Ohne Barmherzigkeit wird das Gerichtsurteil über den ergehen, der selbst unbarmherzig gehandelt hat. Und doch ist es so: Die Barmherzigkeit Gottes behält das letzte Wort über das Gericht.

Roland Werner – Das Buch – Jak 2,13

Denn das Gericht wird ohne Barmherzigkeit sein gegen den, der nicht Barmherzigkeit geübt hat. Die Barmherzigkeit rühmt sich wider das Gericht (O. triumphiert über das Gericht.)
Elberfelder 1871 – Jakobus 2,13

Wer selbst kein Erbarmen gehabt hat, über den wird auch Gott erbarmungslos Gericht halten. Wenn aber jemand barmherzig war, dann gilt: Das Erbarmen triumphiert über das Gericht.
Gute Nachricht Bibel 2018 – Jakobus 2:13

Gott wird nämlich kein Erbarmen haben mit dem, der selbst unbarmherzig ist. Er wird das Urteil über ihn sprechen. Wer aber barmherzig ist, braucht sich nicht zu fürchten: Bei ihm triumphiert das Erbarmen über das Gericht.
Hoffnung für Alle – Jakobus 2,13

Denn ein unbarmherzig Gericht ergeht über den, der nicht Barmherzigkeit geübt hat, und Barmherzigkeit rühmt sich wider das Gericht. Mt 5,7; 7,2; 18,34; 25,34f; Lk 16,9; Tit 3,14; 1,16; Weish 6,5f.
Tafelbibel mit hinzugefügten Sachparallelstellen – Jakobus 2:13

Schon „komisch“ diesen Vers ausgewählt zu sehen, bei einer Gemeinschaft, die es Eltern untersagt, mit Kindern Gemeinschaft zu pflegen, wenn diese nicht mehr Mitglied der Glaubensorganisation sein wollen – aber es zeigt, dass „sie es wissen“ und gegen „besseres Wissen“ diese Regeln fest legen. Aber was wollte Jakobus mit dieser Aussage?

(Vgl. Sach 7,9; Mt 5,7; 18,21–35). Obwohl Gott nicht verpflichtet ist, Gnade zu zeigen, bestimmt er doch freiwillig, sie reichlich zu gewähren. Er behält das göttliche Privileg für sich selbst vor, Gnade zu zeigen, wem er will (Röm 9). Durch sein Gesetz sind wir aufgefordert, Herzenshärte mit Gnade zu begegnen. Er warnt uns davor, dass, wenn wir keine Gnade gewähren, auch wir letztlich keine Gnade von ihm empfangen werden.

Reformations-Studien-Bibel

Unbarmherziges Gericht […] nicht Barmherzigkeit getan, die Rabbinen bezeichneten dies als „Maß für Maß,“, wobei es sich um das Grundprinzip der göttlichen Gerechtigkeit handelt (vgl. bSan 90a), das sich bereits im Tanach zeigt (z.B. Ex 22,20–26). Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht, obwohl der Ausdruck „Denn du bezwingst [hebr. kovesch] mit deinem Erbarmen das Prinzip des Rechts“ (SifBem 134) zusammen mit einem Schriftbeleg aus Mi 7,19–20 in vielen rabbinischen Lehren auftaucht, entsprechen diese nicht ganz dem, was Jakobus meint: Ihm geht es nämlich um die ethische Haltung der Person, die um göttliche Barmherzigkeit bittet. Die engste rabbinische Parallele dafür ist BerR 33,3 zu Gen 8,1: „Wehe den Frevlern, welche das Maß der göttlichen Barmherzigkeit [hebr. rachamim] in das Maß der Gerechtigkeit verwandeln [hebr. din] [d.h. die ungebremste Gewalt, die von der Generation der Sintflut verübt wurde, und der göttliche Zorn, der sie im Gegenzug traf], Heil aber den Frommen, welche die Eigenschaft der Gerechtigkeit in Barmherzigkeit verwandeln“ [z.B. Noah, indem er alle Lebewesen auf der Arche fütterte].

