Denn Jehova wird sein Volk nicht verstoßen, und nicht verlassen sein Erbteil;
Elberfelder 1871 – Psalm 94,14
Denn nicht entsagen wird ER seinem Volk,
sein Eigen wird er nicht verlassen.
Buber & Rosenzweig 1976 – Psalm 94:14
Denn Jehova verstösst nicht sein Volk, und sein Erbtheil verlässt er nicht.
van Ess 1858 – Ps 94,14

Wenn wir in die meisten Kommentare und christliche Zeitschriften schauen, wird dieser Vers fast ausschließlich auf „uns Christen“ angewandt: wir brauchen uns nicht zu fürchten, wir brauchen keine Angst haben. Aber wenn wir diesen Vers aus der Sicht des neuen Testaments lesen, dann wird uns Paulus einfallen, der im Brief an die Römer die Behauptung aus diesem Vers aufnimmt, um zu zeigen: Jehovah wird Israel niemals völlig verlassen!
Ps 94:12-15
Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar
Aus diesen Versen wird das Vertrauen des Psalmisten zum Herrn deutlich. Wer von Gott gezüchtigt wird, der erfährt Segen, denn er wird aus dem Gesetz unterwiesen. Auch wenn ein Gläubiger von Gottlosen Bedrückung erfährt, kann er sich damit trösten, daß Gott derartige Bedrückungen gebrauchen kann, um ihn zu unterweisen. Gott wird ihm aus dem Unglück Ruhe schaffen, wenn die Gottlosen untergegangen sind. Der Psalmist war sich gewiß, daß Gott sein Volk nicht verlassen (vgl. V. 15 und den Kommentar zu Ps 28,9; 5Mo 4,20 ), sondern Gerechtigkeit wiederaufrichten werde.
[12–15] Der Beter wendet sich jedoch von den Anrufen an die Frevler ab; denn es liegt nicht mehr in seiner Hand, ob sie Belehrung annehmen. Er hat erkannt, wie glücklich er selbst und seinesgleichen sind, weil sie in der Erziehung Gottes stehen. So dankt er Gott, daß der ihn zurechtweist durch sein Wort und seine Weisung. Wer in solcher Erziehung steht, hat Ruhe selbst in bösen Tagen. Der Gottesfürchtige muß sie ertragen, bis dem Frevler die Grube gegraben wird. Mitten im Beten erkennt der Beter dies, und das genügt ihm – auch wenn er im Augenblick noch in äußerster Bedrängnis lebt. Die Verheißung leuchtet ihm aufs neue auf, als er vor Gott steht: Denn Jahwe wird sein Volk nicht verstoßen. Am Ende wird alle Gerechtigkeit, die sich verzogen hatte, zurückkehren. Dann wird Friede sein.
Wuppertaler Studienbibel
Römerr 11, 1 A: Doch nicht verstoßen hat Gott sein Volk? Das sei ferne.
Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch
Zum Ausdruck s. zB Ps 94, 14: Denn nicht verstoßen wird Jahve sein Volk לֹא יִטּוֹשׁ י״י עַמּוֹ. — Targ: לָא יִנְטוֹש י״י עַמֵּיהּ. — LXX: οὐκ ἀπώσεται κύριος τὸν λαὸν αὐτοῦ.
Es ist Gotte unmöglich, sein Volk zu verstoßen.
