Und seine Eltern gingen alljährlich am Passahfest nach Jerusalem.
Elberfelder 1871 – Lukas 2,41
Und alljährlich pflegten seine Eltern nach Jerusalem zu ziehen – zum Passafest.
Jantzen & Jettel 2017 – Lukas 2:41
SEINE Eltern pflegten aber alle Jahre zum Passahfest nach Jerusalem zu wandern -a 2 Mo. 23,14-17. –
Hermann Menge Übersetzung – 1926 – Lk 2,41

Jüdische Männer waren gesetzlich verpflichtet, jedes Jahr drei Feste in Jerusalem zu besuchen (Dtn 16:16), aber nicht alle hielten sich daran. Das eine Fest, an dem sie alle teilzunehmen versuchten, war das Passahfest; und als Jesus zwölf Jahre alt war (das Alter, in dem er „ein Sohn des Gesetzes“ wurde), ging er mit Maria und Josef zu diesem Fest. Freunde und Verwandte reisten gemeinsam und machten es zu einem festlichen Ereignis, Frauen und Kinder an der Spitze der Prozession und die Männer am Ende. Jesus war ein so gehorsames Kind (V. 40, 51-52), dass Maria und Josef keine Angst hatten, dass er etwas falsch machen würde. Stellen Sie sich ihre Überraschung vor, als er nicht zu finden war!
Wiersbes Erläuterungen zum Neuen Testament
Es entsprach der damaligen Sitte, daß ein jüdischer Knabe von 12 Jahren zum Tempel nach Jerusalem hinaufzog. Von zwölf Jahren an und darüber sollten die männlichen Israeliten dreimal des Jahres vor dem Herrn erscheinen: am Passah, am Wochenfest (Pfingsten) und am Laubhüttenfest (2Mo 23,14-17; 5Mo 16,16). Obwohl nicht ausdrücklich gesagt wird, daß Er es tat, können wir gewiß sein, daß Er, der „das Gesetz groß machte und es ehrte“ auch dieses Gebot erfüllte. Es mag wohl sein, daß Er bei dieser Gelegenheit als Zwölfjähriger das erste Mal seit Seiner Darbringung als Säugling wieder in Jerusalem war, aber Er muß seither jedes Jahr dort gewesen sein, bis zu Seinem Tod zur Zeit des Passahfestes.
Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt
Das Erscheinen zu den drei großen Festen (Passah-, Wochen- u. Laubhüttenfest) beim Heiligtum ist vorgeschrieben Ex 23, 17; 34, 23 f.; Dt 16, 16 f.
Strack & Billerbeck – Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch
Wer ist zum Erscheinen verpflichtet? Chag 1, 1: Alle sind zum Erscheinen רְאיָּה verpflichtet, ausgenommen der Taube, der Blödsinnige, der Minderjährige, der Tumtom (dessen Geschlecht nicht erkennbar ist), der Zwitter (Mannweib), die Frauen, die Sklaven, die nicht freigelassen worden sind, der Lahme, der Blinde, der Kranke, der Greis u. derjenige, der nicht zu Fuß hinaufziehen kann. Welches ist ein Minderjähriger קטן? Der nicht auf den Schultern seines Vaters reiten u. (so) von Jerusalem auf den Tempelberg hinaufkommen kann. So die Schule Schammais. Die Schule Hillels sagte: Der nicht die Hand seines Vaters anfassen u. (so) von Jerusalem auf den Tempelberg hinaufkommen kann; denn es heißt Ex 23, 14: Drei רְגָלִים (d. h. drei Wallfahrtsfeste, zu denen man zu Fuß בְּרַגְלָיו muß wandern können) sollst du mir im Jahre feiern. ‖ Mekh Ex 23, 14 (107a): Drei Male רגלים sollst du mir im Jahre ein Fest feiern Ex 23, 14. Warum wird das gesagt? Wenn es heißt: Dreimal שלש פעמים im Jahre soll all dein Männliches vor Jahve erscheinen (Ex 23, 17; 34, 23; Dt 16, 16), so entnehme ich daraus: „Zu jeder beliebigen Zeit.“ Da sagt die Schrift lehrend Dt 16, 16: Am Fest der ungesäuerten Brote u. am Wochenfest u. am Hüttenfest. — Oder (ist etwa gemeint:) am Fest der ungesäuerten Brote dreimal u. am Wochenfest dreimal u. am Hüttenfest dreimal? Die Schrift sagt lehrend Ex 23, 14: Drei Male sollst du mir im Jahre ein Fest feiern. „Dreimal im Jahre soll erscheinen“ (יֵרָאֶה, gesehen werden) Ex 23, 17; das will die Blinden ausschließen (vom Erscheinen beim Heiligtum; denn wie man dort soll gesehen werden, so muß man auch selbst sehen können). „Dein Männliches“ Ex 23, 17; das will die Frauen ausschließen (sie sind also nicht verpflichtet). Eine andre Erklärung. „Drei Wallfahrtsfeste“ (so wird jetzt רגלים Ex 23, 14 gedeutet); das will die Lahmen ausschließen (denn zum Wallfahrten gehören nicht lahme, sondern leistungsfähige Beine). „All“ dein Männliches (Ex 23, 17); das will den Tumtom (s. oben) u. das Mannweib ausschließen (denn was „ganz“ Männliches ist, soll erscheinen). „Du sollst diese Tora vor ganz Israel, vor ihren Ohren vorlesen“ (am Hüttenfest nach Ausgang des Erlaßjahres) Dt 31, 11; das will die Tauben ausschließen. „Und du sollst fröhlich sein an deinem Feste“ Dt 16, 14, das will den Kranken u. den Greis ausschließen (die nicht zu den Fröhlichen gehören). „Vor Jahve deinem Gott“ Dt 16, 16; das will den Unreinen (der das Heiligtum nicht betreten darf) ausschließen. Von hier aus hat man gesagt: