Tag: 30. August 2023

Wie beschreibt Jehovah sich selbst?

Und Jehova ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Jehova, Jehova, Gott, (El) barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit, der Güte bewahrt auf Tausende hin (O. Tausenden,) der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt, -aber keineswegs hält er für schuldlos (O. läßt er ungestraft) den Schuldigen, -der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern und Kindeskindern, am dritten und am vierten Gliede.
Elberfelder 1871 – Ex 34,6–7

Als nun Jehova vor ihm vorüber ging, da rief er: Jehova, Jehova! ein barmherziger und gnädiger Gott! langmüthig und von grosser Güte und Treue! der Tausenden Gnade bewahrt, der Missethat, und Frevel, und Sünde vergibt, doch ungestraft nichts lässt, der die Missethat der Väter heimsucht an den Kindern und an den Kindes Kindern bis in’s dritte, und vierte Glied!
van Ess 1858 – 2.Mose 34:6–7

Und Jehovah zog vorüber vor seinem Angesicht und rief: Jehovah, Jehovah, Gott, erbarmungsvoll und gnädig, langmütig (H. lang zum Zorn) und groß (H. viel) an Barmherzigkeit und Wahrheit.
Bewahrend Barmherzigkeit Tausenden, tragend Missetat und Übertretung und Sünde, aber nicht ungestraft lassend, heimsuchend die Missetat der Väter an den Söhnen und an der Söhne Söhnen bis ins dritte (H. bis an die dritten und vierten) und vierte Glied (H. bis an die dritten und vierten). 2Mo 20,5-7; 5Mo 24,16; Ps 130,4.
Tafelbibel mit hinzugefügten Sachparallelstellen – Ex 34,6–7

 Jetzt zog Gott mit seiner oberkrassen Art an Mose vorbei. Er sagte total laut: „Ich bin Gott! Ich bin so, wie ich immer schon war. Und das ist auch mein Name. Ich bin der Gott, der die Menschen voll liebt und total gerne hat. Ich verzeihe sehr viel. Und ich bin entspannt und hab viel Geduld. Und ich bin zuverlässig, ich bin immer treu.
Ich liebe die Menschen, und ich werde sie immer lieben. Ich bin freundlich zu ihnen.
Wenn sie Scheiße bauen, werde ich es verzeihen. Wenn sie gegen mich kämpfen, bin ich für sie. Wenn sie mit ihrem Leben danebenliegen, vergebe ich gerne. Aber ich lasse nicht mit mir Spielchen spielen, und wer gegen mich handelt, muss dafür bezahlen. Diese Schuld wird weitervererbt auf die Kinder und Enkel, bis in die vierte Generation.“
VolxBibel – Exodus 34:6–7

Auf dem Berg erlebte Mose ein neues Gesicht der Herrlichkeit Gottes als Erblasser des Bundes. Gott erfüllte seine Verheißung ( 2Mo 33,19 ) und offenbarte Mose seinen Namen (sein Wesen). Er sagte zu Mose, daß sein Name Jahwe ( der HERR ) bedeute, daß er ein Gott des Erbarmens, der Gnade, der Treue ( HeseD , Liebe , zweimal in V. 6-7 ), der Aufrichtigkeit ( ?MmeT , »Verläßlichkeit«) und der Vergebung sei. Diese Angaben treten zu dem hinzu, was schon früher über seinen Namen gesagt worden war (vgl. den Kommentar zu 2Mo 3,13-14 ). Jahwe ist der Name, der Gottes Beziehung mit seinem Volk bezeichnet. Einige oder sogar alle diese Attribute Gottes werden sieben weitere Male im AT gemeinsam erwähnt ( 4Mo 14,18; Neh 9,17; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Joe 2,13; Jon 4,2 ).
In der Entfaltung seiner großen Güte ist es das Attribut der Gerechtigkeit, das auch die Bestrafung jedes Menschen erforderlich macht, der seinem gerechten Wesen zuwiderhandelt ( er straft , 2Mo 34,7 ).

Walvoord Bibelkommentar

Wo ist hier Gottes Barmherzigkeit zu sehen?“ (2 Mose 34:6) Man sollte daran denken, daß Barmherzigkeit nicht bedeutet, Gesetzlosigkeit zu verzeihen und vorsätzliche Übertreter des Gesetzes Gottes ungestraft ausgehen zu lassen. Dadurch aber, daß Adam und Eva die Erlaubnis erhielten, noch eine Zeitlang zu leben und Eltern zu werden, handelte Jehova Gott denen gegenüber barmherzig, die nicht durch ihren eigenen Willen, sondern durch ihr Erbe von ihrem Vorvater zu Sündern wurden. Jehova ließ nicht nur zu, daß sich Adams Nachkommen eine begrenzte Zeit des Lebens erfreuen konnten, sondern er traf sogar auf der Grundlage des Opfers seines liebsten Sohnes für alle die Vorkehrung, von Sünde und Tod befreit zu werden. (Johannes 3:16; 1 Timotheus 2:3-6) Als barmherziger Gott hat er geduldig genügend Zeit eingeräumt, so daß die Menschen die Gelegenheit haben konnten, seine Vorkehrungen kennenzulernen und sich zu entschließen, seinen Willen zu tun. „Er [will] nicht . . ., daß irgend jemand vernichtet werde, sondern will, daß alle zur Reue gelangen.“ (2 Petrus 3:9) Aber diejenigen Nachkommen Adams, die sich weigern zu bereuen und die nicht den Wunsch haben, Diener Jehovas Gottes zu werden, werden der Strafe nicht entgehen. (Vergleiche 2 Mose 34:6, 7.)

