Und in jener Zeit wird Michael aufstehen, der große Fürst, der für die Kinder deines Volkes steht; und es wird eine Zeit der Drangsal sein, dergleichen nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht bis zu jener Zeit Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, ein jeder, der im Buche geschrieben gefunden wird.
Elberfelder 1871 – Daniel 12,1
Zu jener Zeit wird sich Michaʾel, der große Fürst, erheben, der für die Söhne deines Volkes einsteht, und es wird eine Zeit der Not sein, wie es noch keine gab, seitdem es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Und in jener Zeit wird dein Volk gerettet werden, jeder, der im Buch verzeichnet ist.
Die Philippson-Bibel – Daniel 12:1
In dieser Zeit wird der große Engelfürst Michael auftreten, der dein Volk beschützt. Denn es wird eine Zeit der Bedrängnis sein, wie es sie seit Menschengedenken noch nie gegeben hat. Doch dein Volk wird gerettet werden, und zwar jeder, den man im Buch ‹Gottes› aufgeschrieben findet.
Neue evangelistische Übersetzung 2019 – Dan 12,1
Zu jener Zeit (Nachdem der Engel die Heimsuchung und das Leiden verkündet, stellt er auch den Trost vor Augen: der heilige Michael wird dem Volke Hilfe bringen und Gott in der Ewigkeit volle Wiedervergeltung spenden, den Frommen ewiges Leben, den Abtrünnigen ewige Strafe und Schmach. – Hebr.: Und zu jener Zeit. Das Folgende wird mit dem Vorhergehenden eng verknüpft. – Dessen Amt dies ist.) aber wird Michael, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes einsteht, sich erheben;(Zur Zeit der im [Dan 11] geschilderten Verfolgung. Während also dem Verfolger niemand hilft [Dan 11,45], hat das Volk Gottes zu gleicher Zeit einen mächtigen Helfer. Dass er wirklich eintreten wird, war bereits aus [Dan 10,13.21] zu schließen; wie er half, zeigen [2Mak 3,26; 2Mak 10,29; 2Mak 11,8]. Um diesen Schutz des Engels fleht Judas ebenda [2Mak 15,23].) denn es wird eine Zeit(Hebr.: Bedrängniszeit. Diese tritt nach der Hilfeleistung durch den Engel Michael ein; was ganz dem entspricht, was [Dan 7,21.23.25] vom vierten Reiche und dem anderen Horne gesagt, dass inmitten der zehn Hörner entstand. Wie [Dan 11] zeigte, welches Unglück das aus dem dritten Reiche entspringende Horn [Dan 8,9] herbeiführt, so wird hier kurz darauf hingewiesen, dass auch nachher eine Zeit noch schlimmerer Heimsuchung kommen wird. So werden wir von den vorhergehenden Weissagungen von selbst auf das vierte Reich und jenes Horn gewiesen.) kommen, wie keine gewesen, seitdem Völker sind, bis zu jener Zeit.(Im Folgenden geht der Engel von jener zeitlichen Bedrängnis zum Ende aller Dinge über. In dieser Zeitlichkeit wird Lohn und Strafe nicht stets nach Gebühr und Gerechtigkeit jedem zuteil; Verfolger und Verfolgte ruft der gleiche Tod ab, ohne dass beide den gebührenden Lohn in diesem Leben empfangen. Auf die Ewigkeit also muss man den Blick wenden, und wenn die Prüfungen und Leiden immer mehr zunehmen, durch das Ende Standhaftigkeit in der Gegenwart gewinnen.) Zur selben Zeit werden von deinem Volke alle errettet werden, die im Buche aufgeschrieben werden.(Vom Buche Gottes, im Buche des Lebens. Vergl. [Jes 4,3] und [Dan 7,10].)
Joseph Franz von Allioli – Dan 12:1
Als die Offenbarung, die in Kapitel 11 enthalten ist, Daniel gegeben wurde, war dieser ohne Zweifel vor allem am Schicksal seines eigenen Volkes interessiert. Nun, am Ende dieser Vision, tröstet der Engel Daniel, indem er ihm zwei Dinge deutlich macht (V. 1 – 3 ). Erstens wird das Volk Israel ( dein Volk ; vgl. Dan 9,24; 10,14 ) durch das Eingreifen von Michael , dem Engelsfürsten (vgl. Dan 10,13.21 ), der Israels Beschützer ist, befreit werden . In der großen Trübsal wird Satan versuchen, jeden Nachkommen Abrahams auszulöschen (vgl. die Anmerkungen zu Offb 12,15 ). Dies wird eine Zeit von großer, bisher noch nie dagewesener Trübsal für Israel sein (vgl. Mt 24,21 ). Satans Angriff gegen das Volk Gottes wird ein Teil seines Versuches sein, die Wiederkunft und Herrschaft Christi zu verhindern.
Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar
Die Befreiung Israels, des „Volkes“ von Daniel, ist keine individuelle Erlösung, auch wenn ein Überrest gerettet werden wird, sondern eine nationale Befreiung aus der Unterwerfung unter die Heiden (vgl. die Anmerkungen zu „ganz Israel wird gerettet werden“ in Röm 11,26 ).
Der Schlüsselbegriff hier ist archontōn, übersetzt „Herrscher“. Dieser Begriff wurde in der griechischen Literatur häufig verwendet, um sich auf menschliche Machthaber zu beziehen. Paulus verwendet ihn gelegentlich auf diese Weise (z. B. Röm 13,3), aber hier hat er geistliche Mächte im Sinn. Wir wissen das, weil er in den vorherigen Versen über Gott selbst spricht.