Das Neue Testament – jüdisch erklärt

Absoluter Gehorsam ist ein weiterer Schlüssel zu geistlicher Reife. Ein Christ muß so reden und handeln (Imperativ Präsens), wie Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen. Gottes Gesetz bringt durch seine weisen Begrenzungen wahre Freiheit (vgl. Jak 1,25). Ungehorsam gegenüber diesem Gesetz dagegen bringt Abhängigkeit. Gegenüber denen, die nicht Barmherzigkeit geübt haben, erweist sich das Gericht Gottes als ein unbarmherziges Gericht. Doch wie die Liebe über das Vorurteil triumphiert, so triumphiert die Barmherzigkeit … über das Gericht. Das Verb „triumphieren“ oder „sich erheben über“ (katakauchatai) steht außer an dieser Stelle nur noch in Jak 3,14 und Röm 11,18.
Gott hat unveränderliche Gesetze erlassen. Wer geistliche Reife erstrebt, muß diesen Gesetzen zu jeder Zeit voll und ganz gehorchen. Der Gläubige ist deshalb dazu aufgerufen, seinen Bruder liebevoll, barmherzig und mit beständiger Zuneigung zu behandeln.
Jakobus

Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

Jak spricht von einem Gericht, das nicht nur kühl und sachlich Recht oder Unrecht feststellt. Er redet von der Barmherzigkeit. Es kann ein unbarmherziges oder ein barmherziges Gericht ergehen. Ob wir das eine oder das andere erfahren, richtet sich danach, wie wir mit Menschen, insbesondere mit unseren Brüdern und Schwestern umgegangen sind. Ein unbarmherziges Gericht erwartet die, die selber nicht Barmherzigkeit geübt haben. Ein barmherziges Gericht bekommen die, die selber Barmherzigkeit geübt haben. Jeder wird mit dem Maß gemessen, mit dem er selber gemessen hat (Mt 7,2; 18,29.34).
»Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht« bedeutet: wer Barmherzigkeit geübt hat, wird im letzten Gericht auch Barmherzigkeit erfahren und so aus dem Gericht »siegreich« hervorgehen. »Wer sich des Armen erbarmt, der leiht dem HERRN, und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan hat« (Spr 19,17).
Mit der Barmherzigkeit ist an dieser Stelle nicht die Barmherzigkeit Gottes gemeint. Das Wort steht im Gegensatz zu dem zuvor erwähnten unbarmherzigen Handeln, das dem Armen die nötige Ehrerbietung schuldig bleibt. Dennoch wird man sich daran erinnern, dass Jesus von denen Barmherzigkeit verlangt, denen selber Barmherzigkeit widerfahren ist: »Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist« (Lk 6,36; Mt 18,23–35). Jak meint die Barmherzigkeit von Menschen, die ihrerseits bereits die Barmherzigkeit Gottes erlangt haben und davon leben.
Der Abschnitt 2,1–13 ist voll ernster Ermahnungen; er endet aber mit einem Jubelruf: Die Barmherzigkeit wird triumphieren, sie wird jubeln, sich gegen das Gericht »rühmen« (so wörtl.). Damit ist nicht gemeint, dass sich der Barmherzige in Selbstruhm erhebt. Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht, weil sie es nicht zu fürchten braucht.

Hans-Jürgen Peters – Wuppertaler Studienbibel

Die Bedeutung der Barmherzigkeit im Gericht (V. 13).