Erwachet! 22.Oktober 1973

Wie Raschi erklärt, bewahrt Gott die Freundlichkeit eines Menschen fünfhundert Mal länger als seine Übertretungen. Diese Betonung der Barmherzigkeit erinnert an das talmudische Diktum: „Man soll immer mit der linken Hand wegstoßen und mit der rechten Hand näher kommen“ (Bavli Sotah 47a). Wenn Eltern einem Kind beibringen, was richtig und was falsch ist, sollen sie in erster Linie freundlich handeln. Die stärkere (rechte) Hand ermutigt das Kind liebevoll. Wenn Disziplin notwendig ist, wird sie mit der schwächeren (linken) Hand gemildert.
Diese Betonung des Positiven ähnelt einem beliebten modernen Erziehungsansatz, der darauf abzielt, das Kind bei seinem guten Verhalten zu ertappen und es dann zu loben, um es zu weiterem guten Verhalten zu ermutigen. Dieser Ansatz geht zwar nicht ausdrücklich auf negatives Verhalten ein, aber die Absicht ist, dass die Konzentration auf wünschenswertes Verhalten die Neigung des Kindes zu weniger wünschenswertem Verhalten verringern wird.

Der JPS Rashi Diskussions Tora-Kommentar

Für Hill geht es bei dem Zitat im Matthäusevangelium nicht nur darum, dass Gott wünscht, dass die Menschen Barmherzigkeit zeigen, sondern dass sie (wie in Hosea) ihre Treue zu JHWH in konkreten Taten der Barmherzigkeit ausdrücken. Hill geht davon aus, dass Matthäus direkt vom hebräischen Text ausging,36 , aber auch in der LXX geht es in erster Linie um Bundestreue. Das griechische ἔλεος ist wie das hebräische חֶסֶד sowohl in Hosea 6:4 als auch in 6 in erster Linie an JHWH gerichtet. Wenn wir uns Matthäus zuwenden, ist es nicht weniger bedeutsam, dass Jesu eigene Treue zu JHWH und seinem Bund in 9,9-13 implizit kritisiert wird. In seiner Antwort beruft sich Jesus auf das, woran JHWH selbst Gefallen findet, um seinen Umgang mit Zöllnern und Sündern zu verteidigen. Aber vielleicht können wir noch mehr sagen.
ἔλεος / חֶסֶד taucht so häufig in Beschreibungen von Israels Gott auf, dass es, wenn es als Bundesbegriff für das verwendet wird, was JHWH von Israel verlangt (wie in Hosea 6), unweigerlich an den Charakter des Bundesgottes erinnert. Von den vielen Dutzenden von Texten, die dies belegen, wollen wir nur drei anführen:
Ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott … aber ich erweise unerschütterliche Liebe (ποιῶν ἔλεος / וְעֹשֶׂה חֶסֶד) bis in das tausendste Glied derer, die mich lieben und meine Gebote halten. (Exod. 20:5-6)
Der HERR ging vor ihm her und verkündete: „Der HERR, der HERR, ein Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn, und reich an unerschütterlicher Liebe und Treue (καὶ πολυέλεος καὶ ἀληθινὸς / וְרַב-חֶסֶד וֶאֱמֶת), der unerschütterliche Liebe (ποιῶν ἔλεος / נֹצֵר חֶסֶד) bewahrt für das tausendste Geschlecht.“ (Exod. 34:6-7)
Denn der HERR ist gut, und seine Liebe (τὸ ἔλεος αὐτοῦ / חַסְדּוֹ) währt ewig (Ps. 100:5; vgl. 1 Chron. 16:34, 41; 2 Chron. 5:13; 7:3, 6; 20:21; Esra 3:11; Pss. 106,1; 107,1; Jer. 33,11)
Zu dem Refrain („sein ἔλεος / חֶסֶד währt ewig“) , der sich durch diese letzte Gruppe von Texten zieht, bemerken Baer und Gordon: „Diese Aussage scheint zu der Zeit, als diese Texte in den kanonischen Rahmen eingearbeitet wurden, einen fast glaubwürdigen Status angenommen zu haben.“ Israels Gott ist der Gott des ἔλεος / חֶסֶד. Wenn JHWH also zu ἔλεος / חֶסֶד aufruft, wie er es in Hosea 6:6 tut, ruft er zu einem Spiegelbild seines eigenen Charakters auf. Dass wir Hosea 6,6a tatsächlich so lesen sollten, wird durch Hosea 6,6b bestätigt: Die unerschütterliche, treue Liebe, an der sich JHWH erfreut, ist in der Tat in der Erkenntnis Gottes selbst verwurzelt, des Gottes, der seinem Volk gegenüber eine unerschütterliche, treue Liebe pflegt.
All dies ist besonders relevant für die Verteidigung der Mission Jesu in Matthäus 9,13.40 Wie ein Arzt, der sich zu den Kranken hingezogen fühlt, umarmt Jesus Israels Zöllner und Sünder; er tut dies jedoch nicht nur aus Mitleid oder nur, weil Bundestreue sich in Barmherzigkeit ausdrückt (so Hill), sondern auch (und grundlegender), weil die unerschütterliche Liebe, an der JHWH sich erfreut, eine Antwort auf JHWHs eigene unerschütterliche, bundestreue Liebe ist. In seiner messianischen Mission spiegelt Jesus perfekt JHWHs eigene Bundestreue wider. Dieser Punkt wird in Matthäus 12,1-8 noch einmal deutlich gemacht, diesmal mit einem noch spezifischeren Bezug zur Tora.

