingekehrt war: Lazarus war krank geworden und die beiden Schwestern waren in großer Sorge. Der Herr kannte ihre Herzen und wusste, was dieses Leid für jeden Einzelnen in diesem Haus bedeutete. Und doch blieb Er noch zwei Tage an dem Ort, an dem Er sich gerade aufhielt (V. 6).
      Der Herr kennt auch unseren Kummer und unsere Nöte. Er hört das Flehen und Schreien der Seinen und vernimmt das fragende „Warum“ in ihren Herzen. Keine Träne und kein Seufzer bleiben Ihm verborgen. Auch wenn Er nicht sofort eingreift und hilft, so dürfen wir uns doch damit trösten, dass Er um alles weiß. Und eins steht fest: Er macht keinen Fehler.
      In seiner unveränderlichen Liebe spricht Er auch zu dir, der du dich vielleicht gerade in großen Schwierigkeiten befindest: Diese Not ist „um der Herrlichkeit Gottes willen“ (s. Joh 11,4). Und dürfen wir nicht alles, was uns begegnet, aus der Hand Gottes annehmen und uns im Glauben darauf stützen, „dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken“ (Röm 8,28)? Diese Zusage Gottes gilt immer, auch wenn wir anfangs vielleicht nicht die Notwendigkeit der Schwierigkeit erkennen, in die der Herr uns führt.

      Bleib in mir – 02 2019

      Der Herr spricht. Er hebt die Gesamtheit der Ereignisse sogleich auf eine höhere Ebene. Er wollte damit sagen, daß diese Krankheit nicht mit dem Tod enden sollte, sondern mit vermehrter Herrlichkeit Gottes und des Sohnes Gottes, die durch ein Werk triumphaler Gewalt aufstrahlen sollte. Herrlichkeit leuchtete in allen Zeichen und Werken des Herrn in dieser Welt auf: Das erste Seiner Zeichen offenbarte Seine Herrlichkeit (2,11); erhörtes Gebet verherrlicht den Vater im Sohn (14,13); der Sohn sollte verherrlicht werden, weil Er sich selbst geopfert hatte (17,1.5). Der Tod war nur ein Übergang, der wiederum zu Leben führte:
       1. Auf den Herrn bezogen: Er ließ Sein Leben, damit Er es wieder nehme (10,17). Wir lesen auch „von den Leiden des Christus und von der Herrlichkeit danach“ (1 Petrus 1,11).
       2. Auf die Gemeinde bezogen: „Die durch Jesum Entschlafenen […] die Toten in Christo werden zuerst auferstehen“ (1Thes4,14.16).
       3. Auf Israel bezogen: „Ihre Verwerfung […] Leben aus den Toten“ (Röm 11,15). Siehe auch Hes 37,1-14; Dan 12,2 .

      Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt

      Jeschuas erste Antwort war die Feststellung, dass die Krankheit des Lazarus einen göttlichen Zweck hatte: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde“ (Johannes 11:4). Lazarus würde sterben, nicht um des Todes – oder der Ehre – willen, sondern zur Ehre Gottes. Es folgte die Erklärung: Jeschua aber liebte Marta und ihre Schwester und Elazar (Johannes 11:5). Aufgrund seiner Liebe zu dieser Familie würde man erwarten, dass Jeschua nach Bethanien aufbrechen würde, sobald er von der Krankheit des Lazarus hörte, aber das tat er nicht. Stattdessen beginnt Vers 6a mit den Worten: Wenn also. Das Wort darum verbindet logisch die Aussage von Vers 4 mit Vers 6. Als er nun [d.h. „aus dem ganz bestimmten Grund“] hörte, dass er krank war, blieb er zu jener Zeit zwei Tage an dem Ort, wo er war (Joh 11:6). Jeschua wartete absichtlich auf den Tod von Lazarus, damit Gott mit seiner Auferstehung verherrlicht würde, dem ersten Zeichen des Jona.

      Jeschua – Das Leben des Messias aus einer messianisch-jüdischen Perspektive

      Gott hatte sein Volk besucht

      Und es geschah danach, (O. am folgenden Tage) daß er in eine Stadt ging, genannt Nain, und viele seiner Jünger und eine große Volksmenge gingen mit ihm.
      Als er sich aber dem Tore der Stadt näherte, siehe, da wurde ein Toter herausgetragen, der eingeborene Sohn seiner Mutter, und sie war eine Witwe; und eine zahlreiche Volksmenge aus der Stadt war mit ihr.
      Und als der Herr sie sah, wurde er innerlich bewegt über sie und sprach zu ihr: Weine nicht!
      Und er trat hinzu und rührte die Bahre an, die Träger aber standen still; und er sprach: Jüngling, ich sage dir, stehe auf!
      Und der Tote setzte sich auf und fing an zu reden; und er gab ihn seiner Mutter.
      Alle aber ergriff Furcht; und sie verherrlichten Gott und sprachen: Ein großer Prophet ist unter uns erweckt worden, und Gott hat sein Volk besucht.
      Elberfelder 1871 – Lukas 7,11–16

      Nicht lange danach ging Jesus zu einem Dorf mit Namen Naïn. Seine Jünger begleiteten ihn sowie auch eine große Schar von Leuten. Als sie sich dem Tor des Dorfes näherten, trafen sie auf einen Begräbniszug: Der einzige Sohn einer Frau, die zudem noch Witwe war, wurde zum Begräbnis hinausgetragen. Als Jesus sie sah, brach es ihm regelrecht das Herz. Er sagte zu ihr: „Weine nicht!“ Dann ging er zu der Bahre, woraufhin die Träger anhielten. Er sprach den Toten direkt an: „Junger Mann, ich sage dir: Steh auf!“ Der tote Sohn setzte sich auf und begann zu sprechen. Jesus gab ihn so seiner Mutter zurück.
      Die Menschen ergriff eine heilige Furcht. Sie fingen an, Gott zu preisen und zu danken: „Gott hat uns einen gewaltigen Propheten geschickt, ja, er ist selbst gekommen, um sich um sein Volk zu kümmern!
      Fred Ritzhaupt – Willkommen daheim – Lukas 7,11–17

      Lukas schickt der Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Jüngern Johannes‘ des Täufers (V. 18 – 23) bewußt den Bericht über die Auferweckung des Sohnes einer Witwe in Nain voraus, um der Antwort Jesu auf die Anfrage der Johannesanhänger größeren Nachdruck zu verleihen.
      Als Jesus sich von Kapernaum nach Nain begab, das etwa vierzig Kilometer südwestlich von Kapernaum lag, folgte ihm wie üblich eine große Menschenmenge (V. 11). Eine große Menge begleitete auch die Begräbnisprozession, die den Sarg eines toten jungen Mannes, des einzigen Sohns seiner Mutter, trug. Die Frau war ohne ihren Sohn, ihren einzigen männlichen Verwandten, nun völlig allein und scheinbar schutzlos. Schon im Alten Testament, insbesondere bei der Bundesschließungim 5. Buch Mose, aber auch im Neuen Testament wird der Unterstützung von Witwen große Bedeutung beigemessen. Als Jesus die Frau sah, jammerte sie ihn, und er begann sogleich, sie zu trösten. Der Ausdruck „sie jammerte ihn“ ist die Übersetzung des griechischen Verbs esplanchnisthE, „Mitleid haben“, das sehr häufig in den Evangelien vorkommt. Es ist mit dem Substantiv splanchna verwandt – „die inneren Organe des Körpers“, wo der Sitz der Gefühle vermutet wurde. Splanchna taucht zehnmal im Neuen Testament auf (Lk 1,78; 2Kor 6,12; 7,15; Phil 1,8; 2,1; Kol 3,12; Phlm 1,7.12.20; 1Joh 3,17). Auf jeden Fall müssen die Witwe und die anderen Begräbnisteilnehmer Vertrauen zu Jesus gefaßt haben, denn als er den Sarg berührte, blieben die Träger stehen. Auf Jesu Gebot richtete sich der Tote sofort auf und fing an zu reden – ein sicherer Beweis dafür, daß er wirklich wieder lebendig war. Und Furcht (phobos; vgl. den Kommentar zu Lk 1,12) ergriff sie alle. Sie priesen Gott und hielten Jesus für einen großen Propheten (wobei sie zweifellos an die Werke Elias und Elisas dachten) und meinten, daß Gott gekommen sei, seinem Volk zu helfen (vgl. Jes 7,14); und die Kunde von Jesus verbreitete sich im ganzen Land.

      Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

      JENE frühe Frühlingsflut in Galiläa war sicherlich die wahrhaftigste Verwirklichung des Bildes aus dem Hohelied Salomos, als die Erde sich in Gewänder der Schönheit kleidete und die Luft von Liedern des neuen Lebens erfüllt war. Es schien, als ob jeder Tag einen sich erweiternden Kreis tiefster Anteilnahme und größter Macht von Seiten Jesu markierte; als ob jeder Tag auch neue Überraschung, neue Freude brachte; bisher ungeahnte Möglichkeiten eröffnete und Israel weit über den Horizont seiner engen Erwartung hinauswies. Gestern war es der Kummer des heidnischen Zenturios, der im Herzen des obersten Befehlshabers über Leben und Tod ein Echo hervorrief; der Glaube wurde herausgerufen, anerkannt und auf die hohe Stufe der Würdenträger Israels gestellt. Heute ist es derselbe Kummer einer jüdischen Mutter, der das Herz des Sohnes Mariens berührt und dort anspricht, wo Verleugnung undenkbar ist. In dieser Gegenwart können Trauer und Tod nicht fortbestehen. Wie die Verunreinigung eines heidnischen Hauses nicht an Ihm haften konnte, dessen Berührung den heidnischen Fremden in einen wahren Israeliten verwandelte, so konnte die Berührung des Todes Ihn nicht unrein machen, dessen Gegenwart sie besiegte und in Leben verwandelte. Jesus konnte Nain nicht betreten, und die Leute gingen an ihm vorbei, um einen Toten zum Begräbnis zu tragen.

      Für unsere Zwecke ist es unerheblich, ob Jesus am Tag nach der Heilung des Knechtes des Hauptmanns oder „kurz danach „von Kapernaum nach Nain aufbrach. Wahrscheinlich war es am Morgen nach diesem Wunder, und die Tatsache, dass „viel Volk“ oder vielmehr „eine große Schar“ ihm folgte, scheint dies zu bestätigen. Der Weg war lang – wir schätzen, mehr als fünfundzwanzig Meilen -, aber selbst wenn man ihn zu Fuß zurücklegte, konnte es keine Schwierigkeiten geben, Nain vor dem Abend zu erreichen, an dem so oft Beerdigungen stattfanden. Von und nach Nain führen verschiedene Straßen; 1 diejenige, die zum See Genezareth und hinauf nach Kapernaum führt, ist recht deutlich gekennzeichnet. Es ist schwer zu verstehen, wie die meisten, die den Ort besucht haben, sich vorstellen konnten, dass der Ort, an dem Christus dem Trauerzug begegnete, die in den Fels gehauenen Gräber westlich von Nain und in Richtung Nazareth gewesen sein sollen. Denn von Kapernaum aus wäre der Herr nicht auf diesem Weg gekommen, sondern hätte sich ihm von Nordosten her über Endor genähert. Es kann daher kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Kanonikus Tristram den jetzt nicht umzäunten Friedhof, der etwa zehn Minuten Fußweg östlich von Nain liegt, richtig als denjenigen identifiziert, zu dem sie an jenem Frühlingsnachmittag den Sohn der Witwe trugen. Auf dem Weg dorthin durchbrach der Herr des Lebens zum ersten Mal die Pforten des Todes.

      Jetzt ist alles verödet. Ein paar Häuser aus Lehm und Stein mit niedrigen Eingängen, verstreut zwischen Steinhaufen und Mauerresten, sind alles, was von dem übrig geblieben ist, was selbst diese Ruinen zeigen, dass es einmal eine Stadt mit Mauern und Toren war. Die üppigen Gärten sind verschwunden, die Obstbäume abgeholzt, und über dem Ort liegt ein schmerzliches Gefühl der Verwüstung“, als ob der Atem des Gerichts über ihn hinweggezogen wäre. Und doch können wir den alten Namen Nain, „die Angenehme “ , verstehen, den die Rabbiner als Erfüllung des Teils der Verheißung an Issachar ansehen: „Er sah das Land, dass es angenehm war. „Von der Anhöhe, auf der die Stadt stand, blicken wir nach Norden, über die weite Ebene, zum bewaldeten Tabor und in der Ferne zum schneebedeckten Hermon. Zur Linken (im Westen) erheben sich die Hügel, hinter denen Nazareth liegt; zur Rechten liegt Endor, im Süden Shunem und dahinter die Ebene von Jesreel. Auf diesem Weg, von Endor aus, kommt Jesus mit seinen Jüngern und der großen Anhängerschar. Hier, in der Nähe des Stadttors, auf der Straße, die nach Osten zum alten Friedhof führt, trifft diese Prozession der „großen Schar“, die den Fürsten des Lebens begleitete, auf die andere „große Schar“, die dem Toten zu seinem Begräbnis folgte. Welche der beiden wird der anderen den Vortritt lassen? Wir wissen, was der alte jüdische Brauch verlangt hätte. Denn von allen Pflichten, die vorgeschrieben waren, wurde keine durch jede Rücksicht auf Menschlichkeit und Frömmigkeit, ja sogar durch das Beispiel Gottes selbst, strenger durchgesetzt als die, die Trauernden zu trösten und dem Toten Respekt zu erweisen, indem man ihn zur Beerdigung begleitete. Die volkstümliche Vorstellung, dass der Geist des Toten über den unbestatteten Überresten schwebte, muss solchen Gefühlen Intensität verliehen haben.

      Abgesehen von späterem Aberglauben hat sich an den jüdischen Riten und Bräuchen in Bezug auf die so wenig geändert, dass wir uns anhand talmudischer und sogar früherer Quellen ein lebhaftes Bild davon machen können, was sich in Nain abgespielt hat. Die wachsame Sorge, der vergebliche Einsatz aller Mittel, die der Witwe bekannt oder zugänglich waren, die wachsende Sorge, die leidenschaftliche Sehnsucht der Mutter, ihren einzigen Schatz, ihre einzige irdische Hoffnung und Bleibe zu bewahren, dann das allmähliche Erlöschen des Lichts, der Abschied, der furchtbare Ausbruch des Kummers: all das wären gemeinsame Merkmale in jedem solchen Bild. Aber hier haben wir außerdem die jüdischen Gedanken über den Tod und das Leben nach dem Tod; ein Wissen, das gerade ausreicht, um Angst zu machen, aber nicht, um festen Trost zu spenden, und das selbst den frommsten Rabbi in Bezug auf seine Zukunft verunsichern würde; und dann die trostlosen Gedanken, die im jüdischen Geist mit der Kinderlosigkeit verbunden sind. Wir können uns das alles vorstellen: wie jüdischer Einfallsreichtum und Weisheit auf reale oder magische Mittel zurückgreifen würden; wie die Nachbarn mit ehrfurchtsvollem Schritt hereinkommen würden, mit dem Gefühl, als ob die Schechinah selbst ungesehen am Kopfende der Pritsche in diesem bescheidenen Haus stünde; wie sie Schwüre über Unterwerfung flüstern würden, die, wenn die Erkenntnis der Liebe Gottes fehlt, das Herz nur zur Rebellion gegen die absolute Macht zu bewegen scheinen; und wie sie auf die Gebete derer zurückgreifen würden, die in Nain als fromm galten.

      Aber alles war vergeblich. Und nun hat das wohlbekannte Blasen des Horns die Nachricht gebracht, dass der Todesengel noch einmal sein schreckliches Gebot getan hat. In leidenschaftlichem Kummer hat die Mutter ihr Obergewand zerrissen. Die letzten traurigen Dienste wurden dem Toten erwiesen. Der Leichnam wurde auf die Erde gelegt, Haare und Nägel wurden geschnitten,und der Körper gewaschen, gesalbt und in das Beste eingewickelt, was die Witwe beschaffen konnte; denn die Verordnung, die vorschrieb, dass die Toten in „Tüchern“ (Takhrikhin) oder, wie sie es bezeichnenderweise nannten, dem „Proviant für die Reise“ (Zevadatha),aus dem billigsten Leinen begraben werden sollten, ist späteren Datums als unsere Zeit. Es ist unmöglich zu sagen, ob die spätere Praxis, den Körper mit Metall, Glas oder Salz zu bedecken und ihn entweder auf Erde oder Salz zu legen, bereits vorherrschte.

      Und nun blieb die Mutter Oneneth (jammern, klagen) – ein Begriff, der die Trauer vor und nach dem Begräbnis unterscheidet. Sie saß auf dem Boden, aß keine Speise und trank keinen Wein. Das karge Mahl, das sie einnahm, musste ohne Gebet im Haus eines Nachbarn oder in einem anderen Raum oder zumindest mit dem Rücken zum Toten stattfinden. Fromme Freunde leisteten nachbarschaftliche Dienste oder beschäftigten sich mit dem nahen Begräbnis. Wenn es für den ärmsten Juden als Pflicht galt, beim Tod seiner Frau wenigstens zwei Flöten und eine trauernde Frau zu beschaffen,können wir sicher sein, dass die verwitwete Mutter nicht vernachlässigt hatte, was, wie unpassend oder schwierig zu beschaffen es auch sein mochte, als letztes Zeichen der Zuneigung angesehen werden konnte. Höchstwahrscheinlich gab es auch damals schon den Brauch, wenn auch in abgewandelter Form, Trauerreden am Grab zu halten. Denn selbst wenn die Nächstenliebe einem unbekannten Wanderer das einfachste Begräbnis ermöglichte, wurden trauernde Frauen angeheuert, um in seltsamen Tönen das Klagelied zu singen: „Ach, der Löwe! ach, der Held!“ oder ähnliche Worte,d während große Rabbiner für sich selbst „eine warme Leichenrede“ (Hesped oder Hespeda) zu wünschen pflegten. Denn aus der Leichenrede konnte man auf das Schicksal eines Menschen im Jenseits schließen; und in der Tat: „Die Ehre eines Weisen lag in seiner Leichenrede. „Und in diesem Sinne beantwortet der Talmud die Frage, ob eine Leichenrede die Hinterbliebenen oder die Toten ehren soll.

