Der Kluge sieht die Gefahr und weicht ihr aus

Der Kluge sieht das Unglück und verbirgt sich; die Einfältigen aber gehen weiter und leiden Strafe.
Elberfelder 1871 – Sprüche 22,3

Ein Mensch mit Erfahrung sieht das Unglück kommen und bringt sich in Sicherheit; die Unerfahrenen laufen mitten hinein und müssen es büßen.
Gute Nachricht Bibel 2018 – Sprüche 22:3

Der Gescheite sieht das Uebel, und verbirgt sich; aber die Unerfahrnen rennen hinein, und müssen büssen.
van Ess 1858 – Sprichwörter 22,3

Ein kluger Mensch sieht die Gefahr voraus und bringt sich in Sicherheit; die Unerfahrenen stolpern blindlings dahin und müssen die Folgen tragen.
Neues Leben 2006 – Sprichwörter 22:3

„Die Einfältigen erben die Torheit, aber die Klugen werden mit Erkenntnis gekrönt“ (14,18). Manchmal werden die Einfältigen lernen, wenn sie sehen, wie andere für ihre Sünden bestraft werden (19,25; 21,11). Der Weise lernt durch Belehrung, aber der Einfältige muss ein lebendiges Beispiel sehen, bevor er oder sie lernt. Weise Menschen sehen die Gefahr kommen und weichen ihr aus, aber die Einfältigen laufen direkt in sie hinein (22:3; 27:12). Manche Menschen müssen auf die harte Tour lernen.

Wir alle sind in vielen Dingen unwissend, aber Einfaltspinsel sind sich ihrer Unwissenheit nicht bewusst und wollen nicht lernen. Sie folgen der Philosophie: „Wo Unwissenheit Glückseligkeit ist, ist es töricht, weise zu sein.“ (- Diese oft zitierte Aussage ist die letzte Zeile von Thomas Grays Gedicht „Ode on a Distant Prospect of Eton College“, aber ihre Botschaft wird meist missverstanden. In dem Gedicht kontrastiert Gray die fröhliche Unschuld der Kinder in der Schule mit den Schwierigkeiten, die sie im Erwachsenenalter haben werden. Er bittet uns, sie nicht zu früh ihrer jugendlichen Freuden zu berauben. Sie werden noch genug Zeit haben, um zu lernen, dass das Leben nicht immer nur aus Spaß und Spiel besteht. Wir erwarten von Kindern ein gewisses Maß an naiver Unschuld, aber nicht von Erwachsenen. -) Aber wenn es eine Bibel zu lesen, ein Leben aufzubauen und sich auf die Ewigkeit vorzubereiten gilt, ist es töricht, unwissend zu sein.

Warren W. Wiersbe – Sei Commentary Series Sprüche

Sieht steht nur in der ersten Vershälfte. Ist daraus zu schlußfolgern, daß der Unerfahrene mit geschlossenen Augen durch die Welt geht, daß er sich der Gefahr gar nicht bewußt wird, in der er schwebt? Oder darf man das »sieht« auch für die zweite Vershälfte voraussetzen? Das würde bedeuten, daß der Unerfahrene die Gefahr zwar sieht, sie aber nicht als solche erkennt und deshalb keine Vorsichtsmaßnahmen ergreift. Der Gescheite sieht die Gefahr und trifft seine Vorkehrungen. An welches Unglück zu denken ist, läßt sich nicht erschließen. Es muß sich um etwas handeln, vor dem man sich verbergen kann und das beim Weitergehen über einen hereinbricht. Für »Unglück« steht eigentlich »Böses«. Dann könnte man sich vorstellen, daß jemand beim Handeln die Bosheit, Hinterlist des Partners erkennt und sich von diesem Geschäft zurückzieht.
Es fällt auf, daß dem einen Gescheiten viele Unerfahrene gegenüberstehen – offenbar eine Widerspiegelung der Realität. Während die Zeitformen das Verbergen als Folge des Sehens darstellen (im Kere ist es gleichzeitig), fallen weitergehen und bestraft werden zeitlich zusammen. Diese Beobachtung rät ab, »bestraft werden« entsprechend der Etymologie des Wertes als Geldstrafe zu verstehen. Es ist vielmehr die Selbstbestrafung, die der Unvorsichtigkeit anhaftet. Im NT findet man ähnliche Gedanken im Zusammenhang mit der Endzeit: 1Thess 5,2–6.

Dietrich – Wuppertaler Studienbibel

V. 3 – Blaise Pascal sagte: »Wir rennen achtlos in den Abgrund, wenn wir etwas gefunden haben, was uns den Anblick des Abgrundes verstellt«212 (vgl. 1,17).

V. 3 – »Nicht Blindheit ist es, nicht Unwissenheit, was die Menschen und Staaten verdirbt. Nicht lange bleibt ihnen verborgen, wohin die eingeschlagene Bahn sie führen wird. Aber es ist in ihnen ein Trieb, von ihrer Natur begünstigt, von der Gewohnheit verstärkt, dem sie nicht widerstehen, der sie weiter vorwärtsreißt, solange sie noch einen Rest von Kraft haben. Göttlich ist der, welcher sich selbst bezwingt. Die meisten sehen ihren Ruin vor Augen, aber sie gehen hinein« (der große deutsche Historiker Leopold von Ranke, zitiert von Joachim Fest, in: Hitler. Eine Biographie).

Dieser Vers steht (fast) wörtlich gleich in 27,12.
Der Herr kündigte dem König Josia das kommende »Unglück« an (2Kö 22,16), und der tat, was »der Kluge« tut: Er barg sich bei Gott, d. h., er suchte Schutz und Bewahrung im Wort Gottes, und dieses lehrte er das ganze Volk als die einzige wirkliche Zuflucht (2Kö 23,1–3). Anders die »Einfältigen«; die achten nicht auf die göttlichen Warnungen, kehren nicht um, sondern »gehen weiter« auf ihrem Weg, und am Ende müssen sie »Strafe [leiden]«. Gott sandte immer wieder seine Propheten, die das Volk zur Umkehr riefen, doch man verachtete Gottes Worte und verhöhnte dessen Propheten, »bis der Grimm des HERRN gegen sein Volk stieg, dass keine Heilung mehr war« (2Chr 36,15–16). Da »ließ er den König der Chaldäer gegen sie heraufkommen«, und dessen Armee zerstörte Stadt und Tempel und verschleppte die vom Schwert Übriggebliebenen nach Babel. So erfüllte sich das Wort des HERRN (Kap. 36,17–21).

Benedikt Peters – Das Buch der Sprüche