Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde (O. und euer Geist und Seele und Leib werde gänzlich) tadellos bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
Elberfelder 1871 – 1 Thess 5,23
Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch zur ganzen Zielerreichung, und als gesamtes Los werde bewahrt euer Geist, eure Seele und euer Leib in untadeliger Weise für die Parusie unseres Kyrios Jesus, Des Gesalbten.
Pfleiderer Übersetzung – 1.Thessalonicher 5,23
Ich wünsche mir, dass der Gott, der für Frieden sorgt, euch ganz zu sich zieht. Er soll dafür sorgen, dass ihr ihm immer ähnlicher werdet, eben heilig. Er soll auf euch aufpassen, auf euer Innerstes, euren Geist und auch auf euren Körper. Ich möchte, dass ihr so in einem perfekten Zustand seid, wenn Jesus Christus, der das Sagen über alles hat, endlich wiederkommt.
VolxBibel – 1.Thessalonicher 5:23
ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης der Gott des Friedens, d. h. Gott als der Urheber des Friedens. ἁγιάσαι Aor. Opt. 3. Sg. ἁγιάζω91 heiligen; kupitiver Opt. (A259) er möge heiligen. ὁλο-τελής7 ganz, vollständig; hier Adj. adv. gebraucht (A113) od. Objektsartangabe (A65, euch als ganze Person) ganz und gar. ὁλόκληρος11 unversehrt, ohne Schaden; Objektsartangabe (also: unversehrt = in unversehrtem Zustand, A65); gehört zu allen drei flgd. Subj. (H-S § 264b). ἀ-μέμπτως (< μέμφομαι tadeln) untadelig; hier (wenn nicht mod.) wohl Adv. statt Adj. (im Akk. als Objektsartangabe; BDR § 4346): unversehrt frei von jedem Tadel bewahrt werden; viell.: unversehrt bewahrt werden, damit/so dass ihr frei von jedem Tadel seid. παρ-ουσία Wiederkunft (s. 2,19). τηρηθείη Aor. Opt. Pass. 3. Sg. τηρέω, kupitiver Opt. (A259) er möge (hier sie mögen, A94) bewahrt werden.
von Siebenthal – Neuer Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament
Der vorangehende Abschnitt, wie auch der Brief insgesamt, wird in V. 23ff. von einem Gebetswunsch abgeschlossen; sowohl formal als auch inhaltlich war bereits in 1Thess 3,11-13 ein ganz ähnlicher Teil begegnet. Die Bitte richtet sich an ihn »selbst, den Gott des Friedens«. Dieser Gott selbst nimmt sich seiner Gemeinde an, auch der Christen in Thessalonich. Gott des Friedens (ebenfalls am Ende eines Abschnitts in Röm 15,33; 16,20; 2Kor 13,11; Phil 4,9; vgl. auch 2Thess 3,16; Eph 6,23; 1Kor 14,33; Heb 13,20) ist er deshalb, weil er den Schalom, das umfassende Heil schafft und schenkt. Friede ist hier synonym zu Erlösung zu verstehen (vgl. auch 1Thess 1,1; Röm 2,10; 8,6; 14,17; Eph 6,15).
Edition C
In Jesus Christus sind die Glaubenden geheiligt (1Kor 1,2; 6,11; Eph 5,25); der Heilige Geist wirkt in derselben Weise an ihnen (Röm 15,16). Damit können sie als die Heiligen angesprochen werden (Röm 1,7; 1Kor 1,1; 2Kor 1,2; Eph 1,1; Phil 1,1; Kol 1,2). Gleichzeitig bedürfen sie zeitlebens der Heiligung (vgl. 1Thess 3,13; 4,3.7), um die Gott hier gebeten wird: Er »heilige euch ganz und gar«. Das neue Gottesverhältnis soll durch das Wirken des Heiligen Geistes den Glaubenden umfassend und vollständig prägen. Dies ist ein Vorgang, der auf die »Ankunft unseres Herrn Jesus Christus« ausgerichtet ist (vgl. Phil 1,6.9ff.; 1Kor 1,8).