Alle sind zum Erscheinen verpflichtet, ausgenommen … — Stellen mit ähnlicher Beweisführung s. SDt 16, 16 § 143 (102b); TChag 1, 1 (231); am ausführlichsten pChag 1, 75d, 44; bChag 2a, 11. Einige abweichende Meinungen s. ʿArakh 2b. ‖ pChag 1, 75d, 32 wird unterschieden zwischen dem Erscheinen im Heiligtum zwecks Darbringung eines Opfers ראיית קרבן u. dem einfachen Anwesendsein im Heiligtum ראיות פנים; zu letzterem, so heißt es, seien auch die unmündigen Kinder verpflichtet (desgleichen die Frauen): „Die (eingangs gebrachte) Mischna (Chag 1, 1) bezieht sich auf das Erscheinen zum Opfer (davon sind also Frauen und Kinder frei); aber zum persönlichen Erscheinen ist auch der Unmündige (u. die Frau) verpflichtet, u. zwar auf Grund von Dt 31, 12: ‚Versammle das Volk, die Männer u. die Weiber u. die Kindlein‘ והטף usw. Ist der Unmündige (ein Knabe bis nach vollendetem 13., ein Mädchen bis nach vollendetem 12. Lebensjahre) nicht älter (größer) als ein Kindlein טף?“ ‖ ʿEr 96a Bar: Die Frau des (Propheten) Jona pflegte zum Fest (gen Jerus.) hinaufzuziehen, u. die Gelehrten haben es ihr nicht verwehrt. Weil es ihr die Gelehrten nicht verwehrt haben, so sind sie also der Meinung gewesen, daß das Erscheinen beim Heiligtum ein Gebot sei, das nicht von einer bestimmten Zeit abhange (u. zur Erfüllung solcher Gebote ist auch die Frau verpflichtet). — Aus diesen Stellen erkennt man, daß die Frage betreffs des Erscheinens der Frauen u. Kinder zum Fest beim Heiligtum in älterer Zeit kontrovers gewesen ist.
Wozu verpflichtet das Erscheinen beim Heiligtum? Ex 23, 15; 34, 20; Dt 16, 16 wird bestimmt, daß man nicht leer vor Jahve erscheine, u. Dt 16, 11. 14 f., daß man mit den Seinen fröhlich sei vor Jahve. Hieraus hat R. Jose der Galiläer (um 110) SDt 16, 11 § 138 (102a) die Regel formuliert: Drei Gebote gelten an einem Fest: Das Festopfer חֲגִיגָה, das Erscheinungsopfer רְאִיָּיה u. die Festfreude שִׂמְתָה Es gibt beim Erscheinungsopfer etwas, was sich gleicherweise bei den beiden andren nicht findet, u. es gibt beim Festopfer etwas, was sich gleicherweise bei den beiden andren nicht findet, u. es gibt bei der Festfreude etwas, was sich bei den beiden andren nicht findet. Das Erscheinungsopfer gehört ganz dem Höchsten (ist also ein Brandopfer עולח), was bei den beiden andren nicht gleicherweise der Fall ist. Das Festopfer war gebräuchlich vor der Gesetzgebung (הדיבור = הדבר) u. nach der Gesetzgebung, was bei den beiden andren nicht gleicherweise der Fall ist. Die Festfreude ist in Übung bei Männern u. bei Frauen, was nicht gleicherweise bei den beiden andren der Fall ist. So gibt es bei diesem, was nicht bei jenem, u. bei diesem, was nicht bei jenem der Fall ist; es mußte die Schrift sie alle sagen. — Dasselbe Chag 6b; in TChag 1, 4 (232) u. pChag 1, 76b, 10 anonym. An letzterer Stelle wird der Unterschied zwischen der Festfreude auf der einen Seite u. dem Erscheinungs- u. Festopfer auf der andren Seite so fixiert: Die Festfreude wird geübt sowohl durch etwas aus dem eigenen Besitz als auch durch etwas von andren Stammendes; sowohl durch etwas, was für gewöhnlich dazu dient, als auch durch etwas, was für gewöhnlich nicht dazu dient; jene beiden andren aber sind gebräuchlich nur aus dem eigenen Besitz u. nur von etwas, was für gewöhnlich dazu dient (nämlich von Opfertieren).
Schon früh wurde es für Juden üblich, zu großen Festen nach Jerusalem zu pilgern, wovon z. B. Mk 10, 32; 11–16 parr.; Lk 2, 41f., Josephus Flavius und der Talmud berichten. Dabei zog das Passafest die meisten Pilger an.
Vieweger – Archäologie der biblischen Welt
Seit der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. musste auf das Schlachten der Passalämmer im Tempel verzichtet werden. Nach dem verlorenen zweiten jüdischen Aufstand gegen die Römer (132–135 n. Chr.) brachen die Wallfahrtstraditionen für einige Zeit ganz ab, weil Juden die Stadt Jerusalem bei Todesstrafe nicht mehr betreten durften. Ab dem 3., spätestens aber im 4. Jh. n. Chr. konnten sie jedoch am Gedenktag der Tempelzerstörung (am 9. Av) wieder an der Westmauer des ehemaligen Tempelplatzes beten. Die Tradition der ›Klagemauer‹ reicht bis in diese Zeit zurück. Erst Saladin erleichterte nach seiner Eroberung des Landes 1187 n. Chr. den Juden die Pilgerreisen nach Jerusalem4.
Josef und Maria lebten in Nazareth, nördlich von Jerusalem. Warum heißt es dann, dass sie „hinauf“ nach Jerusalem gingen? Nun, weil Jerusalem auf einem Hügel liegt.
Christian Mölk’s Bibelkommentar
Nach Exodus 34:22-23 sollten alle Männer Israels jedes Jahr drei Feste feiern: Passah, Pfingsten und das Laubhüttenfest.
