Bitte um Weisheit

Wenn es aber jemandem unter euch an Weisheit mangelt, dann bitte er Gott, der bereitwillig jedem gibt und niemanden tadelt, so wird sie ihm gegeben werden.
luther.heute – Jakobus 1,5

Den Vers hatten wir schon einmal – deshalb heute nur Ergänzug

Die durch Jesus entstandene Lage gab der Frage nach der Weisheit das größte Gewicht. Denn der Widerstand gegen Jesus ging von den Weisen aus. War also der Anschluß an Jesus Verzicht auf die Weisheit? Stürzte durch den Streit der Boten Jesu gegen die Weisheit nicht alle Gewißheit ein? Wer war noch fähig, ein Urteil zu wagen? Und doch war es unmöglich, auf die Weisheit zu verzichten. Denn sie ist die unentbehrliche Voraussetzung zum Handeln. Die Mahnung, die zum vollständigen Werk aufruft, wäre unausführbar, wenn die Weisheit unerreichbar wäre. Jede Versuchung ist eine Erschütterung des Bewußtseins durch schwankende, gegeneinander stoßende Urteile, wodurch wir erfahren, daß uns die Weisheit fehlt. Ergibt sich aber der Mensch deshalb der Unschlüssigkeit und Mutlosigkeit, so fällt er. So kann er sich jedoch nur dann verhalten, wenn er Gott, den Geber der Weisheit, vergißt.
Darin, daß der unentbehrliche Wert des Denkvorgangs durch die Formel „Weisheit“ beschrieben wird, bewahrt der Spruch die Verbindung mit der jerusalemischen Theologie. Nur mittelbar haben griechische Anregungen an diesem Lobpreis der Weisheit teil, nur dadurch, daß die Herrschaft der Weisen in Jerusalem ein Erzeugnis der griechischen Zeit gewesen ist. Wären griechische Anregungen unmittelbar bei Jakobus wirksam, dann würde νοῦς und seine ganze Wortgruppe bei Jakobus nicht fehlen. Das einzige, zu dieser Gruppe gehörende Wort, das er brauchte, ist κατανοεῖν, 1, 23, und dieses spricht nicht vom Begreifen, woran der Grieche beim Denkvorgang zuerst dachte, sondern benennt die gelungene, zum Ziel gelangte Wahrnehmung.
Aber auch dieser Spruch steht jenseits der Grenzen, die die Theologie Jerusalems nicht überschritt. Zwar konnte auch ein Rabbi, da er über allen Ereignissen Gottes Wirken sah, das sie anordnet, für sein Wissen Gott danken, da es die ihm zugeteilte Gabe sei. Ohne ein hilfreiches Schicksal wäre ihm sein Studium nicht gelungen und er nicht zum Meister geworden. Damit war aber der Obersatz seiner Theologie nicht angetastet; das inwendige Leben blieb der ihm selbst übergebene Machtbereich. Bei Jakobus tritt dagegen das göttliche Wirken erleuchtend in den seelischen Bereich hinein. Diese Haltung des Glaubens war eine Folge aus dem Wort Jesu und jedem eigen, der es glaubte, daß der Christus durch seinen Geist in seiner Gemeinde wirksam sei. Aber jede Beschreibung des göttlichen Wirkens, das uns den wahren Gedanken schenkt und den richtigen Entschluß verschafft, bleibt abgelehnt.
