Danach erschien er Jakobus, dann den Aposteln allen; am letzten aber von allen, gleichsam der unzeitigen Geburt, erschien er auch mir.
Elberfelder 1871 – 1 Kor 15,7–8
Dann wurde er von Jakobus gesehen und später von allen Aposteln. Als Letzter von allen habe auch ich ihn gesehen, so als wäre ich zur falschen Zeit geboren worden.
Neues Leben Bibel 2014 -1.Kor 15,7–8
Als Letztem von allen hat er sich auch mir gezeigt; ich war wie einer, für den es keine Hoffnung mehr gibt, so wenig wie für eine Fehlgeburt – Oder gezeigt; ich war wie eine unzeitige Geburt. Aü gezeigt, dieser Missgeburt von einem Apostel, wie manche mich nennen. W gezeigt, gleichsam der Fehlgeburt/Missgeburt.
Neue Genfer Übersetzung 2013 – 1.Korinther 15:8
Warum empfindet Paulus sich als „zu spät geboren“??
Der Ausdruck »unzeitige Geburt« (Euther, Elberfelder, Schlachter) bzw. »Fehlgeburt« (Zürcher, Menge) oder »Missgeburt« (Einheitsübersetzung) bezog sich normalerweise auf einen toten Fötus, nach einer Fehlgeburt oder einer Abtreibung. Vielleicht bezeichnet Paulus sich selbst im Vergleich mit den anderen Aposteln als Missbildung ( 15,9 ); sicher ist, dass er sich hier in irgendeiner Weise herabwürdigt. Er könnte meinen, dass er zur falschen Zeit geboren ist (in diesem Fall jedoch wohl eher zu spät als zu früh), und zwar nach den ersten Epiphanien Jesu. Nach Ansicht anderer Kommentatoren wurde Paulus im Mutterleib auserwählt, machte diese Berufung jedoch durch seine Verfolgung der Kirche zunichte und sich selbst auf diese Weise bis zu seiner Bekehrung gleichsam zu einem abgetriebenen Fötus.
Craig Keener – Kommentar zum Umfeld des Neuen Testaments
Paulus bezeichnet seine eigene Bekehrung als eine unzeitige Geburt, denn ihm fehlt die Zeit, die die anderen mit Christus auf Erden verbracht haben (vgl. Apg 1,21-22).
Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar
Mit seiner eigenen Person schliesst die Kette der Zeugen ab – auch zeitlich. Die Erscheinung des Auferstandenen vor Paulus bei Damaskus war ebenso wirklich wie die vor den anderen Zeugen. Es steht dasselbe griechische Wort (»ist er auch von mir gesehen worden«). Der auferstandene Christus ist Paulus begegnet (vgl. Apg 9,3ff.; Apg 22,6ff.; Apg 26,12ff.; besonders Apg 26,13: »sah«). Der Apostel nennt sich selbst in aller Demut eine »unzeitige Geburt« (wörtlich: »Fehlgeburt«), also ein eigentlich nicht lebensfähiges Wesen. Autorität, Vollmachtsanspruch und Demut gehören hier zusammen. Die Autorität als Apostel leitet sich von dem Auferstandenen ab, die Demut von dem ehrlichen Blick auf die eigene Person. Paulus versteht sein Apostelamt als unverdiente, geschenkte Gnade und Würde.
Gerhard Maier – Edition C
Warum sieht er sich als „unzeitige Geburt“? Weil er „die Gemeinde Gottes verfolgt“ hat. Der Begriff bezieht sich also auf seine „Geburt“ als Apostel. Diese „Fehlgeburt“ hängt ihm nach, so dass er „der geringste unter den Aposteln“ ist und eigentlich „nicht wert“ ist, Apostel genannt zu werden.
Mainka – 1. Korintherbrief
Dass er trotzdem ein Apostel ist, verdankt er nicht sich selbst, sondern allein der Gnade Gottes. Gleichzeitig stellt er fest, dass Gottes Gnade in seinem Leben „nicht vergeblich gewesen“ ist, sondern bewirkt hat, dass er „viel mehr gearbeitet“ hat als alle anderen Apostel. Damit nicht der Eindruck entsteht, dass er seine Arbeit als ein Werk versteht, durch das er sich bei Gott etwas verdient, oder seine Aussage auf andere Weise missverstanden wird, betont er noch einmal, dass sein Engagement die Wirkung der Gnade Gottes ist, die mit ihm ist.
