»deine Nachkommen« heißt im Hebräischen wörtlich »dein Same« – ein Ausdruck, der immer in der Einzahl steht

Dem Abraham aber waren die Verheißungen zugesagt und seinem Samen Er sagt nicht: „und den Samen“, als von vielen, sondern als von einem: „und deinem Samen“, (1Mose 22,18) welcher Christus ist.
Elberfelder 1871 – Galater 3,16

So ist es auch mit Gottes Zusagen an Abraham. Betrachten wir sie genauer, dann stellen wir fest: Gott gab sein Versprechen Abraham und seinem Nachkommen. Es heißt nicht: »Abraham und seinen Nachkommen«, als ob viele gemeint wären. Gott sagt ausdrücklich: »deinem Nachkommen«, also einem Einzigen. (- Vgl. 1. Mose 12,7; 13,15; 17,7; 24,7. An diesen Stellen steht für »deine Nachkommen« im Hebräischen wörtlich »dein Same« (= Einzahl). -) Dieser Eine ist Christus.
Hoffnung für Alle – Galater 3:16

Wenn wir uns die Sachen mal genauer ansehen, die Gott Abraham und seiner Familie versprochen hat, dann stellen wir Folgendes fest: Dort steht nicht, dass dieses Versprechen seinen Kindern galt, also mehr als einer Person, dort steht „seinem Kind“, und mit diesem Kind ist Jesus gemeint!
VolxBibel – Galater 3,16

Selbst wenn Paulus‘ Gegner zugaben, daß Abraham durch den Glauben gerechtfertigt worden war, konnten sie doch immer noch einwenden, daß das Gesetz, das ja erst später kam, die Bedingungen für die Rettung entscheidend geändert habe. Um dieses Argument zu widerlegen, beruft sich Paulus auf die Unveränderbarkeit der göttlichen Verheißungen. Sie sind so fest verbrieft wie ein ordnungsgemäß bestätigtes römisches Testament, das ebenfalls nicht willkürlich aufgehoben oder geändert (wahrscheinlich ein Hinweis auf das alte griechische Gesetz) werden konnte. Außerdem wurde die Verheißung, die Abraham und seinem Nachkommen zugesagt wurde, nicht schon erfüllt, bevor die Juden das Gesetz erhielten, sondern erst in Christus und in ihm dann ein für allemal. Der Segen der Rechtfertigung aus Glauben ist also zeitlos und kann durch das Gesetz nicht geändert werden. Die Betonung des einen, nicht der vielen, Nachkommen (vgl.1Mo 12,7; 13,15; 24,7) soll die Leser daran erinnern, daß der treue Rest Israels immer gewußt hatte, daß die Rettung schließlich durch eine einzige Person, den Messias, kommen würde (vgl. Gal 3,19). Matthäus hatte dann erklärt, daß Christus der Sohn Abrahams und der wahre Erbe der Verheißungen des ersten Bundes sei (Mt 1,1).

Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar

Das gilt nun erst recht von Gottes „Verheißungen“. Wir nennen das ganze Wort des Alten Bundes das Alte Testament, weil es voller Verheißungen Gottes ist. Hier geht es speziell um die Verheißung, die Abraham gegeben wurde. Was ihm in Aussicht gestellt wurde, ist seinem Samen zugesagt. Damals, als Abraham bereit war, um Gottes Willen Isaak nicht zu schonen, hat Gott ihm versprochen:
„Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der Herr, dieweil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, daß ich deinen Samen segnen und mehren will wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres; und dein Same soll besitzen die Tore deiner Feinde und durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, darum daß du meiner Stimme gehorcht hast.“
1 Mo 22,16-18

Auch wir sind geneigt, solch ein Wort auf die Vielheit des Volkes Israel anzuwenden. Aber das scharfe Ohr des ehemaligen Schriftgelehrten Saulus von Tarsus hört hier den Singular, die Einzahl, heraus. Gott spricht nicht von vielen Nachkommen, sondern von einem Einzigen. Für Paulus ist die Geschichte Jesu die einzig maßgebende Erklärung für solch ein Wort Gottes. Es ist der Segensträger und Heilbringer für alle Völker. Er schafft das Reich Gottes, das einst alle Feinde unterwerfen wird.

