Nach einer Tradition des Lukas-Evangeliums war es einer der Jünger Jesu, der nicht mit Namen genannt wird, welcher sich mit der Bitte an ihn wendet: „Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.“ Diese Bitte ist nicht dahin zu verstehen, daß die Jünger Jesu vorher keine Gebete kannten, sondern zusätzlich zum üblichen Gebet der täglichen und sabathlichen Übung pflegten die verschiedenen Meister ihren Jüngern noch Privatgebete, „Thachanunim“, zu empfehlen. In diesem Sinne dürfen wir das Wort bei Beachoth 29b verstehen: „Wer sein Gebet als etwas Obligatorisches betrachtet, dessen Gebet ist kein Flehen..:“ Was heißt etwas nur Obligatorisches`? Rabbi Joseph erklärte: „Wenn man darin nichts Neues einzuschalten weiß“.
In diesem Sinne ist der Gebetswunsch des Jüngers zu verstehen, und darauf zielt auch die Antwort Jesu, das „Unser Vater“. Es heißt das Wesen dieses Gebetes mißzuverstehen, wenn man es als liturgische Formel auffasst, da las das einzig legitime liturgische Gebet. Genau das ist es nicht, sondern ein Hinweis auf die Art und Weise, wie, in aller Schlichtheit des Herzens, gebetet werden soll.
Dabei ist das Gebet kein Selbstzweck, Beten wird hier nicht als eine Pflicht oder gute Tat aufgefasst, sondern als Zwiesprache mit Gott.
Gebet ist für Jesus Zwiesprache mit dem Vater im Himmel, wobei der Mensch sich seiner Kindsituation voll bewußt sein soll, in den drei Bitten, die dem Menschen ziemen: der Bitte um das tägliche Brot, der Bitte um Vergebung der Schuld und der Bitte um das Reich Gottes.
In allem bewegt sich Jesus auf dem Boden der jüdischen Tradition seiner Zeit….