Wie im Buch Genesis beschrieben, feierten Josef und Maria jedes Jahr das Passahfest (2. Mose 23,15) an dem Ort, den Gott selbst ausgewählt hatte: Jerusalem (2. Mose 16,2). a) Das Passahfest wurde nur einen Tag lang gefeiert, aber danach folgte ein siebentägiges Fest, das „Fest der ungesäuerten Brote“ (Lk 22,1).
Die Tatsache, dass die Eltern von Jesus „jedes Jahr“ zum Passahfest gingen, bedeutet, dass sie fromme und religiöse Juden waren.
Josef, Maria, Jesus und wahrscheinlich auch die Halbgeschwister Jesu (Matthäus 13:55-56) waren als Pilger nach Jerusalem gekommen, um dieses Fest zu feiern. a) Wahrscheinlich war es für eine Tischlerfamilie ein großes und teures Projekt, ihr Haus und ihren Arbeitsplatz für eine ganze Woche zu verlassen. b) Wir sehen jedoch, dass die Familie dem Willen Gottes Vorrang vor ihren eigenen Finanzen einräumte und sich für das Geistige und nicht nur für das Wertvolle entschied. c) In gleicher Weise sollten wir heute darüber nachdenken, wie wir unsere Zeit einteilen. Natürlich sollten wir arbeiten und für unsere Familien sorgen, aber wir sollten nicht vergessen, uns auch um unsere geistlichen Bedürfnisse zu kümmern. Es ist wichtig, Zeit einzuplanen und beiseite zu legen, um zum Gottesdienst zu gehen und mit unserem Vater zu sein.
Nur EINMAL wird das große Schweigen, das über der Geschichte des frühen Lebens Christi liegt, durchbrochen. Es wird berichtet, was sich bei seinem ersten Besuch im Tempel ereignete. Was dies selbst für einen gewöhnlichen frommen Juden bedeutete, kann man sich leicht vorstellen. Wo Leben und Religion so miteinander verflochten waren und beide in einer so organischen Verbindung mit dem Tempel und dem Volk Israel standen, muss jeder nachdenkliche Israelit das Gefühl gehabt haben, dass sein wirkliches Leben nicht in dem lag, was um ihn herum war, sondern in die große Einheit des Volkes Gottes hineinreichte und von dem Heiligenschein seiner Heiligkeit umgeben war. Für ihn wäre es im tiefsten Sinne des Wortes wahr, dass jeder Israelit sozusagen in Zion geboren wurde, da dort gewiss alle Quellen seines Lebens lagen. Es war also nicht nur das natürliche Verlangen, die Stadt ihres Gottes und ihrer Väter, das herrliche Jerusalem, zu sehen; auch nicht die gesetzliche, nationale oder religiöse Begeisterung, die bei dem Gedanken aufflammte, dass „unsere Füße“ in diesen Toren stehen würden, durch die Priester, Propheten und Könige gegangen waren; sondern viel tiefere Gefühle, die sich freuten, wenn es hieß: „Lasst uns in das Haus Jehovas gehen“. Es waren keine Ruinen, an denen kostbare Erinnerungen hingen, noch schien die große Hoffnung in weiter Ferne zu liegen, hinter dem Abendnebel. Aber von Zion, der Stadt Gottes, wurde in der Vergangenheit und in der nahen Zukunft „der Thron Davids“ innerhalb ihrer Mauern und inmitten ihrer Paläste verkündet.
Aldred Edersheim – Das Leben und die Zeiten von Jesus dem Gesalbten
Nach dem strengen Gesetz war ein Jugendlicher erst mit der Volljährigkeit, d. h. mit dreizehn Jahren, zur persönlichen Einhaltung der Vorschriften und damit zur Teilnahme an den Festen in Jerusalem verpflichtet. Dann wurde er zu dem, was man einen „Sohn des Gebots“ oder „der Thora“ nannte.Tatsächlich aber wurde das gesetzliche Alter in dieser Hinsicht um zwei Jahre oder zumindest um ein Jahr vorverlegt. Diesem Brauch nahmen ihn seine Eltern am ersten Pascha, nachdem Jesus sein zwölftes Lebensjahr vollendet hatte, in der „Gesellschaft“ der Nazarener mit nach Jerusalem. Der Text scheint darauf hinzuweisen, dass es ihre Gewohnheit1 war, zum Tempel hinaufzugehen; und wir stellen fest, dass Maria, obwohl Frauen nicht verpflichtet waren, persönlich zu erscheinen, gerne von der Anweisung Hillels Gebrauch machte (die auch von anderen religiösen Frauen befolgt wurde, die in den rabbinischen Schriften erwähnt werden), zu den feierlichen Gottesdiensten des Heiligtums hinaufzugehen. Politisch hatten sich die Zeiten geändert. Die schwache und verruchte Herrschaft des Archelaus hatte nur neun Jahre gedauert,als er aufgrund der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen nach Gallien verbannt wurde. Judäa, Samaria und Idumäa waren nun in die römische Provinz Syrien eingegliedert und unterstanden deren Statthalter oder Legat. Die besondere Verwaltung dieses Teils Palästinas wurde jedoch einem Prokurator anvertraut, der seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Cæsarea hatte. Man wird sich daran erinnern, dass die Juden selbst eine solche Regelung gewünscht hatten, in der vergeblichen Hoffnung, dass sie, von der Tyrannei der Herodianer befreit, die Halbunabhängigkeit ihrer Brüder in den griechischen Städten genießen könnten. Aber sie fanden das Gegenteil. Ihre Privilegien waren ihnen nicht sicher; ihre religiösen Gefühle und Vorurteile wurden ständig, wenn auch vielleicht nicht absichtlich, verletzt; und ihr Sanhedrin wurde seiner wirklichen Macht beraubt, obwohl die Römer sich wahrscheinlich nicht in das einmischten, was als rein religiöse Fragen betrachtet werden könnte. Allein die Anwesenheit der römischen Macht in Jerusalem war ein ständiges Ärgernis und muss zwangsläufig zu einem Kampf auf Leben und Tod geführt haben. Eine der ersten Maßnahmen des neuen Legaten von Syrien, P. Sulpicius Quirinius,c nachdem er den unrechtmäßig erworbenen Reichtum des Archelaus konfisziert hatte, war die Anordnung einer Volkszählung in Palästina, um die Besteuerung des Landes festzulegen. Die Aufregung, die dies in der Bevölkerung hervorrief, war wahrscheinlich weniger auf prinzipiellen Widerstand zurückzuführen,3 sondern darauf, dass die Volkszählung als Zeichen der Knechtschaft und als unvereinbar mit dem theokratischen Charakter Israels angesehen wurde. Wäre eine Volkszählung als absolut gesetzeswidrig angesehen worden, hätten sich die führenden Rabbiner ihr niemals unterworfen; 2 noch wäre der Widerstand des Volkes gegen die Maßnahme des Quirinius durch die Darstellungen des Hohenpriesters Joazar gebrochen worden. Doch obwohl die Volkszählung dank seines Einflusses zugelassen wurde, konnte der Aufruhr im Volk nicht unterdrückt werden. Diese Bewegung war in der Tat Teil der Geschichte jener Zeit und betraf nicht nur die politischen und religiösen Parteien im Lande, sondern muss auch Jesus selbst vor Augen gestanden haben, da sie, wie noch zu zeigen sein wird, einen Vertreter in seinem eigenen Familienkreis hatte.