13 a) Die erfahrene Barmherzigkeit. „Die Barmherzigkeit rühmt sich gegen das Gericht“: Wer kann denn da noch selig werden, wenn hier (im Bild des Schülers gesprochen) sozusagen eine volle Eins als Durchschnittszeugnis verlangt wird? Jakobus gibt die Antwort mit dem Wort „Barmherzigkeit“, grie „éleos“ A .
A) „Kyrie eleison“, der alte Gebetsruf der Kirche, hängt sprachlich damit zusammen und bedeutet: „Herr, erbarme dich.“

Ins Blickfeld trat die Barmherzigkeit Gottes erstmalig in der atst Geschichte, als es auf des Messers Schneide stand, ob Gott das von ihm erwählte Volk wieder verwerfen müsse. Hier wurde ausgesprochen: Gott übt nicht nur Barmherzigkeit, er ist Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist geradezu die Summe seines Wesens, sein Name (2 Mo 33,19;34,6). Das Gericht einer vergeltenden Gerechtigkeit sagt: Der Mensch muß sterben. Die Barmherzigkeit sagt: Der Mensch soll leben. Die richtende Gerechtigkeit fordert, daß der Mensch in Ewigkeit von Gott geschieden sei. Die Barmherzigkeit Gottes will den Menschen ganz nah bei sich haben. Und nun triumphiert die Barmherzigkeit über das Gericht. Wie ist es dazu gekommen? Die Barmherzigkeit Gottes ist „erschienen“ (Lk 1,78.79). So jubelt en Zeuge der Geburt des Sohnes. Nun war die Barmherzigkeit Gottes im Vollsinn da und am Werk. Dieser Eine machte sozusagen die volle „Eins“ So bezeugte der Vater: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Und nun hat Jesus mit uns Menschen getauscht: „Er ist für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir in ihm würden die Gerechtigkeit Gottes“ (2 Kor 5,21). Unser Herr hat unser miserables Zeugnis übernommen und alle Folgen daraus getragen; er ließ sich an unserer Statt wie eine völlig unbrauchbare Schülerarbeit „durchkreuzen“. Und umgekehrt gibt er uns sein hervorragendes Zeugnis, so daß wir uns auch vor dem letzten Gericht nicht zu fürchten brauchen. Auf diese Weise triumphiert in unserem Leben einmal in Ewigkeit die Barmherzigkeit über das Gericht; die Barmherzigkeit hat und spricht das letzte Wort A .
A) Interessant ist die Entstehung der deutschen Wörter „erbarmen“ und „Barmherzigkeit“. Als einst gotische Missionare vom heutigen Siebenbürgen her donauaufwärts nach Süddeutschland kamen, waren sie in derselben Lage, in der sich oft auch unsere Missionare unter der heidnischen Volksstämmen befinden: Sie fanden nicht die Wörter, die Wortgefäße vor, in denen die biblische Botschaft ausgedrückt werden konnte, z. B. der biblische Begriff der Barmherzigkeit. So mußten auch sie schon zu neuen Wortbildungen greifen. Es war ein Zeitwort „arman“, „armen“ vorhanden, das „arm machen“, „berauben“ bedeutete. Das kannten unsere germanischen Vorfahren offenkundig. Nun verwandelten die Missionare dieses Zeitwort durch die Vorsilbe „ab“ in die gegenteilige Bedeutung. Darauf setzten sie noch eine verstärkende Vorsilbe davor „ir“ oder „er“; das „a“ fiel dabei weg. So entstand „erbarmen“ = ganz und gar von der Armut befreien. Und schließlich wurde daraus „barmherzig“ und „Barmherzigkeit“ = ein Herz haben für die Armen und sie ganz und gar von der Armut befreien.