»Geist, Seele und Leib« werden in dieser Dreigliederung im NT nur hier in dieser Weise zusammengestellt. Daraus kann jedoch nicht entnommen werden, dass Paulus eine Aufspaltung des Glaubenden in drei klar voneinander getrennte Bereiche im Sinne der griechischen Lehre vom Menschen vornimmt. Vielmehr ist angesichts verschiedener Erklärungsversuche der Lösung der Vorzug zu geben, die das heiligende Wirken Gottes auf alle Aspekte der menschlichen Existenz ausgerichtet findet: Der Bereich der Gottesbeziehung (Geist), der Bereich der menschlichen Persönlichkeit (Seele) und auch der Bereich der menschlichen Interaktion und Kommunion (Leib) sind ausdrücklich eingeschlossen. An anderer Stelle betont Paulus, dass Erlösung und Heiligung insbesondere auch den Leib umfassen (vgl. Röm 6,19; 1Kor 6,19ff.). Der Glaubende soll in allen Bezügen »vollkommen bewahrt werden«, ganz unverletzt, unversehrt, untadelig. Dies führt nicht nachträglich eine eigenmächtige menschliche Heiligungsbemühung ein, sondern gibt das Ziel an, zu dem Gottes Heiligungswirken gelangen wird. Dass dabei der Glaubende in umfassender Weise mit all seinen Kräften einbezogen ist, wurde bereits zu 1Thess 4,3 ausgeführt.
Allein dieses Wirken Gottes verbürgt, dass der Christ am Tag Jesu Christi »unsträflich« dastehen wird (vgl. 1Thess 3,13).
»Bewahrt« ( têreô ) kommt häufig im NT vor und wird meist mit »bewahren, erhalten« übersetzt, z.B. Joh 17,12; Jud 1,21; Offb 3,10. Die ewige Sicherheit des Gläubigen wurde durch Christus selbst garantiert (Joh 10,28.29), durch die Verheißung und den Eid Gottes (Hebräer 6,17-20) und durch das Siegel des Heiligen Geistes (Eph 1,13.14). Aber in seinem täglichen Leben braucht er göttliche Kraft, um die Angriffe des Bösen zu überwinden. Der Angriff könnte im Bereich des Geistes erfolgen, auf seine Anbetung und sein Gebetsleben; oder im Bereich seiner Seele, auf seine Wünsche und Emotionen; oder in irgendeiner Form von Mißbrauch des Leibes. Das waren die drei Elemente des Menschen, die Satan schon zu Beginn in Eden angriff (1.Mo 3,6), und seine Methoden sind heute immer noch die gleichen.
Was die Bibel lehrt
»Tadellos« ( amemptôs, ohne legitimen Anklagegrund, vgl. 2,10) ist nicht sündlos; Sündlosigkeit ist nicht möglich, solange man noch im sterblichen Leib ist (Röm 7,18-25). Aber durch die Kraft des innewohnenden Geistes und Gottes schützende und bewahrende Fürsorge ist es möglich, ein Leben zu führen, auf das die Welt nicht mit anklagenden Finger zeigen kann. Dafür betet Paulus.
Zum Abschluss mit 1 Thess. 5,23f. fasst Paulus hier seinen Brief an die Thessalonicher zusammen. Die Grundthemen Heiligkeit und Berufung sind zusammengefasst und werden den Adressaten gegenüber zum Ausdruck gebracht. Damit wird deutlich, dass das Ethos des Ersten Thessalonicherbriefes nicht ausschließlich eschatologisch auf das Kommen des Richters der Menschheit als des auferstandenen Herrn ausgerichtet ist. Vielmehr ist sein Ethos die Heiligkeit als leibhaftige Manifestation der Berufung bzw. der Erwählung durch Gott – mit dem Gericht Gottes am Horizont, dem jeder verantwortlich sein wird, in der Hoffnung, dass die Christen nicht dazu berufen sind, Zorn zu erleiden, sondern das Heil durch ihren Herrn Jesus Christus zu empfangen. Interessant ist, dass 5,23f. den ganzen Menschen umfasst, Geist, Seele und Leib. So werden wir an die Grundanweisung der Tora erinnert, dass das Volk Gottes Gott lieben und in seinen Wegen wandeln soll mit ganzem Herzen und ganzer Seele.
Torah-Ethik im Ersten Thessalonicherbrief
Die Dreiteilung der menschlichen Natur in diesem Vers ist oft kommentiert worden, nicht zuletzt deshalb, weil sie nirgendwo sonst im NT und auch nirgendwo sonst in der älteren griechischen Literatur in dieser präzisen Form vorkommt. Heb 4,12 unterscheidet zwischen psychē und pneuma (vgl. Phil 1,27; 1 Kor 15,45). Die Dreiteilung hier wurde von einigen frühen Kirchenvätern aufgegriffen (vgl. Irenäus, Adversus Haereses 5.6). Lightfoot kommt zu dem Schluss, dass Paulus hier mit „Geist“ die höheren inneren Fähigkeiten (gleichbedeutend mit „Verstand“) und mit „Seele“ die niederen inneren Fähigkeiten (d. h. die Impulse und Affekte, „das Zentrum der … Persönlichkeit“) meint. In ähnlicher Weise schlägt Marshall vor, dass „Seele“ die menschliche Persönlichkeit meint und von „Geist“ zu unterscheiden ist, der der nicht-physische Teil der Persönlichkeit ist.
