Geh hin, mein Volk, tritt ein in deine Gemächer und schließe deine Tür hinter dir zu; verbirg dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorübergehe!
Elberfelder 1871 – Jesaja 26,20
Geh, mein Volk,
komm in deine Kammern,
sperr deine Türen hinter dir zu,
versteck dich eine kleine Weile,
bis der Groll vorüberschritt.
Buber & Rosenzweig – Jesaja 26:20
Auf, mein Volk, geh in deine Gemächer, schließ deine Türen hinter dir, birg dich nur einen kurzen Augenblick, bis vorübergezogen der Grimm.
Die Philippson-Bibel – Jes 26,20

Vor vielen Jahren hätte ich tatsächlich geglaubt, dass Menschengruppen sich in „größeren Gemeindezentren“ treffen könnten, wenn Gottes Tag beginnt. Aber in der Zwischenzeit hat man sich ja von diesen „Gemeindezentren“ getrennt, und nun nutzen 4 oder mehr „Versammlungen“ einen „Saal“, so dass „der Traum man würde sich dort treffen würde“ bedeuten würde, dass 400 und mehr Menschen sich ein einen Raum treffen würden, der für 80 bis 100 Personen ausgelegt ist 😉
Aber schauen wir uns an, was die Worte bedeuten:
Jesaja schreibt, daß sich der zukünftige Überrest während der Drangsal (Gottes Zorn in der großen Trübsal) verstecken soll, weil die Befreiung durch den Herrn ganz sicher kommen wird. Der Herr wird letztlich alles zurechtrücken, indem er die Menschen für ihre Sünden bestraft. Alle Sünden werden bekannt werden ( die Erde wird das Blut offenbaren, das auf ihr vergossen wurde ), ob sie nun im geheimen oder in der Öffentlichkeit begangen wurden. Diese Worte sollen die Gläubigen in den Tagen Jesajas ermutigen, dem Herrn treu zu bleiben, weil sie wissen, daß er kommen wird, um die Sünde zu richten. Nachdem dieses Gericht eingetreten ist, werden die Gläubigen das Lied singen können, das in Kapitel 26 enthalten ist.
Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar
Das vorangehende Lied war ein ergreifender Rückblick in das Völkerexil, in dem die Galuthgemeinde die ganze Schmach eines heimatlosen und entrechteten Volkes zu durchkosten hatte. Aber auch diese dunkelste Nacht israelitischer Geschichte war nicht ohne das jeweilige Eingreifen Gottes. Die Exilgemeinde war nicht restlos der Spielball der Völkerwelt, nicht ohne göttliche Zulassung dem Druck der Weltmonarchien [362] ausgeliefert. Gott wachte über das Maß der Leiden und über die Zeit des Galuths. Er in seinem souveränen Handeln konnte das Weltgeschehen so gestalten, dass Israels Isolierung zu jener „Kammer“ ward, durch die das Volk im Völkersturm gerettet wurde.
Jakob Kroeker – Das lebendige Wort
„Geh, mein Volk, gehe ein in deine Kammern und verschließe deine Türe hinter dir, verbirg dich einen kurzen Augenblick, bis der Zorn vorüber sein wird!“
Denn unter den Weltmonarchien, die Israel gefangen halten, bereitet sich etwas Entsetzliches vor. Sie haben im Ende der Geschichte Israel- Juda nicht die Erkenntnis gewonnen, welch ein Endgericht auch ihren Monarchien und Weltreichen drohte. Sie bezwangen Völker, schufen Kulturen, geizten um Ruhm, entrechteten Bürger, lebten dem Diesseits, ahnten aber nicht, dass auch ihre Geschichte zu einem Drama wird.
„Denn siehe da, Jahve, – Er tritt aus seiner Stätte hervor, um die Sünde der Erdbevölkerung an ihr zu ahnden, und es deckt die Erde ihre Blutschuld auf, und verdeckt nicht mehr ihre Gemordeten.“
Je mehr Israel als „Gottes Volk“ sich mit seinem Leben an den großen Fragen der Weltmonarchien beteiligen wird, desto schwerer wird es auch in deren Katastrophen mit hineingezogen werden. Denn die große Abrechnung der Gerechtigkeit kommt auch für die einzelnen Weltvölker.