b) Die geübte und nicht geübte Barmherzigkeit. In der Bibel steht von der Barmherzigkeit Gottes, ehe von der Barmherzigkeit des Menschen die Rede ist (2 Mo 34,5.6;Ps 103,4.8). Jesus selbst war zunächst der große „barmherzige Samariter“, der von „Jerusalem“ nach „Jericho“, von der himmlischen Herrlichkeit in diese Welt hinabging (Phil 2,6-8) und unter Einsatz seines Lebens sich des unter den Mörder und Räuber, den Feind, gefallenen Menschen annahm. Doch Gott will, daß wir die empfangene Barmherzigkeit weitergeben. „Weil uns denn Barmherzigkeit widerfahren ist, so werden wir nicht müde“ (2 Kor 4,1). Der Mensch geht der Gnade, der Vergebung und der Barmherzigkeit, die er empfangen hat, wieder verlustig, wenn er sich weigert, sie auch andern Menschen weiterzugeben. „Das Gericht wird erbarmungslos gegen den ergehen, der kein Erbarmen bewiesen hat“: Wir können und müssen uns die Seligkeit nicht verdienen. Durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit wird sie uns geschenkt. Doch wir können ihrer wieder verlustig gehen, wenn wir unser Vergeben und unsere Barmherzigkeit überhaupt andern Menschen vorenthalten.

Im Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,21 ff) sagt Jesus von dem Mann, der 100 Millionen veruntreut hat und nun um Stundung bittet (eine unsinnige Sache, denn er kann ja seine Schulden nie zahlen). Durch die Barmherzigkeit seines Herrn empfing er noch viel mehr als er erbeten hatte, nicht nur Zahlungsaufschub, sondern Erlaß. Doch als er nachher seinem Mitknecht unbarmherzigerweise die Stundung von auch nur hundert Mark verweigerte, da ging er der empfangenen Barmherzigkeit wieder verlustig; er hatte sie nicht wahrhaft als Barmherzigkeit empfangen, sonst hätte er so nicht handeln können A .
A) Rechte Barmherzigkeit reicht auch bis zu den Tieren: „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“ (Spr 12,10). Der Wurm im Staub ist nicht tiefer unter dem Menschen als der sündige Mensch unter Gott.

Unsere Unbarmherzigkeit kann sehr verschiedene Gestalt haben. Sie kann auch darin bestehen, daß wir unsere wirklichen oder vermeintlichen Qualitäten sehr ins Licht rücken, und andere darüber verzagt und gegen ihren Schöpfer bitter werden. „Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe und erfahre, wie ich’s meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege“ (Ps 139,23.24).

Zu diesem „bösen Weg“, zu dieser Versagung der Liebe und Barmherzigkeit gehört, so sagt uns Jakobus, auch das „Person-Ansehen“. Auch dieses führt zu einem erbarmungslosen Gericht. Bleiben wir uns dessen eingedenk, daß wir alle auf dem Weg sind zu dem großen Gerichtstag mit den schweren Folgen der versagten Barmherzigkeit.