H.Brandenburg – Wuppertaler Studienbibel

Dieser Vers ist eine Zwischenbemerkung über die Art des göttlichen Gegenstücks zum menschlichen Testament, auf das Paulus im nächsten Vers sein Bild anwenden will. Er klärt drei Fragen:

1- Wer erließ dies »Testament«? Wenn es in verhüllender Redeweise heißt, die Verheißungen sind gesagt worden, meint das Gott (unpersönliches Passiv als Passivum divinum). V. 17 und dann der letzte Satz des Abschnitts sagen es unverhüllt: »Gott hat Abraham frei begünstigt.« Das ist freilich ein unvergleichlicher Erblasser, darum auch eine unvergleichliche Rechtskraft mit unantastbarer Unwiderruflichkeit.

Wem galt schließlich dies Testament? Gesegneter ist gewiß Abraham, wie es ja auch der Schlußvers noch einmal feststellt (V. 18). Aber es ist eine über Abraham hinaus sich ausbreitende Segnung. Die Zusage »Ich will dich segnen!« verlängert sich im gleichen Atemzug: »Und du sollst ein Segen sein… und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden« (1Mo 12,2–3; 22,18 28,14). Schon von der Schöpfung an galt Gottes Segenswille allen Menschen.c Diesen Willen setzt die Erwählung Abrahams neu in Kraft.

