Freiheit oder Joch

Für die (O. In der) Freiheit hat Christus uns freigemacht; stehet nun fest und lasset euch nicht wiederum unter einem Joche der Knechtschaft (O. Sklaverei) halten.
Siehe, ich, Paulus, sage euch, daß wenn ihr beschnitten werdet, Christus euch nichts nützen wird. Ich bezeuge aber wiederum jedem Menschen, der beschnitten wird, daß er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.
Elberfelder 1871 – Galater 5,1–3

Bewahrt die Freiheit, die Christus euch schenkt!
Durch Christus sind wir frei geworden, damit wir als Befreite leben. Jetzt kommt es darauf an, dass ihr euch nicht wieder vom Gesetz versklaven lasst. Ich, Paulus, sage euch deshalb in aller Deutlichkeit: Wenn ihr euch beschneiden lasst, wird alles nutzlos sein, was Christus für euch getan hat.  Und noch einmal erkläre ich jedem Einzelnen von euch: Wer sich beschneiden lässt, der muss das ganze Gesetz mit allen seinen Forderungen befolgen.  Wenn ihr aber durch das Gesetz vor Gott bestehen wollt, dann habt ihr euch von Christus losgesagt und Gottes Gnade verspielt.
Hoffnung für Alle – Galater 5,1–4

Freiheit? Zuallerst muss ich dann an das „berühmte Zitat“ von Rosa Luxenburg denken: „Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden“ – und gerade diese Art Freiheit wollen viele „Christen“ heute in die Worte des Paulus hineinfühlen. Doch was meinte Paulus mit der Freiheit, die wir durch Christus haben?

In diesem Vers werden zunächst die Ausführungen von Kapitel 4 – der Gegensatz zwischen Knechtschaft und Freiheit – nochmals zusammengefaßt. Zugleich dient er als Einleitung für Kapitel 5. Paulus macht deutlich, daß Christus der große Befreier war, der die Christen aus der Knechtschaft befreit hat. Er fordert die Galater auf, in dieser Freiheit fest zu stehen (vgl. 1Kor 16,13; Phil 1,27;4,1; 1Thes 3,8; 2Thes 2,15), denn nach ihrerErlösung aus der Knechtschaft des Heidentums sind sie in Gefahr, sich unter die Knechtschaft des mosaischen Gesetzes zu begeben.

Im folgenden geht Paulus auf eines der entscheidenden Merkmale dieser Knechtschaft, die Beschneidung, ein und erteilt denjenigen Galatern, die sich dieser Vorschrift unterwarfen, einen strengen Verweis. Wenn sie sich beschneiden lassen und damit versuchen, durch Werke Rechtfertigung zu erlangen, so wird ihnen nach den Worten des Paulus Christus nichts nützen. Der Apostel verurteilt also nicht die Beschneidung an sich – er selbst hatte Timotheus (in Galatien) beschneiden lassen, damit er auch unter Juden missionieren konnte (Apg 16,1-3) -, sondern erhebt lediglich Einspruch gegen eine judaistische Theologie, die darauf beharrt, daß die Beschneidung heilsnotwendig sei. Jeder, der sich aus diesem Grund beschneiden läßt, fügt dem Glauben Werke hinzu und beweist damit, daß er den rettenden Glauben an Christus nicht besitzt.

Doch die Hinwendung zum Gesetz hebt nicht nur die Gnade auf, sondern schafft zusätzlich noch ein Netz ganz neuer Verpflichtungen: Wer ein Gebot hält, ist gezwungen, das ganze Gesetz zu tun. Das Gesetz ist eine Einheit, und wenn ein Mensch sich zu seiner Rechtfertigung einem Teil des Gesetzes unterwirft, ist er ein „Schuldner“ des ganzen Kodex mit allen seinen Forderungen und Strafen (vgl. Gal 3,10; Jak 2,10).

