Durch ihn haben wir Leben und bewegen uns und existieren

Denn in ihm leben und weben und sind wir, wie auch etliche eurer Dichter gesagt haben: „Denn wir sind auch sein Geschlecht“.
Elberfelder 1871 – Apostgeschichte 17,28

Durch ihn leben wir doch, regen wir uns, sind wir! Oder wie es einige eurer Dichter ausgedrückt haben: ‘Wir sind sogar von seiner Art.’
Gute Nachricht Bibel – Apostelgeschichte 17:28

Denn in ihm leben, weben (wörtlich: „leben wir, bewegen wir uns“.) und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Seines Geschlechts sind wir ja auch. (gemeint ist vorzüglich Aratus aus Cilicien, der im 3.Jh. v.Chr. lebte. Die angeführten W. beziehen sich bei ihm auf die Abstammung aller Menschen von Zeus, dem höchsten Gott der Griechen.)
Zürcher 1931 – Apg 17,28

Denn in ihm (oder durch ihn), dessen Gegenwart alles durchdringt, leben wir, bestehen wir ( bewegen wir uns ) und sind wir. Oder, wie es einige eurer eigenen Dichter ausgedrückt haben: ›Er ist es, von dem wir abstammen.‹ ( ers 28a enthäit Anklänge an einen Ausspruch, der dem kretischen, zeitweise in Athen wirkenden Dichter Epimenides (6. Jahrhundert v. Chr.) zugeschrieben wird.
Od ›Wir sind von seiner Art / Wir tragen seine Art in uns.‹ (Entsprechend wäre dann im nächsten Vers zu übersetzen: Wenn wir nun aber von Gottes Art sind / Gottes Art in uns tragen.) Zitat aus den Werken der beiden kleinasiatischen Dichter Aratus und Kleanthes, die im 4./3. Jahrhundert v. Chr. lebten und beide den griechischen Stoikern nahestanden. )
Neue Genfer Übersetzung 2013 – Apg 17:28

Denn durch Ihn sind wir am Leben, in Bewegung und haben Bedeutung; wie auch manche der Dichter bei euch bereits festgestellt haben: »Wir gelten nämlich sogar als dessen Geschlecht.»
Andreas Eichberger – Gottes Agenda – Apg 17,28

Paulus untermauerte seine Predigt mit einem Zitat von Epimenides, einem kretischen Dichter (den er auch später, in Tit 1,12 ,nochmals zitierte): Denn in ihm leben (vgl. Apg 17,25), weben und sind wir. Er zitierte den aus seiner eigenen Heimat Zilizien stammenden Aratus: Wir sind seines Geschlechts. Das zweite Zitat stammt aus dem Werk Phainomena. Alle Menschen – die Athener und alle anderen – sind Kinder Gottes, nicht in dem Sinne, daß sie alle seine erlösten Kinder sind oder göttliche Züge tragen, sondern insofern, als sie von Gott geschaffen sind und ihr Leben von ihm erhalten (V. 25). Auch die Athener waren von diesem Gott, den sie nicht kannten, geschaffen und hingen in ihrer Existenz von ihm ab. Keiner der unzähligen falschen Götter, die die Griechenverehrten, konnte einen solchen Anspruch erheben.

Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

Denn in ihm leben, weben und sind wir. Das will nicht nur besagen, dass wir durch Gott sind, sondern dass er uns gleichsam umschließt, und dass sein kräftiges Wirken uns durchdringt. Darum unterscheidet sich ja Gott selbst von allen Kreaturen durch den Namen Jehova, d. h. der da ist, damit wir wissen, dass im eigentlichen Sinne er allein wirklich ist, während wir nur in ihm Bestand haben, soweit er uns durch seinen Geist belebt und erhält. Denn durch die Welt in allen ihren Teilen ist die Kraft des Geistes ergossen, welche sie in ihrem Bestand schützt, welche dem Himmel und der Erde die lebendige Bewegung, die wir an ihnen sehen, mitteilt und den Lebewesen, dass sie sich regen. Gewiss ist es nicht so, wie gewisse Schwärmer fantasieren, dass das All der Götter voll sei, und dass auch die Steine Gottheit in sich bergen; aber Gott erhält durch die Lebenskraft und den Antrieb seines Geistes, was er aus nichts geschaffen hat. Übrigens ist hier insbesondere von den Menschen die Rede, weil Paulus gesagt hatte, dass sie den Gott, den sie in sich finden, nicht in der Ferne zu suchen haben. Des Weiteren ist die Aussage stufenförmig aufgebaut: dass die Menschen leben, ist wertvoller, als dass sie nur weben oder sich bewegen; dass sie sich bewegen, wertvoller, als dass sie sind oder existieren. Paulus will also sagen: außer in Gott haben wir nicht nur kein Leben, ja nicht einmal Bewegung, ja selbst nicht das bloße Dasein. Dass bei den Menschen das „Leben“ das Wertvollste ist, sage ich, weil sie nicht nur Empfindung und Bewegung besitzen, wie die unvernünftigen Tiere, sondern mit Vernunft und Selbstbewusstsein begabt sind. Darum preist die Schrift das einzigartige Geschenk, mit welchem Gott uns schmückte, mit einem besonderen Ruhmestitel. So heißt es bei Johannes (1, 4), wo von der gesamten Schöpfung die Rede ist, mit gutem Grunde noch besonders: „Das Leben war das Licht der Menschen.“ Nun sehen wir, dass alle Menschen, die von Gott nichts wissen, auch sich selbst nicht kennen; denn sie haben Gott nicht nur in den auszeichnenden Gaben ihres Geistes gegenwärtig, sondern schon in ihrem bloßen Dasein, da ja ein wahres Sein nur von Gott ausgesagt werden darf, während alles andere sein Dasein von ihm entlehnt. Diese Stelle lehrt auch, dass Gott die Welt nicht nur einmal geschaffen hat, um sich dann von seinem Werk zurückzuziehen, sondern dass dieselbe nur durch sein kräftiges Wirken besteht, und dass derselbe Gott, der einmal der Schöpfer war, fortwährend auch der Regierer bleibt. Diese Tatsache, dass Gott alles mit seinem Leben durchdringt, müssen wir uns richtig vor Augen halten, damit wir in jedem Augenblick an Gott gedenken.
Als auch etliche Poeten usw. Paulus zitiert einen halben Vers aus Aratus ( Dichter aus Cilicien, im 3. Jahrhundert v. Chr., in seiner 5. Hymne an Jupiter. ), nicht als ob dieser ihm eine Autorität wäre, sondern um den Athenern Scham einzuflößen. Denn solche Dichtersprüche entspringen doch keiner andern Quelle als der Natur und allgemeinen Vernunft. Es ist ja nicht wunderbar, dass Paulus in einer Rede, die für Ungläubige und mit wahrer Frömmigkeit noch unbekannte Leute bestimmt ist, sich eines Dichterzeugnisses bedient, welches ein Bekenntnis dessen ist, was dem menschlichen Geist von Natur eingeboren und eingeprägt war. Freilich sprach Aratus ohne Zweifel von Jupiter, und doch ist es keine Verdrehung, wenn Paulus auf den wahren Gott anwendet, was jener in seiner Unwissenheit von Jupiter sagte. Auch bei Virgil ( Römischer Dichter des 1. Jahrhunderts v. Chr., Bucolica, Ekloge 3, 60 und Aeneis 6, 724 ff. ) lesen wir, dass alles Jupiters voll sei; und doch wird kein Vernünftiger sich bedenken, auf den wahren Gott zu übertragen, was dort von Götzen steht. Auch sagt Virgil von der Welt, dass sie von innen ein Geist nähre:
„und ganz die Glieder durchströmend,
Reget Seele das All, dem großen Leibe vereinigt.“
Dies meint er mehr im Sinne der platonischen Philosophie, als dass er eine rechte Vorstellung davon hätte, wie die Welt durch den verborgenen Einfluss des göttlichen Geistes erhalten wird. Doch hinderte die schiefe Vorstellung den Paulus nicht, den wahren, wenn auch durch menschliche Fabeln verderbten Grundsatz aufzunehmen, dass die Menschen göttlichen Geschlechts seien, weil sie in ihrer besonders vortrefflichen Naturausrüstung etwas Göttliches verraten. Das ist es, was die Schrift lehrt, dass wir nach dem Bilde und Gleichnis Gottes geschaffen wurden. Ohne alles Weitere heißt es nun von allen Sterblichen, dass sie göttlichen Geschlechts oder Gottes Kinder sind, weil sie durch Vernunft und Selbstbewusstsein Gott nahe stehen; weil aber Gottes Bild in ihnen beinahe ausgetilgt ist und man davon nur noch schwache Linien sieht, wird dieser Name mit Recht auf die Gläubigen beschränkt, die mit dem Geist der Kindschaft beschenkt wurden und nun in ihrer erleuchteten Vernunft, in Gerechtigkeit und Heiligkeit die Züge des Vaters an sich tragen.

Jean Calvin – Apostelgeschichte

Warum ist Gott nicht weit weg? „Denn in ihm leben und weben und sind wir“. Das „in ihm“ meint Paulus sicher nicht so, dass Gott überall ist und wir deshalb immer schon „in ihm“ sind (Pantheismus), sondern im Sinne von „durch ihn“. In bzw. durch Gott haben wir Leben, Bewegung und Sein.
Warum? Weil wir „sein Geschlecht“ sind, also seine Nachkommen sind. Paulus denkt sicher daran, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat (1Mo 1,26). Auch die Stoa war von der natürlichen Gottesverwandtschaft des Menschen überzeugt und Paulus konnte sich darauf beziehen, dass sich ihre „Dichter“ in diesem Sinne geäußert haben.

