Tag: 13. März 2024

Weisheit

Die Weisheit schreit draußen, sie läßt auf den Straßen ihre Stimme erschallen.
Elberfelder 1871 – Sprüche 1,20

Die hohe Weisheit klagt auf der Gasse,
über die Plätze gibt ihre Stimme sie hin,
zuhäupten der lärmenden Straßen ruft sie,
in den Einlässen der Tore in der Stadt redet sie ihre Reden:
»Bis wann noch, Einfältige, wollt die Einfalt ihr lieben,
haben Dreiste an der Dreistigkeit Gefallen,
hassen Toren Erkenntnis,
kehrt ihr von meiner Rüge euch ab!
Nun lasse sprudeln ich auf euch meinen Geist,
kund mache ich euch meine Worte.
Buber & Rosenzweig Sprüche 1:20–23

Die Weisheit ( Im Hebr.: Mehrzahl. Die Weisheit ist als eine göttliche Macht dargestellt, also die zweite Person der Gottheit. (Athan., Cyrill, Gregor Naz., Tertull., Aug., Beda) – Hebr.: An die Ecke lärmender (Straßen). – Das Hebr. fügt bei: überall in der Stadt. Also überall da, wo viele sie hören können. – Frage der Ungeduld. ) ruft laut auf der Straße, lässt ihre Stimme auf den freien Plätzen erschallen.
An der Spitze der Volkshaufen ruft sie, an den Eingängen der Stadttore redet sie ihre Worte und spricht:
Wie lange wollt ihr Einfältigen die Einfalt lieben? Und die Toren das verlangen, was ihnen schädlich ist, und die Unweisen die Einsicht hassen? ( Hebr.: Wie lange wollt ihr Einfältigen die Einfalt lieben? Und (wie lange wollen) die Spötter Lust am Spotten haben und die Toren Erkenntnis hassen? – Die Unerfahrenen sind am leichtesten zu verführen. Die Spötter sind die Freigeister, die meinen, es gebe keinen Gott, Gott sehe nicht auf das Tun der Menschen. Die Toren sind ein höherer Grad der Einfältigen, die, welche, um genießen zu können, die Wahrheit, dass Gott die Bösen straft, unbeachtet lassen oder selbst hassen. )
Kehret um auf meine Zurechtweisung! Sehet, ich will euch meinen Geist kundtun und euch meine Worte wissen lassen. ( Ob die Weisheit hier wartet, dass sich jemand von den Angeredeten zu ihr wende? Nach einigen: Siehe, ich spreche euch meinen Unmut aus (Beda), tue euch meine Entschließungen kund. – Drohend. – Vergl. [Ps 2,4]. – Hebr.: Wenn Schrecken über euch kommt. – Wo ihr euch am sichersten wähnt. )
Allioli Bibel – AT – Sprüche 1,20–23

Je nach der Strömung, aus der ich kommen, lese ich diese Verse anders:
der eine vermutet, dass hier von der Weisheit gesprochen wird, der andere meint, hier ist von Jesus die Red, der nächste sieht seine eigene Religionsgemeinschaft in diesem Vers. Wir sind also „sehr voreingenommen“ was die Auslegung betrifft.

Es gibt sogar eine Broschüre mit diesem Namen . – diese ist wirklich lesenswert!

Hier ein paar Beispiele:

Eine weitere Methode des Zeugnisgebens wurde 1940 eingeführt. Im Einklang mit dem Bibeltext, der besagt, daß ‘die wahre Weisheit auf der Straße laut ruft’, begannen Jehovas Zeugen im Februar jenes Jahres damit, die Zeitschriften Der Wachtturm und Trost (heute Erwachet!) auf der Straße anzubieten (Spr 1:20).