      Aber in all diesem schmerzlichen Prunk gab es nichts für das Herz der Witwe, die ihr einziges Kind verloren hatte. Wir können im Geiste die trauernde Prozession verfolgen, die von dem verwüsteten Haus ausging. Am Ausgang wurden Stühle und Sofas umgedreht und niedergelegt. Draußen ging der Leichenredner, falls ein solcher eingesetzt war, der Bahre voraus und verkündete die guten Taten des Toten. Unmittelbar vor dem Toten kamen die Frauen, was in Galiläa eine Besonderheit war, und der Midrasch gibt als Grund dafür an, dass die Frau den Tod in die Welt gebracht hatte. Der Leichnam wurde nicht, wie es später üblich war, in einem gewöhnlichen Sarg aus Holz (Aron), wenn möglich aus Zedernholz – in einem Fall zumindest mit Löchern in der Unterseite – getragen,sondern auf eine Bahre oder in einen offenen Sarg (Mittah) gelegt. In früheren Zeiten wurde bei diesen Bahren zwischen Arm und Reich unterschieden. Die ersteren wurden auf dem sogenannten Dargasch – sozusagen im Staat – getragen, während die Armen in einem Gefäß aus Korbgeflecht (Kelibha oder Kelikhah) befördert wurden, das manchmal am Fuß ein sogenanntes „Horn“ hatte, an dem der Leichnam festgemacht wurde. Diese Unterscheidung zwischen Arm und Reich wurde jedoch durch rabbinische Verordnung aufgehoben, und beide wurden, wenn sie auf einer Bahre getragen wurden, in einem Gefäß aus Korbgeflecht aufgebahrt. Gewöhnlich, wenn auch nicht in der späteren Praxis, war das Gesicht des Toten unbedeckt. Der Leichnam lag mit dem Gesicht nach oben und die Hände auf der Brust gefaltet. Wir können hinzufügen, dass es bei unverheirateten oder kinderlosen Verstorbenen üblich war, etwas in den Sarg zu legen, das sie auszeichnete, wie Feder und Tinte oder einen Schlüssel. Über den Särgen von Braut und Bräutigam wurde ein Baldachin getragen. Manchmal wurde der Sarg mit Myrte bekränzt. In Ausnahmefällen lesen wir von der Verwendung von Weihrauch,und sogar von einer Art Trankopfer.

      Wir können also nicht irren, wenn wir annehmen, dass der Leichnam des Sohnes der Witwe auf das „Bett“ (Mittah) oder in den bereits beschriebenen „Weidenkorb“ (Kelibha, von Kelubh) gelegt wurde. Wir können auch nicht daran zweifeln, dass die Enden oder Henkel von Freunden und Nachbarn getragen wurden, wobei sich verschiedene Gruppen von Trägern, die alle unbeschlagen waren, in regelmäßigen Abständen gegenseitig ablösten, damit so viele wie möglich an der guten Arbeit teilhaben konnten. Während dieser Pausen wurde laut geklagt; aber dieser Brauch wurde bei der Bestattung von Frauen nicht eingehalten. Hinter der Bahre gingen die Verwandten, die Freunde und dann die mitfühlende „Schar“. Denn es galt als eine Verhöhnung des Schöpfers, dem Toten nicht zu seiner letzten Ruhestätte zu folgen, und auf jeden solchen Mangel an Ehrfurcht wurde Sprüche 17:5 angewandt. Wenn man unbedingt daran gehindert war, sich der Prozession anzuschließen, sollte man zwar um der Prozession willen alle Arbeit, sogar das Studium, unterbrechen, aber wenigstens Ehrfurcht zeigen, indem man sich vor den Toten erhob. i Und so gingen sie weiter zu dem, was die Hebräer schön als „Versammlungshaus“ oder „Versammlung“, als „Herberge“, als „Ort der Ruhe“ oder „der Freiheit“, als „Feld der Weinenden“, als „Haus der Ewigkeit“ oder „des Lebens“ bezeichneten.

      Wir können uns nun in diese Szene hineinversetzen. Aus der nahen Stadt kam diese „große Schar“, die dem Toten folgte, mit Wehklagen, wildem Geschrei trauernder Frauen,begleitet von Flöten und dem melancholischen Klang von Zimbeln, vielleicht auch von Trompeten, inmitten von Bekundungen allgemeiner Anteilnahme. Entlang der Straße von Endor strömte die große Schar, die dem „Fürsten des Lebens“ folgte. Hier trafen sie aufeinander: Leben und Tod. Das Bindeglied zwischen ihnen war der tiefe Kummer der verwitweten Mutter. Er erkannte sie, als sie vor der Bahre ging und ihn zum Grab führte, den sie ins Leben gerufen hatte. Er erkannte sie, aber sie erkannte ihn nicht, hatte ihn nicht einmal gesehen. Sie weinte immer noch; selbst als er ein oder zwei Schritte vor seinen Nachfolgern eilte, ganz nah bei ihr, beachtete sie ihn nicht und weinte immer noch. Aber als der Herr2 sie „sah“, „hatte er Mitleid mit ihr“. Diese bitteren, stummen Tränen, die ihre Augen blendeten, waren die stärkste Sprache der Verzweiflung und der äußersten Not, die nie vergeblich an Sein Herz appelliert, der unsere Schmerzen getragen hat. Wir erinnern uns im Gegensatz dazu an die in Palästina übliche Begräbnisformel: „Weint mit ihm, alle, die ihr bitteren Herzens seid!“ So sprach Jesus nicht zu den Umstehenden, auch nicht zu ihr, sondern charakteristisch: „Weint nicht. „Und was Er sagte, das tat Er auch. Er berührte die Bahre – vielleicht sogar den Weidenkorb, in dem der tote Junge lag. Er fürchtete sich nicht vor der größten aller Verunreinigungen, der Berührung mit den Toten, die der Rabbinismus in seiner Ausarbeitung des Buchstabens des Gesetzes mit endlosen Schrecken umgeben hatte. Seine Trennung war eine andere als die der Pharisäer: nicht die der Unterwerfung unter die Verordnungen, sondern die der Eroberung dessen, was sie notwendig machte.

      Und als er die Bahre berührte, blieben die Träger stehen. Sie konnten nicht ahnen, was folgen würde. Aber die Ehrfurcht vor dem kommenden Wunder – gleichsam der Schatten der sich öffnenden Pforten des Lebens – war auf sie gefallen. Ein Wort des souveränen Befehls, „und der Tote setzte sich auf und begann zu reden“. Nicht von der Welt, von der er einen kurzen Blick erhascht hatte. Denn wie jemand, der plötzlich von der Traumvision zum Wachen übergeht, in der Abruptheit des Übergangs verliert, was er gesehen hatte, so wurde er, der von jener blendenden Helligkeit in das schwache Licht zurückgeschleudert wurde, an das seine Vision gewöhnt war. Es muss ihm vorgekommen sein, als sei er aus einem langen Schlaf erwacht. Wo war er jetzt? Wer waren die Menschen um ihn herum? Was war das für eine seltsame Ansammlung? Und wer war Er, dessen Licht und Leben auf ihn zu fallen schien?

      Und doch war Jesus das Bindeglied zwischen der Mutter und dem Sohn, die wieder zueinander gefunden hatten. Und so „gab er ihn im wahrsten Sinne des Wortes seiner Mutter“. Kann irgendjemand daran zweifeln, dass Mutter und Sohn ihn fortan als den wahren Messias besaßen, liebten und ihm vertrauten? Wenn es kein moralisches Motiv für dieses Wunder gab, abgesehen von Christi Mitgefühl mit dem schweren Leiden und der Trauer des Todes, gab es dann auch kein moralisches Ergebnis als Folge davon? Wenn Mutter und Sohn ihn vor dem Wunder nicht angerufen hatten, würden sie ihn dann nicht von nun an und für immer anrufen? Und wenn es sozusagen eine innere Notwendigkeit gab, dass das fleischgewordene Leben den Tod besiegte – auch eine symbolische und typische Notwendigkeit -, war dann nicht alles hier mit der zentralen Tatsache in dieser Geschichte übereinstimmend? Die Einfachheit und das Fehlen aller extravaganten Details; die göttliche Ruhe und Majestät des Christus, die sich so sehr von der Art und Weise unterscheidet, in der die Legende die Szene gefärbt hätte, sogar von der intensiven Erregung, die das Verhalten eines Elias, eines Elisa oder eines Petrus in einer ähnlichen Situation kennzeichnete; und schließlich die schöne Harmonie, in der alles übereinstimmt, von der ersten Berührung des Mitleids bis zu dem Moment, in dem Er, ohne Rücksicht auf die Umstehenden, ohne Rücksicht auf die „Wirkung“, den Sohn seiner Mutter zurückgibt – ist das alles nicht des Ereignisses würdig? und ein Beweis für die Wahrheit der Erzählung?