Michael S. Heiser — Die Bibel ungefiltert – Annäherung an die Heilige Schrift nach ihren eigenen Bedingungen
Paulus stützt sich auf sein Wissen über das Alte Testament. Deuteronomium 32,8-91 und Daniel 10 informieren uns, dass Israel Gottes Volk war, die einzige Nation, die mit ihm im Bunde stand. Die anderen Nationen standen unter geistlichen Mächten als Folge von Gottes Strafe für die Rebellion beim Turmbau zu Babel, bei der die Nationen geteilt wurden (1. Mose 11,1-9). Deuteronomium 32:17 nennt diese göttlichen Wesen „Dämonen“ (shedim). Daniel 10,13 verwendet den Begriff „Fürst“ (sar). Israel wird von dem Erzengel Michael bewacht, und deshalb wird er Israels „Fürst“ genannt (Dan 10,21; 12,1). Die Septuaginta – die von Paulus häufig verwendete griechische Übersetzung der hebräischen Bibel – übersetzt sar mit dem griechischen Begriff archōn. An anderer Stelle verwendet Paulus den verwandten Begriff archē, um sich auf diese geistlichen Mächte zu beziehen (Eph 6,12). Die Evangelien beziehen sich mit diesem Wort auf Satan selbst (Markus 3,22; Johannes 12,31; 14,30; 16,11).
Aus diesen Abschnitten ergibt sich ein Bild von den Nationen der Welt unter der Herrschaft dunkler Mächte, die Gottes Plan feindlich gegenüberstehen. Gott hielt seinen Plan aus gutem Grund verborgen. Hätten diese dunklen Mächte gewusst, dass die Manipulation der Menschen, um Jesus zu töten, das Ende ihrer eigenen Herrschaft einleiten würde, hätten sie es nie getan.
Die Trübsal (Dan. 12:1). „Zu jener Zeit“ bedeutet „in der Zeit des Endes“, dem Zeitraum, den der Engel in diesem Teil der Prophezeiung beschreibt. Wir haben jetzt die Mitte der Trübsal erreicht, wenn der Antichrist seinen Bund mit Israel bricht, den Tempel an sich reißt und sich als Weltdiktator und Gott aufstellt. Dies ist der „Gräuel der Verwüstung“, von dem Daniel in 9:27, 11:31 und 12:11 schrieb und den Jesus in seiner Ölbergrede erwähnte (Mt 24:15, Mk 13:14). Die letzten dreieinhalb Jahre von Daniels siebzigster Woche werden eine Zeit schrecklicher Leiden einleiten. „Denn dann wird eine große Trübsal sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht wieder werden wird“, sagte Jesus (Mt 24,21). Siehe Offenbarung 13-19.
Warren W. Wiersbe – Sei Commentary Series
Eines der Merkmale dieser schrecklichen Zeit wird der Krieg des Antichristen (Satans) gegen das jüdische Volk sein (Offb.12 ), aber Michael, der Engel, der für das jüdische Volk zuständig ist (Dan. 10:13, 21Offb. 12:7), wird ihnen zu Hilfe kommen. Gottes auserwähltes Volk wird bewahrt werden (Mt 24,22). Dazu gehören auch die 144.000, die vom Herrn versiegelt wurden (Offb 7,1-8). Gott wird seinen Bund mit Abraham halten und dafür sorgen, dass der jüdische Überrest in sein verheißenes Reich eintreten wird.
Militärische Invasion (Dan. 11:40-43). Wenn der Antichrist in das Land Israel einzieht, sein Bild im jüdischen Tempel aufstellt und sich zum Herrscher und Gott der ganzen Welt erklärt, werden sich nicht alle seinem Willen beugen. Die Könige des Nordens und des Südens werden sich ihm widersetzen und ihre Armeen nach Palästina bringen. In früheren Prophezeiungen in Daniel war der König des Südens Ägypten und der König des Nordens Syrien, aber diese Bezeichnungen treffen möglicherweise nicht auf die Nationen in der Endzeit zu. Einige Studenten setzen diese Invasion mit der in Hesekiel 38-39 beschriebenen Schlacht gleich und sehen darin eine nördliche Konföderation mit Russland an der Spitze und eine südliche Konföderation mit Ägypten und seinen Verbündeten an der Spitze. Der Antichrist wird seine Feinde besiegen und dadurch zu großem Reichtum gelangen.
Harmagedon (Dan. 11:44-45). Während der letzten dreieinhalb Jahre der Trübsalszeit werden sich die Völker der Herrschaft des Antichristen unterwerfen, aber es wird immer mehr Uneinigkeit und Widerstand geben, obwohl seine Arbeit von Satan angetrieben wird. Der Nachrichtenbericht in Vers 44 bezieht sich auf das wachsende Heer aus dem Osten, das auf der Ebene von Esdraelon auf die Streitkräfte des Antichristen treffen wird, um die so genannte „Schlacht von Harmagedon“ zu schlagen (Offb. 9:13-21; 16:12-16; Joel 3:1-2, 12-14; Sach. 14:1-3). Das Wort „Harmagedon“ bedeutet „Berg von Megiddo“, und diese Schlacht („Feldzug“) findet am Ende der Trübsalszeit statt.