F. Grünzweig – Wuppertaler Studienbibel

Wenn der Verkehr so geschieht, wie er im Vorangehenden dargestellt ist, geschieht lauter Unbarmherzigkeit. Unbarmherzig handeln die, die die Christen verurteilen und hinrichten, unbarmherzig aber auch die Christen, sowohl wenn sie den Armen verachten, als wenn sie dem Reichen schmeicheln. Da findet nirgends ein ποιῆσαι ἔλεος statt, ein Handeln, durch das das, was den anderen bedrückt, mitempfunden und hilfreich beseitigt würde. Und doch steht über allen das sie richtende Gesetz, vor dem es für den Übertreter keine Entschuldigung gibt. Gibt es etwas, was ihn rettet? Ist er unbarmherzig, dann rettet ihn nichts. Das Boshafte und Verwerfliche, das unser Verhalten zu der uns den Tod bringenden Verschuldung macht, ist die Unbarmherzigkeit. Diese verdammt und vernichtet das Gesetz unerbittlich. Dadurch aber, daß das Gesetz gegen die Unbarmherzigkeit streitet, bereitet es uns den Weg in die Freiheit, die über seinem Gericht steht und es mit Zuversicht und Jubel erwartet. Zum Geber der Freiheit und der Gerechtigkeit wird das Gesetz für den Barmherzigen.
Indem Jakobus von dem zur Hilfe bereiten Erbarmen spricht, nennt er dem, der sich auf das Gebot beruft: „Du sollst deinen Nächsten lieben“, den Prüfstein, an dem er erkennen kann, ob seine Liebe mehr sei als verschönte Eigensucht. Wenn ihm die Liebe da fehlt, wo er helfen soll, wenn er nur im Reichen den Nächsten sieht, den er lieben muß, dann ist seine Berufung auf das Gebot der Liebe Selbstbetrug.
ποιεῖν τὸ ἔλεος, so handeln, daß daraus hilfreiches Erbarmen wird, ist eine alte hebräische Formel.1 Sie gibt das Positive zu den Verboten der zweiten Tafel des Dekalogs und faßt alles zusammen, was diese verlangen. Daraus, daß Jakobus unsere Pflicht an jenen Verboten maß, entstand folgerichtig der Satz, das Gericht verdamme den Unbarmherzigen. Aber nicht nur im sprachlichen Ausdruck bewahrt Jakobus die Gemeinschaft mit dem Rabbinat, sondern die ganze Gedankenreihe: Recht und Barmherzigkeit, דִּין und חֶםֶד, die Zweiheit der Normen, die beide heilig sind, ihr Unterschied, der sich für unser Denken zum Gegensatz verschärfen kann, und der Vorrang der Barmherzigkeit, die stärker ist als das Recht, das alles war befestigtes Eigentum der jerusalemischen Theologie. Tritt damit auch eine Annäherung an jenen Gedanken ein, den Jakobus mit Vers 10 verworfen hat, der im gütigen, hilfreichen Werk die Deckung für die Sünde sucht? Aber gerade weil der Satz, der den Übertreter des einen Gebotes ohne Ausflucht schuldig heißt, unantastbare Gewißheit und heilige Geltung hat, hat die Frage den tiefsten Ernst, was es für ein Verhalten gebe, auf das das Gesetz keine Verdammung legt. Wenn wir nichts als sündigen könnten, wären wir verloren. In treuem Anschluß an die Verheißung, die Jesus den Barmherzigen gegeben hat, sagt Jakobus: Größer als das vergeltende Recht ist die helfende Barmherzigkeit. Das ist so, weil Gott barmherzig ist, und deshalb gibt es für die Verschuldeten nicht nur ein angstvolles Entrinnen vor dem Gericht des Gesetzes, sondern einen freudigen Empfang seines Spruchs, weil der barmherzige Gott die Barmherzigen vom Urteil des Gesetzes befreit.
Wieder wird der Jubel hörbar, mit dem der Brief 1, 2 begann. Jakobus steht als der Schuldige vor Gott, nun aber nicht so, daß die Angst nach Erbarmung riefe; die aus der Angst geborene Bitte um Barmherzigkeit kennt er nicht. Gottes Barmherzigkeit hat Gottes Herrlichkeit in sich und steht mit Gottes Vollmacht über dem Recht und Gericht. Darum hat Jakobus, der alle schuldig heißt, den freisprechenden Spruch Gottes nicht nur Vergebung, Erlaß der Strafe, ἄφεσις, sondern, wie Paulus, Rechtfertigung genannt.
Denen, die ihre Rede vom Eid rein halten und bei der Wahrheit bleiben, sagt Jakobus: „Ihr fallt nicht unter das Gericht“, ihr kommt nicht in seine Gewalt, 5, 12. Wer nicht unter das Gericht gestellt wird, rühmt sich gegen dasselbe. Dem, der den Bruder aus der Verirrung zurückführt, sagt er, er könne die Menge seiner Sünden zudecken, 5, 20. Sind die Sünden bedeckt, so werden sie nicht gerichtet. Die Formeln des Jakobus sind nicht weniger zuversichtlich als die des Johannes, wenn er dem Glaubenden sagt, er komme nicht in das Gericht.
Wir hören durch dieses Wort, was Jakobus aus einem Knecht des Gesetzes zu einem Knecht Jesu gemacht hat. Im Gesetz fand er nirgends etwas, was ihm helfen könnte; es ist ganz gebrochen. Was ihm hilft, ist das Erbarmen, und dieses hat er bei Jesus gefunden. Wir erfahren, was das Kreuz Jesu für Jakobus bedeutet hat; es war ihm die Offenbarung des göttlichen Erbarmens.