Will Israel in dieser Abrechnung nicht völlig mit zugrunde gehen, dann bleibe es in seiner Isolierung. Sie wird im Weltensturm weit mehr Rettung als Verlust sein. Wahrlich, ein Wort, das auch die Kirche Christi weit mehr zu ihrem Heil als Leitgedanken für ihr Exil im Völkerleben hätte erfassen sollen! Ihre Fremdlingsschaft wäre ihr je und je zur Arche geworden, durch die sie über die brausenden Fluten und Wogen der Völkergerichte in ein durchs Gericht gereinigtes Zeitalter wäre getragen worden.
V 20. Seit jeher haben Kommentatoren darauf hingewiesen, dass der Aufruf von V 20 die Bitte von V 2 wieder aufnimmt. Der Bitte, als »gerechte Nation« die Stadt von Heil und Frieden betreten zu dürfen, entspricht die Garantie, dass sich die Adressaten des Zuspruchs dort so lange verstecken können, wie sich Gottes »Wut« gegen die Feinde richtet (Hauge, City 1988, 20 ff.). Somit steht diese Stadt »der emporragenden Ortschaft« gegenüber, die nun verwüstet daliegt (V 5–6), »der Ortschaft der Ödnis«, deren Tore und Häuser keinerlei Schutz bieten (24,10–12). In der Stadt der Gerechtigkeit entkommt man dem Strafgericht über die Blutschuld der Erde (V 21).
Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament
Die Aufforderung »verbirg dich … bis die Wut vorübergeht« ist eine Metapher für die Garantie, dass das Strafgericht die Angesprochenen nicht treffen wird, da sie, »die gerechte Nation«, die Sicherheit in JHWHs Stadt genießen (V 1–2). Die Metapher hilft, zwischen denen, die sehr wohl, und denen, die nicht dem Strafgericht unterstehen, zu unterscheiden. Zwei Urgeschichten dienen hier als Paradigma. Noach, der Gerechte, zieht sich auf Gottes Befehl in die Arche zurück, um der großen Flut zu entkommen (Gen 7,7–16). In Ägypten sondern sich, wiederum auf einen Befehl Gottes hin, die Hebräer in ihren Häusern ab, die mit dem Blut des Paschalammes gekennzeichnet sind, so dass der Todesengel an ihnen vorüberzieht (Ex 12,21–28; vgl. das Motiv des Sich-Verbergens in Jes 2,8–10; Zef 2,1–3; Polaski, Authorizing 2001, 232). Jedoch betrifft hier die Differenzierung nicht Israel und ein Volk fremder Herrscher, sondern bezieht sich auf den Unterschied zwischen denen, die für Friede und Gerechtigkeit auf JHWH vertrauen (V 2–9) und denen, die »die Hoheit JHWHs« nicht anerkennen (V 10–11).
Die Angabe »ein kleiner Augenblick« (כמעט־רגע) passt zum komplizierten Zeiterleben dieses Kapitels. Es setzte mit der unbestimmten Zeitperspektive »an jenem Tage« ein, die den gesamten Komplex der Kap. 24–27 dominiert (24, 21; 25, 9; 26, 1; 27, 1.2.6.12). Die Spannung, die dem Heil insofern innewohnt, als es zwar in der prophetischen Verkündigung feststeht, jedoch in der Wirklichkeit noch aussteht, kam in den Verbformen (qatal vs. jiqtol) zum Ausdruck. Da »ein Augenblick« eine zweifache Bedeutung hat, und zwar sowohl eine »kurze Dauer« (Ex 33, 5; Num 16, 21; 17, 10; Jes 54,7–8; 8 Ps 30, 6; 73, 19; Ijob 20, 5; Klgl 4, 6; Esra 9, 8) als auch »plötzlich« (Jes 47, 9; Jer 4, 20; Ps 6, 11; Ijob 34, 20), gibt der Vers keine Antwort auf die Frage, wann das Urteil einsetzen wird, sondern sagt lediglich aus, dass es für die Betroffenen nicht mehr lange dauern wird.
