Tag: 21. Juni 2020

Eltern

Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf daß deine Tage verlängert werden in dem Lande, das Jehova, dein Gott, dir gibt.

Elberfelder Bibel 1905 – Ex 20,12

Sei ehrerbietig gegen deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebest auf dem Boden, den dir Jahwe, dein Gott, zu eigen geben wird.

Textbibel – Exodus 20,12

Du sollst Respekt vor deinem Vater und deiner Mutter haben. Das wird gut für dich sein, dann wirst du in dem Land, wo Gott dich hinbringen wird, voll lange leben.

VolxBibel 2.Mose 20,12

„Ehre deinen Vater und deine Mutter. Dann wirst du lange in dem Land leben, das der Herr, dein Gott, dir geben wird.“ (2 Mose 20,12)
Das fünfte Gebote ist wahrscheinlich eines der Gebote, das bei einem erwachsenen Hörer mit am stärksten eine Schutzreaktion hervorruft: Bedeutet es denn nicht, dass ich meine Eigenständigkeit aufgeben und meine Bedürfnisse und Standpunkte für die der Eltern opfern muss? Und Teenager, die das fünfte Gebot im Konfirmandenunterricht lernen, empfinden es häufig als Moralkeule, mit der Eltern und Kirche sie klein halten wollen.
Andererseits sind wir alle jemandes Tochter oder Sohn und müssen uns auf irgendeine Art und Weise mit der Beziehung zu unseren Eltern auseinandersetzen. Wie gut oder schlecht sie ist, trägt wesentlich mit dazu bei, wie gut es uns selbst als Erwachsene geht. Denn letztlich sehnen wir uns nach der Liebe und Anerkennung unserer Eltern, selbst wenn diese uns zum wiederholten Male verletzt oder im Stich gelassen haben. Eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung trägt wesentlich dazu bei, dass man als Erwachsener sich selbst annehmen, sein Leben meistern und Schwierigkeiten angehen kann. Oder wie Spiegeljournalist Mathias Schreiber es ausdrückt: „Wir haben keine Zukunft, wenn wir unsere Herkunft ignorieren.“
Die Eltern auf Händen tragen
Also doch Katzbuckelei und Selbstverleugnung um des lieben Familienfriedens willen? Die Art und Weise, wie Martin Luther oder die Autoren des Heidelberger Katechismus das fünfte Gebot interpretiert haben, könnte zu dieser Auffassung führen – und ist möglicherweise auch ein Grund dafür, warum diese Aufforderung heute für uns so einen negativen Beigeschmack hat. Der Reformator legte das Gebot so aus, dass wir unsere Eltern „in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, [sie] lieb und wert haben“ sollen. Und im Heidelberger Katechismus heißt es beispielsweise: „Ich soll meinem Vater und meiner Mutter und allen, die mir vorgesetzt sind, alle Ehre, Liebe und Treue erweisen und alle gute Lehre und Strafe mit gebührendem Gehorsam annehmen“. Hier wird die Betonung stark auf eine Haltung gelegt, bei der die Eltern Ton angebend sind und die (noch jungen) Kinder gehorchen.
Schöner ist da schon eine andere Formulierung Luthers, dass wir unsere „Eltern auf Händen tragen“ sollen. Das kommt auch dem Verständnis näher, dass sich das Gebot zunächst einmal an erwachsene, eigenständige Menschen gerichtet hat, die dazu aufgefordert wurden, ihre älter werdenden Eltern nicht im Stich zu lassen. Dieser Gedanke kommt der ursprünglichen Absicht des Gebotes sehr nahe. Denn eine Rentenversicherung war im Alten Orient unbekannt und so waren Kinder für Eltern die einzige Möglichkeit, finanziell vorzusorgen. Der Rabbiner Marc Stern erklärt die Bedeutung des hebräischen Wortes „kabed“, das die deutschen Bibeln mit „ehren“ wiedergegeben, dann auch so: „‘Kabed‘ (…) heißt ursprünglich „schwer machen“, „Gewicht geben“ in dem wörtlichen Sinn von etwas in die Hand geben wie Lebensmittel oder Kleidung oder im übertragenen Sinn von Gewicht verleihen, Achtung und Respekt erweisen.“
In unserer finanziell relativ abgesicherten Gesellschaft spielt der wirtschaftliche Aspekt für die Beziehung zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern gegenwärtig keine allzu große Rolle. Aber es gibt auch eine andere Art von Altersarmut: Keiner möchte als vereinsamter Greis enden, der ein tristes und vergessenes Dasein in irgendeiner Ecke eines anonymen Altenheimes führt. Das fünfte Gebot will verhindern, dass es zu einem solchen Horrorszenario kommt. Deswegen fordert es die Generationen dazu auf, Verantwortung füreinander zu übernehmen und um ein gutes Miteinander bemüht zu sein.
Wie gestalten und schützen wir das Miteinander der Generationen?                      
Eine harte Liebe
Im Idealfall haben die Eltern in ihrer Erziehung bereits den Grundstein dafür gelegt, dass ein solches harmonisches Nebeneinander der Generationen möglich ist. Aus diesem Grund betonen viele Ausleger des fünften Gebotes heute die Verantwortung der Eltern ihren Kindern gegenüber: Wenn Eltern ihre Kinder in einer liebevollen Art und Weise erziehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Miteinander auch dann gelingt und von gegenseitigem Respekt getragen ist, wenn die Söhne und Töchter flügge und die Eltern älter werden. Schreiber weist außerdem darauf hin, dass Enkelkinder später mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst einmal ein positives Verhältnis zu ihren alten Eltern haben werden, wenn sie eine solche Atmosphäre zwischen Vater und Mutter und ihren Großeltern erlebt haben.
So sehr sich viele diese Vorstellung von einer intakten Großfamilie allerdings wünschen – der Weg dorthin ist meistens steinig. Stern schreibt deswegen zutreffend: „Das Gebot zeigt in seiner nüchternen Konkretheit: Liebe ist nicht sentimental, sondern hart.“ Wer das fünfte Gebot im Alltag umsetzen möchte, braucht deswegen die Bereitschaft, an der Beziehung zu den eigenen Eltern zu arbeiten, sie aufzuarbeiten und – wo nötig und möglich – Dinge, die schief gelaufen sind, auszusprechen und zu vergeben. In manchen Fällen wird dieser Prozess einseitig sein, weil sich Eltern oder Kinder nicht dazu in der Lage sehen oder schon gar nicht mehr leben. Manchmal müssen beide Seiten auch erst lernen, Grenzen zu setzen oder zu akzeptieren.
Ehre den Gebissträger und liebe das Zahnlückenkind
Vielleicht haben es Menschen in unserer stark individualisierten Gesellschaft noch einmal schwerer, diese Art von Liebe zu leben. Denn unser Denken ist stark davon geprägt, als Einzelner etwas zu leisten und erfolgreich zu sein. Wir wollen strahlende, gesunde und vitale Persönlichkeiten sein. Auch in unseren Beziehungen streben wir oft nach Perfektion und manchem fehlt eine gesunde Gelassenheit, die Schwächen und Unvollkommenheiten anderer Menschen aushalten zu können.
Diese Grundstimmung schlägt sich auch auf das Familienleben nieder: Wir möchten als Eltern möglichst perfekt sein, wünschen uns möglichst talentierte Kinder und Großeltern, die möglichst lange unabhängig von uns leben können. Dieser Wunsch ist verständlich, aber es muss Platz dafür bleiben, dass ich andere ehre, auch wenn sie diese Voraussetzungen nicht erfüllen oder meinen Erwartungen nicht gerecht werden.