Der zweite Teil des Psalms (Verse 12 bis 22) wendet sich an fromme Gottesfürchtige, die sich gerne aus der Heiligen Schrift unterweisen lassen und Nutzen ziehen möchten aus dem Reden und Handeln Gottes mit ihnen. Die schwere Drangsalszeit, die sie erleben müssen, gereicht ihnen keineswegs zum Schaden, sondern zum inneren Gewinn. Denn der Herr züchtigt die Seinen nie ohne eine nutzbringende Absicht. Darum wird der Gottesfürchtige die Züchtigung des Herrn nicht geringachten und ermattet nicht, wenn er von Ihm gestraft wird. Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er. Was sie erdulden, ist zur Züchtigung (Heb 12,5–11). Gottes Ziel ist unter anderem die Unterweisung und Heiligung der Gläubigen (Ps 119,71). Beides geht miteinander, denn ein von Ihm unterwiesenes, geheiligtes Herz genießt die Nähe des Herrn und befolgt Sein Wort. Es möchte Seine Gedanken noch eingehender kennenlernen, um die göttlichen Eigenschaften vermehrt zu erkennen. Dies formt die persönliche Einstellung und das ganze Leben. Die Hoffnung und das Ausharren des Glaubens werden gestärkt. Daraus erwächst Glückseligkeit (Vers 12; Hiob 5,17f; Röm 5,3f; Jak 1,2–4). Die Erprobung selbst wird zumeist mit Angst und Sorgen, auch mit Schmerzen und Tränen erlebt, aber ihre Wirkung ist gesegnet. Die Vertrautheit mit dem Herrn wächst und die Gemeinschaft mit Ihm wird ausgeprägter. Man lernt, dass man nur in Ihm wirkliche innere Ruhe findet (Vers 13). Nicht Gottes Zorn, der auf Genugtuung besteht, hat die Züchtigung ausgelöst, sondern Seine Liebe, die über die Gottesfürchtigen wacht.
Karl Mebus – Die Psalmen – Eine Auslegung für die Praxis
Der durch Leiden Geplagte sollte nach Gottes Absicht fragen und sich selbst in Seinem Licht prüfen. Vielleicht ist es der feste Griff, mit dem wir die irdischen Dinge als persönlichen Gewinn festhalten möchten, den der Herr lösen muss. Wenn man das Weltliche nicht loslassen will, dann muss man es durch Leiden lernen. Möglicherweise sind es Gott nicht wohlgefällige Verhaltensweisen, die mit unserem persönlichen Charakter zusammenhängen und der Berichtigung bedürfen, um uns zu vervollkommnen. Auch eine Gehorsamsverweigerung kann der Anlass sein, dass der Herr härtere Mittel anwendet, nachdem Mahnungen Seines Wortes ungehört verhallt sind. Bisweilen ist Hochmut der Grund dafür, dass Irrtümer nicht eingesehen werden und in geistlicher Erkenntnis keine Fortschritte mehr gemacht werden. Dann hilft der Herr gegebenenfalls mit einer demütigenden Prüfung nach. Dies kann auch notwendig werden wegen der Vernachlässigung des Gebets, des Lesens der Heiligen Schrift und durch das Versäumen der Zusammenkünfte als Gläubige. Manches Mal muss Er einschreiten, weil wir die Reinigung der vorigen Sünden vergessen haben. Wir sind geistlich so blind und kurzsichtig geworden, dass wir unseren Eigenwillen als Verursacher unserer Verfehlungen nicht erkennen (2. Pet 1,9). Härteste Maßnahmen können eine Folge davon sein, dass das Heilige nicht vom Unheiligen unterschieden wurde, das Gewissen abgestumpft ist und kein Selbstgericht mehr geübt wurde (1. Kor 11,29–32; Ps 139,23f). Es gibt vielerlei Keime zum Bösen in unseren Herzen, die der Herr wahrgenommen hat und durch rechtzeitige Züchtigung zu ersticken sucht. Vorsorglich sendet Er züchtigende Schwierigkeiten, um uns aus einem Zustand des Erlahmens und der Bequemlichkeit aufzurütteln und unseren Blick von irdischem Glück weg zu lenken auf Seine Herrlichkeit.