Nun nennt Paulus zum Schluß auch sich selbst als „Zeugen der Auferstehung“ (Apg 1, 22). „Am letzten aber von allen, wie von der Fehlgeburt, wurde er gesehen auch von mir. Denn ich bin der geringste der Apostel, der ich nicht tauglich bin, ein Apostel genannt zu werden, weil ich verfolgt habe die Gemeinde Gottes.“ Er muß mit in der Zeugenreihe stehen, wenn er überhaupt ein wirklicher „Apostel“ ist. Aber er ist darin nur so etwas wie „die Fehlgeburt“18 oder „die Mißgeburt“ eines Apostels. Denn die Aufgabe eines Apostels ist der grundlegende Aufbau der „Gemeinde Gottes“. Paulus aber hat vielmehr „die Gemeinde Gottes verfolgt“ und sie zu vernichten gesucht (Gal 1, 13). So war er — völlig anders als alle anderen „Apostel“ bei all ihrem Versagen — in sich selbst das genaue Gegenteil eines Apostels. Er ist „nicht tauglich, ein Apostel genannt zu werden“, und so „der geringste der Apostel“.
Wuppertaler Studienbibel
Das Wort ἔσχατος („der Letzte“) erscheint hier nicht als Adverb („zuletzt“), da danach πάντων („von allen“) folgt, d.h. Paulus war der Letzte von allen Genannten Personen, denen der Herr erschien. Daher gebraucht er auch das Wort ἔκτρωμα („unzeitige Geburt, Fehlgeburt, Früh-/Spätgeburt), das an einigen weiteren Stellen vorkommt: Numeri 12.12: „μὴ γένηται ὡσεὶ ἴσον θανάτῳ ὡσεὶ ἔκτρωμα ἐκπορευόμενον ἐκ μήτρας μητρὸς καὶ κατεσθίει τὸ ἥμισυ τῶν σαρκῶν αὐτῆς“. „Sie möge nicht werden wie etwas, das dem Tod gleich ist, wie eine Fehlgeburt, die aus dem Mutterschoß herauskommt und (so) die Hälfte ihres Fleisches verzehrt. Prediger 6.3: „ἐὰν γεννήσῃ ἀνὴρ ἑκατὸν καὶ ἔτη πολλὰ ζήσεται καὶ πλῆθος ὅ τι ἔσονται ἡμέραι ἐτῶν αὐτοῦ καὶ ψυχὴ αὐτοῦ οὐκ ἐμπλησθήσεται ἀπὸ τῆς ἀγαθωσύνης καί γε ταφὴ οὐκ ἐγένετο αὐτῷ εἶπα ἀγαθὸν ὑπὲρ αὐτὸν τὸ ἔκτρωμα“. „Wenn jemand 100 (Kinder) zeugt und viele Jahre leben wird und es eine Menge ist, was er an Lebensjahren haben wird, aber seine Seele nicht satt werden wird vom Guten und ihm auch kein Grab zuteil ist, ich sagte: Besser als er hat es die Fehlgeburt“. Den Vergleich mit einer Fehlgeburt macht auch Hiob 3.16: „ἢ ὥσπερ ἔκτρωμα ἐκπορευόμενον ἐκ μήτρας μητρὸς ἢ ὥσπερ νήπιοι οἳ οὐκ εἶδον φῶς“. „Oder wie eine Fehlgeburt aus dem Schoß der Mutter herauskommt oder wie Säuglinge die das Licht nicht sahen (wäre ich nicht da)“. In Abgrenzung zur Fehlgeburt beschreibt Philo in Legum allegorianum das Wort als „unzeitige Geburt“: ἀμβλωθρίδια εὑρίσκεται καὶ ἐκτρώματα („Man hält es für eine Fehlgeburt und unzeitige Geburt“). Da Paulus ja doch in geistlicher Hinsicht auf die Welt kam, spricht der Zusammenhang eher für eine „unzeitige Geburt“, da Paulus wohl meinte, er kam zu spät zu Christus, andererseits für eine Fehlgeburt. da er sich für tot in Sünden und Übertretungen hielt und erst durch das Eingreifen und die Erscheinung des Herrn zum Leben kam. Da der Artikel τῷ („der“) gebraucht wird, scheint Paulus dies wie eine Apposition für sich zu gebrauchen, d.h. „mir, als der unzeitigen Geburt“.
Peter Streitenberger – 1. Korinther
Paulus ist also weder deprimiert noch überheblich. Er versucht nicht, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken, wie das heute einige „christliche Hirten“ tun. Ihm war bewußt, dass er zu einer Zeit gelebt hatte, wo er Jesus Christus persönlich hätte begleiten können – doch aus Gnade später für IHN eintreten durfte.
Lass dich, lieber Leser, also bei Fragen zu Bibelstellen nicht von nur wenigen Zeilen abspeisen – sondern lerne, selbst aktiv nachzuforschen, was andere über diesen Vers herausgefunden haben.