Ethik der Torah und frühchristliche Identität

Ein göttliches Übermaß. 34,7. Schon der eröffnende Partizipialausdruck (wörtl.: »Huld bewahrend«), der Gott von seinem Wirken her zu erfassen sucht, erweist sich deutlich durch die Aufnahme des Zentralbegriffs »Gnade / Huld« (חסד) von V 6 in V 7 als »Auslegung« oder »Erklärung« der vorausgegangenen Formel. Die dann folgende Gegenüberstellung erschließt sich von den Adressaten her: Tausende (Generationen) auf der einen Seite und die »Kinder und Kindeskinder« der dritten und vierten (Generation) auf der anderen Seite. Der menschlich kaum überschaubaren Seite von tausenden Generationen wird das Gnadenhandeln und die Vergebungsbereitschaft Gottes zugeordnet, der – vermittelt durch den Hinweis, dass Gott nicht einfach freispricht – das »Prüfen« bzw. »Heimsuchen« der Schuld der Väter bei den darauf folgenden drei bis vier Generationen gegenübergestellt wird (s.o. zu Ex 20,5–6). Es geht hier also um das Übermaß der göttlichen Barmherzigkeit gegenüber seiner Strafgerechtigkeit. Die Aussage dieses Textstückes leugnet die Strafgerechtigkeit nicht, ordnet sie aber deutlich gegenüber der göttlichen Barmherzigkeit ein: Dabei ist die Barmherzigkeit Gottes menschlich nicht zu erfassen, denn kein Mensch kann tausend Generationen überschauen – andererseits beschränkt sich die Strafgerechtigkeit Gottes auf ein menschliches Maß, nämlich die drei bis vier Generationen, die maximal unter einem Dach zusammenleben können. Die Beschränkung beim Strafen auf die Generationenzahl, die in der altisraelitischen Großfamilie höchstens zusammenleben kann, passt zu dem Basisverständnis der Aussage, dass es nicht – wie durch viele Übersetzungen unterstellt wird – um ein Bestrafen der nachfolgenden Generation für die Vergehen der vorausgehenden geht, sondern um ein Prüfen, ob die Sünden der einen Generation bei den Nachgeborenen wieder begegnen (vgl. A. Schenker, Versöhnung, 85–87). Was hier im Motiv vom Übermaß der göttlichen Barmherzigkeit und Gnade ausgedrückt ist, hat seine Entsprechung im Motiv der »Selbstbeherrschung« Gottes beim Propheten Hosea. Dort lässt Gott seinem Zorn zum Gericht nicht freien Lauf, sondern will und kann Israel eben gerade deshalb nicht vernichten, weil er von sich selbst sagt: »denn Gott bin ich, nicht Mensch, in deiner Mitte der Heilige« (Hos 11,9) (vgl. Scoralick, Gottes Güte, 156).
Das ist es also, was die Namensoffenbarung Gottes zum Ausdruck bringt: Dieser Gott JHWH ist ein barmherziger und gnädiger Gott, dessen Vergebungsbereitschaft menschlich unfassbar bleibt.

Herders Theologischer Kommentar

Ein Aspekt von Gottes Großzügigkeit ist sein Mitgefühl und seine Barmherzigkeit. Er vergibt Sündern. Seine Geschöpfe müssen sich auch so verhalten. Du sollst dich nicht an den Söhnen deines eigenen Volkes rächen und ihnen nichts nachtragen, sondern du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Lev 19,18). Dass Vergebung ein göttliches Attribut ist, das der Mensch nachahmen sollte, wird in der Geschichte von Jakob und Esau deutlich. Als Jakob von Paddan-Aram zurückkommt, um Esau zu treffen, behandelt er Esau wie Gott. Er schickt ihm ein minḥah, normalerweise eine Art Opfer, denn er dachte: „Ich kann vor ihm Sühne leisten“ (Gen 32:20). Dann läuft Esau Jakob entgegen und begrüßt ihn mit offenen Armen, woraufhin Jakob sagt: „Dein Gesicht zu sehen, ist wie das Gesicht Gottes zu sehen“. Mit anderen Worten: Esau hat sich wie Gott verhalten, indem er Jakobs Vergehen so großzügig vergeben hat. Josef zeigt ähnliche Großzügigkeit, indem er seinen Brüdern vergibt.

Der HERR ist „ein Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an beständiger Liebe und Treue; er bewahrt beständige Liebe zu Tausenden und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber er spricht die Schuldigen nicht frei“. So fasst Exodus 34,6-7 den Charakter Gottes zusammen, der in der gesamten biblischen Erzählung dargestellt und in fast jedem Psalm besungen wird. Doch genau diese Eigenschaften wünscht sich Gott von seinem Volk: Sie sollen seinen Charakter widerspiegeln, ja sogar positiv nachahmen. Israel soll liebevoll und treu sein: „Israel, was verlangt der HERR, dein Gott, von dir, dass du den HERRN, deinen Gott, fürchtest, in allen seinen Wegen wandelst, ihn liebst und dem HERRN, deinem Gott, dienst von ganzem Herzen und von ganzer Seele“ (Dtn 10,12). Die Patriarchen haben diese Hingabe in ihrem eigenen Leben oft vorgelebt.

Diese Tugenden sollten nicht nur in der vertikalen Gott-Mensch-Beziehung praktiziert werden, sondern auch in den horizontalen zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Treue innerhalb der Familie und zu den Nachbarn war so selbstverständlich, dass das Gesetz sie kaum erwähnt, außer in Situationen, in denen die Treue zu Gott Vorrang haben muss (Dtn 13,7-11). Die Genesis neigt dazu, Loyalität als selbstverständlich zu betrachten und schockiert ihre Leser eher durch ihren Bruch als durch ihre erwartete Ausübung, sei es in der Geschichte von Kain und Abel, Jakob und Esau oder Josef und seinen Brüdern. Aber die Versöhnung von Jakob mit Esau und Josef mit seinen Brüdern zeigt, was eigentlich der Fall sein sollte. Zu Judas Rede, in der er anbietet, anstelle von Benjamin zu bleiben, bemerkt Sternberg: „Das ist nichts weniger als eine Verwandlung, von subnormaler zu abnormaler Solidarität.

