Hiob fing an zu reden und den Tag seiner Geburt zu verfluchen

Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. Und Hiob hob an und sprach: Es verschwinde (Eig gehe zu Grunde) der Tag, an dem ich geboren wurde, und die Nacht, welche sprach: Ein Knäblein ist empfangen!
Elberfelder 1871 – Hiob 3:1–3

 Danach öffnete Ijjow seinen Mund und verfluchte seinen Tag; 2 und Ijjow hob an und sprach: 3 Wäre doch der Tag getilgt, an dem ich geboren wurde, und die Nacht, die sprach: Empfangen ist ein Mann.
Die Philippson-Bibel – Ijob 3,1–3

Hiob verfluchte seinen Tag (d. h. den Tag seiner Geburt), aber interessanterweise verfluchte er nicht Gott. Er hätte den Tag seiner Geburt gerne aus dem Kalender gestrichen (vgl. V. 6 ). Dann gedachte Hiob der Nacht, da man sprach: E in Knabe kam zur Welt (wörtl.: „wurde empfangen“).
Hiob fuhr fort, über den Tag seiner Geburt (V. 4-5 ) und die Nacht, in der er empfangen worden war (V. 6-7 a), zu sprechen. Dann schloß er diese poetische Rede (V. 3-10 ) ab und erklärte, weshalb er sich danach sehnte, daß er nie geboren worden wäre (V. 10 ).

Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

Die Stimme des Leidenden (Hiob 3,1-26). Nach sieben Tagen stillen Leidens sprach Hiob, nicht um Gott zu verfluchen, sondern um den Tag seiner Geburt zu verfluchen. „Warum bin ich je geboren worden?“ hat mehr als ein verletztes Kind Gottes geschluchzt, darunter auch der Prophet Jeremia (Jer. 20:14-18). Das ist nicht ganz dasselbe wie zu sagen: „Ich wünschte, ich wäre tot“, obwohl Hiob diesen Wunsch mehr als einmal äußerte (Hiob 6,9; 7,15-16; 14,13). Zu keinem Zeitpunkt sprach Hiob davon, sein eigenes Leben zu beenden. Hiobs „Geburtstagsklage“ ist keine Verteidigung des Selbstmords oder des so genannten „Gnadentods“. Es ist die Erklärung eines Mannes, dessen Leiden so groß war, dass er sich wünschte, er wäre nie geboren worden.

Wenn man leidet, sagt und tut man vielleicht viele Dinge, die man später bereut. Hiobs Leid war so groß, dass er die Segnungen vergaß, die er und seine Familie so viele Jahre lang genossen hatten. Wäre er nie geboren worden, wäre er nie der größte Mann im Morgenland geworden! Aber der Schmerz lässt uns die Freuden der Vergangenheit vergessen und wir konzentrieren uns auf die Hoffnungslosigkeit der Zukunft. Hiobs Freunde hörten seine Worte, aber sie spürten nicht die Qualen seines Herzens, und sie wählten den falschen Ansatz, um ihm bei der Bewältigung seiner Prüfungen zu helfen. Sie argumentierten mit seinen Worten, anstatt sich um seine Gefühle zu kümmern.
Hiob verfluchte zwei Nächte: die Nacht seiner Empfängnis und die Nacht seiner Geburt (3,1-13). Empfängnis ist ein Segen, der von Gott kommt (1. Mose 30,1-2; Ps. 139,13-16); wenn wir also einen Segen verfluchen, stellen wir die Güte Gottes in Frage. (Beachten Sie, dass Hiob sagte, ein Kind sei gezeugt worden, nicht „eine Masse von Protoplasma“ oder „ein Ding“. Er war von der Empfängnis an ein Mensch.)
Das Schlüsselwort hier ist Dunkelheit. Wenn ein Baby geboren wird, kommt es aus der Dunkelheit ins Licht; aber Hiob wollte in der Dunkelheit bleiben. Er dachte sogar, es wäre besser gewesen, wenn er tot geboren worden wäre! Dann wäre er in die Welt der Toten (Scheol) gegangen und hätte all dieses Elend nicht ertragen müssen.