Die Thronbesteigung des Herodes, der fälschlicherweise als der Große bezeichnet wird, markiert eine Periode in der jüdischen Geschichte, die mit dem Verzweiflungskrieg gegen Rom und den Flammen von Jerusalem und dem Tempel endet. Es entstand das, was Josephus trotz seiner falschen Darstellung zu Recht als vierte Partei – neben den Pharisäern, Sadduzäern und Essenern – bezeichnet: die Nationalisten. Ein tieferer und unabhängigerer Blick auf die Geschichte der Zeit würde uns vielleicht dazu bringen, das ganze Land entweder auf der Seite dieser Partei oder gegen sie zu sehen. Wie später in ihrer reinsten und einfachsten Form ausgedrückt, lautete ihre Losung negativ, dass kein Mensch ihr absoluter Herr sei; positiv, dass Gott allein als absoluter Herr herrsche. c Es war in der Tat eine Wiederbelebung der Makkabäer-Bewegung, vielleicht mehr in ihrem nationalen als in ihrem religiösen Aspekt, obwohl die beiden in Israel kaum voneinander zu trennen waren, und ihr Motto liest sich fast wie das, das nach Meinung einiger die Buchstaben lieferte, aus denen der Name Makkabäer zusammengesetzt wurde: Mi Camochah Baelim Jehovah, ‚Wer ist wie Du unter den Göttern, Jehovah?’Es ist bezeichnend für die Zeit und die religiösen Tendenzen, dass ihre Anhänger nicht mehr, wie früher, Assideaner oder Chasidim, ‚die Frommen‘, genannt wurden, sondern Zeloten (ζηλωται), oder mit dem hebräischen Äquivalent Qannaim (Kanaanäer, nicht ‚Kanaaniter‘, wie im A.V.). Die eigentliche Heimat dieser Partei war weder Judäa noch Jerusalem, sondern Galiläa.
In der Hochburg der Herodianer, Sadduzäer und Pharisäer herrschten ganz andere, in der Tat antagonistische Tendenzen. Von letzteren hatte nur ein kleiner Teil wirkliche Sympathien für die nationale Bewegung. Jede Partei verfolgte ihre eigene Richtung. Die Essener, die in theosophische Spekulationen vertieft waren, die mit der östlichen Mystik nicht ungetrübt waren, zogen sich von jedem Kontakt mit der Welt zurück und führten ein asketisches Leben. Bei ihnen, was auch immer Einzelne empfunden haben mögen, konnte eine solche Bewegung nicht entstehen; auch nicht bei den Herodianern oder Boethusianern, die streng pharisäische Ansichten mit herodianischer Parteinahme verbanden; auch nicht bei den Sadduzäern; und schließlich auch nicht bei dem, was den größten Teil der rabbinischen Partei ausmachte, der Schule des Hillel. Aber die tapferen, freien Hochlandbewohner Galiläas und der Region jenseits ihres herrlichen Sees schienen den Geist geerbt zu haben und betrachteten ihren eigenen Elias als ihr Ideal – leider oft zu Unrecht -, als er in wilder, zotteliger Kleidung von den Bergen Gileads herabstieg, um gegen die ganze Macht Ahabs und Isebels zu kämpfen. Ihr Enthusiasmus ließ sich nicht durch die logischen Spitzfindigkeiten der Schulen entfachen, sondern ihr Herz brannte in ihnen für ihren Gott, ihr Land, ihr Volk, ihre Religion und ihre Freiheit.