Der Herr will die Glaubenden nicht beunruhigen. Er möchte uns vielmehr im Glauben und Vertrauen auf Ihn befestigen, selbst dann, wenn Er in heiliger Gerechtigkeit böse Dinge im Leben der Gläubigen unter Zucht stellt. Da Er in Gemeinschaft mit uns sein möchte, kann Er nichts erlauben, was nicht mit Seiner Heiligkeit in Übereinstimmung ist. Er will die Gläubigen nicht unzufrieden machen oder in Zweifel stürzen. Vielmehr möchte Er sie zu Erben Seines Reiches erziehen, um sie in Seine heilige Stadt und in Sein Haus aufzunehmen und unter ihnen zu wohnen und zu wandeln (Vers 14; 2. Kor 6,16–7,1; Heb 12,22f). Dies gilt für die jetzige Zeit des Christentums. Es ist jedoch zu beachten, dass der vorliegende Psalm von Vers 14 an zunächst die Juden, das irdische Volk des HERRN, im Blickfeld hat, das in der noch kommenden Drangsalszeit des Endes durch furchtbare Prüfungen zu gehen hat und dann den Trost der hier vorliegenden Verse dringend nötig haben wird (Vers 15). Ihnen versichert hier der Heilige Geist vorausschauend, dass sie in der Trübsalszeit, die sie zu durchstehen haben (Jer 30,7; Mt 24,21), nicht befürchten müssen, dass der HERR sie verstoßen habe oder verlassen würde. Seine Treue zu Seinem Wort und Seinen Verheißungen schließt dies völlig aus (Jes 29,17–22; Jer 31,36.37; Röm 11,25–29).
Wenn die im Buch der Offenbarung beschriebenen Gerichtsschläge diese Welt treffen, dann wird sich der HERR vor den Augen aller Völker den Aufrichtigen aus Seinem irdischen Volk Israel zuwenden. Er wird für sie „aufstehen gegen die Übeltäter“ und für sie „auftreten gegen die, die Frevel tun“ (Vers 16; Ps 118,6f; 124,1–8). Dies beweist, dass der HERR Sich der Gerechten, die sich dann aus Israel zu Ihm bekehrt haben, annimmt und Sich mit dem bußfertigen Überrest Israels einsmacht (Jes 49,15f; Jer 31,20). Dann wird offenbar, dass die überlegene, siegreiche Macht auf der Seite des Guten steht und sich damit identifiziert. Das Böse dagegen wird durch Gottes Macht überwunden werden und einem unnachsichtigen Gericht zugeführt. Wenn der HERR Selbst als Israels Messias auf dieser Erde erscheint, hat die Macht des Bösen ein Ende, denn Gottes Gegenwart auf der Erde duldet keinen „Thron des Verderbens“. Dann wird von Satans Machtmitteln nichts übrigbleiben (Vers 20; Ps 9,5.6; Jes 54,17). Auf der ganzen Erde kommt fortan die Gerechtigkeit Gottes zu ihrem Recht. Die Gottesfürchtigen haben nicht vergeblich darauf gehofft, dass das Gericht zur Gerechtigkeit zurückkehren wird und die gottgewollten Ordnungen wiedererrichtet werden (Vers 15). Es hat sich als richtig erwiesen, dass die Gläubigen bei ihrem Vertrauen auf den Sieg der Gerechtigkeit Gottes geblieben sind und keinerlei Pakt oder Übereinkunft mit dem Bösen eingegangen sind. Selbst das Überhandnehmen des Unrechts auf der ganzen Welt hat sie nicht von dem abbringen können, was Gottes Wort als göttliches Recht verkündet. Sie haben ‚auf Edlem bestanden‘ (Jes 32,8) und haben den gebotenen Abstand und die strikte Abneigung gegenüber dem Bösen aufrechterhalten. Die mit Ergebenheit ertragene Drangsalszeit verwandelt sich für sie nach dem Eintreffen des Messias zu einer Quelle der Freude und Genugtuung (Mt 24,29–31).
Dass der Herr sein Volk »nicht verstößt«, zeigt sich ebendaran, dass er aus dem Volk einige lehrt und so zu Glückseligen macht. Paulus beantwortet die Frage, ob Gott sein Volk verstoßen habe, damit, dass er, einer aus der Menge der Kinder Israel, ja auch zum Glauben, zur Rechtfertigung und damit zur ewigen Glückseligkeit geführt worden sei (Röm 11,1). Gott erhält sich einen Überrest nach Wahl der Gnade (Röm 11,5), wie in den Tagen Elias (Röm 11,2–4), so auch in den Tagen des Apostels, und so wird es wiederum sein bei der Wiederherstellung aller Dinge. Oben hatte der Sänger geklagt: »Dein Erbteil bedrücken sie.« Hier kann er bekennen: »Sein Erbteil lässt er nicht …«.
Benedikt Peters – Die Psalmen
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