Danach, da Jesus wußte, daß alles schon vollbracht war, spricht er, auf daß die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet!
Elberfelder 1871 – Johannes 19,28
«Es ist vollbracht!»
(Matth. 27,45-56; Mark. 15,33-41; Luk. 23,44-49)
Jesus wußte, daß nun sein Auftrag erfüllt war. Da erst sagte er (und wieder erfüllte sich damit eine Voraussage der Heiligen Schrift): «Ich habe Durst!» (Psalm 22,16; 69,22)
Hoffnung für alle – 1996 – Johannes 19:28
Jesus wusste, dass nunmehr soweit alles in Erfüllung gegangen war, was über ihn geschrieben stand. Damit nun auch noch das Letzte sich erfüllte, rief er aus: „Mich dürstet!“
Johannes Greber – Joh 19,28
Nein, es geht hier NICHT darum, ob du oder ich mal durst haben! Es geht nicht darum, ob du oder ich Hilfe annehmen dürfen oder können! Spielen wir nicht Bibelstellenmikado!
Schauen wir uns die Verse in Ruhe an, dann stellen wir fest, dass sich hier „der Kreis schließt“ – von dem Ruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ zu „ich habe Durst!“ – schau dir die Quelle an, die Jesus verwendet!
Und ja – die gesamte Bibel dreht sich um IHN! Es ist die „Geschichte aus Gottes Sicht“ – und kein Ratgeber.
Auch von Jesu viertem seiner sieben Aussprüche am Kreuz, „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, berichtet Johannes nicht (vgl. Mt 27,46; Mk 15,34). Er erwähnt erst wieder den fünften: Mich dürstet. Das ist ein Hinweis, daß Jesus bei vollem Bewußtsein und bereit war, alle Einzelheiten der Prophezeiungen zu erfüllen (Ps 42,1-2;63,2). Das Paradoxon, daß der, der das Wasser des Lebens ist (Joh 4,14;7,38), im Sterben Durst litt, ist beeindruckend. Auf seine Klage hin wurde ihm, in Erfüllung von Ps 69,21 ,Essig – ein sehr saurer Wein – gereicht. Die Prozedur, einen mit Essig gefüllten Schwamm auf ein Ysoprohr zu stecken, mutet seltsam an. Dieses Detail weist vielleicht darauf hin, daß Jesus als wahres Passalamm starb, denn Ysop wurde auch bei den Passafeierlichkeiten benutzt (vgl. 2Mo 12,22).
Walvoord Bibelkommentar
Damit die Schrift erfüllt würde, sprach er: Mich dürstet!
Kommentar zum NT aus Talmud und Midrasch
Die zu erfüllende Schriftstelle, falls man das ἵνα nicht vom vorhergehenden τετέλεσται, sondern von λέγει abhängig sein läßt, dürfte Ps 69, 22 sein: „Sie tränkten mich mit Essig in meinem Durst.“
Robinson, The Evangelists and the Mishna S. 330 glaubt an die Tränkung des Tamidopfers vor der Schlachtung erinnern zu sollen; s. Tamid 3, 4: „Man tränkte das tägliche Opfer aus einem goldenen Becher. Obgleich es schon am Abend zuvor untersucht war, untersuchte man es (noch einmal am Morgen) beim Licht der Fackeln.“ — Aber der Gedanke an das tägliche Opferlamm liegt gewiß ganz fern, zumal der Zweck des Tränkens des Tieres nach Bertinoro war: „damit sich sein Fell gut abziehen lasse.“
Das Verb τελειόω (»vollenden«) begegnet viermal im Johannesevangelium und bringt die »Vollendung« des Jesus vom Vater aufgetragenen »Werkes« zum Ausdrucks (Joh 4,34; 17,4) bzw. der »Werke« des Vaters (Joh 5,36). Nach Joh 17,23 sollen die Jünger in der Einheit »vollendet« sein. In unserem Vers, Joh 19,28, steht das Perfekt Passiv von τελέω als die »Erfüllung« der Schrift in einem herausragenden Sinne.
Beutler – das Johannesevangelium
Was bedeutet der Ruf Jesu: »Mich dürstet?« Bei den Synoptikern begegnet an dieser Stelle nur der physische Durst Jesu, dem mit dem Angebot des Essigs oder sauren Weines entsprochen wird. Bei Johannes hat der Durst Jesu eine spirituelle und theologische Dimension. Es ist der Durst, von dem er im Gespräch mit der Frau aus Samarien spricht mit der Bitte: »Gib mir zu trinken« (Joh 4,7). Wie es Jesu Speise ist, den Willen seines Vaters zu tun und sein Werk zu vollenden (Joh 4,34), so ist es auch sein Durst. Nur so »werden aus seinem Inneren Ströme von lebendigem Wasser fließen« (Joh 7,38). Es wird diskutiert, auf welche Schriftstelle sich das Wort Jesu bezieht. Einige Autoren denken an Ps 69,22, andere an Ps 22,16. Möglich wäre auch ein Bezug auf Ps 42,1 aufgrund der Bedeutung dieses Psalms in anderen Szenen der zweiten Hälfte des Johannesevangeliums (vgl. Joh 11,33.38; 12,27; 13,21; 14,1 ff.).