Die Wiederkunft Christi. Während sich das riesige Heer aus dem Osten in Stellung bringt, um die Streitkräfte des Antichristen in Israel anzugreifen, wird das Zeichen des wiederkommenden Menschensohns am Himmel erscheinen (Mt 24,29-30), und die gegnerischen Heere werden sich zum Kampf gegen Jesus Christus vereinigen. Doch der Herr wird mit seinen Heeren vom Himmel herabsteigen, beide Heere besiegen und den Satan, den Antichristen und den falschen Propheten gefangen nehmen und in den Feuersee werfen (Offb 19,11-21; siehe auch Sach 12,1-9; 14,1-3). „Er [der Antichrist] wird an sein Ende kommen, und niemand wird ihm helfen“ (Dan 11,45).
Michael
Gabriel versichert Daniel, dass die himmlischen Heerscharen nach wie vor für Gottes Volk kämpfen. Nachdem er die göttliche Botschaft überbracht hat, müsse er zurückkehren, um den Kampf gegen den Fürsten von Persien fortzusetzen. Dabei werde er von Michael (Dan 10,20.21) unterstützt. Michael wird hier als „einer der Ersten unter den Engelfürsten“, „euer Engelfürst“ und „der große Engelfürst, der für dein Volk eintritt“ bezeichnet (Dan 10,13.21; 12,1). Michael ist somit der „himmlische Prinz“, der dem irdischen Prinzen Kambyses gegenübersteht. Das Alte Testament macht über Michael nur bruchstückhafte Angaben. Um ein vollständiges Bild von ihm zu gewinnen, müssen auch die Aussagen des Neuen Testaments berücksichtigt werden. Dort ist beispielsweise vom Erzengel Michael die Rede, der mit Satan um die Auferstehung des Mose streitet (Jud 9). Da Mose nach Matthäus 17 auferstanden ist, besitzt Michael Auferstehungsvollmacht. Außerdem wird er als Führer des himmlischen Engelheeres dargestellt, das vor der Erschaffung des Menschen gegen Satan und seine Engel kämpfte (Offb 12,7–9). Diese neutestamentlichen Hinweise können sich auf kaum jemand anderen als Christus beziehen. Das läßt darauf schließen, dass mit den alttestamentlichen Texten, in denen Michael genannt wird, ebenfalls Christus gemeint ist.
William H Shea – Studienreihe zur Bibel – Das Buch Daniel
Michael wird nur in Daniel 10 und 12 namentlich erwähnt. In Daniel 10 ist er in einen örtlich begrenzten Streit verwickelt. In Daniel 12 dagegen steht er in einer letzten und universalen Auseinandersetzung. Dort geht es um den Ausgang des Kampfes zwischen Gut und Böse. Alle biblischen Textstellen über Michael enthalten ein charakteristisches Merkmal: Es geht um einen Konflikt, in dem Michael als Führer im Kampf für Gottes Sache auftritt. So umschließen die Bilder von Michael in Daniel 10 und 12 die Prophezeiung in Daniel 11. Michael wird in Kapitel 10 in Verbindung mit einem Streit eingeführt, der zur Zeit des Propheten stattfand (Dan 10,13.21). Das letzte Bild Michaels erscheint am Ende der Zeit in der alles entscheidenden Auseinandersetzung. Immer schützt er das Volk Gottes – zur Zeit Daniels genauso wie am Ende der Zeit.
Von der Kontroverse, in der sich Michael und Kambyses gegenüberstehen, führt Gabriel Daniel weiter durch die prophetische Zukunft bis zu der Zeit, wenn Michael zum letzten Mal auftritt. Dann wird der Heilsplan zum Abschluß kommen. Michael wird sein Volk nach Hause bringen. Diese Vorhersagen für die Zukunft werden von Gabriel in Daniel 11 geschildert.
Arnold Fruchtenbaum – Angelologie: Die Lehre von den auserwählten Engeln
Es gibt zwei Engel, die in der ganzen Heiligen Schrift namentlich bekannt sind. Der erste ist Michael, der Erzengel. Der Name Michael bedeutet, „der wie Gott ist“, und Erzengel bedeutet „oberster Engel“. Das bedeutet, dass Michael derjenige ist, der die Autorität über alle anderen Engel hat. Er hat nicht die Autorität über die Seraphim und Cherubim, aber er hat die Autorität über die niedrigste Ordnung, die der Engel.
Das Konzept des Erzengels spiegelt sich in zwei anderen Namen wider, die für Michael verwendet werden. Erstens wird er in Daniel 10:13 der erste Fürst genannt. Es gibt viele Fürsten, aber er ist der erste Fürst, derjenige, der die Autorität über all die anderen hat. Zweitens wird er in Daniel 12,1 der große Fürst genannt. Es gibt nur einen großen Fürsten und das ist der Erzengel. Großer Fürst und erster Fürst bedeuten im Grunde das Gleiche und sind seine beiden hebräischen Titel. Der griechische Titel ist Erzengel, der betont, dass Michael der Herr über alle gewöhnlichen Engel ist (Offenbarung 12:7).
Michaels Position bedeutet, dass er bestimmte Verantwortlichkeiten hat. Als Erzengel hat er alle anderen Engel unter seiner Autorität (Offenbarung 12:7). Genauso wie die Dämonen unter der Autorität Satans stehen, stehen die guten Engel dieser Kategorie aufgrund seiner Position als Erzengel unter der Autorität Michaels. Als Erzengel ist es seine Aufgabe, Herrschaft und Autorität über die anderen Engel auszuüben; die Aufgabe der guten Engel ist es, sich der Autorität Michaels zu unterwerfen.