      Aber können wir diese Geschichte überhaupt als real ansehen – und wenn ja, was sind ihre Lehren? in einem Punkt sind sich heute alle ernsthaften Kritiker einig. Es ist unmöglich, sie auf eine Übertreibung zurückzuführen oder sie mit natürlichen Gründen zu erklären. Die einzige Alternative ist, sie entweder als wahr oder als absichtlich falsch zu betrachten. Außerdem sei daran erinnert, dass nicht nur ein Evangelium, sondern alle Evangelien eine Geschichte von der Auferweckung der Toten erzählen – sei es die dieses Jungen, die der Tochter des Jairus oder die des Lazarus. Sie alle berichten auch von der Auferstehung Christi, die diesen anderen Wundern zugrunde liegt. Wenn aber diese Geschichte von der Auferweckung des Jünglings falsch ist, welches Motiv kann dann für ihre Erfindung angeführt werden, denn es muss ja ein Motiv dafür gegeben haben? Sicherlich war es kein Teil der jüdischen Erwartung an den Messias, dass er ein solches Wunder vollbringen würde. Und die negative Kritik hat zugegeben,dass die Unterschiede zwischen dieser Geschichte und der Auferweckung der Toten durch Elia oder Elisa so zahlreich und groß sind, dass diese Erzählungen nicht als Anregung für die Auferweckung des jungen Mannes von Nain angesehen werden können. Wir fragen erneut: Woher kommt dann diese Geschichte, wenn sie nicht wahr ist? Es ist ein genialer historischer Vorschlag – eher ein Eingeständnis negativer Kritik1 -, dass ein so unbedeutender und ansonsten unbekannter Ort wie Nain nicht als Ort dieses Wunders festgelegt worden wäre, wenn sich dort nicht ein großes Ereignis ereignet hätte, das einen bleibenden Eindruck auf den Geist der Kirche machte. Was war das für ein Ereignis, und überzeugt die Lektüre dieses Berichts nicht von dessen Wahrheit? Legenden sind nicht so geschrieben worden. Noch einmal: Das Wunder wird so beschrieben, dass es sich nicht in der Abgeschiedenheit einer Kammer oder vor einigen wenigen interessierten Zeugen ereignete, sondern vor den Augen der großen Schar, die Jesus gefolgt war, und der anderen großen Schar, die aus Kana kam. Gab es in dieser zweifach großen Schar niemanden, dem die Feinde des Christentums einen Widerspruch hätten abringen können, wenn die Erzählung falsch gewesen wäre? Darüber hinaus wird die Geschichte mit so vielen Einzelheiten erzählt, dass sie mit der Theorie einer späteren Erfindung unvereinbar ist. Schließlich wird niemand bezweifeln, dass der Glaube an die Realität einer solchen „Auferweckung von den Toten“ ein ursprünglicher Artikel im Glauben der Urkirche war, für den – als Tatsache, nicht als Möglichkeit – alle bereit waren, ihr Leben zu opfern. Wir sollten auch nicht vergessen, dass sich Quadratus in einer der frühesten an den römischen Kaiser gerichteten Entschuldigungen auf die Tatsache berief, dass von denen, die von Christus geheilt oder von den Toten auferweckt worden waren, einige noch lebten, und alle waren wohlbekannt. Andererseits ist der einzige wirkliche Grund für die Ablehnung dieser Erzählung der Unglaube an das Wunderbare, was natürlich die Ablehnung des Christus als das Wunder der Wunder einschließt. Aber ist es nicht ein bösartiger Zirkelschluss, der die Frage aufwirft, wenn man das Wunderbare ablehnt, weil man das Wunderbare diskreditiert, und hat eine solche Ablehnung nicht viel mehr mit dem Unglaublichen zu tun als mit dem Glauben selbst?

      Und so nehmen wir sie mit der ganzen Christenheit in schlichtem Glauben gerne als einen wahren Bericht wahrer Menschen an – um so mehr, als sie, die sie erzählten, wussten, dass sie so unglaublich war, dass sie nicht nur Spott hervorrief,sondern sie dem Vorwurf aussetzte, listig Fabeln auszudenken. c Diejenigen aber, die glauben, sehen in dieser Geschichte, wie der göttliche Eroberer bei seinem zufälligen Zusammentreffen mit dem Tod mit mächtigem Arm die Flut zurückwarf und wie sich durch die geöffneten Himmelspforten der erste Strahl des neuen Tages in unsere Welt stahl: Doch eine andere – in gewissem Sinne niedrigere, in einem anderen praktisch höhere – Lektion lernen wir. Denn dieses Zusammentreffen der beiden Prozessionen vor dem Tor von Nain war zufällig, aber nicht im herkömmlichen Sinne. Weder die Ankunft Jesu an diesem Ort und zu dieser Zeit, noch die des Leichenzuges aus Nain, noch ihr Zusammentreffen war entweder geplant oder aber ein Wunder. Beide ereigneten sich im natürlichen Ablauf der Naturereignisse, aber ihr Zusammentreffen (συγκυρία1) war geplant und unmittelbar von Gott verursacht. In diesem gottgewollten, gewollten Zusammentreffen von an sich gewöhnlichen und natürlichen Ereignissen liegt das Geheimnis der besonderen Vorsehung, die derjenige, dem sie widerfährt, als Wunder und Gebetserhörung ansehen darf und soll. Und dieser Grundsatz geht noch viel weiter: auf das Gebet um und die Versorgung mit dem täglichen Brot, ja auf fast alle Dinge, so dass für diejenigen, die Ohren haben zu hören, alle Dinge ringsum in Gleichnissen vom Himmelreich sprechen.

      Aber auf die, die dieses Wunder in Nain sahen, fiel die Furcht vor der gefühlten göttlichen Gegenwart, und über ihre Seelen schwappte der Hymnus des göttlichen Lobes: Furcht, weil ein großer Prophet unter ihnen auferstanden war; Lob, weil Gott sein Volk heimgesucht hatte. Und weiter und weiter breitete sich die Welle aus – über Judäa und darüber hinaus, bis sie die Gefängnismauern, in denen der Täufer auf sein Martyrium wartete, umspülte und sich in leisem Rauschen an ihnen brach. War er denn der „Kommende“, und wenn ja, warum hielten diese Mauern seinen Boten in der Gewalt des Tyrannen, oder wie konnten sie das?

      Aldred Edersheim – das Leben und die Zeiten von Jesus dem Gesalbten

      Wie viele denn nun? „aus allen“ – oder „alle“?

      Wann denn nun? Vor 110 Jahren oder doch erst in der Zukunft????

      FÄLLT es dir bei der heutigen Weltlage schwer, positiv zu bleiben? Familien brechen auseinander. Gewalt, Egoismus und aggressives Verhalten nehmen immer mehr zu. Viele haben das Gefühl, sie können Menschen in führenden Positionen kaum noch vertrauen. Aber genau diese Entwicklungen können uns auch Mut machen. Warum? Weil sich die Menschen exakt so verhalten, wie es in einer bemerkenswerten Prophezeiung über „die letzten Tage“ vorausgesagt worden ist (2. Tim. 3:1-5). Dass sich diese Prophezeiung erfüllt, kann niemand, der ehrlich zu sich selbst ist, bestreiten. Ihre Erfüllung beweist, dass Christus schon heute als König von Gottes Königreich regiert. Aber das ist nur eine von vielen Prophezeiungen über das Königreich. Es wird unseren Glauben stärken, wenn wir uns jetzt noch mit weiteren Prophezeiungen beschäftigen, die sich in unserer Zeit erfüllen.
      2 Dieser Artikel behandelt 1. eine Prophezeiung, die darauf hindeutet, wann das Königreich zu regieren begann, 2. Prophezeiungen, durch die wir Jesu unsichtbare Gegenwart als König von Gottes Königreich erkennen können, 3. Prophezeiungen über das Ende von Feinden des Königreiches Gottes. Diese Prophezeiungen fügen sich wie Puzzleteile ineinander und ergeben ein klares Bild davon, wo wir uns in Jehovas Zeitplan befinden.
      WOHER WIR WISSEN, SEIT WANN DAS KÖNIGREICH REGIERT
      3 Aus der Prophezeiung in Daniel 7:13, 14 geht hervor, dass Jesus der ideale Herrscher von Gottes Königreich ist. Menschen aus allen Völkern werden ihm gerne dienen und er wird als Herrscher niemals abgelöst. Laut einer anderen Prophezeiung aus dem Bibelbuch Daniel würde Jesus am Ende von prophetischen sieben Zeiten als König zu regieren beginnen. Lässt sich dieser Zeitpunkt ermitteln?
      4 Lies Daniel 4:10-17. Die „sieben Zeiten“ stehen für 2520 Jahre. Sie begannen 607 v. u. Z., als die Babylonier den letzten König, der auf dem Thron Jehovas in Jerusalem saß, entmachteten. Und sie endeten 1914, als Jesus – „der das gesetzliche Recht hat“ – von Jehova zum König von Gottes Königreich eingesetzt wurde (Hes. 21:25-27).
      5 Wie hilft uns diese Prophezeiung? Die „sieben Zeiten“ zu verstehen gibt uns die Sicherheit, dass Jehova seine Versprechen immer genau zur richtigen Zeit wahr macht. Genauso wie er einen präzisen Zeitpunkt für die Errichtung seines Königreichs festgelegt hat, wird er auch dafür sorgen, dass sich alle anderen Prophezeiungen pünktlich erfüllen. Jehovas Tag „wird sich nicht verspäten!“ (Hab. 2:3).