Jehovas Zeugen — Verkündiger des Königreiches Gottes

»Die Weisheit schreit«, sie handelt wie eine Person. Die Weisheit wird hier nicht »personifiziert«, wie manchmal gesagt wird, sondern sie ist eine Person. Die Weisheit ist unser Herr Jesus Christus, der ewige Logos Gottes, die Summe aller Weisheit, die Himmel und Erde erschaffen hat (Spr 3,19; Joh 1,1–3). Er ist »Gottes Weisheit« (1Kor 1,24), und er ist in die Welt gekommen und ist uns geworden »Weisheit von Gott« (1Kor 1,30). Wenn wir das sehen und berücksichtigen, können wir dieses Buch recht lesen und auf uns anwenden: Wir sollen den Sohn Gottes erkennen und mit ihm verbunden werden.
Die Weisheit wendet sich an den Sohn der Weisheit, der von seinen Eltern gute Lehre empfangen und angenommen hat, und bestärkt in ihm alles, was er zu Hause gelernt hat. Und sie ruft zu allen, die ihr noch fern sind, damit sie umkehren von ihrer Torheit, hören und weise werden zur Errettung.

Benedikt Peters – Das Buch der Sprüche

Zwischenspiel A: Frau Weisheit züchtigt die Törichten. In den Zwischenspielen A, D und E wird die Weisheit wie eine Frau beschrieben (im Hebräischen ist das Wort für Weisheit „ḥokhmah“ ein weibliches abstraktes Substantiv). Eine solche Personifizierung wird in 2,3; 3,13-20; 4,8-9; 7,4 kurz angedeutet. Es gibt verschiedene Theorien über den Ursprung der Personifizierung der Weisheit. Einige Kommentatoren glauben, dass sie von einer Göttin abstammt, z. B. von einer kanaanäischen Weisheitsgöttin (obwohl keine solche Gottheit bekannt ist) oder von der ägyptischen Ma’at, der Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit, oder von der ägyptischen Isis, der Göttin der Weisheit. Die Weisheitsgöttin weist einige Ähnlichkeiten mit altorientalischen Göttinnen auf, aber in den Sprüchen ist sie eine literarische Figur, die geschaffen wurde, um anschaulich und einprägsam über menschliche Weisheit zu sprechen. 20-21: Die Weisheit ist keineswegs geheim oder esoterisch. Sie ist öffentlich, verkehrt an den belebtesten Plätzen der Stadt (an den Toren einer Stadt wurden viele öffentliche und private Geschäfte abgewickelt) und fordert alle auf, sie anzunehmen. Vgl. 8,1.

Die Jüdische Studienbibel

Die Weisheit ist kein abstraktes Konzept; sie wird personifiziert: Sie wird als Frau beschrieben (20). Die Personifizierung der Weisheit ist kein (bloßes) literarisches Mittel; sie spiegelt das Wesen der biblischen Weisheit wider. Die Weisheit wird verkörpert. Weisheit ist zum Leben da. Tatsächlich ist nichts wirklich bekannt, solange es nicht in der alltäglichen Welt ausgelebt wird.

NIV Bible Speaks Today

Er schrieb damals seinem Freund David Baron: „Die Weisheit schreit draußen und lässt auf den Plätzen ihre Stimme erschallen“(Sprüche 1,20). Doktoren, Pofessoren, Beamte und gebildete Frauen kommen in mein Haus. Hochgestellte Familien und viele Ausländer besuchen mich, die das harte Verhalten des hiesigen Rabbinats mir gegenüber verurteilen. Oft habe ich ernsten und wichtigen Gedankenaustausch mit Talmudisten und Rabbinern, die von weit her kommen und mich zu einem Kompromiss bringen möchten. Bedeutsamerweise haben viele, die früher das Neue Testament nicht kannten und mich verständnislos und ungläubig anstarrten, wenn ich seine erhabenen Lehren anführte, nachher um ein Neues Testament gebeten.

