Wenn wir uns die Geschichten in der Bibel anschauen, dann haben wir manchmal Fragezeichen in unseren Gedanken. So auch die Geschichte mit Simson….
Spannend wenn wir uns dann die selben Geschichten in den „Überlieferungen“ anschauen. Hier ein Beispiel von der Wiedergabe von Josephus:
Spater aber fiel er von den Gebräuchen seiner Väter ab, führte ein schlechtes Leben und äffte die Gewohnheiten fremder Völker nach, was gewöhnlich der Anfang alles Übels ist. Er liebte eine Buhldirne Namens Dalila und lebte mit ihr. An diese machten sich nun die Vorsteher der Palaestiner heran und suchten sie durch grosse Versprechungen zu beschwätzen, dass sie von Samson erforschen möge, was die Ursache seiner gewaltigen Stärke sei, die ihn unüberwindlich mache. Sie ging darauf ein, und als Samson einst bei ihr zechte und ihren vertrauten Umgang genoss, bewunderte sie seine Heldenthaten und suchte zu erfahren, warum er eine so grosse Stärke besitze. Samson aber, der seines Geistes noch mächtig war, setzte List gegen List und sagte, wenn man ihn mit Rebzweigen binde, die sich noch biegen liessen, so werde er schwächer als alle anderen sein. Mit dieser Antwort war sie zufrieden, und nachdem sie die Vorsteher der Palaestiner verständigt hatte, versteckte sie einige Krieger bei sich. Als nun Samson berauscht und in Schlaf gefallen war, band sie ihn mit den Rebzweigen, so fest sie konnte; dann weckte sie ihn und schrie ihm zu, die Feinde bedrohten ihn. Er aber zerriss die Rebzweigenfesseln und rüstete sich zur Wehr, falls man ihn angreifen wolle. Da er nun häufig mit dem Weibe verkehrte, beklagte sie sich einst, dass er so misstrauisch sei und ihr nicht sagen wolle, was sie so gern wissen möchte, gerade als ob sie das nicht geheim zu halten verstehe, dessen Ausplauderung ihm schaden könne. Samson aber täuschte sie wiederum, indem er ihr sagte, wenn er mit sieben Stricken gefesselt werde, so werde seine Kraft von ihm weichen. Als das wieder keinen Erfolg gehabt hatte, erklärte er ihr das dritte Mal, man müsse ihm seine Haare flechten. Und da auch das sich als trügerisch erwies, bestürmte sie ihn noch heftiger mit Bitten, sodass sich Samson endlich (es war ihm nämlich bestimmt, dass er in sein Unglück geraten sollte), um die Gunst der Dalila wiederzuerlangen, bereden liess und ihr kundthat: „Gott selbst, durch dessen Fürsorge ich geboren bin, hat befohlen, dass mein Haar wachsen gelassen und nicht geschoren werde. So lange solle ich meine Kräfte behalten und sie sogar noch vermehren, als ich meine Haare wachsen lassen und erhalten würde.“ Als sie so endlich den wahren Grund erfahren hatte, schnitt sie ihm heimlich das Haar ab und überlieferte ihn seinen Feinden, denen er jetzt ohnmächtig preisgegeben war. Diese blendeten ihn und liessen ihn gefesselt wegführen.
Jüdische Altertümer, übersetzt von Clementz, 1899
Im Laufe der Zeit aber wuchs ihm das Haar wieder, und als die Palaestiner einst ein öffentliches Fest begingen, und ihre Vorsteher und Vornehmsten in einem Hause, dessen Dach von zwei Säulen getragen wurde, schmausten, liessen sie den Samson holen, um beim Zechgelage mit ihm ihren Spott zu treiben. Dieser aber, der es für das schlimmste aller Übel hielt, dass er so zum Gespötte dienen musste und sich nicht rächen konnte, sagte dem Knaben, der ihn an der Hand führte, er solle ihn an die Säulen leiten, da er ermüdet sei und etwas ausruhen wolle. Kaum war er dort angelangt, als er sich mit aller Kraft auf die Säulen warf, sie umstürzte und das ganze Haus wanken machte. So fanden dreitausend Menschen, die unter dem einstürzenden Hause begraben wurden, und Samson mit ihnen den Tod. Samson herrschte zwanzig Jahre lang über die Israëliten. Bewundernswert ist er wegen seiner Tapferkeit und Stärke, wegen des Starkmutes, mit dem er den Tod erlitt, und weil er bis zum letzten Atemzuge seine Feinde hasste. Dass er sich von einem Weibe überlisten liess, ist auf Rechnung der menschlichen Natur zu setzen, die leicht der Sünde unterliegt. Jedenfalls muss man ihm das Zeugnis geben, dass er im übrigen ein ausgezeichneter und tugendhafter Mann war. Seine Verwandten bestatteten ihn bei den Vorfahren in seiner Vaterstadt Sariasa.