      Wachtturm – Juli 2022

      Was sagt die Prophezeiung der Schrift über diese Zeit der Wiederherstellung voraus? Schon früher haben wir studiert, wie Zion, Jehovas Universalorganisation, ohne Schmerzen der Organisation, ohne Gewalt oder Schwierigkeiten das männliche Kind, das Königreich des Himmels, gebar, d. h. im Jahre 1914 erfolgreich hervorbrachte, nämlich eine neue in Christus Jesus verkörperte Herrschaft. (Daniel 7:14; Jesaja 66:7; Offenbarung 12:5) Nach diesem Ereignis jedoch, so sagen es die Prophezeiungen, kamen Zion „Wehen“ in Form von Verfolgungen, Nöten und der Zerstreuung seiner gesalbten Zeugen auf Erden (1914—1918), und damit im Zusammenhang sollten ein „Land“ und eine „Nation“ hervorgebracht werden. (Jesaja 66:8) Das an dem „einen Tage“ Jehovas hervorgebrachte „Land“ bezieht sich auf die Wiederherstellung der freien Stellung der Anbeter Jehovas auf Erden, wodurch eine theokratische Neue-Welt-Gesellschaft entsteht, die so im Jahre 1919 gegründet wurde. (Jesaja 51:16) Ein „Land“ (d. h. ein irdischer Zustand) muß Einwohner haben, und die ersten, die sich in dieser neuen irdischen Situation, im „Beulah“-Land befanden, waren die Überrestglieder der Gesalbten des „geistlichen Israel“, das die heilige „Nation“ ausmacht, die im Jahre 1919 zur wahren Anbetung wiederhergestellt wurde. (Jesaja 62:4) Später sollten Fremdlinge, Glieder der „anderen Schafe“, in dieses neue theokratische „Land“ oder in diese Lage hineingebracht werden. So wird eine offenkundige Bevölkerung der „neuen Erde“ inmitten einer sterbenden, korrupten alten Welt allmählich entwickelt. — Jesaja 66:20-22.

      Wachtturm – 1.Juli 1955

      Nun schauen wir uns an, was in Daniel 7,14 wirklich steht:
      Was werden wir dort finden: „Menschen AUS allen Völkern“ oder etwa „alle Völker“? Macht ja einen Unterschied, ob nur einige Menschen aus jeweils einem Volk oder ob das ganze Volk IHM dienen wird!?!??!!

      Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird.
      Elberfelder 1871 – Daniel 7,14

      und verlieh ihm Macht und Ehre und übergab ihm die Herrschaft. Die Menschen aller Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist ewig, sie wird nicht vergehen, sein Reich wird niemals zerstört.
      NeÜ bibel.heute Stand 2024 – Daniel 7:14

      Und ihm wurde Herrschaft und Würde und Königtum gegeben, damit die Völker, Völkerschaften und Sprachen alle ihm dienen sollten. Seine Herrschaft ist eine auf unabsehbare Zeit dauernde Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königreich eines, das nicht zugrunde gerichtet werden wird
      neue Welt Übersetzung – Bi12 – Dan 7:14

      Ihm wurden Herrschaft, Ehre und ein Königreich gegeben, damit alle Völker, Nationen und Sprachgruppen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königreich wird nicht vernichtet werden.
      neue Welt Übersetzung – 2018 – Dan 7,14

      Dort bekam er die Macht über alle Menschen. Er kriegte die Vollmacht dafür und auch die Position, die man dazu braucht. Alle Menschen und alle Nationen auf der Welt gehorchten ihm. Seine Macht ist gigantisch groß, und sie hört nie auf. Dass er der absolute Chef ist, das wird für immer so sein, und niemand wird das aufhalten oder beenden können.
      VolxBibel – Dan 7,14

      Und ihm wurde königliche Vollmacht gegeben und alle Völker der Erde in (allen ihren) Arten und jede Herrlichkeit (war) ihm dienstbar, und seine Vollmacht (war) eine ewige Vollmacht, die nicht weggenommen werden wird, und seine Königsherrschaft (war eine solche), die nicht vernichtet werden wird.
      Septuaginta Deutsch – Dan 7,14

      Logos-Funktion: Das alte im neuen Testament

      Scheint fast so, dass ALLE Übersetzungen nicht von „einem Teil eines Volkes“ sondern von „allen Personen eines Volkes“ sprechen würde!!!


      In dem dritten Abschnitt dieses Gesichtes sah Daniel den Sohn des Menschen , der zu dem Alten der Tage ging. Jesus Christus, der den Titel „Menschensohn“ aus dieser Weissagung entnahm, benutzte ihn oft von sich selbst (wie die Evangelien uns berichten; vgl. die Anmerkungen zu Mk 8,31; Joh 1,51 ). Als der Sohn des Menschen in die Gegenwart des Alten der Tage trat, wurden ihm all die Macht, Herrlichkeit und Regierungsgewalt gegeben, die von den Herrschern der vier Reiche über alle Völker, Nationen und Menschen aller Sprachen (vgl. Dan 3,4.7.31; 5,19;6,26 ) ausgeübt worden war, und diese Völker beteten ihn an .
      Dies entspricht der Verheißung des Vaters an seinen Sohn in Ps 2,6-9 und wird sich erfüllen, wenn Christus wiederkommt ( Mt 24,30; 25,31; Offb 11,15 ).
      Der Menschensohn wird eine ewige Herrschaft errichten (vgl. Dan 4,31;7,27 ). Dieses Reich wird niemals von anderen erobert werden (vgl. Dan 6,27 ). Seine Herrschaft wird auf der Erde aufgerichtet werden ( Offb 20,1-6 ). Wenn die 1 000 Jahre seiner Herrschaft zu Ende sind, wird er das Reich Gott, dem Vater, zurückgeben, und Christus wird für ewig als Herrscher über Gottes ewiges Reich eingesetzt werden ( 1Kor 15,24-28 ).

      Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

      Dieser Text ist nur kurz, aber er hat es in sich. Das ist Kraftnahrung, die gut und langsam gekaut und verdaut werden muss. Im letzten bibletunes sind wir Gott begegnet. Heute begegnen wir unserm Herrn Jesus Christus: „Doch ich sah noch mehr in meiner Vision.“ Die Schau Daniels findet eine großartige Fortsetzung. Eine Fortsetzung, die einem das Herz höher schlagen lässt. Daniel sieht jemand von außen in die himmlische Szene hineinkommen: „Er sieht aus wie ein Mensch.“ Hier geht in der Sprache der Hoffnung für alle einiges verloren. Wörtlich heißt es: „Es kam einer wie der Sohn eines Menschen.“
      Diesem gewichtigen Ausdruck müssen wir nachspüren. Im Alten Testament dient diese Wendung häufig dazu, ganz klarzumachen: nur ein Mensch, ein einfacher Mensch, kein Tier, aber auch nicht Gott. Hesekiel wurde so angesprochen in Hesekiel 1,12: „Ben Adam (d.h. Sohn des Menschen), stelle dich auf deine Füße, ich will mit dir reden.“ „Adam“ heißt ja ursprünglich Erde, weshalb „Sohn des Menschen“ auch „Sohn der Erde“ bedeutet. „Sohn“ ist ein Zugehörigkeitsbegriff. „Sohn der Erde“ heißt, du gehörst zur Erde, du bist aus Erde gemacht, du bist ein schwacher Mensch. Jesaja fragt im Auftrag Gottes: „Ich bin es, der euch tröstet. Wer bist du, dass du dich vor dem Menschen fürchtest, der hinstirbt und vor dem Sohn eines Menschen, einem Ben Adam, der wie Gras dahingegeben wird?“ In Psalm 8,5 wird gefragt: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst?“
      Wir dürfen den Klang dieses Begriffes in jüdischen Ohren der damaligen Zeit nicht überhören. Da kommt jemand wie ein einfacher Mensch daher zu Gott, der von Ewigkeit her ist, sich auf einen Thron gesetzt hat und von dem ein gewaltiges Feuermeer ausströmt. Die Vision Daniels lebt von diesem Gegensatz. Da taucht doch tatsächlich ein Mensch im Himmel auf! Wie kann das denn sein?
      Nun ist es so, dass unser Herr Jesus Christus genau diesen Begriff wiederholt auf sich selbst angewandt hat. Er ist einer der häufigen Selbstbezeichnung Jesu: „Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihre Nester, aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sich ausruhen kann.“ Sohn eines Menschen wird hier im Griechischen genauso wiedergegeben wie die griechische Übersetzung des Danielbuches in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments. Jesus sagt an anderer Stelle: „Dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen und alle Völker der Erde werden jammern und klagen. Sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Viele andere Stellen könnten aufgeführt werden.
      Es ist eindeutig: Jesus hat diese Version Daniels auf sich bezogen. „Ich bin genau der!“ Diese Version lebt aber nicht nur von dem Gegensatz zwischen dem menschlichen Ankömmling in den allerhöchsten himmlischen Regionen, der Thron-Umgebung Gottes und Milliarden heiliger Engel, die eben keine Menschen sind. Sie lebt auch von dem Gegensatz zwischen Mensch und Tier. Vorher hatte Daniel vier grauenhafte Bestien gesehen, extrem wilde, um sich fressende Tiere. Jetzt sieht er einen Menschen, jemanden mit einem anderen Charakter. Er ist kein Herrscher, der zum Tier geworden ist, sondern jemand – so lese ich zwischen den Zeilen – der Mensch geblieben ist. Er ist ein einfacher Mensch, der auf Gewalt verzichtete, der nicht um sich fraß, der keine militärischen Mittel anwandte, der kein starkes Heer hinter sich wusste, außer dem seines himmlischen Vaters, das er aber bewusst nicht beanspruchen wollte.
      Der Teufel war allerdings zu Jesus in die Wüste gekommen und hatte ihm alle Reiche der Welt angeboten, wenn er ihn anbeten würde. Wie hätte der Teufel das gemacht? Ganz klar, er hätte Jesus zu einer mächtigen Herrschergestalt gemacht, zu einem weiteren Tier, eingereiht in die Reihe der anderen Tiere. Die vier ersten Tiere kamen aus dem Völkermeer. Dieser Mensch kam anders: in den Wolken des Himmels. Was bedeutet das? Auch hier legt die Bibel sich wunderbar selber aus. Wolken umhüllten Gott auf dem Berg Sinai und Mose sagt so wunderbar von Gott in 5. Mose 33: „Keiner gleicht dem Gott Israels, der zu seinem geliebten Volk steht. Majestätisch fährt er am Himmel dahin und kommt euch auf den Wolken zu Hilfe.“
      In der Wolken- und Feuersäule war Gott gegenwärtig. Als Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet, um zu seinem Vater zurückzukehren, wird er emporgehoben und eine Wolke verbirgt ihn vor ihren Augen. Jesus beschreibt in Matthäus 24, wie er auf Wolken des Himmels zurück zur Erde kommen wird. Wenige Tage später, als Jesus vom Hohen Rat angeklagt wird, unterschreibt er sein Todesurteil, als er ihre Anklagen so kontert: „Und ich sage euch: Von jetzt an werdet ihr den Menschensohn an der rechten Seite des Allmächtigen sitzen sehen, und ihr werdet sehen, wie er auf den Wolken des Himmels kommt.“
      Die physischen Wolken aus Wasserdampf sind ein Symbol für die Trennwand zwischen der Welt der Menschen und der Welt Gottes, zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. Nur Gott kann sie durchbrechen – und der von Gott dazu befähigte Mensch. Auch nicht die stärkste Macht eines noch so fürchterlichen tierischen Menschen vermag diese Grenze zu durchstoßen. Sie kann nur physische Grenzen überwinden und neues physisches Land erobern. Dieser Mensch hier in dieser Vision hatte den Zugang zur Welt Gottes erhalten. Er hatte die Grenze durchstoßen, war von Gott selbst erhöht worden. Wer aus dem Meer kommt, bleibt im geschlossenen System dieser Weltzeit, und seine Tage sind gezählt. Wer aus den Wolken oder auf den Wolken kommt, der kommt von Gott. Ihn umgibt der Geruch der Ewigkeit.
      Johannes sagt das so – und ich finde das sehr schön: „Der von oben kommt, steht über allen. Wer von der Erde ist, gehört zur Erde und redet aus irdischer Sicht. Der, der vom Himmel kommt, steht über allen.“ Daniel erkennt nun in seiner Vision – wie genau, wissen wir nicht –, wie der ewige Gott auf seinem Thron dieser Person, einem Menschen, Macht, Ehre und königliche Würde verleiht. Diese Macht, Ehre und würde bewirken, dass ihn die Menschen aller Länder, Völker und Sprachen dienen, ohne Ausnahme. Nicht eine Auswahl von Menschen dient ihm, sondern alle. Es wird eine Zeit kommen, in der ausnahmslos jeder einzelne Mensch auf der Erde Jesus dienen wird. Kein Tier aus irgendeinem Meer wird mir irgendjemand seine Herrschaft aufzwingen, sondern ein von Gott legitimierter Mensch wird für immer und ewig herrschen und sein Reich wird niemals zerstört.

      Die Bibel für Kopf und Herz – Der bibletunes-Kommentar

      Die Verse 13-14 enthalten Daniels vierte Vision. Die Szene wechselt erneut, diesmal vom Gerichtssaal und dem Gericht der Tiere zur Beschreibung des zweiten Kommens des Messias . Die Verse beschreiben die Aufrichtung des Reiches Gottes nach der Zerstörung des vierten heidnischen Reiches. Die Reihenfolge ist die des zweiten Kommens (V. 13), gefolgt von der Aufrichtung des messianischen Reiches (V. 14).

      Vers 14 zeigt, dass dem göttlichen Menschensohn alle Macht und Gewalt gegeben wird: Und es wurde ihm gegeben Herrschaft und Ehre und ein Königreich, dass ihm alle Völker, Nationen und Sprachen dienen sollten; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königreich, das nicht zerstört werden wird. Auch hier ist es wichtig, die Reihenfolge von Daniels Visionen im Auge zu behalten. In der ersten Vision sah er drei Tiere aus dem großen Meer auftauchen . In der zweiten Vision sah er ein viertes Tier an die Macht kommen. Dieses Tier hatte zehn Hörner , und ein elftes Horn tauchte auf und entwurzelte drei der ursprünglichen Hörner. In der dritten Vision hielt der Alte der Tage im Himmel Hof, und das vierte Tier wurde vernichtet. Die vierte Vision handelt von der Wiederkunft des Messias . Vers 14 offenbart, dass der Menschensohn, der Messias selbst, das Reich Gottes empfangen wird, nachdem das vierte Tier vernichtet ist. Das Reich wird ihm von Gott, dem Vater, gegeben. Er wird nicht nur die Herrschaft, sondern auch die Herrlichkeit erhalten. Der Zweck des Reiches ist, dass ihm alle Völker, Nationen und Sprachen dienen. Die Tatsache, dass sein Reich ewig sein wird, bedeutet, dass es nicht zerstört werden wird wie die vier heidnischen Reiche .
      Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Vers 14 eine Aussage wiederholt, die bereits in Daniel 2 gemacht wurde. Die Zeiten der Heiden werden zu Ende gehen. In der letzten Phase des vierten Reiches werden alle Königreiche durch das Reich Gottes ersetzt werden.

      Arnold G. Fruchtenbaum – Ariels Bibel Kommentar – Das Buch Daniel

      Der irdische Thron des Gottessohnes (Dan. 7:13-14, 27). „Menschensohn“ ist ein vertrauter Titel für unseren Herrn Jesus Christus; er wird in den Evangelien zweiundachtzig Mal verwendet, häufig von Jesus selbst. (Siehe auch Offb 1,13 und 14,14.) Die Formulierung „Wolken des Himmels“ erinnert uns an seine Verheißung, in Herrlichkeit wiederzukommen und auf der Erde zu herrschen (Mt 24,30; 25,31; 26,64; Mk 13,26 und 14,62; Offb 1,7).

      Der Menschensohn wird vor den Thron des Vaters geführt und erhält die Herrschaft über alle Völker, eine ewige Herrschaft, die nie vergehen wird. Dies ist das Vorspiel zu dem Stein, der aus dem Berg gehauen wird und herabkommt, um die Reiche der Welt zu zerstören (Dan. 2:34-35, 44-45), und es ist eine Parallele zu Offenbarung 5:1-7. Der Vater hat dem Sohn versprochen: „Bittet mich, so will ich euch die Völker zum Erbe geben und die Enden der Erde zu eurem Eigentum“ (Ps. 2:8, NKJV). Im Gegensatz zu den vier vorangegangenen Königreichen und dem Reich des Antichristen kann das Reich Jesu Christi niemals beseitigt oder zerstört werden. Dies ist das Reich, das Gott im Sinn hatte, als er David sagte, dass sein Thron niemals enden würde (2 Sam. 7:13, 16). Er wird dieses Reich mit seinem Volk teilen (Dan. 7:27) und sie werden mit ihm regieren (Offb. 5:10; 11:15; 20:4).

      Der Reichsbund, den Gott mit David geschlossen hat (2 Sam. 7), wird eines Tages in Jesus Christus erfüllt werden. Gottes Verheißung, dass Davids Same einen Thron und ein Königreich für immer haben würde (2. Sam. 7:12-13), wurde sicherlich nicht in Salomo oder einem seiner Nachfolger erfüllt, aber sie wird in Jesus Christus erfüllt werden (Lukas 1:30-33, 68-79).

      In Offenbarung 20,1-8 wird uns sechsmal gesagt, dass das Reich tausend Jahre dauern wird, weshalb es „Millennium“ genannt wird, was lateinisch für „tausend Jahre“ ist. Während dieser Zeit wird der Herr die vielen Reichsverheißungen aus den Schriften des Alten Testaments erfüllen. Die Natur wird von der Knechtschaft der Sünde und des Verfalls befreit werden (Jes 35; Röm 8,18-25) und es wird Frieden in der Welt herrschen (Jes 2,1-5; 9,1-7).

