Frühlingsgefühle in der Bibel? – II

Vorüber ist die Winterzeit; der Regen ist vorbei.
Die Blumen zeigen sich auf Erden, und der Gesänge Zeit ist da. Der Turteltaube Ruf, der läßt in unserm Land sich hören.
Schon reifen an dem Feigenbaum die Früchte; Duft haucht die Rebenblüte aus. Auf, meine Freundin! Du, meine Schöne, komm!
Grünewald – übersetzt von Paul Riessler – Hoheslied 2,11–13

Dieses Jahr stimmt der Spruch nicht mit dem Wetter überein: hier ein Bild von wetteronline.de

Wie schon 2020 geschrieben: „Ein besonderer Blick auf dieses Eheband findest du auch bei J.Fischer, der einen „Crashkurs Leidenschaft“ über das Hohelied geschrieben hat.“

Das Thema der Intimität, die die Entfremdung überwindet, setzt sich fort, als die Frau an ihrem Aussehen zu zweifeln scheint (1,5-7). Diese Haltung ist das Gegenteil der unverhüllten Nacktheit von Adam und Eva im Garten (Gen 2,25).58 Israels König, der hier als guter59 Hirte dargestellt wird, überwindet die Ängste und Scham seiner Geliebten mit beruhigenden Komplimenten (Sg 1,8-11). Durch ihre zuversichtliche Antwort und ihren Jubel über den König (1,12-14) und durch ihre gegenseitige Bestätigung und Freude über die Gesundheit ihrer Beziehung erleben die Zuhörer des Liedes ihre „edeneske“ Freude (1,15-2,6). Dann scheint das Lied vom Vers in den Refrain überzugehen, denn die Töchter Jerusalems werden aufgefordert, die Liebe nicht zu schüren, bis es ihnen gefällt (2,7).

Die Entfremdung taucht in 2,8-15 wieder auf. Als die Braut den König sieht, der zu ihr kommt, sind sie durch eine Mauer, Fenster und Gitter getrennt (2:8-9). Um die Trennung zu überwinden, bittet der König um Intimität. Er fordert die Braut auf, aufzustehen und mit ihm auf die Hügel des Frühlings zu fliehen (2:10-13), damit er ihr Gesicht sehen und ihre Stimme hören kann (2:14), und er fordert, dass die verderblichen Elemente entfernt werden (2:15). Aus der Antwort der Braut in 2:16-17 geht hervor, dass die Trennung erfolgreich überwunden worden ist.

Moody Handbuch messianische Prophezeiungen – Studien und Darlegungen zum Messias im AT

Salomo, der Liebhaber, bat seine Freundin, mit ihm einen Spaziergang in die Umgegend zu unternehmen. Zu Beginn und am Ende seiner Einladung sagte er: Komm mit mir (V. 10.13 ; vgl. Hl 8,14 ). Die ausführliche Beschreibung des Frühlings sollte möglicherweise mehr sein als einfach eine Hervorhebung der Schönheit der Umgebung. Es ist wahrscheinlich, daß damit auch die Beziehung der beiden beschrieben werden sollte. In gewissem Sinne ähneln die Gefühle eines Menschen, der sich verliebt, dem Frühling, denn alles scheint frisch und neu zu sein. Man betrachtet die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Das war auch Salomos Empfinden, wenn er mit seiner Geliebten zusammen war. Mehrere Aussagen sprechen von der Schönheit des Frühlings: (1) Der Winter ist vergangen . Der Begriff für Winter ( s+=Taw ; dieses Wort wird im AT nur an dieser Stelle gebraucht) bezieht sich auf die düstere Jahreszeit von März bis April, wenn der „Spät“regen fällt. (2) Die Blumen kommen im Frühling hervor. Sie geben der Landschaft schöne Farben und bringen die Menschen dazu, vor Freude zu singen. (3) Die Tauben gurren und kündigen so die Ankunft des Frühlings an. (4) Die Feigenbäume bringen ihre ersten Früchte hervor (vgl. Nah 3,12 ). Die ersten Feigen waren entweder die Früchte, die vom vergangenen Sommer her noch unreif am Baum geblieben waren und nun zu Beginn des Frühlings reiften, oder es handelte sich um kleine eßbare Knospen, die im März herauskamen. (5) Die Rebstöcke blühen und verbreiten ihren Duft , noch bevor die Trauben wachsen. Der Begriff Duft kommt vom hebr. s+mADar her, ein Wort, das nur an dieser Stelle und im Hl 2,13 auftaucht. Der Frühling spricht also die Augen, das Gehör, den Geschmacks- und den Geruchssinn an.

Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

Für die Rabbinen war es selbstverständlich, das Hld, das Gott nie erwähnt, wenn es schon Teil der Bibel sein soll, allegorisch zu lesen. Die Bildsprache deuten sie aus der übrigen Bibel, die ja oft die Tora mit Wasser, Wein usw. vergleicht und den Bund Gottes mit Israel als Liebes- bzw. Eheverhältnis darstellt. Auch scheint das Hld selbst eine Historisierung nahezulegen, wenn es den Pharao, den Zug durch die Wüste in Säulen von Rauch usw. erwähnt. Das traditionelle Verständnis von Hld sieht im Geliebten Gott, im Mädchen das Volk Israel, und liest den ganzen Text immer systematischer als eine Geschichte der Beziehungen zwischen beiden. Schon der erste jüdische Text überhaupt, der sicher das Hld verwendet, nämlich mTaanit 4,8, bezeugt diesen Zugang: ‚„Kommt heraus und seht, Töchter Zions, König Salomo usw. am Tage seiner Hochzeit‘, nämlich der Verleihung der Tora, ‚und am Tag seiner Herzensfreude‘ (Hld 3,11), nämlich der Erbauung des Tempels“.
Spätere rabbinische Literatur entfaltet diesen Zugang immer mehr. Die Mekhilta verwendet das Hld v.a. in der Kommentierung von Ex 12–15 und 19f, also der Geschichte der Befreiung aus Ägypten bis zum Siegeslied am Schilfmeerund der Offenbarung am Sinai. Das sittlich einwandfreie Verhalten der Israeliten in Ägypten findet man in 4,12 („ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut“), das plötzliche Eintreffen der Errettung in 2,8f („Horch, mein Geliebter, er kommt, er hüpft … er steht hinter unserer Mauer“); der der Geliebten versprochene Schmuck (1,11) ist die Beute, die Israel in Ägypten bzw. am Meer macht; der Vergleich der Geliebten mit der Taube in den Felsenklüften (2,14) zeichnet die Situation des vom Heer Pharaosverfolgten Israel am Meer, das einer Taube zwischen Falke und Schlange gleicht. Der Preis Gottes im Siegeslied am Schilfmeer Ex 15,2 zieht eine ganze Reihe von Versen aus Hld an, v.a. die Beschreibung des Geliebten in 5,10–16. Auf diese Beschreibung hin möchten auch andere Völker sich Israel anschließen (6,1: „wir wollen mit euch kommen“), doch Israel antwortet mit 6,3: „Ich gehöre meinem Geliebten und mein Geliebter gehört mir“.
Ein Abschnitt aus HldRabba 2,23–25 kann den rabbinischen Zugang gut illustrieren: ‚„Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, so komm doch‘ (2,10) … ‚Steh auf‘, Tochter Abrahams; von ihm steht ja geschrieben: ‚Zieh weg aus deinem Land und aus deinem Vaterhaus‘ (Gen 12,1). ‚Meine Freundin, meine Schöne‘,Tochter Isaaks, der auf dem Alter mich zum Freund wählte und mich verherrlichte. ‚So komm doch‘, Tochter Jakobs, der auf seinen Vater und auf seine Mutter hörte; denn es heißt: ‚Und Jakob hörte auf seinen Vater und seine Mutter und begab sich nach Paddan-Aram‘ (Gen 28,7).
,Denn vorbei ist der Winter‘ (2,11). Das sind die vierhundert Jahre, die unseren Vätern in Ägypten auferlegt waren. ‚Verrauscht ist der Regen‘: das sind die 210 Jahre … ‚Auf der Erde erscheinen die Blumen‘ (2,12): Die ruhmreichen Männer erschienen auf der Erde. Wer sind sie? Mose und Aaron; denn es heißt: ‚Der Herr sprach zu Mose und Aaron im Lande Ägypten‘ (Ex 12,1). ‚Die Zeit zum Singen ist gekommen‘: Gekommen ist die Zeit, daß Israel erlöst werde … ‚Die Stimme der Turteltaube (tor) ist zu hören in unserem Land‘. Es sagte R. Jochanan: Die Stimme des guten Führers (tajjar) ist zu hören in unserem Land – das ist Mose –, als er sagte: ‚So spricht Jahwe: Um Mitternacht usw.‘ (Ex 11, 4)“.
Immer mehr Details aus der biblischen und nachbiblischen Geschichte Israels finden die rabbinischen Ausleger in diesem Text. Systematisiert wird das Verfahren im Targum zum Hld. Dieser deutet das Hld auf eine kontinuierliche Geschichte Israels vom Auszug aus Ägypten und der Wüstenwanderung bis zur Landnahme (Hld 1,1–3,6), schildert dann die Geschichte im Land bis zum Exil, dem Wiederaufbau des Tempels und der Erneuerung des Staates Israel in hasmonäischer Zeit (bis 7,1) und endet schließlich mit einem Ausblick auf die endzeitliche Erlösung.