Aber dieser treue, großzügige und vergebende Gott hat seine Grenzen: „Er wird die Schuldigen auf keinen Fall freisprechen“. Das wird in der Genesis immer wieder deutlich. Die Sintflut und die Zerstörung Sodoms zeigen das göttliche Gericht im großen Maßstab, das Leiden Jakobs als Folge seines Betrugs an Isaak und die vorübergehende Unfruchtbarkeit der Frauen von Gerar zeigen es auf individueller Ebene (20,18). Und obwohl das Gesetz die menschlichen Richter ermutigt, bei der Bestrafung von Sünden ebenso hart zu sein (Exod 23:7; Deut 13:9; 19:21; 25:12), gibt die Genesis nur wenige Beispiele dafür, dass Menschen Rache in die eigenen Hände nehmen: scheint mehr daran interessiert zu sein, zum Friedensschluss zu ermutigen als Rache zu rechtfertigen.

Geschichte der Torah – Das AT ethisch lesen

Gottes Gnade für die Menschen entspringt der Fülle seines Wesens. Er ist gnädig. Als Gott Mose erschien, nannte er seinen Namen, Jahwe, „Ich bin, der ich bin“, und fasste damit sein ewiges Wesen zusammen. Zu diesem Wesen gehört seine Eigenschaft der Gnade: „Jahwe, Jahwe, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue“ (Ex 34,6). J. I. Packer spricht davon, dass Gnade einfach die Liebe Gottes sei, die er an denen erweist, die das Gegenteil verdient haben. Gottes Gnade ist sein Leben, das gute Gaben gibt, und diese Gabe ist er selbst.

Olivero – Grundriss der Dogmatic

6-7. Diese Verse sind die göttliche Antwort auf die beiden Bitten des Mose: dass er Gottes Wege „erkennt“ (33:13) und dass er seine Gegenwart „sieht“ (33:18). Das geheimnisvolle Vorbeigehen Gottes vor Mose entspricht der zweiten Bitte, die Aufzählung der göttlichen Eigenschaften der ersten. Bezeichnenderweise fehlt in der Beschreibung der Theophanie ein visuelles Element. Gottes Selbstoffenbarung beschränkt sich auf eine mündliche Verkündigung seiner moralischen Eigenschaften. Diese sind das Wesen seines Charakters und sie zu „kennen“ bedeutet, eine höhere Vorstellung von der Gottheit zu erlangen.

In der jüdischen Tradition werden diese Verse die Dreizehn Eigenschaften Gottes genannt (hebr. shelosh ʿesreh middot). Sie spielen eine wichtige Rolle in der jüdischen Liturgie, wo sie in der Synagoge an Festen und anderen heiligen Tagen (außer an Sabbaten) laut rezitiert werden, wenn die Lade geöffnet wird, um die Torarolle für die entsprechende Tora-Lesung herauszunehmen. Sie werden auch während der Tora-Lesungen an Fastentagen und in den Seliḥot – den Bußgebeten, die zu diesen Anlässen und während des Hohen Feiertags gesprochen werden – laut gesungen. Diese Praxis beruht auf Rabbi Johanans Bemerkung in Rosch ha-Schana 17b, dass Gottes Aufzählung seiner moralischen Qualitäten das Muster für Israels künftige Bitten an Gott vorgeben sollte. Es gibt Belege dafür, dass die liturgische Verwendung dieser Verse schon vor der Zeit des Zweiten Tempels stattfand und in Israel eine lange Geschichte hatte, denn sie werden in der einen oder anderen Form häufig in der Bibel zitiert. Eine solch anhaltende und weit verbreitete Popularität konnte nur aus den Formen des institutionellen Gottesdienstes stammen.
Es sollte betont werden, dass die Einbeziehung der Dreizehn Attribute in die Liturgie nicht als ein automatisch wirksames Mittel zur Erlangung der Vergebung der Sünden zu verstehen ist. Vielmehr geht es darum, dass der Mensch Gottes moralische Eigenschaften nachahmt: Mitgefühl, Gnade, Nachsicht, Freundlichkeit, Treue und Vergebung.

der HERR! der HERR! Der hebräische Text erlaubt es auch, das erste YHVH als Subjekt des antezedenten Verbs „verkündet“ zu verstehen; so wurde es von Saadia und Maimonides verstanden. Ibn Esra entgegnet, dass die Wiederholung des Namens in Beschwörungen oder Anrufungen nicht unüblich ist.

barmherzig und gnädig Im Gegensatz zu der Reihenfolge im Dekalog (20,5-6) werden hier Gottes großherzige Eigenschaften betont und bevorzugt, statt seine richtenden Handlungen.

Güte und Treue Hebräisch ḥesed ve-ʾemet erscheint häufig als Wortpaar um ein einziges Konzept auszudrücken. Jede der Komponenten hat eine große Bandbreite an Bedeutungen. Ḥesed beinhaltet Wohltaten, Gegenseitigkeit und oft auch Verpflichtungen, die sich aus einer rechtlichen Beziehung ergeben. Siehe Kommentar zu 15:13. ʾEmet, meist mit „Wahrheit“ übersetzt, umfasst Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Treue. Die Kombination der Begriffe drückt Gottes absolute und ewige Verlässlichkeit bei der Verteilung seiner Wohltaten aus.