Die Annahme des Gesetzes und die Vorstellung, die Beschneidung sei ein religiöses Verdienst, hat noch weitere schreckliche Implikationen, die sich die Galater vor Augen halten müssen. Jeder, der durch das Gesetz gerecht werden will, hat Christus verloren (katErgEthEte, d. h., das Werk Christi hat keine Bedeutung mehr für ihn). Außerdem ist er nach den Worten des Apostels aus der Gnade gefallen. Es geht dabei nicht um den Verlust der Rettung, denn die „Gnade“ ist nicht selbst die Rettung, sondern ein Weg, sie zu erlangen (vgl. Gal 2,21 ,wo der Weg „des Gesetzes“ als untauglich, zu Christus zu kommen, abgelehnt wird). Wenn die Galater die Beschneidung als heilsnotwendig anerkennen, verlassen sie das System der Gnade und stellen sich unter das System des mosaischen Gesetzes. Denselben Fehler begeht ein Gläubiger auch heute, wenn er aus einer Kirche austritt, die lehrt, daß die Rettung durch die Gnade, allein aus Glauben, zustandekommt, und sich einer christlichen Gemeinschaft anschließt, die lehrt, daß die Rettung von Buße, Bekenntnis, Glaube, Taufe und Kirchenmitgliedschaft abhängig ist.

Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar


Vier Kapitel lang hat Paulus in immer neuen Anläufen das harte Entweder-Oder von Gesetzesfrömmigkeit und Gerechtigkeit aus Glauben entfaltet; nun fasst er alles in einem klaren Anruf zusammen. Keine theoretischen Gedankengänge, keine lebensferne Dogmatik, sondern die konkrete Lage der Galater in ihrer Verwirrung erfordert diese grundsätzlichen Klärungen. Dabei wird richtige christliche Lehre vorgestellt, sie geschieht auf Grund der Heiligen Schrift, auf einem tiefen Fundament der Erkenntnis des Willens Gottes. Paulus lässt sich im Galaterbrief viel Zeit, um dieses Fundament zu legen, so dass es allen Erschütterungen standhält, dann aber wird das Haus darauf gebaut und das heißt, die ganz konkrete Situation geklärt. Das sind keine kurzatmigen Ratschläge oder Denkhilfen, sondern in der Heilsgeschichte Gottes und dem Weg der Gemeinde festgemachte, vorgestellte und erprobte Leitlinien. Darin liegt das Gewicht der nun folgenden Mahnungen. Sie sind keine oberflächlichen Willensappelle, die nur wenig nützen. Sie sind Rufe zurück zum Fundament, sie sind damit letztlich Einladungen und Angebote, in die Segenslinie wieder einzutreten.

7.1. Ohne die Beschneidung (Gal 5,1-6)
Gal 5,1:

»Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So stehet nun fest und lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen!«

»Zur Freiheit hat uns Christus befreit!« – das ist der Überschriftssatz über jede weitere Mahnung, das ist aber auch die Zusammenfassung alles bisher Dargelegten. Die »Freiheit«, die Paulus hier benennt, ist damit zunächst die Freiheit vom Gesetz. Wer in Christus ist, sein Jünger geworden ist, der lebt nicht mehr unter dem Gesetz – unter dem fordernden und vernichtenden Gesetz der Vergeltung -, er lebt nun in der Vergebung. »Christus hat uns befreit«, kein anderer konnte das tun. Er hat die »Mächte« (vgl. Gal 4,3-9) besiegt. Sünde, Satan und Tod haben kein Anrecht mehr an den Kindern Gottes. Jesus hat sie freigekauft. »Steht nun fest«, solche Freiheit muss und kann festgehalten werden und das geschieht eben so, dass wir uns auf diese »objektive« Heilstatsache stellen, auf die Erlösung, die am Kreuz Jesu Christi geschehen ist.

Die Irrlehrer wollen den Galatern diesen festen Stand nehmen. Paulus sagt ganz hart: sie wollen euch „wieder in das knechtische Joch fangen«. Das »Joch«, das Holz, unter das die Zugtiere ihre Nacken beugen müssen, in das sie zur Arbeit eingespannt werden, um ihren eigenen Willen zu brechen, ist ein Bild für Sklaverei. Wer unter dem Joch geht, kann nicht mehr selbst bestimmen, er hat den Forderungen und Anweisungen eines anderen bedingungslos zu gehorchen. In solche Abhängigkeit aber sollen sich die Galater nicht mehr hineinzwingen, wörtlich: »nicht mehr festhalten« lassen. Sie sind schon ein Stück weit vom Stand der Freiheit abgewichen, sind im Begriff, sich unter das Joch des Gesetzes zu beugen und in die Sklaverei der Eigengerechtigkeit zu verfallen. Als äußeres Zeichen der Gesetzesfrömmigkeit gilt aber die Beschneidung. Noch ist Warnung und Rückruf möglich, – offensichtlich sind die Galater noch nicht endgültig entschieden.