      In dieser dramatischen Vision sah Daniel den gesamten Verlauf der Geschichte, beginnend mit dem babylonischen Königreich und endend mit der tausendjährigen Herrschaft Christi auf Erden. Welchen Trost und welche Kraft muss es ihm und seinem Volk im Exil gegeben haben, dass sich die Prophezeiungen eines Tages erfüllen und ihr Messias auf dem Thron Davids regieren würde. Die Gemeinde Jesu Christi erwartet heute die Wiederkunft des Erlösers, und dann werden wir entrückt werden, um ihm in der Luft zu begegnen (1. Thess. 4,13-18). Wir werden mit ihm auf die Erde zurückkehren, mit ihm herrschen und ihm dienen. „So komm denn, Herr Jesus“ (Offb 22,20, NKJV).

      Wie reagierte Daniel auf diese große Offenbarung? Er war tief beunruhigt und sein Gesicht wurde blass (Dan. 7:28, NIV), aber er erzählte niemandem, was der Herr ihm gezeigt hatte. Wir werden in späteren Kapiteln erfahren, dass Daniel, nachdem er eine Vision vom Herrn empfangen hatte, oft krank wurde und nicht mehr arbeiten konnte. Das ist ganz anders als bei manchen „Prophetenschülern“ heute, die, wenn sie meinen, eine große Wahrheit entdeckt zu haben, ins Radio oder Fernsehen gehen und allen erzählen, was sie zu wissen glauben. Es ist gefährlich, Prophetie zu studieren, nur um unsere Neugierde zu befriedigen oder um den Leuten den Eindruck zu vermitteln, dass wir „große Bibelstudenten“ sind. Wenn die göttliche Wahrheit nicht unser eigenes Herz berührt und unser Verhalten beeinflusst, dann ist unser Bibelstudium nur eine intellektuelle Übung, um unser eigenes Ego aufzublähen.

      A.W. Tozer sagte: „Die Bibel billigt diese moderne Kuriosität nicht, die mit der Heiligen Schrift spielt und nur darauf abzielt, leichtgläubige Zuhörer mit dem ‚erstaunlichen‘ prophetischen Wissen zu beeindrucken, das der Bruder besitzt, der predigt oder lehrt!“
      Dazu sage ich ein herzliches „Amen“!

      Warren W. Wiersbe – Sei Commentary Series Daniel

      ich habe euch Freunde genannt

      Ich nenne euch nicht mehr Knechte, (O. Sklaven (Sklave)) denn der Knecht (O. Sklaven (Sklave)) weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem (O. von seiten meines) Vater gehört, euch kundgetan habe.
      Elberfelder 1871 – Johannes 15,15

      Ich bezeichne euch nicht als untergebene Knechte. Denn ein Untergebener weiß nicht, was sein Vorgesetzter tut. Aber euch habe ich als meine Freunde bezeichnet. Und das seid ihr auch! Denn ich habe euch alles wissen lassen, was ich von meinem Vater erfahren habe. Roland Werner – Das Buch – 2009 – Johannes 15:15

      Ich bezeichne euch nicht mehr als Sklaven, weil der Sklave nicht darüber Bescheid weiß, was sein Herr unternimmt. Euch aber, euch habe ich bereits Freunde genannt, weil ich euch alles wissen ließ, was ich vonseiten des Vaters vernommen habe.
      Andreas Eichberger – Gottes Agenda – Joh 15,15

      Warum bezeichnen wir Christen als Sklaven Christi, da doch der Gedanke an die Sklaverei heute so unangenehm ist? Er hat gesagt, er nenne uns nicht mehr Sklaven, sondern Freunde. — M. S., Connecticut.
      Allerdings hat Jesus gemäss Johannes 15:15 (NW) gesagt: „Ich nenne euch nicht mehr Sklaven, denn ein Sklave weiss nicht, was sein Meister tut. Aber ich habe euch Freunde genannt, weil ich alle Dinge, die ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe.“ Jesus hatte eben die Passahfeier beendet und das Gedächtnismahl mit seinen Aposteln eingesetzt, und es war gerade vor seiner Festnahme und seinem Tode. Anlässlich dieser letzten Ermutigung und Stärkung seiner Apostel war er sehr vertraulich, und doch verneinte er nicht, dass sie dennoch Sklaven waren. Fünf Verse später erinnert er sie an das Verhältnis des Meisters zum Sklaven: „Behaltet das Wort im Sinn, das ich euch sagte: Ein Sklave ist nicht grösser als sein Meister. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie mein Wort beobachtet haben, werden sie auch das eure beobachten.“ Somit schied er den Ausdruck Sklave nicht aus, sondern zeigte, dass seine Nachfolger, wiewohl Sklaven, doch auch seine Freunde waren. Es war nicht die übliche kalte, formelle Beziehung des Meisters zum Sklaven, denn ausser dieser gesetzlichen Beziehung waren sie auch enge Freunde. Aber diese Freundschaft merzte die Tatsache nicht aus, dass Christen nicht sich selbst gehören, sondern mit einem Preis erkauft wurden und Sklaven Christi sind. — 1 Korinther 6:19, 20; 7:23.

      Wachtturm – 15.Oktober 1952

      Johannes 15,15
      Aufgrund meiner christlich-orientalischen Herkunft wurde ich durch die Mehrheitsgesellschaft geprägt, die eben islamisch ist. Da ist der Status des Menschen festgelegt: Er ist Knecht, das ist seine schöpfungsmäßige Natur. Denn der Koran sagt: „Und Ich (Allah) habe … die Menschen nur dazu erschaffen, damit sie Mir dienen“ (Sura 51,56). Christen im Orient machten sich diese Demutshaltung als Knechte vor Gott zu eigen. Ihre Frömmigkeit ist durch die Ethik der Kultur geprägt – Werkgerechtigkeit, Gebote und Verbote, Lohn und Strafe. Wir wuchsen daher mit Leistungsdruck auf und hatten Angst vor einem zornigen Gott, der uns für jeden Fehltritt bestraft.
      Aber dann entdeckte ich die befreiende Aussage von Jesus: „… euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid.“ Ich musste also kein verängstigter Knecht bleiben, sondern durfte mich Freund Gottes nennen!
      Seit meiner Ankunft in Deutschland 1980 ist mir dieser Vers besonders wichtig geworden. Ich musste viele liebe Menschen in meiner Heimat zurücklassen. Ich hatte eine gute Familie und viele Freunde im Libanon gehabt. Durch meine Eheschließung 1982 begann ein neuer Abschnitt in meinem Leben. Neue Freundschaften entstanden.
      Als ich 1984 mein Augenlicht verlor, war dieser Vers für mich ein großer Trost. Meine theologische Ausbildung verschaffte mir neue Perspektiven. Beruflich und privat musste ich vieles immer wieder loslassen. Trotz erfolgreichem Dienst fühlte ich mich häufig einsam. Bei meinem Besuch im Libanon im Jahr 2017 wurde mir schmerzlich bewusst, dass meine Jugendfreunde durch den Bürgerkrieg in alle Welt zerstreut waren. Da erinnerte ich mich wieder an diesen Vers. Jesus nennt uns seine wahren Freunde. Ihm dürfen wir uns anvertrauen: geistlich, psychisch und leiblich. Er kündigt die Freundschaft nicht auf. Seinem Vorbild will ich folgen. Auch wenn ich immer wieder loslassen muss: Er bleibt an meiner Seite! •
      Dr. Hanna Josua