Freundlichkeit Siehe Kommentar zu 20:6. Die Formulierung kann entweder Gottes kontinuierliche und unveränderliche ḥesed12 oder die Vorstellung ausdrücken, dass der Verdienst für die ḥesed, die die Menschen leisten, über ihre eigene Generation hinaus andauert.

Tausendste Generation Hebräisch ʾalafim, wie in 20,6.

Er erlässt die göttliche Nachsicht nicht, was nicht bedeutet, dass Sünder erwarten können, den Folgen ihrer Missetaten gänzlich zu entgehen. In 13Yoma 86a wird der Satz so interpretiert: „Er erlässt die Strafe für die Reumütigen, aber nicht für die Unbußfertigen.“ Aus diesem Grund schließt die liturgische Rezitation der dreizehn Attribute mit „freisprechend“ (für den Reumütigen) und lässt das negative Element weg.

Der JPS-Tora- Kommentar

Das Vorüberziehen Jahwes ist mehr als ein bloßes Vorbeigehen. Wird »Vorüberziehen« (hebräisch: ‛āḇar) von Gott oder seinem Boten ausgesagt, dann bleibt dies nicht ohne Konsequenzen. Es kann Heil oder Unheil anzeigen, Rettung oder Gericht. Genau darum geht es, wenn Jahwe an Mose vorüberzieht, um ihm seine Herrlichkeit zu offenbaren. Was Mose zu sehen bekommt außer der Wolke – auch von dem »Nachher« Gottes (2Mo 33,23), das er erlebt – wird nichts berichtet. Aufgezeichnet sind nur die Namen und die Worte, in welchen ihm das Geschaute gedeutet wird.
Zuerst ruft Gott, wie er es Mose zugesagt hatte (2Mo 33,19), seinen Namen aus: »Jahwe, Jahwe«, anders übersetzt: »Der Herr, der Herr« oder: »ER ist ER«. Damit verkündigt Jahwe die Tragweite seines Namens. Es ist das Dasein und das Dabeisein Jahwes. Er, der da war und der da ist, wird dableiben.
Er, der Weltenschöpfer und Weltenlenker, kümmerte sich um den Menschen, bevor dieser sündigte, und er tut dasselbe, nachdem der Mensch gegen ihn rebellierte und sich von ihm emanzipierte.
Der große Name, den Gott ausruft, ist die Erfahrung seiner Zuwendung. In allem, was nun folgt, wird nichts über Gottes Sein ausgesagt, aber über das Entscheidende seines Wirkens. Es geht nicht um Gottes Eigenschaften, sondern um seine Wirkungen. Diese werden mit sechs Wendungen gekennzeichnet:

– Er ist der Erbarmende.
Das Partizip »der Erbarmende« oder »der Erbarmungsvolle« (hebräisch: raiḥûm) ist wie das Verb »sich erbarmen«, »barmherzig sein« und das Substantiv »Erbarmen« und »Barmherzigkeit« am besten zu erklären in der Zusammenschau mit dem Begriff »Mutterleib« (hebräisch: ræḥæm). Im akkadischen Bereich zum Beispiel sind »Mutterleib« und »Erbarmen« ein und dasselbe Wort, das heißt, Erbarmen ist nichts anderes als die denkbar höchste liebende Zuneigung. Das Grundmuster des Erbarmens ist die Beziehung der Mutter zur Frucht ihres Mutterschoßes. Eine Mutter verläßt das in ihr Gewachsene und mit Kraft und Bewegung ausgestattete Kind nicht. Sie sorgt sich um das von ihr Geborene, denn es ist das Kind ihrer Liebe. Sollte der unmenschliche Fall eintreten, daß sie das in ihr wachsende Kind tötet oder das von ihr Geborene verstößt, das heißt ihm Liebe und Erbarmen aufkündigt, dann bleibt dies ein menschlicher Fall. Für Gott ist ein solches Handeln undenkbar (vgl. Jes 49,15). Gott bleibt nicht kalt und unbewegt, wenn er an seine verlorenen und verirrten Kinder denkt. Von Gottes erbarmendem Wirken gilt:
»Es ist das ewige Erbarmen, das alles Denken übersteigt; es sind die offnen Liebesarme des, der sich zu dem Sünder neigt, dem allemal das Herze bricht, wir kommen oder kommen nicht.«
Gottes Erbarmen ist seine ganze Zuwendung zur menschlichen Schwachheit.

– Er ist gnädig.
Auch die zweite Wirkungsweise Gottes wird mit einem Partizip im Passiv umschrieben und damit als eine »dauernde Wirkungsweise« Gottes gekennzeichnet.
Ist das Erbarmen die Güte, die eine Mutter dem Sproß ihres Mutterleibes erweist, so ist das Adjektiv »gnädig« (hebräisch: ḥannûn) ein Ausdruck der väterlichen Güte. Ein Mann kann nur dann mit Recht Vater genannt werden, wenn er mit seinen Kindern Mitleid hat und sich ihnen wohlwollend zuwendet. Für Gott ist diese Zuwendung zu seinen Menschen unerschütterlich. Zu ihm ruft man nicht umsonst: »Sei mir gnädig« (Ps 86,16). Er ist gnädig (Ps 145,8). Weil er gnädig ist, kann er es nicht zulassen, wenn ein Mensch dem andern nicht das Überleben ermöglicht (2Mo 22,26). In seinem Gnadenwirken ist Gott vergleichbar mit einem guten König. Dieser nützt seine Position nicht aus, um seine Untertanen auszubeuten oder gar zu versklaven. Er beschenkt sie vielmehr und macht sie glücklich. Gott ist gnädig heißt: Er wird nicht müde, die bereits verbrauchte oder auch verscherzte Kraft immer aufs neue zu schenken und die bereits verliehene Kraft durch immer neue Begabungen zu bereichern. Er ist gnädig heißt: Er steht den Betrübten helfend und tröstend bei und richtet die Niedergedrückten auf.