„Er bitte“.1 Damit ist neben das Werk derjenige Vorgang gestellt, der untrennbar zu ihm gehört, ohne den es kein Werk geben kann, das „Gottes Gerechtigkeit wirkt“, 1, 20. Ein Hauptanliegen des Briefs wird damit sichtbar; es ist eines seiner wesentlichen Ziele, das Bitten so zu begründen, daß es Erhörung empfängt. Darin bewahrt er den Unterricht Jesu, da auch dieser in der Erweckung der Bitte ein wichtiges Ziel besaß.
Die zweite Mahnung zum Bitten, 5, 13–16, verbindet es mit dem Leiden. In diesem ersten Wort über das Gebet entsteht es dagegen nicht aus dem Leiden, sondern aus der Verpflichtung zum Werk. Es sucht bei Gott nicht die Befreiung von Übeln, sondern die Rüstung zur Tat. Freilich entsteht es daraus, daß das Unvermögen empfunden wird, den wahren Gedanken zu finden, der das Handeln richtig machte. Sein Ziel ist aber nicht die Abwehr von Leiden, sondern die Erfüllung der Pflicht. Wäre bei Jakobus die Begründung des Gebets im Wirken nicht vorhanden, dann wäre es nicht denkbar, daß er in enger Gemeinschaft mit den anderen Aposteln gewirkt hätte; denn ihr Gebet war nicht Abwehr des Leidens, sondern Wille zur Tat.
Die der Bitte gegebene Verheißung wird ausschließlich durch das begründet, was Gott ist. Der Verdienstgedanke ist tot. Das göttliche Geben kommt zu allen. Darf ein Exeget sagen: „Selbstverständlich nur zu allen Christen“? Wenn aber Jakobus im Ernst gesagt hat, daß Gott für alle, die ihn bitten, der Gebende sei und allen an seiner Wahrheit und Güte Anteil gebe, dann ist deutlich, daß es ihm unmöglich war, sich von der Judenschaft zu trennen. Der Brudername verliert die Beschränkung auf den eigenen Kreis, wenn Gott für alle Bittenden der Gebende ist.
Freigebig ist Gott, durch nichts als durch das Bedürfnis des Bittenden zum Geben bewegt. Gott gibt ihm, weil ihm fehlt, was er bedarf. Das heißt ἁπλῶς geben, ohne Nebenabsichten und Hintergedanken, die eigensüchtige Zwecke einmengen. Das ist dasselbe Gottesbild, wie es die Verheißung Jesu für den Bittenden gibt, Mat. 7, 9–11, aus dem die Seligpreisung Jesu für die Armen und Leidenden entstanden ist. Daher folgt auf das menschliche Bitten kein göttlicher Vorwurf, als würde Gott durch unser Unvermögen gestört und durch unser Fehlen beleidigt. Woran Jakobus bei μὴ ὀνειδίζοντος gedacht haben wird, zeigt Jer. Berak. 7d: „Übergib unsere Nahrung nicht in die Hand von Fleisch und Blut; denn ihre Gabe ist gering und ihr Schelten viel“, חֶרְפָּתָם מְרוּבָּה.
Gott schilt nicht. Darum konnte Jakobus nicht schelten, und der Jude blieb für ihn der Bruder. Gott richtet. Darum spricht Jakobus von der verderbenden Macht des Reichtums und vom Absterben des Glaubens und von der alles zerstörenden Giftigkeit der Rede und vom Zerfall des Volks. Gott richtet, aber er schilt nicht. Denn wenn er verzeiht, verzeiht er ganz. Die Erinnerung an Jesus bestimmt das Gottesbild, Luk. 15, 20; 18, 14. „Jesus schalt und drohte nicht“, hat auch Petrus gesagt, 1 Petr. 2, 23.