BeitSarShalom – Die Weisheit ruft

Die personifizierte Weisheit (V. 20), besonders auch in Sprüche 8, lässt sich gleichfalls auf Jesus hin deuten: Gemäß dem Anfang des Johannes-Evangeliums verkörpert Christus den „Logos“, Gottes weises schöpferisches Wort. Ein Teil von dem, was dort in Johannes 1,1-3 über ihn geschrieben steht, finden wir auch in Sprüche 8,23. Dass in Christus alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis (Kol 2,3) liegen, verleiht den Weisheits-Sprüchen dieses ersten Kapitels eine prophetische Dimension.
Auch die Verse 29-32 können in einem Bezug zu Jesus gelesen werden, nämlich zu dem, was er selbst in Johannes 3,18-21 über die logische (kommt auch wieder von Logos!) Konsequenz des freien menschlichen Willens sagt.
Nach so viel Bibelstellen-Nachlagen lassen wir nun zum Abschluss dieses Weisheitskapitels den ersten Generalsekretär des schweizerischen Bibellesebundes zu Wort kommen:
„Jegliche Weisheit, die sich nicht der Furcht Gottes unterstellt, führt den Menschen am Ziel vorbei und oft ins Verderben, während die wahre Weisheit zu Gott und zum Bruch mit dem Bösen führt.“ (Ernst Aebi)

ERF – Die Sprüche

Die Stimme des Heils (V. 20-33). Wie spricht die Weisheit? Mit einer laut klingenden Stimme, die jeder hören kann! Sowohl durch die Schöpfung (Röm 10,18; Ps 19,1-4) als auch durch das Gewissen (Röm 2,14-16) ist „das, was von Gott erkannt wird, in ihnen [der verlorenen Welt] offenbar geworden, denn Gott hat es ihnen gezeigt“ (Röm 1,19, NKJV). Die Aufgabe der Kirche ist es, die Botschaft des Evangeliums zu verkünden, damit alle hören, glauben und gerettet werden können. Wie die Weisheit müssen wir das Wort kompromisslos verkünden.

Wo spricht die Weisheit? Auf den belebten Straßen und öffentlichen Plätzen, wo sich geschäftige Menschen versammeln, um den Geschäften des Lebens nachzugehen. Die Botschaft von Gottes Wahrheit ist für den Markt gemacht, nicht für den Elfenbeinturm; wir müssen sie „an der Spitze der lärmenden Straßen“ (Spr 1,21, NIV) weitergeben. Die Weisheit ging sogar bis zum Stadttor, wo die führenden Persönlichkeiten ihre offiziellen Geschäfte abwickelten. Egal, wo die Menschen sind, sie müssen den Ruf der Weisheit hören.
Zu wem spricht die Weisheit? Zu drei Klassen von Sündern: den Einfältigen, den Spöttern (NIV) und den Narren ( 3 3 In den Sprüchen werden drei hebräische Wörter mit „Narr“ übersetzt: kesyl, der stumpfe, dumme Narr; ewiyl, der verdorbene Narr, der moralisch pervertiert ist; nabal, der sture, brutale Narr, dessen Meinung feststeht und der sich nicht überzeugen lässt. Ein anschauliches Beispiel für diese dritte Art von Narr findet sich in 1 Samuel 25. ) (V. 22). Die Einfältigen sind naive Menschen, die alles glauben (14:15), aber nichts prüfen. Sie sind leichtgläubig und lassen sich leicht in die Irre führen. Die Spötter meinen, sie wüssten alles (21:24) und lachen über die Dinge, die wirklich wichtig sind. Während der Einfältige einen ausdruckslosen Blick auf seinem Gesicht hat, trägt der Spötter einen spöttischen Blick. Narren sind Menschen, die die Wahrheit nicht kennen, weil sie dumm und stur sind. Ihr Problem ist nicht ein niedriger IQ oder eine schlechte Bildung; ihr Problem ist ein Mangel an geistlichem Verlangen, Gottes Weisheit zu suchen und zu finden. Narren genießen ihre Torheit, aber sie wissen nicht, wie töricht sie sind! Die Sichtweise der Narren ist rein materialistisch und humanistisch. Sie hassen Wissen und haben kein Interesse an den ewigen Dingen. Ich werde in einem späteren Kapitel noch mehr über jeden dieser Punkte sagen.