Die fünfte Aussage vom Kreuz, „Mich dürstet“, kam, nachdem Jeschua den Zorn Gottes erlitten hatte. Das ist ähnlich wie der Bericht über den reichen Mann und Lazarus (Lukas 16,22-24). Nachdem er den Zorn Gottes und die Schmerzen der Hölle erlitten hatte, drückte der reiche Mann aus, wie durstig er war. Jeschua, der den Zorn Gottes erlitten hatte, antwortete auf dieselbe Weise.[229]
Arnold Fruchtenbaum – Das Leben des Messias aus einerr messianischjüdischen Perspektive
Der Bericht des Johannes vom Sterben Jesu ist auffallend kurz und einfach, aber von einer stillen Hoheit. Johannes erzählt alles das nicht, was die Gemeinden schon genügend aus der Passionsgeschichte kannten. Er will vor allem zeigen, wie auch das Sterben die freie Tat des Gottessohnes war, der „seine Seele einsetzte“ (10, 17f). Jesus hatte es damals in seiner Hirtenrede betont, daß niemand ihm „die Seele nimmt“. Das wird für Johannes nun in der Art seines Sterbens deutlich. Das Sterben am Kreuz war sonst ein langsames, qualvolles Verenden. Darum ist auch bei den Synoptikern der laute Schrei, mit dem Jesus „schon“ nach sechs Stunden stirbt, etwas ganz Auffallendes und den römischen Offizier tief Bewegendes (Mk 15, 27–30). Johannes hebt dieses „schon“ hervor, indem er es von Jesus selbst aussprechen läßt. „Hiernach, als Jesus wußte, daß schon alles vollendet ist.“
Wuppertaler Studienbibel
Nicht die rein körperlichen Vorgänge bestimmen für Jesus das Ende. Es kommt einzig darauf an, daß sein Werk zum Ziel gekommen ist. Das griechische Wort „telos“ enthält ebenso die Vorstellung des „Zieles“ wie des „Endes“. Unser deutsches Wort „vollendet“ drückt in ähnlicher Weise aus, daß etwas nicht nur zu Ende ist, aufhört, sondern daß es dabei sein Ziel erreicht hat und darum mit Recht zum Abschluß kommt. Nun kann Jesus seinen irdischen Weg beenden, der in der Krippe begonnen hatte. Es ist „alles vollendet“.
Ihn quält nach diesen ganzen Stunden und nach dem Blutverlust der Geißelung der Durst. Auch in diesem besonderen Zug wird nochmals deutlich, daß Jesus nicht eine Göttergestalt ist, die über die irdischen Nöte einherschreitet, sondern „wahrer Mensch“, ganz und gar „Fleisch“. Er ist „wahrer Gott“, aber er ist es hier ganz in der Torheit und Schwachheit Gottes, von der Paulus 1 Kor 1, 28 spricht395. Aber wird dann nicht sein Sterben statt des freien Hingebens der Seele doch so etwas wie ein „Verenden“? Da gedenkt Jesus der Schrift. Sie spricht in dem für ihn besonders bestimmten Leidenspsalm vom Vertrocknen der Kräfte, vom Kleben der Zunge am Gaumen (Ps 22, 16) und in Psalm 69, 22 vom Essigtrank im großen Durst. Jesus weiß, er darf auch hier die Schrift erfüllen. Und so „sagt er, damit die Schrift erfüllt werde: Ich dürste.“
Man hat dieses „Dürsten“ gern symbolisch gefaßt als das Dürsten des Herrn nach unserm Heil. Aber dazu bietet der Text nicht den geringsten Anhalt. Im Gegenteil. Die „Schwachheit Gottes“ und der Ernst des Kreuzesleidens werden verkannt, wenn man den quälenden Durst vergeistigt.
Folgen wir den wenigen Angaben in V. 28. Jesu »Wissen, dass schon alles vollbracht war« ergibt sich aus dem Wort »Es ist vollbracht«, das gleich darauf folgt (V. 30). Sein »Wissen« um das Kommende wird in der Passion immer wieder betont (Joh 13,1.3; 18,4; 19,28). Diese Betonung ist nötig, um das Missverständnis abzuwehren, Jesus sei seinen Gegnern zum Opfer gefallen. Nein, er ist den Weg ans Kreuz sehr bewusst und aus eigenem Willen gegangen. …
Edition C
Der Sterbende stöhnt: »Mich dürstet.« Im Urtext ist dies ein einziges Wort. Die schreckliche Not der Kreatur, die ganze Armseligkeit menschlichen Leidens liegt in diesem Wort. Gerade der Verzicht auf jede Ausmalung macht es so einprägsam, so erschreckend. Wie am Jakobsbrunnen (Joh 4) liegen Göttliches (»Wissen«) und Menschliches (»Mich dürstet«) in Jesus untrennbar zusammen. Kein übermenschlicher Held, sondern der gehorsame, fleichgewordene Gottessohn hängt hier in seiner Qual am Kreuz (vgl. Heb 5,7).
Welche »Schrift« ist »erfüllt«? Es handelt sich offensichtlich um zwei Stellen. Die eine ist Ps 22,16
»Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen.« Der Bezug auf Ps 22 als einen Leidenspsalm Jesu ist schon in V. 24 gegeben. Die andere Stelle ist Ps 69,22
»Sie geben mir Essig zu trinken für meinen Durst.« Ps 69 ist der zweite wichtige Leidenspsalm aus der Passion Jesu (vgl. Mt 27,34.48).
V. 28 fordert noch eine Klarstellung. Die Worte »damit die Schrift erfüllt würde« bedeuten nicht, dass Jesus absichtlich von seinem Durst gesprochen hat, nur um bestimmte Schriftstellen zu erfüllen. Sein Durst ist echt und kommt aus dem kreatürlichen Leiden.
Zentral ist jedenfalls die Erkenntnis, dass alles nach dem Willen Gottes geschieht. »Die Schrift erfüllt« sich: Für Johannes ist Jesus der im AT angekündigte Erlöser. Ein Christentum ohne AT war für die Johannes -Schule wie für die ganze Urchristenheit undenkbar. Dass in dem kleinen Abschnitt Joh 19,16-37 viermal die Schrift zitiert wird, liefert dafür den besten Beweis.
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