Hermeneutik der Jüdischen Bibel

»Denn sieh, der Winter ist vergangen, der Regen ist vorbei, dahin ist er« (V. 11). Der »Winter« ist fast gleichbedeutend mit der »Regen«-Zeit. Deshalb stehen hier die beiden Begriffe parallel zueinander. Oft liest man, daß Palästina nur 2 Jahreszeiten habe, Sommer und »Winter«.104 Das ist aber nur bedingt richtig. Denn es gibt durchaus Über gangszeiten, die man als Frühling und Herbst bezeichnen kann. Der »Winter« im weiteren Sinne, d.h. die Zeit häufiger Regenfälle, erstreckt sich von Mitte Oktober bis Anfang Mai, umfaßt also über 6 Monate. Der »Winter« im engeren Sinne, unter Abrechnung der herbstlichen und frühlingsmäßigen Übergangszeit, beschränkt sich auf Dezember bis Februar, also auf ca. 3 Monate. Hermon und Libanon erhalten im Winter regelmäßig Schneec. Aber auch auf dem Golan und in Judäa schneit es öfters einmal (2Sam 23,20). Im Winter brauchte man gelegentlich da; (Holz-) Kohlenfeuer (Jer 36,22; Mk 14,67; Joh 18,25). Beim »Regen« unterscheidet man zwischen Früh- und Spätregen (5 Mo 11,14). Der Früh regen kommt normalerweise in der zweiten Oktoberhälfte, manchmal aber auch erst im Januar. Der Frühregen schafft die Voraussetzung für die Aussaat. Der Spätregen kommt im März oder April. Er sorgt dafür daß die junge Saat überlebt und reif werden kann. Man sagt, daß 14/15 der Niederschläge im Israelland zwischen Oktober und Mai fallen.105
Es kann kein Zweifel sein, daß in Hl 2,11 das Ende des Spät-»Regens« gemeint ist. Wir befinden uns also im Zeitraum März/April, etwa in Monat Nisan, in dem das Passafest liegt. Es ist jene Zeit, in der die Wüste blüht – unvergeßlich für den, der dies einmal im Israelland erlebt hat. Wie ein Jubelruf durchzieht das dreimalige »vorbei« den 11. Vers: »vergangen« (oder »vorübergegangen«, »verschwunden«, »hinüber«) – »vorbei« (oder »wo anders hingerückt«, »weggegangen«) – »dahin« (wörtlich: »für sich gegangen«). Aus und Vorbei! Dabei ist die sprachliche Formulierung wieder unglaublich intensiv: »Hinneh hasstaw awar, haggäschäm chalaph halach lo«.
Nun bricht das Neue auf: »Die Blumen sieht man im Lande, die Zeit des Singens ist gekommen, und die Stimme der Turteltaube läßt sich hören in unserm Lande« (V. 12). Pflanzen (»Blumen«), Menschen (»Singen«) und Tiere (»Turteltaube«) bilden hier einen fast paradiesischen Dreiklang. Der Mensch ist gerahmt von Pflanzen und Tieren und steht in der Mitte einer einheitlichen Schöpfung. Diese Schöpfungseinheit wird auch daran sichtbar, daß alle drei Bereiche der Schöpfung – Pflanzen, Menschen, Tiere – durch Sehen und Hören zugänglich sind. Wie gut paßt der Salomo von 1Kö 5,12f zu dieser Dichtung!
Es sind hier die zarten »Blumen« angesprochen.106 Denn das betreffende hebräische Wort bezeichnet sonst die Wein- oder Olivenblüte (1Mo 40,10; Hi 15,33; Jes 18,5). Auch die griechische Bibel übersetzt jedoch mit »Blumen«. »Man sieht sie (wörtlich: »sie werden gesehen«) im Lande«. Weit und breit entfaltet sich ihre Pracht.
Bei der Aussage »die Zeit des Singens ist gekommen« ist Vorsicht angemahnt. Denn ein und dieselbe hebräische Wortwurzel kann sowohl das Beschneiden der Reben als auch das Singen und Musizieren ausdrücken. Die griechische Bibel versteht den hebräischen Text als »beschneiden«. Das könnte auch ganz gut in den Zusammenhang passen. Aber: wir wissen es eben nicht mehr. Nur so viel ist deutlich: Es ist eine fröhliche »Zeit«. Der Mensch schickt sich im Gleichklang mit dem Wachsen draußen an, seine Ernte vorzubereiten.107