Warren W. Wiersbe – Sei Commentary Series

Der jüdische Verfasser der Weisheit Salomos entnahm die Idee der personifizierten Weisheit als Frau dem Buch der Sprüche. ( Die Weisheit wird als Frau dargestellt, weil das hebräische Wort für „Weisheit“ (חכמה, hokmah) grammatisch weiblich ist. Das grammatikalische Geschlecht hat oft nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Im Deutschen ist z. B. das Wort für „Mädchen“ (mädchen) ein Neutrum im Geschlecht. Sprachen verwenden das Geschlecht als Mittel zur Klassifizierung von Substantiven. Manchmal kommt dieses Klassifizierungsmittel in der Übersetzung zum Tragen. Zum Beispiel bezeichnen wir Schiffe als weiblich („sie war ein schönes Schiff“) oder bezeichnen Länder als „Mutterland“ oder „Vaterland“. ) Während sich der Begriff meist auf ein praktisches, einsichtsvolles Leben nach Gottes Gesetz bezieht, stellt der Verfasser der Sprüche die Weisheit manchmal als Frau dar („ihre Stimme“; vgl. Spr 1,20-33; 3,13-16; 4,6; 7,4; 9,1-6). In Sprüche 8,1 wird beschrieben, wie die Weisheit zu Gottes Volk spricht („Ruft nicht die Weisheit, erhebt nicht der Verstand seine Stimme?“). Aber was an der Weisheit in Sprüche 8,22-30 besonders bemerkenswert ist, ist, dass sie als Gottes Mitschöpferin beschrieben wird:
Der HERR hat mich als das erste seiner Werke hervorgebracht, vor seinen Taten von alters her; ich war von Ewigkeit her bestimmt, von Anfang an, bevor die Welt begann … bevor die Berge an ihren Platz gesetzt wurden, vor den Hügeln, wurde ich geboren … Ich war dabei, als er [Gott] die Himmel an ihren Platz setzte, als er den Horizont auf dem Antlitz der Tiefe absteckte … Dann war ich der Handwerker an seiner Seite (NIV).
Der Wortlaut erinnert an Sprüche 3,19, wo es heißt: „Durch Weisheit hat der HERR die Erde gegründet; durch Verstand hat er den Himmel aufgerichtet“ (NIV; vgl. Jer 10,12). Die Weisheit, personifiziert als Frau, wird im Alten Testament als Gottes Schöpfungsagentin dargestellt.

Wie ist das mit der neutestamentlichen Lehre über Jesus vereinbar? Wir brauchen ein wenig mehr Hintergrund, um diese Frage zu beantworten.
Etwa 250 Jahre vor Jesus setzten jüdische Theologen die Tora mit Weisheit gleich, hauptsächlich weil Tora (תורה) im Hebräischen auch ein grammatikalisch weibliches Wort war und die Tora weise machte. Dies bedeutete, dass für viele Juden die Tora (Weisheit) göttlich war:

– • Sirach 24:1-3, 22: „Die Weisheit lobt sich selbst und erzählt von ihrer Herrlichkeit in der Mitte ihres Volkes. In der Versammlung des Allerhöchsten öffnet sie ihren Mund, und in der Gegenwart seiner Heerscharen erzählt sie von ihrer Herrlichkeit: ‚Ich ging aus dem Mund des Allerhöchsten hervor und bedeckte die Erde wie ein Nebel‘ … All dies ist das Buch des Bundes des Allerhöchsten Gottes, das Gesetz, das Mose uns geboten hat“ (NRSV).

