Vor einigen Jahren ist mir aufgefallen, dass bei katholischen Gottesdiensten der Text der Bibel nicht wirklich gelesen wird, sondern eher gesungen wird. Ich fand das sehr ablenkend, da ich es gewohnt war, dass man beim lauten vorlesen, eine Betonung vorgibt, um damit die Höhrer auf bestimmte Punkte im Text aufmerksam zu machen – oder halt in gewisser Form den Text damit zu manipulieren.
Dann ist mir aufgefallen, dass auch bei jüdischen Gottesdiensten, der Text aus der Thora gesungen wird.
Aber warum?
Gestern habe ich beim lesen des Buches „JPS Guide: The Jewish Bible“ endlich die Antwort gefunden, warum beim lesen aus der Thora gesungen wird – und die „Kopie“ – der katholische Gottesdienst – das eben mit kopiert hat.
Hier die Erklärung die ich gefunden habe:
Singen der Tora
Die Thora wird nicht wörtlich gelesen; sie wird in einem musikalischen Modus nach einem System von Zeichen gesungen, das in gedruckten Versionen in der hebräischen Bibel zu finden ist, aber nicht in der Thora-Schriftrolle. Jede dieser Marken bezeichnet eine Reihe von Musiknoten, die als masoretische Akzente bezeichnet werden, auch Ta’amim und Trope genannt. Das System der Ta’amim wurde von biblischen Gelehrten namens Masoretes entwickelt, die im 9. und 10. Jahrhundert n. Chr. in Tiberias im Norden Israels gelebt haben.
Die Ta’amim haben drei verschiedene Funktionen: musikalische, syntaktische und grammatikalische. Sie zeigen in erster Linie die musikalischen Motive, in denen der biblische Text gesungen wird. Jeder Akzent repräsentiert eine Gruppe von Noten, „Tropen“, die der Leser zu jedem Wort passt. Die Akzente kennzeichnen in der Regel die betonte Silbe in jedem Wort und werden über oder unter der Silbe platziert, die die Betonung erhält. Zu wissen, welche Silbe die Betonung erhält, hilft, dem Text einen Sinn zu geben, denn oft ist der einzige Unterschied zwischen zwei Wörtern, die gleich klingen, aber unterschiedliche Bedeutungen haben, welche Silbe die Betonung erhält. Das musikalische Motiv der Akzente erzeugt einen Gesang, der der öffentlichen Lesung eine ästhetische Dimension verleiht, wie im Talmud empfohlen.
Heute gibt es fünf musikalische Hauptmodi oder Melodien, um die Thora zu singen: Jemenitisch, aschkenasisch, nahöstlich und nordafrikanisch, sephardisch in Jerusalem und im nördlichen Mittelmeerraum.
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