Michael wird auch der Name Oberster Fürst gegeben. Der Begriff „Oberster Fürst“ bezieht sich auf Engel, die Autorität über bestimmte Nationen haben. Als oberster Fürst ist Michael für die Nation Israel verantwortlich, und deshalb war es Michael, der den Körper von Mose in Judas 9 beschützte. In Daniel 10:13-21 sorgte Michael dafür, dass Daniel die notwendige Offenbarung über Israels Zukunft erhielt. In Daniel 12,1 wird Michael Israel während der Großen Trübsal beschützen, und in der Tat ist der Grund, warum Israel die Trübsal überleben wird, Michaels Arbeit. Andere zukünftige Dinge, die Michael tun wird, sind die Ankündigung der Entrückung (1 Thessalonicher 4,16); und in der Mitte der Trübsal wird Michael den Satan von seinem jetzigen dritten Aufenthaltsort in den atmosphärischen Himmeln zu seinem vierten Aufenthaltsort auf der Erde vertreiben (Offenbarung 12,7-12).
Arnold G. Fruchtenbaum – Ariels Bibel Kommentar – Das Buch Daniel
Es folgt eine rabbinische Einleitung zu Kapitel 12:
Dieses Kapitel wird von den jüdischen Autoritäten im Allgemeinen so verstanden, dass es sich auf die ferne Zukunft bezieht, die die Ankunft des messianischen Zeitalters ankündigen wird . Die Verse 1-4 knüpfen jedoch an den Gedanken des vorangegangenen Kapitels an und sind die abschließende Botschaft der Engel. Die Verse 1-3 sind daher besser als eine Beschreibung der Folgen des Sturzes von Antiochus zu verstehen.
Es ist bemerkenswert, dass der Engel , der in 10:19 zu Daniel zu sprechen begann, noch in Vers 1 von Kapitel 12 sprach: Und zu jener Zeit wird Michael aufstehen, der große Fürst, der für die Kinder deines Volkes eintritt; und es wird eine Zeit der Bedrängnis sein, wie sie nie gewesen ist, seit es ein Volk gibt, bis zu jener Zeit; und zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, der im Buch geschrieben steht. In 11:40 leitete der Engel die Prophezeiung über die militärischen Aktivitäten des Antichristen mit der Formulierung „zur Zeit des Endes“ ein. Nun erklärte er, dass zu dieser Zeit, d. h. zur gleichen Zeit wie die Ereignisse in 11:40-45 , Michael aufstehen wird. Wiederum benutzte der Engel den hebräischen Begriff amad, um zu zeigen, dass Michaels Aufstehen ein Akt militärischer Beteiligung war (vgl. 8,25; 11,14).
Interessanterweise interpretiert Raschi amad als „stillstehen“: „Zu jener Zeit wird Michael … still sein – still wie ein Stummer, denn er wird den Heiligen, gesegnet sei Er, sehen, wie Er selbst richtet und sagt: ‚Wie soll ich eine so große Nation um Israels willen vernichten?'“
Slotki kommentiert die Interpretation von Raschi: „[Michael] wird still stehen, sprachlos über die Ereignisse.“ Diese Lehre könnte aus dem folgenden Midrasch abgeleitet worden sein:
Und unser heiliger Rabbi sagte: „Dies ist Michael selbst, wie es heißt (Daniel 12:1 ): ‚Und zu jener Zeit wird Michael stehen, der große Diener, der für die Kinder Deines Volkes eintritt.'“ Denn er [ist derjenige, der] die Bedürfnisse Israels einfordert und für sie spricht, wie es heißt (Sacharja 1:12): „Und der Engel des Herrn antwortete und sprach: ‚Herr der Heerscharen, bis wann wirst du dich nicht über Jerusalem erbarmen?'“ Und ich werde [auch] sagen (Daniel 10:21 ), „und niemand ist stark mit mir außer Michael, deinem Diener.“ Rabbi Yose sagte: „Womit sind Michael und Samael [Satan ] vergleichbar? Einem Verteidiger und einem Ankläger, die vor Gericht stehen. Dieser spricht und jener spricht. [Wenn der eine seine Worte beendet hat und der andere seine Worte, weiß der Verteidiger, dass er gewonnen hat. [Dann] beginnt er, den Richter zu loben, der das Urteil verkündet. Der Ankläger [bittet] darum, etwas hinzufügen zu dürfen. Der Verteidiger [sagt dann] zu ihm: „Sei still und lass uns den Richter hören. So ist es, dass Michael und Samael vor der göttlichen Gegenwart stehen; und der Satan [Samael] klagt an und Michael berät über das Verdienst Israels, und [dann] kommt der Satan zu Wort, und Michael bringt ihn zum Schweigen. Und warum? Weil es heißt: „Ich will hören, was die Macht, der Herr, reden wird, denn er wird Frieden über sein Volk reden. [Ps. 85:8a]“
Rabbi Goldwurm erklärte, dass dieser Midrasch den hebräischen Begriff amad als transitives Verb behandelt, was bedeutet, dass „Michael den unerwähnten Satan zum Schweigen bringen wird, der im letzten Moment versuchen wird, die Erlösung zu verhindern.“ Die Offenbarung des Neuen Testaments zeigt jedoch, dass amad sich eher darauf bezieht, eine militärische Stellung einzunehmen als zu schweigen. Der Erzengel Michael wird eine militärische Position einnehmen, weil er Krieg gegen Satan und seine gefallenen Engel führen wird. Dieser Krieg wird in Offenbarung 12:7-12 beschrieben:
7Und es war ein Krieg im Himmel: Michael und seine Engel zogen aus, mit dem Drachen zu streiten; und der Drache stritt mit seinen Engeln 8und sie gewannen nicht, und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel. 9Und es wurde geworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und der Satan , der Verführer des ganzen Erdkreises; der wurde geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm geworfen. 10Und ich hörte eine große Stimme im Himmel, die sprach: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes und die Macht seines Messias gekommen; denn der Verkläger unserer Brüder ist hinabgeworfen, der sie Tag und Nacht vor unserem Gott verklagt. 11 Und sie haben ihn überwunden um des Blutes des Lammes willen und um des Wortes ihres Zeugnisses willen; und sie haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod. 12Darum freuet euch, ihr Himmel und die ihr darin wohnt. Weh der Erde und dem Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgestiegen und hat einen großen Zorn, weil er weiß, dass er nur noch eine kurze Zeit hat.