– • Weisheit Salomos 9:1, 4, 10, 18: „Gott meiner Vorfahren und Herr der Barmherzigkeit … gib mir die Weisheit, die bei deinem Thron sitzt … Sende sie aus den heiligen Himmeln, und vom Thron deiner Herrlichkeit sende sie … damit ich lerne, was dir wohlgefällig ist … und die Menschen wurden gelehrt, was dir wohlgefällig ist, und wurden durch Weisheit gerettet“ (NRSV).

Für diese Autoren war das von Gott bei der Schöpfung in Genesis 1:3 gesprochene Wort die Weisheit – das Wort der Tora. In Sprüche 8,22 wird diese gesprochene Weisheit als eine lebendige göttliche Entität dargestellt, deren Anweisungen später von Mose niedergeschrieben werden. Die Weisheit (Tora) war Gottes Schöpfungsagenten und sogar der Erlöser für die jüdische Theologie.

Die Autoren des Neuen Testaments hatten eine andere Sichtweise. Paulus‘ Beschreibung Jesu als „die Weisheit Gottes“ (1 Kor 1,24.30) und Gottes Schöpfungshandeln war für jüdische Ohren ein theologischer Schock. Es stellt Paulus‘ Bemühen, das Evangelium „unabhängig vom Gesetz (Tora)“ zu formulieren, in ein völlig neues Licht (Röm 3,21). Die Weisheit als Jesus zu definieren, war für Paulus eine weitere Möglichkeit zu sagen, dass Jesus tatsächlich das Wort der Schöpfung war, der Vertreter zur Rechten Gottes, wie es auch Johannes getan hatte (Joh 1,1-4). Und das bedeutete auch, dass Jesus die Weisheit (Tora) war, das Mittel zur Erlösung. In der Tat behauptet Jesus, dass er die Erfüllung der Tora ist (Mt 5,17-20). Es war Jesus, der als Überbringer des Heils den Charakter Gottes auf die Menschheit ausstrahlte. Zusammen mit Paulus und Johannes artikulierte der Autor des Hebräerbriefs diese verblüffende Sichtweise, indem er Jesus „die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes“ nannte.

Sprüche 8 und die Identifizierung von Jesus mit der Weisheit war für die frühe Kirche ein kontroverses Thema. In den Debatten auf dem Konzil von Nizäa suchten diejenigen, die Jesus für Gottes erste Schöpfung hielten, Bestätigung in Sprüche 8,22, wo der Herr die Weisheit „hervorgebracht“ hat. Der Ausdruck „hervorgebracht“ ist ein hebräisches Verb (קנה, qanah), das für Schöpfung verwendet werden kann (siehe Ps 139,13 [„du hast mein Inneres geformt“]; Gen 14,19.22 [„Schöpfer des Himmels und der Erde“; einige Übersetzungen haben „Besitzer“, was auch möglich ist]). Die Interpretation dieses Verbs war ein Faktor bei der Unterscheidung zwischen der „gezeugten, nicht gemachten“ Sprache des Nizänischen Glaubensbekenntnisses.
Da die Weisheit eine Personifizierung eines Attributs Gottes ist, lauten die Schlüsselfragen: „Gab es jemals eine Zeit, in der Gott keine Weisheit hatte? Wenn ja, wie kann Gott dann Gott sein?“ Für den biblischen Schreiber wäre es undenkbar, dass es dem Gott Israels irgendwann an Weisheit mangelte. Weisheit ist ewig, da Gott (mit seinen Attributen) ewig ist – „hervorgebracht“ als der Akteur der Schöpfung.