Aber die ergänzende Aussage »bis die Wut vorübergeht« hebt das Problem des »Wann?« auf eine theologische Ebene. »Die Wut« ist, vor allem in prophetischen Texten, ein Ausdruck für JHWHs strafendes Urteil (זעם: Jes 10, 5.25; 13, 5; 30, 27; 66, 14; Jer 15, 17; 50, 25; Ez 21, 36; 22, 24.31; Nah 1, 5; Hab 3, 12; Zef 3, 8; Sach 1, 12; Mal 1, 4; Ps 38, 4; 69, 25; 78, 49; 102, 11; Klgl 2, 6; Dan 8, 19; 11, 36). Der Name JHWH als Subjekt dieser Wut tritt erst im nachfolgenden Vers zutage, jedoch kennzeichnet das begleitende Verb dieses strafende Vorgehen bereits jetzt als Manifestation JHWHs. »Vorübergehen« (עבר) meint im Zusammenhang mit Theophanien, dass JHWH sowohl über sein eigentliches Erscheinen Menschen gegenüber als auch über das Wo und Wann seines Auftretens souverän entscheidet (vgl. Gen 18, 3.5; Ex 33,19; 34, 6; Ez 16, 6.8; Hos 10, 11; 1 Kön 19, 11; ThWAT V 1028f. [H. F. Fuhs]).
Israels Zuflucht in der Trübsal – Jesaja 26,20-21
Arnold Fruchtenbaum – Die kleine Apokalypse des Jesaja
Der erste Punkt ist eine Zusammenfassung von Israels Zuflucht während der Großen Trübsal. In Vers 20 ergeht ein Aufruf an Israel: „Kommt, mein Volk, geht in eure Kammern und schließt eure Türen zu; verbirgt euch für einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorüber ist.
Die Aufforderung ist, sich zu verstecken, bis die Empörung vorüber ist. Der Begriff der Empörung ist einer der vielen alttestamentlichen Namen für die Trübsal. Der gläubige jüdische Überrest wird aufgefordert, sich zu verstecken, bis die Empörung vorüber ist. Dies wird auch in Matthäus 24:15-16 gesehen, als das jüdische Volk auf die Berge flieht und in Offenbarung 12:6, 12-13, als das jüdische Volk in die Wüste flieht. In Micha 2,12 ist der spezifische Ort, wohin der jüdische Überrest flieht, die Stadt Bozrah, die besser unter ihrem modernen Namen Petra bekannt ist.
Der Zweck des Zorns, vor dem sie sich verstecken sollen, wird in Vers 21 dargelegt: „Denn siehe, Jehova geht aus seiner Stätte hervor, um die Bewohner der Erde um ihrer Missetat willen zu strafen; auch die Erde wird ihr Blut offenbaren und wird ihre Erschlagenen nicht mehr bedecken.
Der Zweck der Entrüstung ist es, die Bewohner der Erde für ihre Sünde zu bestrafen; die Erde wird sich weigern, ihr Blut aufzusaugen. Das Blut wird als ständiger, sichtbarer Beweis für die Schlechtigkeit der Menschen dienen. Für ihre Schlechtigkeit wird die Empörung sie bestrafen. Israel soll sich verstecken, bis die Empörung, die Trübsal, ihren Lauf genommen hat. Ein Drittel des jüdischen Volkes, das zu dieser Zeit noch lebt, wird genau das tun. Sobald die Bewohner der Erde ausreichend für ihre Sünden bestraft worden sind, wird Gott sich dann seinem Volk im Verborgenen zuwenden. Diese Hinwendung wird zu Israels nationaler Wiedergeburt führen.