– Er ist langmütig.
»Langmütig« (hebräisch: ’æræṣ ’ap̱aîm) heißt wörtlich übersetzt: »lang an den Nasenlöchern«. Da Nase und Zorn (hebräisch: ’ap̱) ein und dasselbe Wort sind, bedeutet langmütig: langsam zum Zorn. Langmütig sein heißt eine Frist gönnen, in Sachen Strafe nicht schnell sein, gerne warten, um dem Sünder Gelegenheit zur Umkehr zu geben. »Er ist langmütig« ist ein Grundtenor der jüdischen Gebete. So heißt es zum Beispiel in den Bußgebeten am Großen Versöhnungstag: »Dein Weg ist es, unser Gott, langmütig zu sein bei den Schlechten und den Guten. Dir gereicht dies zum Ruhm.« Luther, der aus der sogenannten Judenschule des 15. und 16. Jahrhunderts die jüdische Art des Betens kannte, sagte einmal: »Ich gäbe zweihundert Goldgulden, wenn ich beten könnte wie die Juden.« »Er ist langmütig« heißt: Gott gibt jedem Menschen eine Frist zur Umkehr »und schlägt nicht zu, wo er könnte und wohl müßte, sondern wartet und läßt sich Zeit mit uns von einer Enttäuschung bis zur andern, bis zur Stunde«.

– Er ist reich an Treue und Wahrheit.
Treue und Wahrheit sind zwei zusammengehörende Wirkungsweisen Gottes mit der Qualität der Einheit. Treue (hebräisch: ḥæsæḏ) hat die Grundbedeutung von »Güte, Huld und Freundlichkeit«, »Loyalität und Liebe«. Treue ist nicht nur eine Gesinnung, sondern stets die aus dieser Gesinnung fließende lebenserhaltende, lebensfördernde und gemeinschaftsstärkende Tat. Wahrheit (hebräisch: ’æmæt) heißt soviel wie »Festigkeit, Zuverlässigkeit, Beständigkeit, Dauer«. Dem Begriff Treue nachgestellt und zugeordnet bringt Wahrheit die Festigkeit, Zuverlässigkeit und andauernde Gültigkeit der Treueerweise Gottes zum Ausdruck. »Er ist reich an Treue und Wahrheit« heißt: Er erfüllt in einer wirklich zuverlässigen Treue seine guten Zusagen. Wenn es heißt, seine Treue und Wahrheit ist reich, so bedeutet dies: Sie ist unerschöpflich in ihrer Mannigfaltigkeit und reicht bis in die tausendste Generation. Gott steht treu und zuverlässig zu seinen Zusagen – auch in Situationen, wenn das Gemeinschaftsverhältnis zwischen ihm und seinen Menschen schweren Belastungen ausgesetzt ist. Immer wieder in allen Generationen behält seine Treue und Wahrheit die Oberhand. Von seiner Treue und Wahrheit gilt: Sie bricht immer wieder durch wie eine Blüte aus der Knospe oder wie ein Sproß aus einer Wurzel. Das Zeitwort »bewahren« (hebräisch: nāṣar) beschreibt die bleibende, dem Menschen heilsam zugewandte Tätigkeit Jahwes und kennzeichnet Jahwe als den »Huldbewahrer«. Gottes Treue und Wahrheit sind keine Grenzen gesetzt. Für Gott gibt es keine gnadenlose Generation. Gott schließt keinen aus, auch die Sorgenkinder nicht.

– [7] Er trägt das Vergehen, die Auflehnung und die Verfehlung.
Das in der Regel mit »wegnehmen« übertragene Wort (hebräisch: naśā’) heißt wörtlich übersetzt: »tragen«. Gott selbst trägt die Schuld der Menschen. Gott geht in seiner Zuwendung zum Menschen so weit, »daß er Last und Schaden, die der Mensch in der Verletzung seines eigenen Existenzgrundes gewirkt hat, stellvertretend auf sich lädt, um den Menschen erneut in das Gemeinschaftsverhältnis mit ihm einsetzen zu können«.
Die nun folgenden drei Begriffe bringen die ganze Breite des menschlichen Unrechtes zur Sprache.
1) Vergehen (hebräisch: ʽāwon) ist abgeleitet von einem Verb, das soviel heißt wie »sich vergehen, schuldig werden gegenüber Menschen und Gott« (hebräisch: ʽāwāh). Das Vergehen hat seine Wurzel in der bösen Gesinnung und schließt immer das Bewußtsein von dem Schuldhaften ein. Das Vergehen ist die mit Absicht begangene Schuld. Gott trägt stellvertretend das Vergehen der Menschen.
2) Auflehnung (hebräisch: pæšaʽ) ist abgeleitet von einem Verb, das soviel heißt wie »sich empören, eine völkerrechtliche Vereinbarung brechen, sich verselbständigen« (hebräisch: pāšaʽ). Es gehört zunächst zur politischen Sprache und beschreibt ein rebellisches Verhalten (1Kön 12,19; 2Kön 3,7; 8,20). Im Verhältnis zwischen Gott und Mensch bedeutet der Begriff »Auflehnung« soviel wie »Empörung«, »Rebellion«, »Losreißung von Gott«, »Eigentumsbestreitung« und ist »ohne Frage das schwerste Wort für Sünde«. Es handelt sich um eine geplante, gewollte und bewußte Auflehnung, in der der Mensch bestreitet, Gottes Eigentum zu sein. Wenn Gott die Auflehnung des Menschen trägt, so macht er sich den Menschen wieder zu eigen. Er erklärt ihn zu seinem Eigentum, »zu einem unveräußerlichen Besitztum«.
3) Verfehlung (hebräisch: ḥatṭa’ah) kommt von einem Verb, das soviel heißt wie »ein Ziel verfehlen« (hebräisch: ḥāṭā’)l, »den richtigen Punkt verfehlen«, »die markierten Punkte bzw. die gewünschten Markierungen verfehlen« und wird so für alle Verfehlungen Gott gegenüber gebraucht. Eine Verfehlung ist eine unbewußte oder aber auch eine bewußte Abirrung von dem Gott Wohlgefälligen. Wenn Gott die Verfehlungen des Menschen trägt, stellt er das von seiten des Menschen bewußt oder unbewußt gebrochene Gemeinschaftsverhältnis wieder her.
Die stellvertretende Tat Gottes übersteigt jede menschenübliche Verhaltensweise. Sie schließt jedoch seine freie Souveränität nicht aus. In Gottes unendlicher Schöpferkraft schließen sich Gnade und Gerechtigkeit nicht aus.