Pastor Michael Mainka – Apostelgeschichte

Dadurch, daß wir unser Leben von Gott empfangen, erhalten wir von ihm stets eine Bezeugung, die unser Auge zu ihm emporheben kann. Darum war das, was Paulus sagt, auch nicht eine völlig neue Botschaft, die bisher ganz unerhört gewesen wäre. Für diese Gewißheit, daß der Mensch von Gott stamme als Gottes Werk, kann er sich, wie dies die jüdischen Theologen schon längst getan hatten, auch auf die Dichter der Griechen berufen. Er zitiert den Vers, der die Menschheit das Geschlecht des Zeus, des höchsten Gottes, nennt, einen Vers des Aratus, der eine Dichtung über die Erscheinungen am Himmel verfaßt hat und dabei auch stoischen Gedanken über den alle Dinge wirkenden Weltgrund Ausdruck gab. Er dient hier Paulus als Beweis dafür, daß der Mensch sein Leben als Werk und Geschenk Gottes empfindet und darin ein stetes Zeugnis der göttlichen Güte vor Augen hat.

Schlatters Erlӓuterungen zum Neuen Testament

Das ist eigentlich noch schärfer gesagt als im Römerbrief. Es gibt tatsächlich gar keine eigentliche „Gottlosigkeit“! Jeder Mensch ist von Gott umfangen und hat Gottes ewige Kraft und Gottheit nicht nur in den Werken vor sich, sondern kann jeden Pulsschlag seines Lebens, jede Regung eines Muskels, jede Sekunde seines Daseins nur „in Gott“ und durch Gott haben! Das sieht Paulus in dem Vers des grie Dichters Aratus ausgesprochen: „Denn wir sind auch seines Geschlechts.“ Denn gerade auch das innere Leben, Bewegen und Sein des Menschen ist Gottes Gabe. Das Zitat ist kühn! Gemeint ist es vom Dichter selbst im Sinne jener natürlichen und naturhaften Gottesverwandtschaft, jenes „Gott in uns“, welches das strikte Gegenteil der biblischen Botschaft ist. Darum gerade kann auch der moderne religiöse Mensch das Evangelium nicht hören, weil er sich sofort dahinein verschanzt: Ich gehöre sowieso zu Gott, ich finde Gott in der Natur, ich trage Gott in mir selbst! Paulus aber sieht den gleichen Tatbestand in völlig anderem Licht. Die Gotteserkenntnis in der Natur wird zur unentrinnbaren Anklage gegen den Menschen und macht ihn unentschuldbar (Rö 1, 20), und die tatsächliche Gottebenbildlichkeit des Menschen (1 Mo 1, 27) kann immer nur das ganze Elend und die ganze Verirrung und Verfinsterung des gegenwärtigen „heidnischen“ Menschen aufdecken.

Werner de Boor – Wuppertaler Studienbibel

Das fünfte Merkmal ist, dass Gott der Erhalter des Menschen ist (V. 28). Paulus wies auf die Tatsache hin, dass wir in ihm leben, uns bewegen und unser Sein haben. Das war der Beweis für die Nähe Gottes. Anstelle des stoischen Pantheismus gibt es eine echte Immanenz mit Gott. Paulus liefert eine aufsteigende Skala, die ihren Höhepunkt in Gott findet:

Wir leben, also haben wir Leben.
Wir bewegen uns, also gibt es Bewegung.
Wir haben unser Sein, also gibt es eine Existenz.

Dann erinnerte Paulus seine Zuhörer daran, dass einige ihrer eigenen Dichter dasselbe gesagt haben, darunter Aratus von Soli (315-240 v. Chr.) und der bereits erwähnte kretische Dichter Epimenides, der dem Gott Zeus Folgendes sagte:

Sie haben dir ein Grabmal geschaffen, oh heiliger und hoher Mann.
Die Kreter, immer Lügner, böse Biester, faule Bäuche!
Aber du bist nicht tot; du lebst und bleibst ewiglich,
Denn in dir leben wir und bewegen uns und haben unser Sein.

Paulus zitiert denselben Dichter in Titus 1:12. Ein anderer Dichter wäre Cleanthes gewesen, der Sohn des Phanius von Assos und Leiter der stoischen Schule in Athen von 263 bis 232 v. Chr. Das Zondervan Illustrated Bible Dictionary stellt fest: „Sein Hymnus an Zeus, ein überliefertes Gedicht, enthält die Worte, die Paulus in seiner Rede vor dem Areopag zitierte (Apostelgeschichte 17,28).“ In Bezug auf Zeus schrieb Cleanthes: „Denn wir sind deine Nachkommen.“

Arnold G. Fruchtenbaum – Ariel’s Bibelkommentar: Apostelgeschichte