      Faszination Bibel 2/2019

      Ihr seid meine Freunde (Johannes 15, 13-17)
      Der erste Mensch, den die Schrift Freund Gottes nennt, war Abraham (Jesaja 41, 8; 2. Chron. 20, 7). Gott selbst rief ihn heraus aus Ur in Chaldäa (Apostelgeschichte 7, 2-4; Josua 24, 2. 3) und verpflanzte ihn in das Land Kanaan, da Milch und Honig floß. Gott gab ihm große Verheißungen. Abraham erwiderte diese Freundschaft durch völligen Gehorsam und kindliches Vertrauen. Abraham tat, was Gott ihm befahl und hielt Ihm selbst nicht seinen geliebten Isaak vor. Freundschaft beruht, auf Gegenseitigkeit.
      Ein weiteres schönes Freundschaftsverhältnis finden wir zwischen David und Jonathan (1 Samuel 18, 1–4). David hatte sein Leben für Israel eingesetzt und damit auch für Jonathan. Er wußte, daß David ihn von der Sklaverei der Philister bewahrt hatte. Hinfort liebte Jonathan den David wie seine eigene Seele.
      Jonathan gab alles Seinem Freunde, ja mehr, er setzte selbst sein Leben für ihn aufs Spiel (1 Samuel 20, 30-34).
      In Johannes 15 aber haben wir ein weit größeres alles überragendes Freundschaftsangebot. Jesus sagte seinen Jüngern: „Ihr seid meine Freunde. Eine anderes Mal nennt Er sie Brüder (Matthäus 12, 48; 28, 10). Die Jünger glaubten und erfüllten die Freundschaftsbedingung „$o ihr tut, was ich euch gebiete“. Heute bietet der Herr dir und mir Seine Freundschaft an. Wollen wir sie annehmen?
      Wie war unser einstiges Verhältnis zu Ihm? Römer 5, 10; Epheser 2; Titus 3, 3 geben uns Antwort. Wir waren unverständig, ungehorsam und dienten allerlei Lüsten und Vergnügungen, kurz wir waren Feinde Gottes, tot in Sünden. (Epheser 2, 12).
      Wie kam es zu dieser Freundschaft? Aus uralter Gnade (Titus 1, 1. 2). Er hat uns je und je geliebt und darum zu sich gezogen. Er sah uns im Blute und sprach: „Lebe!“ (Hesekiel 16, 6).
      Unschätzbar ist der Preis, den Jesus zahlte, um uns aus unserer Knechtschaft herauszubringen und zu Seinen Freunden zu machen. Nicht mit Gold noch Silber, sondern durch Sein Blut (Petr. 1, 18; Galater 4, 5) ist es geschehen. Dadurch sind wir in einen Bund mit Ihm gekommen (Hebräer 13, 20). Hier aber bietet Er uns noch mehr an: wahre Freundschaft mit Ihm.
      Wie gelangt der Mensch in den Besitz dieses Freundschaftsangebots? Durch das Evangelium. Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit Ihm selber (2 Korinther 5, 20). Wir hörten: „Lasset euch versöhnen mit Gott“, und nahmen das Angebot an.
      Durch den Glauben (Römer 5, 1; Johannes 3, 17). Ähnlich dem Kerkermeister, der die Botschaft hörte, glaubte, und dadurch samt seinem ganzen Hause gerettet wurde (Apostelgeschichte 16, 31). Im alten Bunde wurde so ein Freundschaftsvertrag mit einem Festmahl abgeschlossen (1 Mose 31, 54; Lukas 15, 23: 24).
      Das große Vorrecht dieser Freundschaft. Weder wir noch Engel vermögen zu erfassen, daß sich der Hohe und Erhabene so tief herabläßt zu uns, die wir Seine Feinde waren, um uns Freunde zu nennen.
      Es ist die erhabenste Freundschaft. Sie ist mit dem Sohne Gottes, dem Schöpfer aller Dinge, dem König der Könige und Herrn der Herren. Er ist Herr über alles mit unerschöpflichen Reichtümern, die Er uns anbietet.
      Es ist eine sehr nützliche Freundschaft. Sie bringt uns zu einer ungeahnten Einheit mit dem Freunde (1 Korinther 6, 17).
      Der Freund ändert sich nie (Hebräer 13, 8). Es ist eine dauernde Freundschaft. Sie enttäuscht nicht, wie das zum Beispiel David oder Hiob erlebten (Psalm 55, 12-14). Jonathan starb, damit endete die Freundschaft mit David. Jesu Freundschaft bleibt (Jesaja 49, 14-16) .
      Echte Freundschaft beruht auf Gegenseitigkeit. Sie ist aktiv. Wir sind Jesu Freunde, so wir tun, was Er gebietet. In 1 Johannes 5, 3 lesen wir: «Seine Gebote sind nicht schwer» (Johannes 14, 15). Sein Joch ist sanft und Seine Last ist leicht. Unser einziges Verlangen ist, dem Freunde zu leben, Ihm zu gefallen. Einst gelüstete David nach Wasser aus der Quelle zu Bethlehem. Als dies einige seiner Männer vernahmen, taten sie alles, um ihren König zu erfreuen. Mit Gefahr ihres Lebens durchbrachen sie die feindlichen Linien der Philister und stillten das Verlangen ihres Herrn (2 Samuel 23, 15-17). Der Beweis echter Liebe zum Herrn ist, Seine Wünsche zu erfüllen (Philipper 2, 12). Freunde tun einander nie weh. So betrüben wir Ihn nicht durch Eigenliebe, auch halten wir uns fern von jeglicher Sünde (1 Mose 39, 9). Oder lockt uns die Welt mit großen Angeboten, so schlagen wir sie aus wie Mose (Hehr. 11 24-26). Liebe ist nicht nur Empfänger, sondern vor allem Geber.
      Freunde helfen, dienen einander. Unser Freund sorgt beständig für uns Er denkt an uns (Psalm 121, 4). Alle unsere Anliegen macht Er zu den Seinen. Wir müssen uns fragen, was hat Er auch an uns gefunden daß Er sich so unserer annimmt? Wir fragen mit David: „Wie kann ich Ihm alle Seine Wohltaten vergelten“, und wir geben ihm Antwort wie er (Psalm 116, 12-19). Freunde besuchen sich möglichst oft. Besuchen wir unsern Freund? Auch schreiben sich Freunde. Er hat uns lehrreiche Briefe geschrieben wie ein Bräutigam an seine Braut. Lesen wir sie begierig? Freunde helfen einander. Arbeiten wir in Seinem Weinberg? Bringen wir Opfer für Ihn (Hehr. 13, 16), oder sind es solche wie in Maleachi 1, 8-10?
      Was machte Abraham zum Freunde Gottes? Kindliches Vertrauen in seinen Freund. Um des Zeugnisses willen konnte er große Opfer bringen (1 Mose 13, 9). Auch verkehrte er viel mit seinem Freunde (1 Mose 18). Diesen Freund machte Gott groß.

      G. R. Brinke – Ärenlese Jahrgang 17

      Ein Knecht (wörtlich: „Sklave“) hat keine enge Beziehung zu seinem Herrn, wie es etwa unter Freunden üblich ist. Er tut, was ihm gesagt wird, ohne seinen Herrn unbedingt zu verstehen. Da Jesus sich jedoch seinen Jüngern offenbart hatte, wurde der Titel „Sklave“ ihrer Beziehung nicht gerecht. (Wenn Paulus von sich selbst als „Knecht [wörtlich: „Sklave“] Gottes“ sprach [Röm 1,1], hatte er ebenfalls etwas anderes im Sinn. Er wollte damit sagen, daß er Gott bereitwillig und demütig diente und gehorchte.) Jesus nannte seine Jünger Freunde, weil er ihnen die Offenbarung seines Vaters enthüllt hatte.

      Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

      Die elfte Verheißung ist, dass die Gläubigen Jeschuas Freunde sein sollen (Johannes 15,14-15). Das ist nicht Freundschaft anstelle von Dienerschaft, sondern Freundschaft zusätzlich zur Dienerschaft. In den Briefen bezeichnen sich sogar die Apostel selbst als Diener. Der Unterschied zwischen Dienerschaft und Freundschaft besteht darin, dass ein Diener einfach die Befehle seines Herrn befolgt, ohne im Voraus oder im Detail über die Pläne des Herrn informiert zu werden. Er kennt die Pläne nur insoweit, als der Meister sie offenbart, und nur so viel, wie er wissen muss, um an diesen Plänen teilzunehmen. Er kennt weder das Ziel noch sieht er das größere Bild. Genau so hatte Jeschua die Jünger stückweise gelehrt. Erst jetzt würden sie beginnen, die umfassende Wahrheit von Gottes Plan bezüglich der kommenden Dinge zu empfangen. Dieses größere Wissen über seine Pläne erhebt sie in die Position der Freundschaft.

      Arnold Fruchtenbaum – Jeschua – Das Leben des Messias aus einer messianisch-jüdischen Perspektive

       In diesem Vers müssen wir zwischen „Knechte […] Herr […] Freunde“ unterscheiden. Das Wort für Knecht ist hier doulos, Sklave. Natürlich ist der Gläubige beides, ein Freund und ein Knecht. Simeon nannte sich selbst einen Knecht (Lk 2,29), wie auch die Apostel (Apg 4,29) und Paulus (Röm 1,1 und viele andere Stellen), und auch Epaphras, Jakobus, Petrus und Judas wurden so genannt. Im vorliegenden Vers weist die Bezeichnung Knecht auf soziale Distanz hin, auf Unwissenheit und fehlenden trauten Umgang. Von einem Freund wird hingegen gesagt, daß er nahe ist und die Absichten und Gedanken Christi kennt. Im Laufe dieser Unterredung änderte sich der Stand der Apostel von bloßen Knechten zum gesegneten Stand der Freunde des Herrn. In Gal 4,1-7 wird der Knecht zu einem Sohn, der das Vorrecht hat, sich an den Vater zu wenden. Die Gläubigen dürfen hierbei aber nicht vergessen, daß Trautheit im Umgang mit dem Herrn nicht heißt, daß sie keine Diener mehr seien. Als Dienende sind wir Sklaven des Herrn, als Freunde Seine Vertrauten.

      Die erwähnte Freundschaft erklärt, warum der Herr ihnen „alles“, was Er vom Vater empfangen hatte, verkündete. Dieses „alles“ kann nicht alle Ratschlüsse, die in Gott verankert sind, beinhalten. Der Sohn hatte vieles vom Vater empfangen, das Er den Seinigen auf der Erde mitteilen sollte, und von dem hatte Er alles verkündet. Das waren die Wahrheiten, die sie zu jenem Zeitpunkt ertragen konnten (Joh 16,12), bevor der Geist gegeben worden war. Ohne Zweifel ging „der ganze Ratschluß Gottes“, den Paulus in Ephesus verkündet hatte, über das hinaus, was der Herr gelehrt hatte, denn inzwischen wirkte der Heilige Geist in den Herzen der Gläubigen (Apg 20,27).

      Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt