Wer ist ein Gott (El) wie du, der die Ungerechtigkeit (O. Missetat, Schuld) vergibt, und die Übertretung des Überrestes seines Erbteils übersieht (Eig hinweggeht über?) Er behält seinen Zorn nicht auf immer, denn er hat Gefallen an Güte.
Elberfelder 1871 – Micha 7,18
Wer ist Gottheit wie du,
Verfehlung tragend,
hinwegschreitend über Abtrünnigkeit
dem Rest seines Eigentums!
der nicht auf ewig festhält seinen Zorn,
denn es verlangt ihn nach Huld!
Buber & Rosenzweig – Mi 7,18
Welcher Gott ist wie du, (ein Gott, der) Vergehen wegnimmt und Gottlosigkeit übergeht bei den Übriggebliebenen seines Erbbesitzes. Er hielt nicht fest zum Zeugnis seinen Zorn, weil er Gefallen hat an Erbarmen.
Septuaginta Deutsch – Mi 7:18
Wo gibt es einen Gott, der so drauf ist wie du? Wer vergibt seinen Leuten ihren Mist? Welcher Gott verzeiht den Mist, den seine Leute gebaut haben? Gott wird nicht ewig sauer sein, denn es macht ihm Spaß, seine Leute zu lieben.
VolxBibel – Micha 7:18
Gottes treue Liebe zu Israel wird ihn bewegen, seinem Volk die Sünden zu vergeben und die Schuld zu erlassen, wenn er sich ihm in großem Erbarmen wieder zuwendet (Vers 18-19). Er wird dies aufgrund des mit Abraham geschlossenen Bundes (Vers 20) und dessen Erweiterung unter dem Aspekt der Errettung im Neuen Bund tun.
Arnold Fruchtenbaum – Handbuch der biblischen Prophetie
Dieser Abschnitt bildet nicht nur den Höhepunkt des Kapitels, sondern des ganzen Micha-Buches. Die meisten Prophetenbücher enden mit einer positiven Note, selbst wenn ihr Abschluß nicht unbedingt auch chronologisch gesehen an das Ende gehört.
Wuppertaler Studienbibel
Die diesen Höhepunkt einleitende Frage Wer ist ein Gott wie du? birgt den Namen des Propheten in sich und ruft die Thematik der Unvergleichbarkeit Gottes in Erinnerung, wie sie uns wiederum aus dem Psalter bekannt ist (Ps 89,9)a.
Nach den vorangehenden Versen (V. 16f) erwartet man einen Lobgesang zu Ehren der Macht und »Wundertaten« Gottes, ähnlich wie im Lied des Mose (2Mo 15,11). Nun geht es aber in dieser Lobrede eher um die Güte oder Gnade (chäsäd, V. 18.20; vgl. V. 2 und zu 6,8) Gottes, d.h. um das den alttestamentlichen Gott bestimmt am besten charakterisierende Merkmal. Warum unterstreicht Micha gerade dieses besondere Kennzeichen Jahwes? Ohne Frage, weil Gottes chäsäd die einzige Grundlage für die Vergebung von Schuld, Übertretung und Sünde darstellt. Diese drei synonymen Begriffe sind die wichtigsten des Alten Testaments, um die menschliche Verletzung der Gebote Gottes zu beschreiben. Eine nähere Untersuchung ist angebracht.
Der erste Ausdruck die Schuld vergeben (V. 18a) findet seine beste Illustration im berühmten Sündenbock, der, symbolisch und stellvertretend mit den Sünden des Volkes Israel beladen, vom Priester am Versöhnungstage in die Wüste geschickt wird. Die Schuld wird (w.) »weggetragen« (3Mo 16,22).33 Das tut übrigens auch der »Knecht Jahwes« mit der Sünde, und zwar »für viele« (Jes 53,12e).
Der zweite Begriff Übertretung ist der schwerwiegendste der drei und spielt auf die Rebellion gegen Gott an. Micha hat ihn schon mehrere Male benutzt.f.34 Wenn Gott Übertretung verzeiht (w.), geradezu »über das Vergehen hinwegschreitet«, dann nicht, weil die Vergebung nun mal »sein Metier« wäre. Hier wird, was wir zu V. 14f sagten, bestätigt: Der Prophet dankt Gott für die Verkürzung einer wohlverdienten Zeit der Bestrafung. Deshalb beteuert er vertrauensvoll die begrenzte Dauer des Zornes Gottes (V. 18b) – seine Gnade hingegen währt ewiglich (Ps 136). Sie ist ja die Basis der Vergebung der Sünden, und wir, wir sündigen doch immer! Es gibt sehr wohl den Zorn Gottes über unsere Sünden, aber er dauert nur solange, bis wir sie bekennen und sie aufrichtig bereuen (Ps 51,19). Diejenigen, die sich aufgrund einer Heimsuchung demütigen und korrigieren lassen, begnadigt Gott, denn er hat Gefallen an Gnade (V. 18d).
Unser Text gibt in V. 18b noch genauer an, wer in den Genuß seiner Gnade kommen wird, nämlich der Überrest seines Erbteils. Sowohl aus geschichtlichen als auch aus theologischen Gründen ist dieser Hinweis nicht ohne Bedeutung. Wir haben schon gesehen, was zur Zeit Michas mit dem Überrest gemeint gewesen sein muß: eine ganz bestimmte Gruppe von Leuten. Entspricht dem Erbteil (des HERRN) nicht das ganze Volk (vgl. V. 14)? Dann kann mit dem Überrest seines Erbteils nur ein Teil davon gemeint sein, zweifellos derjenige Teil des Volkes, der Buße tut und deshalb mit Gewißheit sagen kann, daß der Herr seinen Zorn nicht für immer behält (V. 18b). Kann man diesen Überrest historisch identifizieren?
Bezeichnend ist die Tatsache, daß der Ausdruck »Überrest meines Erbteils« nur noch in 2Kö 21,14 vorkommt. Dort kündigt der Herr aber dessen Verstoßung und Übergabe in Feindeshände an. Hauptgrund dafür sind die Sünden Manasses. Haben wir es also hier in unserem Text etwa mit einem falschen Vertrauen seitens des Propheten zu tun? Noch nicht! Man darf annehmen, daß es zur Zeit Michas einen »Überrest« gab, eine Gruppe von Menschen, die nach verschiedenen assyrischen Invasionen noch von Gottes »Erbteil« übriggeblieben und noch bußfertig war, aber nicht mehr dann zu Zeiten des Königs Manasse.
Die Angabe, daß nur der Überrest seines Erbteils die Gnade oder Güte Gottes erhält, bedeutet theologisch, daß Gott weder irgend jemand beliebigem noch daß er bedingungslos vergibt. Tut er das nur für einen Überrest, dann besteht ein Grund für die Annahme, daß der andere Teil (eine Mehrheit?) unbußfertig bleibt und nicht in den Genuß seiner Gnade kommt.
Der dritte Begriff, Sünde (V. 19c), kommt am häufigsten vor, auch im Buch Micha; er wurde schon weiter oben untersucht.
Vers 18: Wer diese Verse liest, spürt unmittelbar: Hier ist der Höhepunkt des ganzen Buches! Michas Bitten geht in Anbetung über. Mit Recht weist Rudolph (S. 135) darauf hin, dass die Aussagen von V. 18–20 eben als Aussagen und nicht als Wünsche zu verstehen sind. Am Ende des Bittgebets steht die Anbetung in der geschenkten Gewissheit der Erhörung, wie es auch in vielen Psalmen der Fall ist.
Edition C Bibelkommentar
Gottes Einzigartigkeit steht Micha vor Augen. Doch jetzt wird sie nicht mit den großen Machttaten begründet, welche die Völker zur Unterwerfung bringen. Jahwe, der Gott Israels, ist darin einzigartig und unvergleichlich, dass er allein mit der uralten und unüberwindlichen Realität der Schuld und Sünde fertig wird. Hier stehen wir vor einer Wirklichkeit, die jeden Menschen betrifft. Dass in der Frage Wer ist ein Gott wie du? (mî ’ēl kāmôkā) auch der Name »Micha« anklingt, ist eine schöne Nebenbeobachtung: Micha ist eine Kurzform für Michajahu (mî kā jāhû) – »wer ist ein Gott wie Jahwe?«
Mit sieben Aussagen beschreibt Micha Gottes Gnade, es sind Variationen über ein Thema.
1) Er vergibt die Schuld (nōśē’ ‘āwōn), wörtlich: Er trägt die Schuld hinweg. Mit diesen Worten betete Mose um Gnade (2Mo 34,7), vgl. auch Ps 32,5; Jes 33,24; Hos 14,3.
2) Er verzeiht den Treuebruch oder: das Vergehen (‘ōvēr ‘al päscha‘), wörtlich: er geht oder schreitet darüber hinweg (vgl. Spr 19,11). Damit ist kein oberflächlicher Umgang mit der Schuld gemeint im Sinne von »Schwamm drüber«, sondern ähnlich wie das »übersehen« in Apg 17,30 ein Nichtanrechnen der Schuld. Gott lässt sich durch die Sünden derer, die ihm glauben, nicht aufhalten.