Schlatter – Der Brief des Jakobus

In V.13 wird uns ein unfreundlicher und unbarmherziger Mensch vorgestellt. Am Tag der Beurteilung wird er gerettet werden, doch so wie durchs Feuer. Indem wir dies wissen, geziemt es uns mit Sicherheit, barmherzig zu sein. Mit anderen Worten: Wir sollen die Gnade Gottes an Mitmenschen – Heilige wie Sünder – weitergeben, denn die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Die Welt bezeichnet denjenigen, der keine Barmherzigkeit erweist, umgangssprachlich als Rauhbein (A.d.Ü.: Textangleichung). (1) A.d.Ü.: Hier wurde bei der Versangabe eine Ergänzung vorgenommen. (2) A.d.Ü.: vgl. Anm. zu 1,5 (3) A.d.Ü.: In Anlehnung an den Bibeltext heißt es „ihr“ im Original. Die deutsche Wiedergabe vermeidet einen Wechsel des Subjekts.

Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt

Nach dem Aufruf zum Reden und Handeln in Vers 12 liefert Jakobus in Vers 13 die Grundlage für diesen Aufruf: Denn das Gericht wird ohne Barmherzigkeit sein gegen den, der nicht Barmherzigkeit geübt hat. Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Das Gesetz des Messias vergibt also dementsprechend Barmherzigkeit oder Gericht. Das Wort denn bietet die Erklärung für das, was in Vers 12 geschrieben wurde. Die Erklärung lautet: Das Gericht wird ohne Barmherzigkeit sein gegen den, der nicht Barmherzigkeit geübt hat. Das Gericht bezeichnet hier das Gericht aus Vers 12, vor allem den Richterstuhl Christi (2Kor 5,10). Der Gerichtsmaßstab vor dem Richterstuhl ist das Gesetz der Freiheit oder Gesetz des Messias. Das Wort geübt ist ein Aorist, der aufzeigt, dass im Leben eines Menschen ein Mangel an Barmherzigkeit andern gegenüber charakteristisch war. Das Wort Barmherzigkeit betont die äußerlichen Erweise von Mitleid und Mitgefühl, gezeigt durch freundliche Handlungen. Mangelnde Barmherzigkeit kommt vor dem Richterstuhl des Messias wie ein Bumerang zurück. Die Worte ohne Barmherzigkeit sind im Griechischen nur ein Wort. Dieses Wort kommt nur hier vor; es ist ein negatives Adjektiv. Die zuvor in diesem Kapitel beschriebene Behandlung des Armen spiegelt einen Mangel an Barmherzigkeit; jedoch triumphiert [Barmherzigkeit] über das Gericht. Das griechische Wort triumphieren bedeutet „sich über etwas rühmen, sich über etwas erheben“. Es wird nur drei Mal gebraucht: hier, nochmals in 3,14 und außerdem in Römer 11,18. Auch steht im Griechischen dieses Wort an betonter Stellung.

Die Kernaussage: Barmherzigkeit zu erzeigen, bedeutet Barmherzigkeit zu erhalten; Gericht zu zeigen, bedeutet Gericht zu empfangen. Jedoch triumphiert Barmherzigkeit sieghaft über Verdammung. Gott möchte nicht verdammen; er möchte lieber Barmherzigkeit erzeigen. Wer jedoch keine Barmherzigkeit erzeigt, wird Verdammnis erhalten.

Arnold Fruchtenbaum – Der Jakobusbrief