In Galiläa wurde der wilde, irreguläre Widerstand gegen Herodes zu Beginn seiner Karriere von Guerillabanden organisiert, die durch das Land zogen und einen Ezechias als Anführer hatten. Josephus bezeichnet sie zwar als „Räuber“, aber in Jerusalem wurden sie ganz anders eingeschätzt, denn wie wir uns erinnern, wurde Herodes vom Sanhedrin vorgeladen, um sich für die Hinrichtung von Ezechias zu verantworten. Was dann folgte, wird im Wesentlichen auf die gleiche Weise, wenn auch mit Unterschieden in der Form1 und manchmal in der Bezeichnung, von Josephus,und im Talmud erzählt. c Die Geschichte wurde bereits in einem anderen Zusammenhang erzählt. Es genügt zu sagen, dass der Sanhedrin nach der Thronbesteigung des Herodes nur noch ein Schatten seiner selbst war. Er war voll von Sadduzäern und Priestern, die vom König ernannt worden waren, und von Doktoren des kanonischen Rechts, deren einziges Ziel darin bestand, in Ruhe ihre Spitzfindigkeiten zu betreiben; die keine wirkliche Sympathie für nationale Bestrebungen hatten und aufgrund ihrer Verachtung für das Volk auch keine haben konnten; und deren ideales Himmelreich eine wundersame, vom Himmel eingesetzte, absolute Herrschaft der Rabbiner war. Dementsprechend fand die nationale Bewegung, wie sie sich später entwickelte, weder die Sympathie noch die Unterstützung der führenden Rabbiner. Am krassesten zeigte sich dies vielleicht bei R. Jochanan ben Saccai, dem berühmtesten ihrer Lehrer, kurz vor der Einnahme Jerusalems. Beinahe ungerührt war er Zeuge des Vorzeichens des Öffnens der Tempeltüren durch eine unsichtbare Hand geworden, was nach einer Auslegung von Sach 11,1 im Volksmund als Zeichen für die baldige Zerstörung des Tempels angesehen wurde. 2 Die überlieferte Geschichte, dass Jochanan, als er in der Hungersnot während der Belagerung sah, wie die Menschen eifrig Suppe aus Stroh aßen, die Idee einer solchen Garnison, die Vespasian widerstand, verwarf und sofort beschloss, die Stadt zu verlassen, zeugt von Zynismus und mangelndem Mitgefühl. Tatsächlich haben wir eindeutige Beweise dafür, dass R. Jochanan als Führer der Schule des Hillel seinen ganzen Einfluss geltend gemacht hatte, wenn auch vergeblich, um das Volk zur Unterwerfung unter Rom zu bewegen.
Wir können verstehen, dass diese Schule so wenig Interesse an etwas rein Nationalem hatte. Im Allgemeinen wurde von den Schriftstellern nur eine Seite des Charakters von Hillel dargestellt, und selbst diese in stark übertriebener Form. Seine viel gepriesene Sanftmut, Friedfertigkeit und Nächstenliebe waren eher negative als positive Eigenschaften. Er war ein philosophischer Rabbi, dessen wirkliches Interesse in eine ganz andere Richtung ging als in die der Sympathie mit dem Volk – und dessen Motto in der Tat zu bedeuten schien: „Wir, die Weisen, sind das Volk Gottes; aber dieses Volk, das das Gesetz nicht kennt, ist verflucht“.Ein viel tieferes Gefühl und ein intensiver, wenn auch fehlgeleiteter Ernst durchdrangen die Schule Schammais. Sie war in der Minderheit, aber sie sympathisierte mit den Bestrebungen des Volkes. Sie war weder philosophisch noch eklektisch, sondern zutiefst national. Sie wandte sich gegen jede Annäherung von und an Fremde; sie ging hart mit Proselyten um, selbst mit den vornehmsten (wie Akylas oder Onkelos); sie erließ, nachdem sie zuvor eine Reihe von Hilleliten ermordet hatte, die zur beratenden Versammlung gekommen waren, achtzehn Dekrete, deren Ziel es war, jeglichen Verkehr mit Heiden zu verhindern; 1 und sie stellte Führer oder Unterstützer der nationalen Bewegung.
Wir haben den Aufstieg der nationalistischen Partei in Galiläa beobachtet, als Herodes zum ersten Mal auf der Bildfläche erschien, und wir haben erfahren, wie unbarmherzig er versuchte, sie zu unterdrücken: zuerst durch die Hinrichtung von Ezechias und seinen Anhängern, und danach, als er König von Judäa wurde, durch die Ermordung der Sanhedristen. Die Folge dieser schonungslosen Strenge war, dass der Rabbinismus eine andere Richtung einschlug. Die Schule des Hillel, die von nun an die Mehrheit stellte, waren Männer ohne politische Couleur, theologische Theoretiker, selbstsüchtige Juristen, die eher eitel als ehrgeizig waren. Die Minderheit, vertreten durch die Schule Schammais, waren Nationalisten. So mangelhaft und sogar falsch beide Strömungen auch waren, die Nationalisten hatten in Bezug auf das Reich Gottes sicherlich mehr Hoffnung als die Sophisten und Juristen. Es war natürlich die Politik des Herodes, alle nationalen Bestrebungen zu unterdrücken. Niemand verstand die Bedeutung des jüdischen Nationalismus so gut wie er; niemand hat ihn jemals so systematisch bekämpft. Sein Versuch, den König der Juden inmitten der Kinder von Bethlehem zu töten, hatte sozusagen einen inneren Sinn. Die Ermordung der Sanhedristen mit der daraus folgenden neuen antimessianischen Tendenz des Rabbinismus war eine Maßnahme in dieser Richtung; die verschiedenen Ernennungen, die Herodes für das Hohepriestertum vornahm, eine andere. Und doch war es auch damals nicht einfach, das Pontifikat seiner Macht und seines Einflusses zu berauben. Der Hohepriester war immer noch der Repräsentant des religiösen Lebens des Volkes, und er handelte bei allen Gelegenheiten, bei denen es nicht ausschließlich um subtile kirchenrechtliche Fragen ging, wie der Präsident des Sanhedrins, in dem die Mitglieder seiner Familie natürlich Sitz und Stimme hatten. Die vier Familien1 , aus denen die Hohepriester – von wenigen Ausnahmen abgesehen – gewählt wurden, verfügten in ihren schlimmsten Zeiten über den Reichtum und den Einfluss einer staatlich dotierten Einrichtung. Es war daher von größter Bedeutung, den Hohepriester weise auszuwählen. Mit Ausnahme der kurzen Amtszeit von Aristobulus, dem letzten der Makkabäer – dessen Ernennung, auf die allzu bald seine Ermordung folgte, damals eine Notwendigkeit war – waren alle herodianischen Hohepriester Nichtpalästinenser. Ein schärferer Schlag als dieser hätte dem Nationalismus nicht versetzt werden können.