– Er läßt nicht straffrei.
Der Gott der Gnade erweist sich bis ins tausendste Geschlecht. Gott tritt nicht achtlos zur Seite, wenn die Umkehr ausbleibt und hartnäckig verweigert wird.
Dabei trifft die Strafe Gottes nie einen Unschuldigen.m Sie trifft allein die – und das über vier Generationen hinweg –, die Gott hassen. Gott hassen heißt »sich weigern, auf Jahwes Seite zu treten«. Haß ist der Entzug bzw. die Vorenthaltung der Gott schuldigen Liebe. Gott hassen heißt »leben auf eigene Faust«. Im biblischen Sprachgebrauch ist hassen keinesweg emotional gefärbt. Hassen heißt soviel wie jemanden oder etwas Gott vorziehen und damit Gott an zweite Stelle setzen. Wenn die Nachkommen am Haß ihrer Vorfahren festhalten, indem sie Gott die ihm schuldige Liebe vorenthalten, trifft sie die Strafe Gottes. Sie müssen für ihre eigene Schuld und für die ihrer Väter, wenn sie sich diese zu eigen gemacht haben, leiden. Wenn aber das Hassen aufhört, wenn sie sich entschließen, auf die Seite Jahwes zu treten, wandelt sich der Zorn Gottes in Segen. Gott ist nicht der harmlose »liebe Gott«. Er prüft, ob die nachfolgenden Generationen »den Abfall der Väter nach vollziehen« oder ob sie umkehren und sich auf Gottes Seite stellen. Das Angebot der ewigen Gnade ist keineswegs ein ewiges Lächeln Gottes. Der Tag des Gerichtes bleibt nicht aus.

Die sechs Wendungen, mit denen Gott seine Wirkungen kennzeichnet, sind nichts anderes als die Entfaltung seines Namens Jahwe. Daß Gott in der Entfaltung seiner sechs Wirkungsweisen keinen Bezug auf Israel nimmt, ist kein Zufall. Angesichts des Wirkens Gottes werden »Gott und Menschheit gleich universal verstanden«.

Wuppertaler Studienbibel

Diese messianische Bibelarbeit über das, was die Bibel über die Gnade Gottes lehrt, wird das Thema in elf Kategorien behandeln.

I. DIE HEBRÄISCHEN UND GRIECHISCHEN WÖRTER
Diese Kategorie befasst sich mit den ursprünglichen hebräischen und griechischen Wörtern, aus denen der Lehrinhalt über die Gnade abgeleitet ist. Es gibt zwei hebräische Wörter und ein griechisches, die untersucht werden müssen.

A. Chen
Das erste hebräische Wort ist chen. Im Alten Testament wird es insgesamt zweihundertfünfundzwanzig Mal verwendet. Aus dem umfangreichen Gebrauch dieses Wortes ist es offensichtlich, dass eine Reihe von verschiedenen Facetten in den Begriff der Gnade Gottes involviert sind. Zehn Beispiele für seine verschiedenen Verwendungen können genannt werden.
Erstens bedeutet dieses Wort, chen, „reine, unverdiente Gunst von einem Überlegenen zu einem Unterlegenen“. Diese Verwendung findet sich in Exodus 33:19 und 34:6-9, wo Gott als der Überlegene seine unverdiente Gunst auf die Menschen ausdehnt, die unterlegen sind.
Zweitens bedeutet es „göttliche Gunst“ (Jeremia 31:2).
Drittens: Die Quelle dieser unverdienten, göttlichen Gnade ist Gott selbst (Sacharja 12,10).
Viertens wird chen im Sinne von Gnade für die Armen verwendet und enthält darin einen Sinn für Barmherzigkeit (Ex 22,27).
Fünftens ist es eine Gnade, die ausharrt (Psalm 116,5).
Sechstens: Es ist eine Gnade, die versorgt (Psalm 111,4-5).
Siebtens: Es ist eine Gnade, die barmherzig ist, auch wenn sie provoziert werden könnte (2 Mose 34,7).
Achtens: Es ist eine Gnade, die einen reuigen Sünder erhört (2 Chronik 30,9; Joel 2,13).
Neuntens ist es eine Gnade, die mit geistiger Erlösung verbunden ist (Hiob 33:24; Psalm 26:11).
Und zehntens ist es eine Gnade, die mit physischer Erlösung von Feinden, von Kriegen und von Sünden verbunden ist (Psalm 4:1; 9:13; 25:16; 30:10; 31:9; 56:1; 57:1; 86:1-3; 119:132, 134; 123:3).