Witherington – 1 und 2 Thessalonicher: ein sozio-rhetorischer Kommentar
Das Problem bei solchen Schlussfolgerungen ist, dass Paulus an anderer Stelle psychē für das natürliche Selbst, ja für die Lebenskraft verwendet. Es ist fast ein Synonym für unser Wort „Sein“. So ist in 1. Korinther 2,14 die Person psychikos nicht die „seelische“ Person, sondern die natürliche Person im Gegensatz zur geistlichen Person (pneumatikos). In 1. Korinther 15,44-46 wird dieselbe Terminologie verwendet, um den natürlichen Körper dem geistigen Körper gegenüberzustellen, und es wird hinzugefügt, dass Adam ein lebendiges Wesen wurde, psychēn zōsan (nach Gen 2,7 LXX). Mit anderen Worten, psychē bedeutet nicht „Seele“ im Sinne des uns bekannten Wortes. Es bezieht sich vielmehr auf etwas Natürliches und Physisches oder Materielles wie das natürliche belebende Prinzip – den Lebensatem. Daher ist es unwahrscheinlich, dass Paulus es hier für etwas Nicht-Materielles verwendet. Das ist es, worauf sich pneuma bezieht – der nicht-materielle Teil des Menschen, den man beim Tod aufgibt oder an Gott zurückgibt. In jedem Fall beziehen sich diese Begriffe zusammen auf die ganze Person und auf die Tatsache, dass Gott die ganze Person vor und bei der Parusie heiligen, umwandeln und bewahren muss, denn Paulus stellt sich Personen in Auferstehungsleibern vor, die daher tatsächlich vollkommene und untadelige lebendige Opfer sein werden, die dem Herrn Jesus dargebracht werden.
Bei einer heidnischen Opferung hing alles von der absolut perfekten Durchführung des Rituals ab. Wenn das Messer abrutschte, wenn die richtigen Worte nicht zur richtigen Zeit und auf die richtige Weise ausgesprochen wurden oder wenn das Tier nicht kooperativ war, musste man von vorne anfangen. Aber hier (V. 24) wird der überwiegend heidnischen Zuhörerschaft versichert, dass Gott am Werk ist, dass die Heiligung etwas ist, das er in und für die Gläubigen tut und tun wird, genauso wie er sie zur rechten Zeit von den Toten auferwecken wird, und dass Gott treu ist (vgl. 1 Kor 10,13 für die Verbindung von Gottes Berufung und Treue). Gottes Wille ist die Heiligung der Gläubigen (1 Thess 4,1), und Gott ist damit beschäftigt, seinen Willen in den Gläubigen zu erfüllen. Ähnliche Gedanken finden sich in Phil. 1:6, 10-11.
Das Partizip „berufen“ wird im Präsens verwendet, wahrscheinlich um anzudeuten, dass Gott die Gläubigen weiterhin zur Heiligung und zur endgültigen Errettung beruft (vgl. 1 Kor 1,8-9). Die Vollendung des Heiligungsprozesses und die volle Übereinstimmung mit dem Bild Jesu kommt nur durch das göttliche Handeln Gottes zustande, wenn er die Toten auferweckt und denjenigen, den er geheiligt und auferweckt hat, tatsächlich in seinem Körper und in jeder anderen Dimension der menschlichen Persönlichkeit bewahrt und vervollkommnet. Es liegt nicht an menschlicher Leistung, sondern an Gottes gnädigem Handeln. Das Gebet, dass die Bekehrten bei der Parusie ohne Fehler bewahrt werden, deutet darauf hin, dass sie vervollkommnet werden müssen, bevor sie vor Jesus erscheinen, vervollkommnet am Leib durch die Auferstehung und vervollkommnet im Geist entweder bei der Auferstehung oder vorher. So hat Paulus seine Zuhörer in dieser kurzen Ansprache an die wichtigste Ressource erinnert, die sie haben, um ihre Prüfungen durchzustehen – Gott und sein heilbringendes Handeln in ihrer Mitte. Wir können hier an das berühmte Gebet von Augustinus denken: „Gib mir die Gnade, zu tun, was du befiehlst, und befiehl mir, zu tun, was du willst“ (Bekenntnisse 10,29).
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