und seine Kraft verließ ihn. Die Reihe von Zeitformen vermittelt hier wahrscheinlich nicht die Abfolge, sondern die Gleichzeitigkeit: Sie demütigte ihn, als seine Kraft ihn verließ. Der Text suggeriert fast, man könne beobachten, wie die Kraft aus Simson schwindet. Die Leserinnen und Leser fragen sich immer wieder, wie Simson so töricht sein konnte. Wusste er nicht aufgrund der letzten drei Episoden, dass sie ihm tatsächlich die Haare abschneiden würde? Anstatt Samsons Offenbarung auf Dummheit oder Liebesblindheit zurückzuführen, bleibt der Schlüssel wahrscheinlich Arroganz. Nirgendwo in der Geschichte hat Samsons Stärke gelitten, trotz wiederholter Verstöße gegen sein Gelübde und gegen Jahwes Moralgesetz.
Joseph Coleson – Eckpfeiler des biblischen Kommentars – Richter
Doch schon bald begann sein Haar wieder zu wachsen. Von einem fortgeschritteneren Punkt im Prozess der göttlichen Offenbarung aus betrachtet, könnten christliche Leser vor einer scheinbar plumpen Verbindung zwischen Samsons bloßer äußerer Erscheinung, d.h. dem Wachstum seines Haares, und der Rückkehr von Gottes Segen auf sein Leben zurückschrecken. Aber das Nasiräer-Gelübde konzentrierte sich auf das Haar. Was auch immer für andere Regeln gelten mochten, das „heilige Haupt“ des Nasiräers spielte eine zentrale Rolle in dieser verstärkten Hingabe an Jahwe. In ähnlicher Weise verwendet der Text Simsons Haar als sichtbares literarisches Zeichen für Simsons Hingabe an Gott. Indem der Autor feststellt, dass Samsons Haare nachwachsen, signalisiert er, dass Gott mit Samson noch nicht fertig ist. Tatsächlich hatte Gott Simson bis zum Tag seines Todes zum Nasiräer erklärt. Selbst in Sünde und Versagen, selbst im Gefängnis, wurde Simson nicht von seinem Gelübde entbunden (gegen Boling 1975:248-253). Der Autor signalisiert, dass Simson unter der Barmherzigkeit Gottes bleibt. Die Wiederbelebung des Symbols seiner Hingabe weist auf die Erneuerung der Hingabe selbst hin. Ironischerweise spielt sich das, was ursprünglich ein Geheimnis war, das die Philister erdacht und für das sie viel Geld bezahlt haben, nun direkt vor ihren Augen ab, und sie sehen es nicht einmal. Sie sind für die Gefahr, die von dem nachgewachsenen Haar ausgeht, genauso blind wie Simson für den Verlust des Haares.