Satan und seine Dämonen wohnen derzeit in den atmosphärischen Himmeln (Eph. 2:2 ; 6:12 ). In der Mitte der Trübsal wird, während auf der Erde der Krieg zwischen dem Antichristen und den zehn Königen ausbricht, auch in den atmosphärischen Himmeln ein Krieg ausbrechen (Offb. 12:7 ). Dieser Konflikt findet zwischen dem Erzengel Michael und seinen Truppen und dem Erzfeind Satan und seinen Truppen statt. Michael wird siegreich sein, und Satan und seine Kohorten werden aus den atmosphärischen Himmeln vertrieben und auf der Erde eingesperrt (V. 8-9). Die Gefangenschaft des Satans auf der Erde wird zwei Folgen haben. Erstens wird ihm der Zugang zum Himmel verwehrt, und er wird nicht mehr vor dem Thron Gottes stehen können, um die Brüder anzuklagen. Darüber wird der Himmel frohlocken (V. 10-12a). Zweitens wird Satan nun voller Zorn sein (V. 12b). Sein Zorn wird auflodern, weil er weiß, dass seine Zeit kurz ist, nämlich dreieinhalb Jahre . Aufgrund des Zorns Satans wird es wehe für die Erde sein.
In Daniel 11:1 wird Michael auch der große Fürst genannt. Er ist der Große, weil er der Erzengel ist. Er wird Fürst genannt, weil er einer der obersten Fürsten ist (vgl. Dan 10,13). Es gibt viele solcher Engel, sowohl heilige als auch gefallene, die als Schutzengel über bestimmte Völker dienen. Michael ist der Schutzengel von Israel. Der Soncino-Kommentar nennt ihn den „Schutzpatron Israels“. Obwohl er einer von mehreren obersten Fürsten ist, ist Michael der einzige Erzengel. Als Schutzengel Israels steht er für die Kinder deines Volkes ein oder kämpft für sie, d. h. für Daniels Volk , das jüdische Volk. Ein Beispiel für seinen Kampf im Namen Israels findet sich in Offenbarung 12:15-16 :
15 Und die Schlange warf aus ihrem Rachen Wasser wie einen Strom hinter dem Weibe her, damit sie von dem Strome verschlungen würde. 16Und die Erde half dem Weibe, und die Erde tat ihren Mund auf und verschlang den Strom, den der Drache aus seinem Munde warf.
Sowohl die Schlange als auch der Drache stehen in diesem Abschnitt für Satan (vgl. Offb 12,9; 13,4-5) . Die Frau ist Israel. Die drei Hinweise auf Überschwemmungen (d. h. Wasser, Fluss, Strom) symbolisieren eine militärische Invasion. Mit der Macht Satans wird der Antichrist Jerusalem einnehmen, und die Juden werden fliehen. Da er weiß, dass seine Zeit begrenzt ist, wird Satan den Antichristen dazu bringen, eine Armee auszusenden, um die fliehenden Juden zu verfolgen. Sein Ziel ist es, das Volk Gottes ein für alle Mal zu vernichten, damit es Jeschua nicht anrufen kann, um zurückzukehren und gerettet zu werden. Der obige Abschnitt weist jedoch darauf hin, dass Gott ein Wunder vollbringen wird, wie er es schon einmal getan hat, und dass sich die Erde öffnen und die Armee verschlingen wird. Zweifellos wird Israels Schutzengel , Michael , die Verantwortung haben, den Erfolg dieses göttlichen Eingreifens sicherzustellen. Das Volk Israel wird die Trübsal durch die Bemühungen von Michael überleben.
Dennoch wird es nach Daniel 12:1 eine Zeit der Bedrängnis geben. Der Ausdruck „Zeit der Trübsal“ ist eine der Bezeichnungen für die Trübsal . Er ist dem Titel in Jeremia 30,7 sehr ähnlich: die Zeit der Not Jakobs. Alle Menschen werden in der Trübsal leiden, denn die kataklysmischen Gerichte dieser Zeit werden alle Menschen treffen, die nach der Entrückung zurückbleiben . Für das jüdische Volk wird es jedoch aufgrund eines Prinzips, das in Jesaja 40:1-2 dargelegt wird, besonders schwer sein:
1 Tröstet euch, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. 2Redet Jerusalem Trost zu und ruft ihr zu, daß ihr Kampf vollbracht ist, daß ihre Missetat vergeben ist, daß sie von Jehovas Hand das Doppelte empfangen hat für alle ihre Sünden.