Aber noch ist es nicht soweit. Noch hat Israel unter dem Gericht zu verharren. Bevor Jesaja einmal sagen wird: »Geht heraus aus Babel!« (48, 20), muß er sie »verwahren« unter dem noch nicht zu Ende gekommenen Gericht. Denn immer noch gilt 8, 16f! Jesaja hat mit der Gemeinde das kommende Heil liturgisch schon »eingeübt«, aber es ist noch nicht geschichtliche Wirklichkeit geworden. Darum muß er jetzt noch sagen: Geh hinein, mein Volk, in deine Kammern. Man kann hier an Noah denken, der in der Arche sich vor dem Zorn Gottes verbarg, ebenso an das Volk Israel, das sich vor dem Würgeengel verbarg, indem es die Haustür mit Blut bestrich. Unter dem Gesichtspunkt des großen Planes Gottes mit seinem Volk ist das, was jetzt noch an Gericht geschieht, ein Augenblick, der noch vom Zorn geprägt ist. »Die menschliche Zeitdauer dieser Bergungen ist sehr verschieden; bei Noah handelt es sich um Tage und Wochen, ja um Monate, bei Israel in Ägypten nur um eine Nacht. Unser Prophet kennt und nennt keine Termine menschlicher Zeitrechnung für das Ende der Zorngerichte Gottes« (Kessler). Es kommt der Tag des abschließenden Weltgerichts, da Jahwe ausgehen wird von seinem Ort. Es ist nicht gemeint, daß Gott sich an einem bestimmten »Ort« aufhält, sondern es soll nur sinnbildlich der Aufbruch Gottes mit kräftigen Farben geschildert werden. Der Tag des Gerichts – darin ist er so niederschmetternd für alle – zeichnet sich dadurch aus, daß die Erde, die eben erst angewiesen wurde, die Schattenexistenzen des Volkes Gottes freizugeben, enthüllen muß, was auf ihr vollbracht worden ist. Wenn Gott abschließend zur Rechenschaft ruft, dann kann man Unrecht nicht länger verbergen, aber ebenfalls auch nicht die, die auf ihr getötet worden sind. Inhaltlich wird also das gleiche wie im letzten Satz von V. 19 gesagt. Doch auch hier wird noch nicht alles gesagt: andere biblische Schriften sagen hier mehr. So schreitet das Wort Gottes in der Offenbarung der Wahrheit von Punkt zu Punkt voran.
Wuppertaler Studienbibel
Schließlich folgt die Antwort Gottes auf das Lied Judas. Er fordert Sein Volk auf, sich einen Augenblick zu verbergen, bis Sein Zorn vorüber ist (Vers 20). So musste Noah in der Arche Schutz suchen, und so mussten die Israeliten in der Passahnacht in ihren Häusern weilen, während Gottes Gericht die Welt um sie her traf (1. Mo 7,1; 2. Mo 12,22). „Denn, siehe, der HERR tritt hervor aus seiner Stätte, um die Ungerechtigkeit der Bewohner der Erde an ihnen heimzusuchen“ (Vers 21). Wenn die Drangsale Jakobs vorüber sind, kommt der Augenblick, wo der Herr Jesus in Herrlichkeit erscheinen und alle Seine Feinde auf der Erde bestrafen wird, und zwar nicht nur durch die Niederschlagung jedes Wider Standes, sondern auch im Gericht, wenn Er auf dem Thron Seiner Herrlichkeit sitzen wird und alle Nationen der Erde vor Ihm versammelt sein werden (Off 19,11ff.; Mt 25,31ff.). Alles, auch das unschuldig vergossene Blut der Ermordeten, insbesondere der Märtyrer der Drangsalszeit, kommt ans Licht, nichts bleibt verborgen, und jeder Schuldige wird bestraft. Dieses „Gericht der Lebendigen“ steht am Anfang der tausendjährigen Herrschaft in Gerechtigkeit und Frieden.
Remmers – Der HERR ist Rettung: Eine Auslegung zum Propheten Jesaja
Die letzten beiden Verse von Kapitel 26 haben ein prophetisches Wort der Ermutigung für „mein Volk“. Die Bilder erinnern wieder an den Bund mit Noah. Der Befehl lautet, „in eure Kammern zu gehen“, „eure Türen hinter euch zu schließen“ (1. Mose 7,16) und euch „für eine kurze Zeit“ zu verstecken, bis der Zorn vorbei ist. Wieder wird die Gewissheit gegeben, dass Gott tatsächlich kommen wird, um die Welt für ihre Ungerechtigkeit mit ihren schrecklichen Folgen zu bestrafen. Als die frühe Kirche auf die Verheißung Jesu „Ich komme bald“ mit der Bestätigung „Amen, komm bald, Herr Jesus“ (Offb 22,20) reagierte, teilte sie die gleiche Haltung wie die Heiligen des Alten Testaments, indem sie in Erwartung zwischen Verheißung und Erfüllung lebte.
The Old Testament Library
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