Die gleiche Verachtung für das Hohepriestertum kennzeichnete auch die kurze Regierungszeit von Archelaos. Auf seinem Sterbebett hatte Herodes Joazar, einen Sohn des reichen alexandrinischen Priesters Boethos, dessen Tochter Mariamme II. er geheiratet hatte, zum Pontifikat ernannt. Die mit Herodes verbündete Familie Boethos bildete eine Partei – die Herodianer -, die strenge pharisäische Ansichten mit der Ergebenheit gegenüber der Herrscherfamilie verband. Joasar stellte sich bei der Thronbesteigung des Archelaos auf die Seite des Volkes. Dafür wurde er zugunsten eines anderen Sohnes von Boethos, Eleasar, seiner Würde beraubt. Doch Archelaos‘ Laune war unbeständig – vielleicht misstraute er der Familie des Boethos. Auf jeden Fall musste Eleasar den Platz von Jesus, dem Sohn von Sië, einer ansonsten unbekannten Person, einnehmen. Zur Zeit der Besteuerung des Quirinius ist Joasar wieder im Amt,a das offenbar von der Menge wiederhergestellt wurde, die nach dem Regierungswechsel die Dinge selbst in die Hand nahm und einen Mann zurückholte, der zuvor die nationalen Bestrebungen unterstützt hatte. So erklärt sich sein Einfluss auf das Volk, das er dazu brachte, sich der römischen Besteuerung zu unterwerfen.
Aber auch wenn Joazar bei der unreflektierten Bevölkerung Erfolg hatte, gelang es ihm nicht, die fortschrittlicheren Mitglieder seiner eigenen Partei zu versöhnen, und, wie sich herausstellte, auch nicht die römischen Behörden, deren Gunst er zu gewinnen gehofft hatte. Es sei daran erinnert, dass die nationalistische Partei – oder „Zeloten“, wie sie später genannt wurden – zuerst in jenen Guerillabanden auftrat, die unter der Führung des von Herodes hingerichteten Ezechias durch Galiläa zogen. Aber die nationale Partei wurde während seiner eisernen Herrschaft nicht vernichtet, sondern nur in Schach gehalten. Erneut war es die Familie des Ezechias, die die Bewegung anführte. Während des Bürgerkriegs, der auf die Thronbesteigung des Archelaus folgte, oder besser gesagt, während er in Rom für seine Sache eintrat, wurde die Fahne der Nationalisten in Galiläa wieder erhoben. Judas, der Sohn des Ezechias, nahm die Stadt Sepphoris in Besitz und bewaffnete seine Anhänger aus dem dortigen königlichen Arsenal. Wie wir wissen, sympathisierte der Hohepriester Joazar zu dieser Zeit zumindest indirekt mit den Nationalisten. Der Aufstand, der sich in ganz Palästina ausbreitete, wurde mit Feuer und Schwert niedergeschlagen, und die Söhne des Herodes konnten ihre Besitztümer wieder in Besitz nehmen. Doch als Joazar nach der Absetzung des Archelaus das Volk überredete, sich der Steuererhebung des Quirinius zu unterwerfen, war Judas nicht bereit, der seiner Meinung nach verräterischen Führung des Pontifex zu folgen. Zusammen mit dem schammaitischen Rabbi Sadduk erhob er erneut die Fahne der Revolte, wenn auch erneut erfolglos. Wie die Hilleliten diese Bewegung sahen, erfahren wir sogar aus der geringfügigen Anspielung Gamaliels. d Die Familie des Ezechias stellte weitere Märtyrer für die nationale Sache. Die beiden Söhne des Judas starben 46 N. CHR. am Kreuz für sie. Ein dritter Sohn, Manahem, der von Beginn des Krieges gegen Rom an einer der Anführer der fanatischsten Nationalisten, der Sikarier – der Jakobiner der Partei, wie sie treffend bezeichnet wurden – war, starb unter unsagbaren Leiden,f während ein viertes Mitglied der Familie, Eleasar, der Anführer von Israels vergeblicher Hoffnung war und in Masada, im Schlussdrama des jüdischen Unabhängigkeitskrieges, edel starb. Aus solchem Material waren die galiläischen Zeloten gemacht. Aber wir müssen diese starke nationalistische Tendenz auch in der Geschichte Jesu berücksichtigen, zumal zumindest einer seiner Jünger und er selbst ein Mitglied seiner Familie einmal dieser Partei angehört hatten. Nur das Reich, dessen König Jesus war, war, wie er selbst sagte, nicht von dieser Welt und von ganz anderer Konzeption als das, wonach sich die Nationalisten sehnten.