So sehr Gott die Heiden für ihre Sünden bestrafen wird, so sehr wird er Israel doppelt bestrafen, nach dem Grundsatz: Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert (Lk. 12:48 ). Daher ist die Trübsal eine einzigartige Zeit der Not Jakobs.
In Daniel 12,1 fügte der Engel hinzu, dass diese Zeit schlimmer sein wird als alles, was die Welt je gesehen hat: und es wird eine Zeit der Bedrängnis sein, wie sie noch nie da war, seit es ein Volk gibt, bis zu dieser Zeit. Mit anderen Worten: Während der zweiten Hälfte der Trübsal werden die Juden einem Ausmaß an Verfolgung ausgesetzt sein, das alle früheren Verfolgungen übertreffen wird. Jeschua bekräftigt diese Wahrheit in Matthäus 24:21 : denn dann wird eine große Trübsal sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht mehr sein wird.
Doch nach Daniel 12:1 , wird zu der Zeit dein Volk errettet werden, jeder, der in dem Buch geschrieben gefunden wird. Auch hier bezieht sich der Ausdruck „dein Volk“ auf Daniels Volk , das jüdische Volk. Der Engel erklärte, dass die Verfolgung nur diejenigen treffen würde, deren Namen nicht in dem Buch geschrieben stehen. Dieses Buch kann entweder das Buch des Lebens oder das Buch des Lebens des Lammes sein. In Philipper 4,3 bezeichnet Paulus das Buch des Lebens als eine Aufzeichnung der Namen von Menschen, die das ewige Heil haben: Ich beschwöre auch dich, treuer Jochgenosse, hilf diesen Frauen, denn sie haben mit mir im Evangelium gearbeitet, auch mit Clemens und den übrigen meiner Mitarbeiter, deren Namen im Buch des Lebens stehen. In Offenbarung 3,5 steht, dass das Buch des Lebens die Namen der Gläubigen an den jüdischen Messias enthält: Wer überwindet, der wird mit weißen Kleidern angetan werden; und ich werde seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buch des Lebens, und ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wenn ein Name einmal im Buch des Lebens steht, wird er niemals ausgelöscht werden (vgl. Ps 69,28 ). Diejenigen, deren Namen im Buch des Lebens stehen, haben die Anfechtungen des irdischen Lebens besiegt und damit bewiesen, dass ihre Errettung wahr ist. Umgekehrt schildert Offenbarung 20:15 das Schicksal derer, deren Namen nicht im Buch des Lebens verzeichnet sind: Und wer nicht gefunden wurde, geschrieben im Buch des Lebens, der wurde in den Feuersee geworfen . In Offenbarung 17:8b wird erklärt, wann die Namen der Erlösten im Buch des Lebens geschrieben werden: Und es werden sich wundern, die auf Erden wohnen, deren Namen nicht geschrieben stehen im Buch des Lebens von Grundlegung der Welt an.
Ein Hinweis auf das Buch des Lebens des Lammes findet sich in Offenbarung 13:8 : Und alle, die auf Erden wohnen, werden es anbeten, jeder, dessen Name nicht geschrieben ist von Grundlegung der Welt an in dem Lebensbuch des geschlachteten Lammes. Ein weiterer Hinweis auf dieses Buch findet sich in Offenbarung 21:27 : Und es wird nichts Unreines hineingehen, auch nicht, wer einen Greuel und eine Lüge macht, sondern nur, wer im Lebensbuch des Lammes geschrieben ist. Beide Verse zeigen, dass dieses Buch die Namen aller Menschen enthält, die durch das Blut des Lammes, Jeschua , des Messias, gewaschen wurden. Das Lamm, das geschlachtet worden ist, besitzt ein Buch mit den Namen aller Menschen, die durch sein Opfer erlöst worden sind. Sie werden in das neue Jerusalem einziehen und für immer mit Gott im Himmel leben (Offb. 21:10-27 ).
Slotki bietet die rabbinische Sicht von Daniel 12:1 an und erklärt: „In diesem Buch sind die Namen der Frommen und Treuen unter den Juden verzeichnet, die dazu bestimmt sind, einen Anteil am glorreichen Jenseits zu haben.“ Ibn Esra nannte dieses Buch „das Buch der Erinnerung“.
Unabhängig davon, ob der Engel in Daniel 12:1 vom Buch des Lebens oder vom Buch des Lebens des Lammes spricht, geht es in dem betreffenden Buch um Gläubige, und es geht darum, dass die Auserwählten Israels entkommen werden. Diese Auserwählten wurden auch in Matthäus 24:22 erwähnt, wo Jeschua erklärte: Und wenn jene Tage nicht verkürzt worden wären, so wäre kein Fleisch gerettet worden; aber um der Auserwählten willen werden jene Tage verkürzt werden. Kontextuell gesehen sind die Auserwählten in diesem Vers nicht die Kirche als Ganzes, sondern speziell die jüdischen Gläubigen. Sie sind von Gott auserwählt, die Trübsal zu überleben . Wie bereits erwähnt, wird nach Sacharja 13:8-9 nur ein Drittel der jüdischen Bevölkerung, die zu Beginn der Trübsal lebt, das Ende überleben. Sie werden die Auserwählten Gottes sein, und ihre Namen stehen im Buch des Lebens.