Gottes gnädige Zuwendung gilt dem Überrest seines Erbteils. Wir haben schon gesehen, dass der Begriff Rest/Überrest ein Schlüsselwort in der Verkündigung Michas bildet (2,12; 4,7; 5,2.6.7). An allen genannten Stellen ist der Restbegriff im Zusammenhang mit einer Heilsverheißung genannt. Rest, Überrest ist der Teil des Volkes, der den Zusammenbruch überlebt hat, und mit dem Gott neu anfängt. Der Begriff des Überrests erinnert den Hörer an die ernste Tatsache, dass Gott in der Geschichte seines Volkes einen tiefen Einschnitt setzen kann; dieser Einschnitt ist von Israel selbstverschuldet. Mit Überrest wird aber auch bekannt: »Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende« (Kla 3,22). Israel ist Gottes Erbteil, womit die Erwählung Israels zu Gottes Bundesvolk ausgesagt ist. Diese ist der Grund, weshalb es immer noch einen »Überrest« gibt. Micha predigt keine billige Gnade.
3) Mit markanten Worten schildert Micha Gottes Bereitschaft zu vergeben: Nicht für immer wird er an seinem Zorn festhalten. Wie ist das gemeint? Ist Gott wie ein Mensch, dessen Zorn irgendwann wieder verraucht? Muss man also nur ein wenig warten? Die Aussage ist nicht menschlich-psychologisch zu verstehen. Ähnliche Aussagen lesen wir in den Psalmen: »Denn sein Zorn währet einen Augenblick und lebenslang seine Gnade« (Ps 30,6) oder bei anderen Propheten: »Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser« (Jes 54,7–8).
Das Zitat aus Jes 54,8 enthält eine Voraussage an den Überrest Israels, der das babylonische Exil erlebt und überlebt hat. Der »kleine Augenblick« hatte immerhin einige Jahrzehnte gedauert! Auch wenn unsere menschliche Erfahrung eine andere ist als die göttliche Zeitrechnung, gilt doch: Gott setzt seinem Zorn ein Maß und Ziel. Das Ziel ist in Hes 18,23 eindeutig benannt.
Das Bekenntnis zur Gnade spricht derselbe Beter, der in V. 9 bekannt hat: »Ich will den Zorn des Herrn tragen, denn ich habe gegen ihn gesündigt.«
»Daher bleibt ewiglich wahr, dass Gott den Sündern zürnt, die nicht Buße tun, und auch die Sünder verdammen wird, die nicht Buße tun und sich demütigen. Daher bleibt auch das ewiglich wahr, dass Gott den Bußfertigen oder den Zerschlagenen oder den Gedemütigten und an Christum Glaubenden die Sünden vergibt. Und diese Meinung zeigt der Prophet selbst gar schön an. Oben hat er Unglück jeder Art gedroht, sowohl dem Reiche Juda als auch Israel; den auf diese Weise Gedemütigten aber verheißt er wiederum Gnade und Vergebung der Sünden« (Luther, 1542, zu Micha 7,18–20).
4) Den Grund für die Hoffnung auf Gottes Vergebung nennt Micha als Nächstes: Denn er hat Wohlgefallen an der Gnade. Und das erwartet er auch vom Menschen: Mi 6,8. Gottes ḥäsäd, seine Güte, Gnade und Barmherzigkeit ist der Cantus firmus, die Grundmelodie des Alten Testaments, vgl. z.B. 2Mo 32,32; 34,6–7; Ps 103,3–4.8. Auf derselben Linie liegt das Zeugnis des Johannes, dass Gott die Welt geliebt hat (Joh 3,16). Weder verachtet er sie, noch zerstört er sie; er geht auch nicht mit stoischer Gelassenheit an ihr vorüber.
Angesichts dieser wuchtigen Aussagen über Gottes Wesen lohnt es sich, über das eigene Gottesbild nachzudenken. Unsere Vorstellungen von Gott sind in der Regel durch viele biografische Faktoren geprägt. Erst in der Begegnung mit dem Wort Gottes und der in ihm gegebenen Gottesoffenbarung können sie zurechtgerückt werden. Damit wird dann auch der Weg frei zu einem herzlichen Vertrauen auf diesen Gott, der der Vater Jesu Christi ist. Ein Vertrauen zu Gott und die Ehrfurcht vor ihm stehen sich nicht im Wege.
Ein Überrest – heute schon zu sehen – als messianische Juden – bereit für Jehovah einzutreten!
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