Schlatter – Der Brief des Jakobus

Die Bitte um Weisheit beinhaltet zugleich die Bitte um einen Weg, die Versuchung zu bestehen. Der Mangel an Weisheit ist es, der eine Situation zur Versuchung werden lässt. Solange wir noch Auswege wissen, werden wir eine widrige Lage vielleicht als schwierig, aber noch nicht als Versuchung empfinden. Aber wenn wir nicht mehr wissen, was zu tun ist und wenn wir uns nicht mehr sicher sind, was der Wille Gottes in einer bestimmten Sache ist, dann stehen wir in der Versuchung. Ohne die Weisheit Gottes wissen Christen nicht, wie sie sich in einer Situation der Versuchung oder der Bedrängnis richtig verhalten soll. Um Versuchungen richtig bestehen zu können, um in ihnen die angemessene Sichtweise und Haltung zu finden, bedarf es der Weisheit, einer Weisheit jedoch, die nicht auf menschlicher Erfahrung beruht, sondern die von oben (3,15), von Gott selber kommt. Nur in dieser göttlichen Weisheit ist es möglich, die verworrene Wirklichkeit als Einheit und als Weg zur Vollkommenheit zu begreifen.
Jak macht uns Mut, um diese Weisheit zu bitten, denn Gott möchte sie uns schenken. »So nahe ist uns Gott, daß wir, wenn wir nicht wissen, was wir tun sollen, ihn bitten dürfen, daß er uns zeige, was zu geschehen hat …«
Wer um die Weisheit Gottes bittet, weiß, dass er sein Leben nicht eigenwillig gestalten kann. Wer um Weisheit bittet, möchte unter der Führung Gottes leben. Wer um göttliche Weisheit bittet, der darf wissen, dass sein Gebet nicht unerhört bleibt; denn die Bitte um Weisheit ist die klügste aller Bitten (2Chr 1,10–12) – gerade in einer angefochtenen Lage. Das Gebet um Weisheit ist ein Gebet, das nie umsonst geschieht, und gerade die Erkenntnis unseres Mangels führt zu diesem wichtigen Gebet.
Gott ist ein großzügiger Geber.a Er gibt jedem einfach, das heißt gerne und rückhaltlos. Unser Bitten mag oft kompliziert sein, wenn wir nicht wissen, was wir bitten sollen. Aber Gott gibt einfach und unkompliziert. Diese »Rückhaltlosigkeit« Gottes lädt uns zur Ein-falt des Glaubens und zum vorbehaltlosen Bitten ein. Wenn der Vater einfach gibt, darf das Kind auch einfach bitten. Die Ein-falt und Ungespaltenheit, in der Gott gibt, verträgt sich nicht mit der Gespaltenheit des Zweiflers (V. 6–8).
Gott gibt einfach – das heißt auch: Er gibt ohne Hintergedanken. Wir warnen unsere Kinder davor, von Fremden Geschenke anzunehmen, weil man nicht wissen kann, welche Absicht ein Fremder dabei hat. Und wir scheuen uns, jemanden zu oft um etwas zu bitten oder etwas freiwillig Angebotenes anzunehmen, weil wir unsicher sind, ob wir dadurch nicht abhängig werden von dem, der uns gibt. Wir wissen nicht, ob der andere unsere Abhängigkeit nicht einmal gegen uns verwenden wird oder zu einem späteren Zeitpunkt – sozusagen als Gegenleistung – einmal sehr viel mehr von uns erwartet. In China heißt es: »Wer mit Geschenken kommt, hat sicher eine Bitte«. Bei Gott müssen wir diese Ängste nicht haben; er gibt ohne Hintergedanken.
Gott macht niemandem einen Vorwurf, d.h. er hält uns nicht vor, dass wir in eine Lage gekommen sind, in der wir auf ihn völlig angewiesen sind. Er hält uns unseren Mangel nicht vor. Er macht es nicht wie jene, die zwar aus Pflichtbewusstsein geben, den Bittsteller aber deutlich ihr Missvergnügen spüren lassen, damit er nicht noch ein zweites Mal kommt. Gott gibt gerne und nicht, weil er dazu gedrängt wurde.
Man kann an dieser Stelle auch übersetzen: Gott gibt ohne zu schmähen, ohne die Überlegenheit auszukosten, in der derjenige stehen kann, der einem anderen etwas in dessen Not gibt. Wenn wir Gott um Weisheit bitten, stehen wir vor ihm nicht als Bittsteller auf verlorenem Posten, wie Unterlegene einem Sieger gegenüberstehen. Wir stehen nicht in der Situation von Menschen, die in eine Notlage geraten sind, in der ihnen nichts anderes übrig bleibt, als sich unter ihrer Würde zu demütigen und sich die Schmähungen gefallen zu lassen, unter denen die Bitte herablassend gewährt wird. So ist es nicht bei Gott. Da gibt es keine Unterlegenen und keinen Sieger, keine Bittsteller und keinen herablassenden Geber. Da gibt es nur den Geber und die Beschenkten.

Peters – Wuppertaler Studienbibel

Von den Prüfungen und unsern möglichen Mängeln war die Rede. Wenn wir die Prüfung, die unser ganzes Christenleben bedeutet, recht bestehen wollen, dürfen wir vor allem keinen Mangel an Weisheit haben, an Klarheit darüber, was wir heute und hier nach Gottes Willen zu tun haben.