Joseph Coleson – Eckpfeiler des biblischen Kommentars – Richter
Noch einmal war Simson den Philistern entkommen, aber die Stunde seines Sturzes war nahe. Die von Gott anvertraute Kraft als seine eigene zu betrachten und sie für selbstsüchtige Zwecke zu missbrauchen, war der erste Schritt zum Verrat und zum Verzicht auf das, worin sie wirklich lag. Samson hatte aufgehört, im Herzen ein Nasiräer zu sein, bevor er äußerlich aufhörte, einer zu sein. Die Geschichte von Delila3 ist zu gut bekannt, um sie im Einzelnen zu wiederholen. Schon ihr Name – „die Schwache“ oder „die Sehnsüchtige“ – verströmt Sinnlichkeit, und ihre Heimat liegt im Tal von Sorek oder der erlesenen roten Traube. Die Philisterfürsten haben endlich gelernt, dass Gewalt nicht gegen Simson siegen kann, bis er sich durch seine eigene Untreue selbst seiner Kraft beraubt hat. Es ist die gleiche Geschichte wie die von Israel und seiner Sünde mit Baal-Peor. Es wird die gleiche Methode angewandt, die Bileam zum Verderben Israels vorgeschlagen hatte, und leider mit dem gleichen Erfolg. Die fünf Fürsten der Philister versprechen Delila 1000 und 100 Schekel, insgesamt 5500, also etwa 700 Pfund, als Lohn für ihren Verrat. Dreimal ist Simson ihrer Hartnäckigkeit, sein Geheimnis zu ergründen, entgangen. Jedes Mal hatte sie Wächter in einer angrenzenden Wohnung, die bereit waren, sich auf ihn zu stürzen, wenn er wirklich seine Kräfte verloren hätte. Doch beim dritten Mal war er in seiner Spielerei mit heiligen Dingen seinem Sturz gefährlich nahe gekommen, da er in ihrem Gehör seine Kraft mit seinem Haar verband. Und doch blieb er trotz aller Warnungen, wie einst Israel, in seiner Sünde verharrt.
Alfred Edersheim – Geschichte der Bibel
Endlich ist es soweit. Er hat Delilah sein ganzes Herz geöffnet, und sie weiß es. Aber die Schrift legt uns die wahre Erklärung der Angelegenheit vor, in ihrer üblichen nachdrücklichen Art, aber mit einer so offensichtlichen Vermeidung der Suche nach Wirkung, dass nur der aufmerksame, fromme Leser sie aufspüren kann. Die Fakten sind wie folgt: Als Simson sein Geheimnis an Delila verrät, sagt er (16,17): „Wenn ich geschoren werde, dann wird meine Kraft von mir weichen“, während die Heilige Schrift, als das Ereignis tatsächlich eintrat, es erklärt: „Er wußte nicht, daß Jehova von ihm gewichen war.“ In diesem Gegensatz zwischen seiner Einbildung über seine eigene Stärke und der Tatsache, dass sie auf die Gegenwart Jehovas zurückzuführen ist, liegt der Kern der ganzen Sache. Man schreibt: „Die übermenschliche Kraft Samsons lag nicht in seinem ungeschnittenen Haar, sondern darin, dass Jehova mit ihm war. Aber Jehova war nur so lange mit ihm, wie er sein Nasiräer-Gelübde hielt.“ Oder, mit den Worten eines alten deutschen Kommentars: „Das ganze Elend Simsons rührte daher, dass er sich aneignete, was Gott durch ihn getan hatte. Gott lässt zu, dass seine Kraft zerstört wird, damit er in bitterer Erfahrung lernt, dass er ohne Gottes Gegenwart nichts ist. Und so lehren uns unsere Stürze immer am besten.“ Aber wie immer erweist sich die Sünde als der härteste Zuchtmeister. Der gefallene Simson wird mit allen möglichen Demütigungen überhäuft. Man sticht ihm die Augen aus, legt ihm eherne Fesseln an und lässt ihn die niedrigste Gefängnisarbeit eines Sklaven verrichten. Und auch hier findet die Geschichte Simsons ihre Parallele in der des verblendeten Israels, mit dem Urteil der Knechtschaft, der Erniedrigung und des Leidens, das auf die große nationale Sünde folgte, das Nasiräer-Gelübde abzulegen.
Aber, Gott sei gelobt, weder die Geschichte noch ihre Parallele hört hier auf. Denn „die Gaben und Berufungen Gottes sind ohne Reue“. So steht es ausdrücklich im heiligen Text: „Und das Haar auf seinem Haupt begann zu wachsen, wie es geschoren war“, das heißt, sobald es geschoren war. Dann begann eine Periode göttlicher Trauer und Reue, die sowohl durch die Rückkehr Gottes zu ihm als auch durch seine letzte Glaubenstat, in der er für sein Volk sein Leben opferte, bewiesen wurde; auch hierin folgt das große Gegenbild, wenn auch „von ferne“. Wir nehmen an,4 dass „der Knabe“, der ihn zu den Säulen führte, auf denen das Haus Dagons ruhte, ein Hebräer war, der Samsons Hoffnungen und Gebete kannte und der, unmittelbar nachdem er ihn in die verhängnisvolle Lage gebracht hatte, den Tempel verließ und dann Samsons „Brüdern“ die Nachricht überbrachte (16,31).