Warren W. Wiersbe – Sei Commentary Series

Die Formulierung »er öffnete seinen Mund« ist das Gegenwort zu »stumm sein«. Es ist die Bekundung des Entschlusses, »aus Verschlossenheit und Schweigen herauszugehen«. Wer lange mit einer Not alleine war, muß sich nicht nur einen Ruck geben, sondern es bedarf eines starken Willensentschlusses, das Schweigen zu brechen.
Hiobs Mund öffnete sich nicht zum Fluch, sondern zur Verwünschung seines Daseins. Hiob verflucht oder verwünscht auch nicht Gott, sondern »die Welt in ihrer Ordnung, die ihm in der Situation seines Leidens absurd erscheint«. Hiob verwünscht seinen Tag, das heißt sein Dasein, »wobei an seine schweren Tage (vgl. Hi 30,25) und sein bitteres Schicksal zu denken ist«.
Das Zeitwort »verwünschen« (hebräisch: qll) heißt in seiner Grundbedeutung »leicht, klein, verächtlich sein«. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß Hiob den Tag seiner Geburt »als leicht und leer, als innerlich ausgehöhlt und darum aller Unehre und allem Verfall anheimgegeben anspricht«.
Nach dieser knappen Eröffnungsformel beginnt in Vers 3 ein Neuansatz. »Eine lyrische Tonart wird angeschlagen.« Die nun folgenden Reden sind in der Regel in sogenannten Tetrastichen geschrieben, das heißt in je vier zusammengehörenden Verseinheiten. Es ist das »einfachste Versmaß …, das für lange Reihen von Weisheitsreden am besten geeignet ist«.

Wuppertaler Studienbibel

Vers 1. »Danach«, d. h., nachdem die sieben Tage, die Hiobs Freunde schon bei ihm gesessen hatten, samt den Tagen davor um waren. Als die Schläge Hiob trafen, reagierte er mit Glauben. Nachdem er mehrere Tage dagesessen und über sich und seine Lage nachgedacht und unter seinem Schmerz geseufzt hat, kann er nicht mehr: »Ich verstummte in Stille, ich schwieg … Mein Herz brannte in meinem Innern, bei meinem Nachsinnen entzündete sich Feuer« (Ps 39,3–4). Nun wird es ihm zu viel. Man sagt, dass es bei Schicksalsschlägen meist so sei. Zunächst trägt man den Schlag standhaft, weil es eine gewisse Zeit dauert, bis das volle Gewicht der Not sich auf die Seele gelegt hat. Hiobs Reaktion ist also ganz natürlich; sie ist menschlich völlig normal. (- »Jetzt begannen für Hiob die dunkelsten Tage. Im Hereinbrechen der Katastrophen selbst steckt immer etwas Stimulierendes. Es ist gerade der Schock, der eine Kraft erzeugt, die den Menschen zum (momentanen) Sieg verhilft. Erst in der brütenden Stille, die nachher den Geist umhüllt, beginnt der wirkliche Kampf. Der Erzvater ist nun in diese Stille und den darauffolgenden Kampf eingetreten« (G. Campbell Morgan, The Book of Job). -)Und doch:

»Schließlich ›sprach Hiob mit [s] einer Zunge‹, aber nicht ein so gutes Wort wie David sprach, nachdem er lange geschwiegen hatte: ›Tue mir kund, HERR, mein Ende‹ (Ps 39,4–5). Sieben Tage saß der Prophet Hesekiel betäubt unter den Weggeführten, und dann ›geschah das Wort des HERRN‹ zu ihm (Hes 3,15–16)« (Matthew Henry).

»Danach«: Das heißt auch, nachdem er so viel Bitteres durchgemacht hatte. Rechtfertigt sein Leiden seinen Protest? Es ist der ganzen Menschheitsfamilie ergangen wie Hiob, der aus einer Stellung einmaligen Glücks in die tiefsten Tiefen stürzte: Der Mensch wurde geschaffen und in einen Garten der Wonne gestellt. Danach trat der Satan auf den Plan – ebenfalls nicht ohne Gottes Willen –, und der Mensch fiel. Seither ist Leben Leiden. Es wird sinnlos und in seiner Sinnlosigkeit unerträglich, wenn wir den Gott nicht kennen, der uns erschaffen hat, und ihm nicht mehr vertrauensvoll ergeben sind.
Es war Hiobs Vertrauen gewesen, das ihn befähigt hatte, unter den wütenden Schlägen des Widersachers stillzuhalten und hinter allem Gottes Hand zu sehen und sich unter diese zu demütigen. Hatte er nicht bezeugt, Gott habe ihm seinen Besitz genommen, wo es vordergründig doch Menschen gewesen waren, die ihn beraubt hatten? Und hatte er nicht bezeugt, er sei willens, auch das Böse aus Gottes Hand zu nehmen, wo es doch Satan gewesen war, der seine Hand gegen ihn ausgestreckt hatte? Wie glücklich war er, wie glücklich ist der Mensch, der sich in allem unter Gottes Regierung beugt, der in allem Gottes Hand sehen kann! Dieses Vertrauen hat Hiob nun weggeworfen (Hebr 10,35), und daher wird ihm Gottes züchtigende Hand unerträglich (vgl. Hebr 12,5).
Aber beachten wir: Er »verfluchte seinen Tag«, er verfluchte nicht Gott. Satans Absicht schlägt fehl; Hiob sagte sich nie von Gott los (1,11; 2,5).

Benedikt Peters – Das Buch Hiob