Michael S. Heiser – Ich fordere Sie auf, mich nicht mit der Bibel zu langweilen

Weisheit

Die Beschreibung göttlicher Eigenschaften als personifizierte Wesen ist ein bekanntes Merkmal der alten jüdischen religiösen Sprache. Die Weisheit ist das bekannteste Beispiel, das tief in der Geschichte des alten Israel verwurzelt ist. Obwohl man argumentieren könnte, dass Passagen wie Hiob 15,7-8 und 28,12-28 die Personifizierung der Weisheit nur schemenhaft widerspiegeln, sind sich die Gelehrten einig, dass wir im Buch der Sprüche das erste klare Beispiel für die personifizierte Weisheit als persönliches Wesen finden (siehe Spr 1,20-33; 3,13-18; 8,1-9,12). Hier wendet sich die Weisheit, eine weibliche Gestalt, an die Leser und lädt sie ein, mit ihr zu kommunizieren. Von besonderem Interesse ist die Stelle in Sprüche 8,22-31, wo die Weisheit davon spricht, dass sie bei der Erschaffung der Welt als Gottes Gefährtin, ja als sein „Architekt“ oder „Werkmeister“ (RSV) anwesend war.

In späteren jüdischen Schriften setzt sich diese Personifizierung der Weisheit fort, wie in Weish 6,12-11,1 gezeigt wird. Hier ist die Weisheit „die Schöpferin aller Dinge“ (7,22), „eine Teilhaberin an seinen [Gottes] Werken“ (8,4), diejenige, durch die Gott „den Menschen geformt“ hat (9,2), und ihr Einfluss erstreckt sich auf alle Dinge (8,1). Sie ist eng mit Gott verbunden als „eine reine Ausstrahlung der Herrlichkeit des Allmächtigen“, „ein makelloser Spiegel des Wirkens Gottes und ein Abbild seiner Güte“ (7,25-26), und sie wird als neben Gottes Thron sitzend dargestellt (9,4). In ähnlicher Weise wird die Weisheit in Sirach (Ecclesiasticus) als Mitglied des himmlischen Rates Gottes (24,2) mit ewiger Existenz (V. 9) dargestellt, die die Leser in intimen Worten auffordert, von ihr zu lernen (V. 19-22; vgl. auch 4,11-19).

Jüdische Texte zeigen auch die Identifizierung der Weisheit mit dem jüdischen religiösen Leben im Allgemeinen und mit dem Gesetz des Mose (tôrāh) im Besonderen. So wird z. B. auch in den Sprüchen die Weisheit mit der Gottesfurcht und dem Gehorsam gegenüber seinen Geboten in Verbindung gebracht (z. B. Spr 1,7.29; 2,1-6). In Sir. 24,8 kann der Weisheitsbefehl: „Mache deine Wohnung in Jakob, und in Israel nimm dein Erbe an“ nur ein Hinweis auf die Übergabe des Gesetzes durch Mose sein. Diese Verbindung der Weisheit mit der Tora wird in Sir. 24:23: „Dies alles ist das Buch des Bundes des Höchsten Gottes, das Gesetz, das Mose uns zum Erbe für die Gemeinden Jakobs gegeben hat.“ In ähnlicher Weise wird in der Meditation über die Weisheit in Bar. 3,9-4,4 wird derselbe Zusammenhang deutlich gemacht (besonders in 4,1; man beachte die Anspielung auf Dtn 30,11-12 in Bar. 3,29-30).

Offensichtlich geht es bei dieser Identifizierung darum, die Verpflichtungen der Tora zu verherrlichen, indem sie zum Wesen der himmlischen Weisheit gemacht werden, wodurch der jüdische religiöse „Lebensstil“ zur irdischen Verkörperung des göttlichen Plans und des Auslebens der göttlichen Wahrheit wird. Dies ist sicherlich eine Polemik gegen die Anfechtung der jüdischen religiösen Besonderheiten in der antiken Welt. Vielleicht haben die Gelehrten auch Recht mit ihrer Vermutung, dass die jüdische Behandlung der weiblichen Figur der Weisheit von den Beschreibungen bestimmter Göttinnenfiguren heidnischer Religionen beeinflusst und teilweise als Polemik gegen diese gedacht gewesen sein könnte. Aber was auch immer die möglichen Quellen der verwendeten Bilder sein mögen, die Verbindung der Weisheit mit den religiösen Verpflichtungen des Judentums (Tora) und die Beschreibung der Weisheitsfigur als Vertreterin des Gottes des alten Israel zeigen, dass wir es mit einer Kategorie des Denkens zu tun haben, die in den Kontext der grundlegenden religiösen Verpflichtungen des jüdischen Glaubens eingebettet war und von diesen bestimmt wurde.