Zu der Zeit, als Jesus zu dem Fest hinaufging, war Quirinius, wie bereits erwähnt, Statthalter von Syrien. Die Besteuerung und der Aufstand des Judas waren vorbei, und der römische Statthalter, der mit der Amtsführung des Joasar unzufrieden war und ihm misstraute, hatte an seiner Stelle Ananos, den Sohn des Seth, ernannt, den Annas, der im Neuen Testament in schändlicher Erinnerung ist. Mit kurzer Unterbrechung hatten er oder sein Sohn das Pontifikalamt inne, bis unter der Prokuratur des Pilatus Kaiphas, der Schwiegersohn des Hannas, diese Würde übernahm. Es wurde bereits erwähnt, dass die Herrschaft in Palästina unter den römischen Statthaltern von Syrien auf Prokuratoren übertragen wurde, von denen Coponius der erste war. Von ihm und seinen unmittelbaren Nachfolgern, Marcus Ambivius,Annius Rufus,c und Valerius Gratus,wissen wir wenig. Sie machten sich in der Tat schwerster fiskalischer Unterdrückung schuldig, aber sie scheinen die religiösen Gefühle der Juden respektiert zu haben, soweit es ihnen möglich war. Wir wissen, dass sie sogar das Bild des Kaisers von den Standarten der römischen Soldaten entfernten, bevor sie in Jerusalem einmarschierten, um den Anschein eines Kaiserkultes zu vermeiden. Es war Pontius Pilatus vorbehalten, den Juden dieses verhasste Emblem aufzuzwingen und ansonsten ihre heiligsten Gefühle zu missachten. Aber wir können schon jetzt feststellen, mit welchen kritischen Perioden in der jüdischen Geschichte das öffentliche Auftreten Christi zusammenfiel. Sein erster Besuch im Tempel folgte auf die römische Inbesitznahme Judäas, die Steuererhebung und den Volksaufstand sowie auf die Einsetzung des Hannas in das Hohepriesteramt. Und der Beginn Seines öffentlichen Dienstes war zeitgleich mit dem Amtsantritt von Pilatus und der Einsetzung von Kaiphas. Ob subjektiv oder objektiv betrachtet, haben auch diese Dinge einen tiefen Einfluss auf die Geschichte Christi.
Es war im Frühjahr 9 N. CHR., als Jesus zum ersten Mal zum Osterfest nach Jerusalem hinaufging. Koponius würde dort als Prokurator anwesend sein, und Hannas regierte im Tempel als Hohepriester, als er unter den Ärzten erschien. Aber nicht nur politische Gedanken müssen den Geist Christi beschäftigt haben. In der Tat war eine Zeit lang eine kurze Ruhe über das Land hereingebrochen. Es gab nichts, was aktiven Widerstand hätte hervorrufen können, und die Partei der Zeloten war, obwohl sie existierte und tiefere Wurzeln in den Herzen des Volkes schlug, für diese Zeit eher das, was Josephus sie „die philosophische Partei“ nannte – ihre Gedanken beschäftigten sich mit einem Ideal, das ihre Hände noch nicht bereit waren, in die Realität umzusetzen. Wenn also die festliche Gesellschaft aus Nazareth, zu der bald noch andere festliche Gruppen hinzukamen, nach alter Gewohnheit nach Jerusalem hinaufzog und auf dem Weg dorthin die „Psalmen des Aufstiegs „zur Begleitung der Flöte sang, konnten sie sich den geistigen Gedanken, die durch solche Worte entfacht wurden, vorbehaltlos hingeben.
Als die Pilger vor den Toren Jerusalems standen, konnte es keine Schwierigkeiten geben, Gastfreundschaft zu finden, wie voll die Stadt bei solchen Gelegenheiten auch gewesen sein mag1 – umso mehr, wenn wir uns an die extreme Einfachheit der orientalischen Sitten und Bedürfnisse und den Überfluss an Vorräten erinnern, den die vielen Opfer der Saison liefern würden. Aber auch zu diesem Thema schweigt die evangelische Erzählung. So herrlich der Anblick Jerusalems einem Kind, das zum ersten Mal aus der Abgeschiedenheit eines galiläischen Dorfes dorthin kam, auch erschienen sein muss, so müssen wir doch bedenken, dass derjenige, der es jetzt betrachtete, kein gewöhnliches Kind war. Und vielleicht irren wir uns auch nicht in der Vorstellung, dass der Anblick ihrer Größe in Ihm, wie bei einer anderen Gelegenheit,nicht so sehr Gefühle der Bewunderung, die denen des Stolzes ähnlich gewesen sein könnten, als vielmehr der Traurigkeit weckte, obwohl Er sich des tieferen Grundes noch kaum bewusst gewesen sein mag. Aber der einzige Gedanke, der ihn beherrschte, war der des Tempels. Dies, sein erster Besuch in seinen Hallen, scheint auch den ersten ausgesprochenen – und, dürfen wir nicht folgern, den ersten bewussten – Gedanken an diesen Tempel als das Haus seines Vaters hervorgerufen zu haben, und damit den ersten bewussten Impuls seiner Mission und seines Seins. Auch hier wäre es eher die höhere Bedeutung als die Struktur und das Aussehen des Tempels, die den Geist absorbieren würde. Und doch gab es selbst in letzterem genug, um Begeisterung zu wecken. Wenn der Pilger den Berg hinaufstieg, über dem dieses symmetrische Gebäude thronte, das in seinem gigantischen Gürtel nicht weniger als 210.000 Menschen fassen konnte, konnte sein Staunen bei jedem Schritt größer werden. Der Berg selbst wirkte wie eine Insel, die sich abrupt aus tiefen Tälern erhob, umgeben von einem Meer aus Mauern, Palästen, Straßen und Häusern, und gekrönt von einer Masse aus schneebedecktem Marmor und glitzerndem Gold, die sich Terrasse um Terrasse erhob. Insgesamt maß sie ein Quadrat von etwa 1.000 Fuß, oder, um die von den Rabbinern angegebenen Maße genauer wiederzugeben, 927 Fuß. Im nordwestlichen Winkel der Burg befand sich die Burg Antonia, die von einer römischen Garnison gehalten wurde. Die hohen Mauern wurden von massiven Toren durchbrochen – dem unbenutzten Tor (Tedi) im Norden, dem Susa-Tor im Osten, das sich auf die gewölbte Straße zum Ölberg öffnete,den beiden so genannten „Huldah“-Toren (wahrscheinlich „Wiesel“-Tore), die durch Tunnel2 von der Priestervorstadt Ophel in den äußeren Hof führten, und schließlich vier Toren im Westen.