Der beste Weg, die Verwendung des Wortes chen zusammenzufassen, ist, dass es die unverdiente Gunst eines Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen ist; in diesem Fall drückte Gott, der Vorgesetzte, die Gnade gegenüber dem Menschen gewöhnlich in zeitlichen oder gelegentlich in geistigen Segnungen aus, sowie in Erlösung und Befreiung, sowohl im physischen als auch im geistigen Sinne.

B. Chesed
Das zweite hebräische Wort, von dem der Begriff der Gnade Gottes stammt, ist chesed. Es wird insgesamt zweihundertfünfzig Mal im Alten Testament verwendet. Die Grundbedeutung von chesed ist „treue Liebe“. Es trägt die Vorstellung von Intensität in Güte und Liebe. Es hat die Vorstellung von einer Beziehung derer, die an Taten der Güte beteiligt sind. Dieses Wort hat auch im hebräischen Alten Testament eine Reihe von verschiedenen Facetten.
Insgesamt gibt es neun verschiedene Arten, wie das Wort chesed verwendet wird, wobei alle irgendwie mit der Gnade Gottes zusammenhängen. Erstens bedeutet es „Gemeinschaft mit Gott“ (Psalm 5,6-7). Zweitens betont dieses Wort für Gnade die Bundesbeziehung zu Gott (Dtn 7,12). Drittens betont es die Gnade in der Befreiung (Psalm 6,4). Viertens bedeutet es „die Gnade der Befähigung“ (Psalm 85,6-7). Fünftens trägt es den Begriff der Gnade in der Erleuchtung (Psalm 119,64.124). Sechstens ist es eine Gnade, die Vergebung gewährt (Psalm 51,1). Siebtens ist es eine Gnade, die sich in Hoffnung zeigt oder Hoffnung erzeugt (Ps 130,7). Achtens: Sie ist eine Gnade, die Lobpreis hervorbringt (Ps 13,5). Und neuntens ist sie eine Gnade, die Bewahrung verheißt (Ps 22,11.19; 23,6).

Um das Wort chesed zusammenzufassen, ist es jene feste Güte, die Gott den Menschen gegenüber zum Ausdruck bringt, besonders in den Bündnissen, die Gott mit seinem Volk geschlossen hat und die durch seine Verheißung fest garantiert sind. Die Grundbedeutung ist „treue Liebe“, wie sie besonders in den Bündnissen zum Ausdruck kommt. Dieses Wort für Gnade wird mit dem mosaischen Bund (2 Mose 20,6; 34,6-7; 5 Mose 5,10) und mit dem davidischen Bund (2 Samuel 7,15; 1 Chronik 17,13; 2 Chronik 1,8; 6,14, 42; Psalm 61,6-7; 89,33-34, 49) in Verbindung gebracht.

C. Charis
Das dritte Wort ist ein griechisches Wort, charis. Dies ist der wichtigste griechische Begriff für das Konzept der Gnade Gottes, und auch er wird auf verschiedene Weise verwendet.
Erstens bedeutet es manchmal „das, was Freude, Vergnügen, Entzücken, Charme und Lieblichkeit bietet“. Diese Gnade zu haben bedeutet, Freude, Vergnügen, Entzücken, Charme und Lieblichkeit zu haben. Das ist seine Bedeutung im klassischen Griechisch, wo es nicht speziell auf Gott bezogen war. Seine klassische Bedeutung findet sich in Lukas 4,22 und Epheser 4,29.
Zweitens bedeutet es „Wohlwollen“, „Güte“, „Gunst“ und „Gnade“ (Lk. 1,30; 2,52; Römer 11,6; 2 Korinther 4,15; 6,1; 9,14).
Drittens ist diese Gnade auch ein Ausdruck des Dankes (1 Korinther 10,30; 1 Timotheus 1,2; 2 Timotheus 1,3).
Viertens betont dieses besondere Wort für Gnade manchmal den Nutzen der Gnade, wie z.B. den Nutzen des gesamten geistlichen Zustandes (Römer 5:2; 1 Petrus 5:12); die Gnade, die gibt (1 Korinther 16:3; 2 Korinther 8:6-7); irdische Segnungen (2 Korinther 9:8); oder rettende Gnade (Johannes 1:17; 1 Korinther 15:8-10; 2 Korinther 8:9; 1 Petrus 1:10, 13).
Eine fünfte Verwendung ist eine etwas andere Form derselben Wurzel und bedeutet „Gnade erweisen“. Gläubige sind in der Lage, jemand anderem Gnade zu schenken (Lk. 1,28; Epheser 1,6).
Die sechste Art, wie es verwendet wird, ist die Betonung einer Gnadengabe. Es gibt zwei Arten von Gnadengaben: erstens die Gabe der Erlösung (Römer 6,23); und zweitens den Gebrauch der geistlichen Gaben. Das zeigt sich in einer anderen Form desselben griechischen Wortes, das die Gaben des Heiligen Geistes betont (Römer 12,3-8; 1 Korinther 7,7; 12,1-31; Epheser 4,8-11 und 1 Petrus 4,10).

Dies sind drei ursprüngliche Wörter, zwei hebräische und ein griechisches, und ihre verschiedenen Verwendungen, die man kennen muss, um zu einer Erkenntnis dessen zu kommen, was die Gnade Gottes bedeutet.

Arnold Fruchtenbaum – DIe Gnade Gottes