So war das bei den Christen in den Tagen des Jakobus inmitten ihrer heidnischen Umwelt. Sie wurden von den einflußreichen und mächtigen Kreisen Israels angefeindet und von den staatlichen Stellen mit Mißtrauen beobachtet. Viel Weisheit ist auch heute nötig angesichts der großen Fragen der Gemeinde Jesu in der Welt von heute und angesichts unseres Alltags, in dem wir uns als Christen zu bewähren haben: wie soll ich mich verhalten in meinem Berufsleben, in der Kindererziehung, in meiner nichtchristlichen Nachbarschaft?

5 Hier setzt Jakobus mit seinem nächsten Wort ein: „Wenn aber jemand unter euch an Weisheit Mangel hat“: Das sind keineswegs nur die Minderbegabten, die im allgemeinen Sinn „Zurückgebliebenen“ (so wörtlich). Hier hat jeder von uns Bedarf. Dieser „jemand“ ist hier „jedermann“. Es wäre ein gefährlicher Irrtum zu meinen, man werde sich da „schon selber zu helfen wissen“.

Was ist hier mit dem Wort „Weisheit“, grie „sophia“, gemeint? Nicht zu denken ist hier an die menschliche Weisheit, die Philosophie, vor allem nicht angesichts der letzten Fragen: wer über dem Weltlauf steht und was Ursprung, Sinn und Ziel des Menschenlebens und der ganzen Völkergeschichte ist. Hier urteilt die Schrift, daß infolge der Rebellion des Menschen gegen Gott das menschliche Denken „verfinstert“ sei (Rö 1,21;Eph 4,18), weil die Sünde wie eine Wolkenwand zwischen uns und Gott steht. Das von Gott gelöste, eigenmächtige und selbstherrliche Denken des Menschen ist in dieser Hinsicht jedenfalls auf dem Holzweg (Rö 1,22;1 Kor 1,19.27;1 Kor 2,14). Nicht allein das Wollen des natürlichen Menschen, sondern auch sein Denken ist durch das Kreuz Jesu, das ja das Urteil Gottes über uns ist, verurteilt und „durchkreuzt“.

Unter der neuen „geistlichen“ Weisheit versteht die Bibel dagegen die durch Gottes Geist geschenkte und gewirkte Erkenntnis: die Erkenntnis dessen, was Gott tut und was er vom Menschen getan haben will (1 Kor 1,24;2,6.7;12,8;Eph 1,17;Kol 1,9;Jak 3,13.17).

a) Der Durchblick, das Verständnis für das, was Gott tut. Gott hat uns durch Jesus Christus, seinen Sohn, im Blick auf seinen Plan, seine Wege und seine Ziele ins Vertrauen gezogen (Johannes 15,15). Besonders 1 Kor 2 wird uns das hohe Ziel der göttlichen Weisheit gezeigt, unsere Herrlichkeit (1 Kor 2,7).

„Herrlichkeit ist enthüllte Göttlichkeit“ (F. Oetinger). Die Schrift sagt nicht nur, daß wir einmal in der Herrlichkeit, sondern daß wir selbst Herrlichkeit sein werden (so auch wörtlich Kol 3,4). Es ist für uns eine „Weisheit im Staube“, wie die Väter des schwäbischen Pietismus gesagt haben, bei der der Mensch klein wird und Gott groß. Das ist im echten Sinn Theologie, zu der jeder denkende Christ berufen ist: die großen, uns in Jesus Christus offenbarten Gedanken Gottes demütig, staunend und dankbar nachzudenken und sich von ihnen zu Gottes Zielen mitnehmen zu lassen. Bekehrung zu Jesus Christus erfordert keinen Verzicht auf das Denken. Im Gegenteil, nun ist der Mensch befreit und erleuchtet zu einem neuen Denken. Unser Denken ist „getauft“, in Christi Tod gegeben und mit ihm lebendig gemacht und in seinem Gehorsam stehend (2 Kor 10,5). Unser Herr Jesus Christus ist uns gerade dazu gegeben, daß wir von unserem falschen Denken (und so auch Leben) befreit werden zu richtigem Denken (und Leben). „Jesus Christus ist uns von Gott gemacht zur Weisheit“ (1 Kor 1,30). Ja, in unserem Herrn Jesus Christus, in dem Evangelium von ihm, ist uns die unerschöpfliche Quelle der Weisheit Gottes, Weg und Ziel, eröffnet: Die Erkenntnis dessen, was Gott mit dem einzelnen Menschen, seiner Gemeinde und mit seiner ganzen Welt tut und tun wird. Und auch die Erkenntnis dessen, was er von uns in einem Jesus gemäßen Leben erwartet – von uns als solchen, die dem Bild des Erstgeborenen durch seinen Geist gleichgestaltet werden. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol 2,3) (- Daß der Mensch für die Dinge dieser Welt trotz seiner Sünde erhebliche Geisteskräfte besitzt, ist nicht ein Zeichen dafür, daß „es also auch ohne Gott gehe“, sondern für die Langmut Gottes, die die Welt erhält, um sie doch noch zu heilen. -)