Der würdevolle Umgang mit Menschen in ihrer Altersschwachheit ist deswegen auch ein Symbol für eine Gesellschaft, in der der Mensch schwach sein darf. Nicht weil Schwachheit an sich etwas Erstrebenswertes ist, sondern weil der Mensch für Gott unendlich wertvoll ist – trotz und in seiner Schwachheit und Unvollkommenheit. Aus diesem Grund erweitern manche Ausleger das fünfte Gebot auch auf den Umgang mit ungeborenem und behindertem Leben, sowie auf pränatale Diagnostik oder aktive Sterbehilfe.
Weil Familie gut tut
Letztlich profitieren nicht nur Großeltern, sondern auch Eltern und Kinder davon, wenn sich die Generationen mit Achtung und Liebe begegnen. Intuitiv erahnen wir außerdem, dass es der ganzen Gesellschaft gut tut, wenn Alt und Jung gut miteinander auskommen. Das gilt nicht nur für den kleinen Bereich der Kernfamilie, sondern auch darüber hinaus: Wenn die Nachbarin für die Kinder zur Ersatzomi wird, entlastet das die alleinerziehende Mutter auf unkomplizierte Art und Weise. Und dem jungen Geschäftsführer bringt es viel, wenn er auf die Lebensweisheit des Seniorchefs zurückgreifen kann. Fehlt ein entsprechendes Netzwerk zwischen Alt und Jung, wird das Leben für jeden einzelnen emotional kälter, umständlicher und teurer.
Der Nachsatz des fünften Gebotes motiviert deswegen dazu, sich auf diese „harte Liebe“ zwischen den Generationen einzulassen. Denn das Versprechen auf ein langes Leben im zugewiesenen Land macht klar, dass kein Gängelband daraus werden muss, wenn Kinder ihren Eltern mit Achtung und Fürsorge begegnen. Stattdessen öffnet sich ein Raum, in dem sich jeder einzelne als Persönlichkeit entfalten kann und in dem er gleichzeitig gehalten und getragen wird. Wo das gelingt – und sei es auch nur ansatzweise – entwickelt Familie eine überwiegend positive Dynamik und kommt dem nahe, was Gott sich vermutlich dabei gedacht hat, als er den Menschen in dieses enge Beziehungsgeflecht hineingestellt hat.
Wussten Sie schon, dass…? 
 