Wuppertaler Studienbibel

Bevor der Sprecher das neue Leben schildert, das der Frühling mit sich bringt, weist er darauf hin, dass der Winter, die Regenzeit, vorüber sei; darin ist impliziert, dass die junge Frau nun unbesorgt aus dem Haus gehen kann. Dabei hat der Winter nichts Negatives, im Gegenteil: Der Regen hat das neue Wachstum erst ermöglicht; trotzdem ist der Aufenthalt im Freien zur Regenzeit nicht so angenehm. In der nächtlichen Szene begehrt der Mann Einlass mit dem Hinweis auf die Feuchtigkeit der Nacht (5,2). Hier dagegen ermuntert er sie hinauszukommen und fügt hinzu, sie habe keine Nässe mehr zu fürchten.
»denn sieh da« – Hiermit setzt die Begründung ein, weshalb sie nunmehr aus dem Haus gehen könne (vgl. auch Jes 26,21; Jer 49,15; Ps 59,4; 83,3).
»der Winter« – Die Vokabel setaw ist hapax legomenon, aus dem Aramäischen entlehnt, und bedeutet Winter, Regenzeit. Onkelos verwendet sie Gen 8,22 als Äquivalent zu hebräisch choref (»Winter«), ebenso Targum Jonatan zu Jes 18,6.87
»ist vorüber« – wörtlich: »ist vorübergegangen« (ʿabar). Die Verbform steht hier in Parallele zu »ist vorbeigegangen« (chalaf) in V 11b (vgl. Jes 8,8; 24,5; Hab 1,11).
»der Regen« – spezifischer als die Erwähnung der Jahreszeit zuvor; die Witterungsverhältnisse waren ein Grund, nicht aus dem Haus zu gehen.
»ist ganz und gar vorbei« – wörtlich: »ist vorbeigegangen, ist gegangen« (chalaf; halach). Das Verb »gehen« zusätzlich zu den beiden Synonymen »vorübergehen« und »vorbeigehen« soll hier offenbar auf die vorangehende Aufforderung an die Geliebte »geh dir« zurückweisen (V 10); die Wiederholung desselben Verbs betont den Kontrast zwischen dem Gewesenen und dem für das Jetzt Erwünschten.

Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament

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