In der Weisheit Salomos, von der man gemeinhin annimmt, dass sie aus der Diaspora stammt, wird zwar keine ausdrückliche Verbindung zwischen Weisheit und Tora hergestellt, aber es ist dennoch klar, dass die Meditationen des Autors über die Weisheit in erster Linie durch seinen jüdischen Glauben motiviert sind. Dies zeigt sich an der Art und Weise, wie der Autor die Weisheit mit der heiligen Geschichte Israels verknüpft. Nachdem er die Könige der Erde ermahnt hat, Gottes Gesetz zu halten und „nach dem Ratschluss Gottes zu wandeln“ (Weish 6,1-11), offenbar alternative Begriffe für die göttliche Weisheit, verspricht der Autor, den Weg der Weisheit „vom Anfang der Schöpfung an“ nachzuzeichnen (6,22). Dann folgt die Geschichte Salomos, dem die Weisheit gegeben wird (7,1-22), und eine längere Meditation über das Wesen der Weisheit und ihre Rolle in Gottes Schöpfung und Herrschaft über die Welt (7,22-9,18), die die ausführlichste Personifizierung und das erhabenste Lob der Weisheit in der antiken jüdischen Literatur enthält. Danach verknüpft der Autor die Weisheit mit wichtigen Ereignissen in der biblischen Geschichte, beginnend mit der Erschaffung Adams (10,1-2) und über Abraham (10,5), Lot und Sodom (10,6-8), Jakob (10,9-12), Joseph (10,13-14) und die Geschichte von Exodus/Wildnis/Eroberung (10,15-12,11), wobei der letzte Abschnitt am ausführlichsten behandelt wird. Sicherlich zeigt dieser Autor eine gewisse Vertrautheit mit dem griechischen Denken, aber für ihn sind die wichtigsten Manifestationen der Weisheit und der Index ihres Inhalts in den jüdischen Schriften mit ihrem Zeugnis für die Taten Gottes gegeben. Die lebendige Personifizierung und Verherrlichung der Weisheit in diesem Buch muss auch im Zusammenhang mit dem festen Bekenntnis des Autors zur Einzigartigkeit Gottes und zur besonderen Erwählung Israels gesehen werden, die in Wis. 12:12-19:22.

So zeigt sich, dass in den späteren Phasen des nachexilischen Weisheitsdenkens, wie sie in Sirach, Baruch und der Weisheit Salomos zum Ausdruck kommen, auch die nachdrücklichste und ausdrücklichste Verbindung der Weisheit mit dem Gott Israels und mit der Offenbarung Gottes und seines Willens in den jüdischen Schriften besteht. Diese Definition der Weisheit als Tora setzt sich in der rabbinischen Literatur fort, in der die Personifizierung der Weisheit durch die lebendige Personifizierung von tôrāh ersetzt wird, die einen Großteil der Bedeutung und Rolle der Weisheit übernimmt (z. B. Midr. Ber. R. 1:1, 4).