Persönlich nachgefragt 
Wo bringen Ihnen Ihre jüngeren oder schon erwachsenen Kinder, Nichten oder Neffen bereits Achtung entgegen, und wo würden Sie sich das noch mehr wünschen? Wo schaffen Sie es umgekehrt, Ihren Kindern – seien es eigene oder welche aus dem Bekanntenkreis – mit Liebe und Weisheit zu begegnen, und wo haben Sie in diesem Bereich Nachholbedarf?
Kritisch nachgehakt 
Wunsch und Wirklichkeit prallen oft hart aufeinander, wenn es darum geht, die alten Eltern zu pflegen und zu versorgen. Angehörige, die das zuhause bewerkstelligen, stehen oft enorm unter körperlicher und seelischer Anspannung

ERF – Die Zehn Gebote

      BONHOEFFERS PREDIGTENTWURF ZUM VIERTEN GEBOT EXODUS 20,12 (MITSCHRIFT)39

a.) Es hängt alles am ersten Gebot. Daß Gott allein der Herr ist, ist die erste Verheißung, der wir glauben sollen. Wir sind nicht Herr, er ist Herr. Daran erinnert Gott uns täglich, daß wir nicht Herren sind. Er setzt uns sichtbare Herren, denen wir uns zu beugen haben. Wir könnten meinen, wenn Gott der Herr ist, seien wir frei und brauchten uns um niemand zu kümmern. Gott verwehrt uns diesen Ausweg und setzt uns sichtbare Herren, daß wir erkennen, wir seien ganz und gar nicht Herren. Also entscheidend ist immer, daß Gott unser Herr ist, nicht etwa die Eltern. Durch sein ausdrückliches Wort und Gebot setzt er uns Vater und Mutter als Herren. [Daran]40 sind wir um des Wortes willen gebunden. Das Wort bindet, sonst nichts.
b.) Ehren ist etwas anderes als lieben; es ist umfassender und unbedingter. Ehren als den Anspruch, den Gott dir für [seine]41 Herrschaft gesetzt hat. Gott sollst du ehren in [ihnen]42. Erst Gott suchen. In den Eltern ist Erinnerung an Gott zu erkennen, auch in den unwürdigen Eltern. Gerade in ihnen wird gezeigt, daß Gott Herr sein will.
c.) Damit ist das Verhältnis von Eltern und Kind ausgezeichnet in besonderer Weise. Das Kind ist Gehorsam schuldig in allen Dingen. Das vergessen wir heute. Unsere Kinder lernen es heute, von ihren Eltern anders zu denken. Man sagt ihnen: sie seien die Hauptsache. Auf sie komme es an. Sie müßten die Eltern belehren. Gehorsam gehöre also in erster Linie der Jugendorganisation oder dem Staat.43 Viele Eltern buhlen heute um die Gunst ihrer Kinder und verlieren ihre Autorität, die sie von Gott her haben. Der Vater aber hat die Macht. Er kann sich auf das Wort44 berufen. Es ist nicht die erste Aufgabe der Eltern, die Kinder verstehen zu können, sondern in Liebe das Kind in den Gehorsam gegen die Eltern zu weisen. Vater und Mutter sind von Gott. Und sie sind ebenso wie das Kind an das Gebot Gottes gebunden.
d.) Das Gebot ist dem Volk Israel gegeben als dem Volk Gottes, als Volk und Kirche. Hier waren die Väter etwas Besonderes, die Träger des Wortes. An den Bestand dieser Ordnung ist der Bestand des Volkes Israel geknüpft, darum die Verheißung. Wo das Volk von den Vätern läßt, da verliert es die Verheißung Gottes und muß zerstreut werden. Damit ist von den Lehrern der Kirche und des Wortes die Rede. Ihnen gebührt der gleiche Gehorsam wie den leiblichen Vätern. Sie sind uns gesetzt zur Erinnerung daran, daß Gott der Herr sei. An ihrem Wort hängt der Bestand der Kirche. Die Lehre, die rechte Lehre, die Verkündigung des Wortes erhält den Raum der Kirche. Das Land, das uns Gott verheißen hat, ist die Kirche, die gegründet ist auf seinem wahren45 Wort hier und in Ewigkeit.
e.) Gottes Wort bindet uns an die leiblichen und geistlichen Väter. Gottes Wort aber macht uns allein auch recht frei und stellt uns in die Erfüllung46. Es geht um Gottes Wort allein und nicht um irgendwelche menschlichen Wahrheiten. Es steht in seiner Macht und in seinem Wort allein, uns von dem Gehorsam gegen unsere Väter zu entbinden. „Wer seinen Vater nicht haßt …“.47 In der Nachfolge des Herrn Christus sind wir so frei.48 In ihr erfüllt sich sein Wort. In der Nachfolge empfangen wir nach Christi eigener Verheißung alles, was wir hier verlassen haben: Väter, Mütter, Brüder, Schwestern … hier unter Verfolgung.49 Das ist das Land der Gemeinde: die Kirche. Darum: Gottes Wort allein bindet, Gottes Wort allein [ent]bindet uns, Gottes Wort allein erfüllt. Denn Er, Gott, Christus, der Vater und der Sohn ist allein unser Herr.

Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935−1937 – Bonhoeffer

Und EHRST DU deine Eltern?
Kann man eine Kirche wirklich christlich nennen, wenn man dort Kinder und Eltern trennt?