b) Zum andern meint Weisheit im Sinne der Schrift – was eben schon anklang – das Verständnis für das, was Gott von uns, den Seinen, getan haben will. Darum geht es Jakobus vor allem, um die Frage: Wie verhalten wir uns in unserem Alltag, im bunten Wechsel der Lage, insbesondere in Widerwärtigkeiten, in Zwischenfällen, in Proben – Gott wohlgefällig und so, daß wir auch vor unserer Umwelt mit Wort, Tat und Wesen ein Christus-Zeugnis sind?

Daß wir bitten dürfen.

„Der bitte Gott“: Jakobus war bei seinem Herrn und Meister in der Lehre. Er hat uns die große, wunderbare Möglichkeit gezeigt, den Ausweg aus aller Ratlosigkeit: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan“ (Mt 7,7). Die Bitte um die göttliche Weisheit ist die Bitte um den Geist Gottes, denn die Weisheit ist eine der Wirkungen des Geistes (Eph 1,17). Unser Herr hat der Bitte um den Geist eine besondere Verheißung gegeben (Lk 11,13). Die äußeren Gaben gibt Gott auch denen, die ihn nicht darum bitten (Mt 5,45). Doch seinen Geist, sich selbst, sein Heil wirft er nicht einfach pauschal über die Köpfe. Die inneren Gaben drängt er niemandem auf. Hier will er gebeten sein. „Er will, daß wir unsere Hände ausstrecken nach seinem gnädigen Tun“ (J. Ch. Blumhardt). – Wie haben wir uns die Erhörung der Bitte um Weisheit zu denken? Der Geist Gottes bindet sich an das Wort Gottes. Jesus sagt vom Geist: „Aus dem Meinen wird er’s nehmen“ (aus dem ein für allemal gegebenen Wort) „und euch erinnern all des, was ich euch geredet habe“ (Johannes 14,26;16,14). Darum, im Hören auf Gottes Wort und im Gebetsumgang fällt durch Gottes Geist Licht auf unsere Lage und Frage. Es wird Einsicht in das jetzt Gebotene geschenkt und auch die Gabe, anderen ein klärendes, wegweisendes, helfendes Wort zu sagen (vgl. 1 Kor 12,8).

„Gott gibt jedermann“, übersetzt Luther nach dem Gesamtsinn: Die göttliche Weisheit ist keineswegs das Reservat einiger Theologen, „Gottesmänner“, Hauptamtlicher, Führender in der Gemeinde, Begabter. Jedermann hat die Verheißung.

„Gott gibt willig.“ Das grie Wort für die Art des Gebens Gottes bedeutet „einfach“, „schlicht“, „ohne Nebenabsichten“, „einfältig“ übersetzt Luther. Gott ist in seinem Geben rückhaltlos und von lauterer Güte. Er verhält sich nicht so wie die Menschen und nicht so, wie sich die Heiden ihre Götter dachten. – „Er gibt, ohne Vorwürfe“ zu machen: Wir sind an die Verdeutschung Luthers gewöhnt: „Er rückt’s niemand auf.“ Er enthält es niemand vor. Er hängt nicht den Brotkorb hoch (etwa um zu zeigen, wer Herr im Haus ist). Wörtlich heißt es: „Er schilt nicht.“ Wir geben auch, aber nicht selten schelten wir dazu, angefangen bei unsern eigenen Kindern, zum Beispiel so: „Nun kommst du, nachdem du in der Patsche sitzt. Das hättest du dir vorher überlegen müssen.“ Oder: „Nach all dem, wie du dich verhalten hast, sollte ich dir ja nichts mehr geben!“ Gott macht keine Vorhaltungen und Vorwürfe. Er behaftet uns nicht mit Vergangenem. „Seine Barmherzigkeit ist alle Morgen neu“ über uns „und seine Treue ist groß“ (Kla 3,22.23).