Für meine Zwecke ist der wichtigste Aspekt der Personifizierung der Weisheit jedoch die Beschreibung der Weisheit als Gottes Hauptakteurin, wobei die Sprache des göttlichen Wirkens verwendet wird, um auf ein Attribut Gottes hinzuweisen. Obwohl Sprüche 8,22-31 die Weisheit hauptsächlich als Gottes Gefährtin bei der Erschaffung aller anderen Wesen darstellt, scheint die aktivere Rolle, die ihr in der Weisheit Salomos zugewiesen wird (z. B. 7,22; 8,2), die Vorstellung widerzuspiegeln, dass Gott einen Hauptdiener bei der Ausführung von Gottes Werk einsetzt. Man beachte noch einmal die Beschreibung der Weisheit: als Herrscherin über die ganze Erde (8,1), als Gottes „Mitarbeiterin in seinen Werken“ (8,4), als diejenige, die neben Gottes Thron sitzt (9,4; vgl. V. 10) und der alle göttlichen Absichten bekannt sind (9,9-11). Die bereits zitierte Sprache von 7,25-26 („ein Hauch der Kraft Gottes“, „eine reine Ausstrahlung der Herrlichkeit des Allmächtigen“, „ein Abglanz des ewigen Lichts, ein makelloser Spiegel des Wirkens Gottes und ein Abbild seiner Güte“) ordnet die Weisheit sowohl Gott unter als auch erhebt sie zu einer herausragenden Stellung im Vergleich zu allen anderen Geschöpfen, wie der Sonne und den Sternen (7,29-30).

Obwohl in Sirach 24 (anders als in der Weisheit Salomos) die Weisheit nicht als Schöpferin beschrieben wird, vermitteln die herausragende Stellung, die ihr in der himmlischen Versammlung Gottes eingeräumt wird (V. 2), ihre erhabene Position im Himmel (V. 4) und ihre Verbindung mit der gesamten Schöpfung (V. 5-6) sicherlich eine Priorität in Gottes Gefolge. Der göttliche Befehl an die Weisheit, Israel zu ihrer Wohnung und ihrem „Erbe“ zu machen (V. 8) und in Jerusalem „zu herrschen“ (V. 10-12), deutet darauf hin, dass die Weisheit hier als Gottes Stellvertreterin für die Führung und Betreuung seines auserwählten Volkes dargestellt wird

Larry Hurtado Ein Gott, ein Herr – Frühchristliche Frömmigkeit und antiker jüdischer Monotheismus

Die Weisheit ruft, so beginnt der neue Abschnitt. »Weisheit« steht hier in der Mehrzahl. Vielleicht soll damit angedeutet werden, daß nicht irgendein Teilgebiet des Wissens und der Erkenntnis gemeint ist, sondern die alle Bereiche umfassende, absolute und volle Weisheit. Wenn der Schüler ihr folgt, wird es ihm wohlergehen, und er wird keine strafrechtliche Verfolgung fürchten müssen. Deshalb kann die Weisheit ganz anders auftreten als die Gewalttätigen. Jene müssen nämlich eine günstige Gelegenheit abpassen, um in einer einsamen, finsteren Ecke dem zu Werbenden ihr Angebot ins Ohr zu flüstern.
Die Weisheit betreibt keine Flüsterpropaganda, sie gibt keinen Privatunterricht und wendet sich nicht nur an Eingeweihte. Die breite Öffentlichkeit ist ihr Ziel. Die Weise ihres Redens zeigt das an wie auch die Orte ihrer Wirksamkeit. Gellend laut ruft sie – nicht in geschlossenen, auch nicht in sakralen Räumen, sondern draußen, auf den Straßen und freien Plätzen. Eine Stadt konnte mehrere Plätze haben. Dort spielten Kinder, dort unterhielten sich die Alten. Es traten aber auch Volksredner auf. Als ein solcher erscheint die Weisheit und heischt Gehör. Sie kann offensichtlich davon ausgehen, daß alle Menschen sie verstehen können.

Wuppertaler Studienbibel

Aber egal, wie du diesen Vers siehst: Jehovah ist der einzige Quell der wahren Weisheit – und du findest diese Weisheit garantiert NUR bei IHM und nur Seinem Buch der Bibel!