Gal 5,2-3:

»(2) Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasset, so wird euch Christus nichts nützen. (3) Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.«

Mit seiner ganzen Autorität setzt sich Paulus ein. Seine ganze Person und sein ihm von Christus verliehenes Amt stehen hinter der folgenden Aussage. Er beginnt deshalb diesen Satz, wie eine rechtsgültige Urkunde beginnt, etwa ein kaiserlicher Erlass. »Ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasset, so wird euch Christus nichts nützen.« Das ist eine grundsätzliche Feststellung, das Entweder-Oder tritt ganz klar hervor. Die Beschneidung, die Entfernung der Vorhaut des männlichen Gliedes, ist Bundeszeichen für Israel und schon dem Abraham von Gott befohlen (vgl. 1 Mose 17,9-14). Medizinische oder sanitäre Gedanken mögen geltend gemacht werden, doch sie sind nicht entscheidend. Die Beschneidung kennzeichnet das Volk Israel als Eigentum Gottes. Für sich gesehen hat die Beschneidung also keinen Sinn und gewiss keine Heilsbedeutung, sondern nur, wie das ganze Gesetz, als Kennzeichen der Verbindung mit Gott. Israel hat aber, wie das Gesetz, so auch die Beschneidung abgelöst, ja sogar unter Bruch des Bundes mit Gott, verselbstständigt und zur notwendigen Heilsbedingung gemacht. Äußerliche Zeichen und Verhaltensweisen sollen die Sünde verdecken, sollen übertünchen, dass Israel seinem Gott ungehorsam geworden ist und seinen Bund treulos verlassen hat. So kann die »Beschneidung« geradezu zum negativen Zeichen des Selbstgerechten werden.

Es nützt den Galatern nichts, wenn sie sich beschneiden lassen. Durch äußere Zeichen wird kein Mensch gerecht. Christus nützt ihnen dann sogar nichts. Sie leugnen damit seine Befreiungstat. Diese wird dadurch nicht ungeschehen gemacht, aber sie hat für die Galater dann keinerlei Sinn und Nutzen mehr; das griechische Wort für »nützen« kann auch mit »Hilfe bringen« oder »heilsam sein« wiedergegeben werden. Christus kann den Galatern nicht zum Heil helfen, wenn sie sich wieder den anderen Mächten unterjochen und von ihnen Hilfe und Heil erwarten. Er drängt sich niemandem auf; er wartet auf den Ruf des Bedürftigen.

Nicht nur Ablehnung der Hilfe Jesu Christi bedeutet die Beschneidung, sondern eine vollständige Auslieferung des Beschnittenen an die Macht des Gesetzes. Er wird »schuldig«, das ganze Gesetz zu tun. Mit der Beschneidung tritt er in den Machtbereich des Gesetzes und untersteht damit vollständig allen Forderungen des Gesetzes. Er kann nicht ein Gebot halten und ein anderes verwerfen; die Gebote gelten in ihrer Gesamtheit, das »bezeugt« ihnen der Apostel mit ganzem Ernst. Wenn die Galater die Beschneidung als heilsnotwendig annehmen, dann betreten sie damit den alten Weg des Gesetzes, auf dem eine Forderung die andere nach sich zieht. Dan kann man nicht einfach abbrechen, sondern muss den ganzen Weg zu Ende gehen. Damit ist aber die Freiheit des vertrauenden Glaubens verloren.

Gerhardt Maier – Edition C

Freiheit vom Gesetz und doch Gottes Gebote haltend – scheint ein Widerspruch zu werden. Aber wer die Worte von Paulus im Zusammenhang liest, stellt fest, dass bestimmte Feste und Feiertage, Handlungen und Riten – nur um ein Gesetz zu befolgen eben nicht richtig wäre, bzw uns vom heiligen Geist abschneiden würde. Dagegen uns von heiligen Geist leiten zu lassen und deshalb etwas zu Gottes Ehre zu tun, wäre die Freiheit, zu der uns Christus berufen hat.

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