Zusammenfassend zeigt Vers 1, dass zu dem Zeitpunkt, an dem der Antichrist versuchen wird, das jüdische Volk zu töten und zu vernichten (V. 11:44), der Erzengel Michael erscheinen wird, um es zu verteidigen. Das muss geschehen, denn die zweite Hälfte der Trübsal wird eine Zeit noch nie dagewesener Qualen sein. Trotz der Grausamkeiten der Verfolgung Israels wird sich der überlebende Rest der jüdischen Nation an ihren Messias wenden (Sach 12:10 ; Röm 11:25-27 ), und er wird sie erlösen. Diese geretteten Juden werden als diejenigen bezeichnet, die im Buch des Lebens stehen, das die Namen der Auserwählten enthält.
Wo kommt die Idee her, dass Michael und Jesus die selbe Person wären? Vielleicht sind folgende alte Lexika interessant:
Michael, St., einer der Erzengel (s. Engel). Michaelis, das Kirchenfest zu Ehren desselben, wurde im 9. Jahrhunderte auf der Synode zu Lyon eingeführt und wird noch jetzt am 29. September gefeiert. Da mit diesem Tage sich beinahe eines der Jahresquartale abschließt, so hat der M.-Tag seine Beziehung auf mehrfache bürgerliche Einrichtungen erhalten. Daher Michaeliszins, Michaelismesse etc.
Michael, St.. Damen Conversations Lexikon
» … unsere hoch gerühmte deutsche Nation«
Der deutsche Michel
Von Peter Franz
Schlagwörter und Schlachtrufe
Die sprichwörtliche Redeweise vom deutschen Michel hat sich im deutschsprachigen Raum über die Jahrhunderte zu einem geflügelten Wort entwickelt. Mittlerweile führt es ein bestimmtes Eigenleben, das kaum noch an seine ursprüngliche Herkunft erinnert. Wie so vieles im so genannten christlichen Abendland hat der Name Michael seinen literarischen Ursprung in der jüdisch-christlichen Tradition der Bibel. Die besondere Einengung auf den Begriff deutscher Michel bildet erst eine weitere, zweite Geschichte, die einer besonderen Betrachtung bedarf.
Das älteste literarische Zeugnis für das Vorkommen findet sich im Buch Daniel des Ersten (»Alten«) Testaments. In ihm legte ein Israelit seine zeitgeschichtlich-apokalyptischen Visionen nieder, die ihm – einem persischen Hofbeamten bei König Kyros um 555 v. Chr. – zuteil geworden sind. Daniel beschreibt in einer dem biblischem Erzählstil eigenen Farbigkeit, wie er am Fluss Tigris einem Mann mit seltsamer Gestalt begegnet. Der redet ihn an, und zwar so »gewaltig«, dass Daniel davon ohnmächtig hinsinkt, aber – von dem merkwürdigen Fremden liebevoll aufgerichtet – sogleich wieder zu sich kommt. Was er nun hört, ist noch um einiges erstaunlicher: Er, Daniel, sei von dem Gott, dem auch er, der Bote, diene, erhört worden um der Lauterkeit seines Flehens und Bittens willen. Dieses Flehen richtete sich – der Leser weiß es aus den vorangehenden Kapiteln – auf die sehnsüchtig erwartete Heimkehr aus babylonischer Verbannung in das heimatliche Israel. Der Bote weiht nun Daniel in den Plan ein, den der heiß angeflehte und innig geglaubte Gott mit diesen Verbannten vorhat: Er will sie zurückführen »am Ende der Tage«. Für Daniel ist also die Gegenwart Endzeit, Zeit der Erfüllung. Konkret sieht das so aus, dass dieser Bote – es handelt sich um einen der Engel, die jeden Gläubigen umgeben – berichtet, wie ihm der Engelfürst (auch Erzengel genannt) Michael zu Hilfe kommt. Er ficht mit den »Engeln« der persischen Großmacht einen Kampf aus und schlägt ihn dabei aus dem Felde:
»Und siehe, Michael, einer der Ersten unter den Engelfürsten, kam mir zu Hilfe, und ihm überließ ich den Kampf mit dem Engelfürsten des Königreichs Persien. […] Und es ist keiner, der mir hilft gegen jene, außer eurem Engelfürsten Michael.« (Daniel 10,13.21) Und tatsächlich: Nach der Ablösung der babylonischen durch die persische Oberherrschaft durften ab 538 v. Chr. durch ein Edikt des Königs Kyros die ersten Exilanten nach Jerusalem zurückkehren. Die Heilsprophetie des Daniel hatte sich erfüllt.
In der Spätgeschichte des alten Israel, in der die Vorstellung von einem »Weltgericht« oder »jüngsten Gericht« im damaligen Zeitverständnis eine zunehmende Rolle spielte und sich diese Vorstellung in vielen Varianten verbreitete, wurde das Handeln dieses Erzengels verbunden mit der Vorstellung, er könne den frommen und gerechten Israeliten am Ende seines Lebens auf Gottes Waage »wiegen« und so seine Treue gegenüber dem Gott Israels »feststellen«. Angesichts schwerer Schicksalsschläge ringt der sein Leben durchforschende Hiob um Erkenntnis möglicher Fehler, aber zugleich auch um die Vergewisserung, in entscheidenden Fragen richtig gehandelt zu haben: »Gott möge mich wiegen auf rechter Waage, so wird er erkennen meine Unschuld!« (Hiob 31,6) Hiob muss bei dieser Vorstellung bereits ein Bild Gottes bzw. seines ersten Dieners, des Erzengels Michael, vor Augen gehabt haben, der mit einer Waage das moralische Gewicht menschlichen Handelns beurteilt.
Die Darstellung des schwertschwingenden Engels hat auch in die christliche Ikonografie Eingang gefunden. Michael als Drachentöter gibt es z.B. auf einem Alabasterrelief von 1467 in der Erfurter Severikirche oder als hölzerne Schnitzfigur in der Jenaer Stadtkirche, deren Namenspatron er ebenfalls ist. Aber auch die oben beschriebene Kombination des Schwertträgers mit dem »Seelenwäger« findet sich in der Kunstgeschichte. Auf eine jüngere, nachreformatorische Gestalt, die zwar bereits die Figur einer weiblichen »Justitia« angenommen hat, aber dabei immer noch ihre Engelsflügel trägt, hat der Dichter Werner Bergengruen in seiner »Deutschen Reise« hingewiesen.1 Sie steht auf dem Marktplatz des thüringischen Städtchens Ohrdruf und ziert den dortigen »Gerechtigkeitsbrunnen«.
Wer nun fragt, wie denn der Michel zu den Deutschen kam, wie die Michael-Gestalt auf die Nation der Deutschen zugeschrieben worden ist, der sieht sich geschichtlichem Dunkel ausgesetzt. Erstmalig erwähnt wird der deutsche Michel in der Sprichwörtersammlung des Sebastian Franck von 1541. Immerhin taucht der heilige Michael schon früh im deutschen Reichsbanner auf, auch geltend als »Schutzheiliger der Deutschen«. Ungeachtet dessen ist seine Gestalt in Frankreich mindestens genauso, wenn nicht noch häufiger, verbreitet. Interessanterweise wurde Hans Michael Elias Obentraut, ein Reitergeneral im Dreißigjährigen Krieg, von seinem spanischen Kriegsgegner spöttisch der »Aleman Miguel« genannt. Offenbar kannte der spanische Heerführer bereits dieses Idiom des Tölpels, das im Deutschen bereits im Schwange gewesen sein muss.
Nach 1840 wurde der deutsche Michel zunehmend häufig zur allegorischen Darstellung des Deutschen in der Karikatur verwendet und gilt dabei als Inbegriff der Verkehrtheiten und Unzulänglichkeiten der deutschen Nation. Der Brockhaus schreibt: »Meist wird der deutsche Michel in Bauernkleidung und mit Zipfelmütze dargestellt, scherzhaft als schwerfälliger, ungeschickter, langsam denkender und handelnder, etwas verschlafener, aber doch offener, ehrlicher, einfacher Mensch charakterisiert.«2 Ein literarisches Zeugnis ersten Ranges liefert uns der Spötter Heinrich Heine, der in seinem Gedicht »Michel nach dem März«3 den verschlafenen, rückwärtsgewandten Bürger des Nachmärz abbildet, der die quasi in der Luft liegenden politischen Fortschrittsmomente anstehender Strukturänderungen in den deutschen Ländern in Dumpfheit und Autoritätsgehorsam ignoriert:
»Solang ich den deutschen Michel gekannt,
War er ein Bärenhäuter;
Ich dachte im März, er hat sich ermannt
Und handelt fürder gescheuter.
Wie stolz erhob er das blonde Haupt
Vor seinen Landesvätern!
Wie sprach er – was doch unerlaubt –
Von hohen Landesverrätern.
Das klang so süß zu meinem Ohr
Wie märchenhafte Sagen,
Ich fühlte, wie ein junger Tor,
Das Herz mir wieder schlagen.
Doch als die schwarz-rot-goldne Fahn,
Der altgermanische Plunder,
Aufs neu erschien, da schwand mein Wahn
Und die süßen Märchenwunder.
Ich kannte die Farben in diesem Panier
Und ihre Vorbedeutung:
Von deutscher Freiheit brachten sie mir
Die schlimmste Hiobszeitung.
Schon sah ich den Arndt, den Vater Jahn –
Die Helden aus andern Zeiten
Aus ihren Gräbern wieder nahn
Und für den Kaiser streiten.
Die Burschenschaftler allesamt
Aus meinen Jünglingsjahren,
Die für den Kaiser sich entflammt,
Wenn sie betrunken waren.
Ich sah das sündenergraute Geschlecht
Der Diplomaten und Pfaffen,
Die alten Knappen vom römischen Recht,
Am Einheitstempel schaffen –
Derweil der Michel geduldig und gut
Begann zu schlafen und schnarchen,
Und wieder erwachte unter der Hut
Von vierunddreißig Monarchen.«
Gutgläubig und gutmütig, aber eben auch verschlafen und damit leicht zu täuschen – so wird der deutsche Michel etwa um die Jahrhundertwende in einer Karikatur aus dem »Wahren Jacob« dargestellt.
Der leichtfertige Glaube an »das Gute« im Menschen, das Nichtbedenken der Folgen seines Verhaltens und Tuns, die Eigenschaft, im Handumdrehen getäuscht und betrogen werden zu können – so begegnet uns die bezipfelte Allegorie bis in die Gegenwart. Von dem einst bewunderten Engel-Mythos mit Schwert und Waage ist nicht viel übrig geblieben. Vielleicht weil der deutsche Michel eben auch seine eigene Geschichte nicht kennt? Und daher folgerichtig die Gegenwart und die Forderungen des Tages verschläft. Eine ähnlich peinliche Metamorphose hat ja der Bischof Nikolaus von Myra durchlaufen, der vom sozial engagierten Beschützer deklassierter Frauen über den zur Ehre der Altäre erhobenen Hl. Nikolaus schließlich zum trotteligen Weihnachtsmann abendländischer Supermärkte mutiert ist …
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