F. Grünzweig – Wuppertaler Studienbibel

Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der allen willig gibt und keine Vorwürfe macht, und sie wird ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben, ohne irgend zu zweifeln; denn der Zweifler gleicht einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde, ist er doch ein wankelmütiger Mann, unbeständig in allen seinen Wegen.

Als nächstes befasst sich Jakobus mit der Beziehung zwischen Prüfungen und Weisheit. Weisheit ist notwendig, um Prüfungen durchzustehen. In Hebräer 4,16 betont der Autor die Wichtigkeit, Gnade in Anspruch zu nehmen. Jakobus betont eine besondere Gnade, die wir in Anspruch nehmen sollen; diese Gnade ist Weisheit.

Vers 5 ermutigt Gläubige, nach Bedarf um Weisheit zu bitten: Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, um eine Prüfung durchstehen zu können, so bitte er Gott. Im Englischen (und Deutschen) klingt das mehr nach einem guten Rat; im Griechischen ist es jedoch ein Imperativ, also ein Befehl. Den Gläubigen wird geboten, inmitten der Prüfung um Weisheit zu bitten. Das Ergebnis: der allen willig gibt … Das Wort gibt ist im Griechischen ein Partizip – Gott ist der gebende Gott; Gott gibt fortwährend, und er liebt es, Weisheit zu schenken. In der jüdischen Vorstellung bestand Weisheit im Ausleben von Gerechtigkeit im Alltag. So wird die Weisheit im Buch der Sprüche beschrieben: Weisheit ist nicht nur ein geistiges Vermögen, sondern die Fähigkeit, ein Alltagsleben in Gerechtigkeit zu führen. Wenn uns Weisheit mangelt, sollen wir darum bitten. Der Autor verwendet die Gegenwartsform: Fragt immer weiter! (So auch in Matthäus 7,7.) Gottes Antwort ist, dass er dieses besondere Gebet freigiebig und schlicht beantwortet. Was Gott nicht versprochen hat, mag er oder mag er nicht erfüllen; was er aber versprochen hat, wird er tun. Er hat verheißen, für Weisheit zu sorgen; also sollten Gläubige immer wieder darum bitten. Der gebende Gott wird diese Weisheit großzügig schenken, weil das für Gottes Wesen charakteristisch ist. Gott wird sie großzügig [im Elberfelder Text „willig“ – Anm. d. Übers.] herschenken – ein Wort, das wir nur hier und nirgends sonst im Neuen Testament finden. Das Adverb deutet an, dass Gott mit einer einzigen Absicht schenkt: Diese Absicht ist das Wohlergehen des Gläubigen. Außerdem schreibt Jakobus, dass Gott allen Weisheit schenkt, die darum bitten. Er wird nicht schelten. Mit anderen Worten: Gott wird reagieren und Weisheit gewähren, wenn sie im Gebet erbeten wird; aber er wird den Bittsteller für seine Frage nicht mit Beleidigungen überhäufen. Außerdem wird er den Bittsteller auch nicht an seine vergangenen Antworten auf vorige Gebete erinnern. Gott wird nicht antworten: „Was hast du denn mit dem gemacht, was ich dir schon gegeben habe?“ Gott stimmt nicht zu, nur um den Gläubigen zu demütigen. Er wird ersehen und für den Gläubigen sorgen. Gott antwortet: …und sie wird ihm gegeben werden. Das ist eine absolute Sicherheit; denn – nochmals – wenn Gott verheißen hat, als Antwort auf Gebet etwas zu geben, wird er das tun. Laut Sprüche 9,10 ist die Furcht des Herrn der Weisheit Anfang. Wenn wir uns ihm nähern, um Weisheit zu erbitten, sollten wir das in Furcht und Zittern tun. Einerseits sollten wir um die Weisheit beten, die wir zum Durchstehen einer Prüfung brauchen. Andererseits sollten wir Gott fragen, welche „Weisheit“ wir nach seinem Willen aus dieser Prüfung gewinnen sollen.

Arnold Fruchtenbaum — Der Jakobusbrief

    Schreibe einen Kommentar

    Nur Personen in meinem Netzwerk können kommentieren.