Innerhalb der Tore verliefen rundherum überdachte Doppelkolonnaden mit Bänken für diejenigen, die sich zum Gebet oder zur Besprechung dorthin begaben. Der prächtigste dieser Säulengänge war der südliche oder doppelte Säulengang mit einem breiten Zwischenraum; der ehrwürdigste war der alte „Salomonische Vorbau“ oder östliche Säulengang. Wenn man von der Xystus-Brücke und unter dem Johannes-Turm hindurchging, gelangte man entlang dieser südlichen Kolonnade (über den Tunnel der Huldah-Tore) zu ihrem östlichen Ende, über dem sich ein weiterer Turm erhob, wahrscheinlich die „Spitze“ der Geschichte der Versuchung. Von dieser Höhe aus gähnte das Kedrontal 450 Fuß tief. Von dieser hohen Zinne aus wachte der Priester jeden Morgen und verkündete den ersten Anflug des Tages. Wenn wir die östliche Kolonnade oder Salomons Vorhalle entlanggingen, hätten wir, wenn die Beschreibung der Rabbiner glaubwürdig ist, das Susa-Tor erreicht, wobei die geschnitzte Darstellung dieser Stadt über dem Tor uns an die östliche Zerstreuung erinnert. Hier sollen die Standardmaße des Tempels aufbewahrt worden sein; und hier müssen wir auch den ersten oder untersten der drei Sanhedrinen lokalisieren, die der Mischna zufolge im Tempel tagten; der zweite oder dazwischen liegende Berufungsgerichtshof befand sich im „Hof der Priester“ (wahrscheinlich in der Nähe des Nikanor-Tors); und der höchste, der des Großen Sanhedrins, befand sich einst in der „Halle der behauenen quadratischen Steine“ (Lishkath ha-Gazith).
Wenn man aus diesen „Kolonnaden“ oder „Vorhallen“ heraustrat, betrat man den „Vorhof der Heiden“ oder das, was die Rabbiner „den Berg des Hauses“ nannten, der an der Westseite am breitesten und an der Ost-, Süd- und Nordseite immer schmaler war. Dies war der Chol, der „profane“ Ort, zu dem die Heiden Zugang hatten. Hier muss sich der Markt für den Verkauf von Opfertieren, die Tische der Geldwechsler und Orte für den Verkauf anderer notwendiger Artikel befunden haben. 3 Wenn man innerhalb dieses Hofes weiterging, erreichte man eine niedrige Brustwand (den Soreg), die den Raum markierte, über den weder Heiden noch levitisch unreine Personen hinausgehen durften – Tafeln mit entsprechenden Inschriften warnten sie davor. Dreizehn Öffnungen führten in den inneren Teil des Hofes. Von dort führten vierzehn Stufen hinauf zum Chel oder zur Terrasse, die im engeren Sinne von der Mauer des Tempelgebäudes begrenzt wurde. Eine Treppe führte hinauf zu den massiven, prächtigen Toren. Die beiden Tore auf der Westseite scheinen für die Gläubigen nicht von Bedeutung gewesen zu sein und waren wahrscheinlich für die Arbeiter bestimmt. Nördlich und südlich befanden sich vier Tore. Das prächtigste Tor war jedoch das im Osten, das als „das Schöne“ bezeichnet wurde.
Wenn man durch den letzteren eintrat, kam man in den Hof der Frauen, der so genannt wurde, weil die Frauen darin zwei erhöhte und getrennte Galerien bewohnten, die jedoch nur einen Teil des Hofes ausfüllten. Fünfzehn Stufen führten hinauf zum Oberen Hof, der von einer Mauer begrenzt war und in dem sich das berühmte Nikanor-Tor befand, das mit korinthischem Messing verkleidet war. Hier waren die Leviten, die den musikalischen Teil des Gottesdienstes leiteten, untergebracht. Im Hof der Frauen befanden sich die Schatzkammer und die dreizehn „Trompeten“, während sich an jeder Ecke Kammern oder Säle befanden, die für verschiedene Zwecke bestimmt waren. Auch jenseits der fünfzehn Stufen befanden sich Aufbewahrungsorte für die Musikinstrumente. Der Obere Hof war durch eine Begrenzung in zwei Teile geteilt – der schmale Teil bildete den Hof Israels, der breitere den der Priester, in dem sich der große Altar und das Waschbecken befanden.
Das Heiligtum selbst lag auf einer höheren Terrasse als der Priesterhof. Zwölf Stufen führten hinauf zu seiner Vorhalle, die sich auf beiden Seiten (Norden und Süden) ausdehnte. Hier, in separaten Kammern, wurde alles aufbewahrt, was für den Opferdienst notwendig war. Auf zwei Marmortischen in der Nähe des Eingangs wurden jeweils die alten Schaubrote, die herausgenommen wurden, und die neuen, die hereingebracht wurden, aufgestellt. Die Vorhalle war mit Votivgaben geschmückt, unter denen eine mächtige goldene Ranke besonders auffiel. Eine zweiflügelige Pforte führte in das Heiligtum selbst, das in zwei Teile geteilt war. Das Heiligtum bestand aus dem goldenen Leuchter (im Süden), dem Tisch der Schaubrote (im Norden) und dem goldenen Räucheraltar dazwischen. Ein schwerer doppelter Vorhang verdeckte den Eingang zum Allerheiligsten, das im zweiten Tempel leer war, da sich dort nichts befand außer dem Felsen, der Ebhen Shethiyah oder Grundstein genannt wurde, der der Überlieferung nach die Öffnung der Grube bedeckte und auf dem, so glaubte man, die Welt gegründet wurde. All dies vermittelt keine angemessene Vorstellung von der Größe der Tempelbauten. Denn rund um das Heiligtum und jeden der Höfe befanden sich verschiedene Kammern und Nebengebäude, die unterschiedlichen Zwecken im Zusammenhang mit den Diensten des Tempels dienten.
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