Das Gewicht verlagert sich jetzt deutlich auf die Fortsetzung: und seinem Samen. Der Stammvater lebt in seinen Nachkommen weiter. In ihnen entfaltet sich seine Lebenskraft und sein Gottesverhältnis mitsamt der empfangenen Verheißung. Dabei steht fest, daß der grammatische Singular »Samen« in der Vätergeschichte als kollektiver Singular verwendet wird, vgl. unser Einzahlwort »Nachkommenschaft«, das ebenfalls eine Vielzahl umschließt. Soweit also der Wortsinn in den Stellen, auf die Paulus hier anspielt.d Und Paulus weiß das! Schon im gleichen Kapitel V. 29 verwendet er »Samen Abrahams« für eine kollektive Größe, für die Gesamtheit aller Glaubenden (vgl. Röm 4,16). Ebenfalls denkt er in 2Kor 11,22 und Röm 9,7 an eine Vielzahl, dort bezogen auf natürliche Nachkommen des Stammvaters. Hier jedoch deutet der Apostel den gleichen Singular unter Berufung auf die Grammatik entschieden auf ein bestimmtes Individuum: Nicht sagt (die Schrift): »und den (Dativ Plural!) Samen«, wie auf viele bezogen, sondern wie auf einen (einzigen) bezogen: »und deinem Samen«, welcher ist Christus. Wie kommen wir mit diesen unterschiedlichen Auslegungen des »Samens Abrahams« durch denselben Ausleger zurecht: mal die ekklesiologische Auslegung, ein anderes Mal die völkische Auslegung und an dieser Stelle mit solcher Wucht die christologische Auslegung?
Zunächst zeigt die Zusammenschau dieser Stellen, daß keine dieser Auslegungen exklusiv gemeint sein kann, auch wenn es im Briefstil einmal so klingen mag. Die Deutungen schließen einander auch sachlich nicht aus. Christologie und Ekklesiologie sind beziehungsreich miteinander verbunden. Ferner mag es dienlich sein, nicht jede Schriftverwendung eine Auslegung zu nennen, sondern gegebenenfalls von Anwendungen zu sprechen. Worin liegt der Unterschied? Die Auslegung einer Schriftstelle beläßt diese in ihrem Zusammenhang. Nur so wird ihr Wortsinn verläßlich klar. Eine Anwendung hingegen hebt sie aus ihrem Erstzusammenhang heraus und stellt sie an einen neuen Platz, irgendwo in die weitergelaufene Geschichte Gottes mit seinem Volk.
Das ist nun auch für die christologische Deutung des »Samens Abrahams« nachzuweisen. Schon in 1Mo wird klar, daß die Verheißungsgeschichte Gottes mit Abraham mehr im Auge hat als Blutsverwandtschaft. Gleich bei den Söhnen Abrahams zeigt die Schrift einen Unterschied zwischen »Samen« und »Samen«, nämlich zwischen Ismael und Isaak: »Nur aus Isaaks Stamm wird Gott deinen Samen berufen« (1Mo 21,12; Röm 9,7); »Der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohn der Freien« (1Mo 21,10; Gal 4,30). Ähnlich setzt es sich in der nächsten Generation fort: »Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehaßt«, d. h. nicht erwählt (Mal 1,2f; Röm 9,13). In Röm 9,6 faßt Paulus so zusammen: »Nicht alle, die aus Israel sind, sind Israel, auch nicht, weil sie Abrahams Samen sind, sind alle Kinder (Gottes).« Gott ist nicht verpflichtet, Abrahams ganzen biologischen Nachwuchs zu nehmen (Mt 3,9). Die Linie einer fortwährenden Auswahl läuft vielmehr weiter: »Nur ein Rest wird gerettet werden« (Jes 10,22; Röm 9,27). Schließlich spitzt sich alles auf den Einen zu, auf Jesus von Nazareth: »Dies ist mein geliebter Sohn, den ich erwählt habe.«e Damit ist die Segensverheißung auf einen (einzigen) bezogen. Christus ist der Universalerbe Abrahams, der Träger des Geistes ohne Maß (Joh 3,34).
Die Einzigartigkeit Jesu erklärt jedoch nicht den Rest der Welt für nichtig, sondern gerade in dem Einen sind alle Verheißungen Gottes für seine Schöpfung Ja und Amen (2Kor 1,20). So gelangt auch Paulus zur kollektiven Empfängerschaft des Segens: In Jesus Christus sind alle, die sich mit ihm einen, Juden zuerst und auch die Heiden, seine Miterben (V. 26–28; vgl. Röm 8,17).
Wer diesen großen Bogen vor Augen hat, spricht nicht von einem willkürlichen Schriftgebrauch des Paulus. Zusammen mit den anderen urchristlichen Zeugen blickt er zwischen den Schriften des Alten Bundes und der Offenbarung des Christus hin und her, wobei sich ihm einerseits die Schrift aufdeckt und andererseits die Wahrheit des Christus vertieft (2Kor 3,14–18).

Pohl – Wuppertaler Studienbibel

Der letztgültige Wille Gottes, sein Testament, das sind »die Verheißungen an Abraham«, die er ihm »zugesagt« hat. Schon am Anfang seines Rettungswerkes, am Beginn der Heilsgeschichte legt sich Gott ein für alle Mal fest. Ein Testament wird sonst erst am Lebensende gemacht. Gott gibt seinen endgültigen Willen schon zu Beginn der Erwählungsgeschichte bekannt. Er ist der treue Gott, der sich selbst treu bleibt, das wird hier sichtbar. Und nun liest Paulus die Schrift heilsgeschichtlich oder wie Luther sagt, auf das hin »was Christum treibet«. Gottes Geist öffnet ihm diese Schriftstelle (1 Mo 22,18). Diese christologische Auslegung ist nicht eine mögliche Form, vielleicht sogar eine speziell dem Paulus nützlich erscheinende Form der Schriftauslegung. Es ist der heilsgeschichtliche Schlüssel zur Schrift, der allein den Zugang öffnet und Tiefe und Reichtum der Verheißungen erst enthüllt. Christus ist der Schlüssel zur Bibel. »Heilsgeschichtlich« meint deshalb nichts anderes, als christozentrisch (auf Jesus Christus ausgerichtet) die Schrift verstehen. Das lehrte Jesus seine Jünger, als er auferstanden war und den beiden enttäuschten Jüngern auf dem Weg nach Emmaus die »Schrift öffnet«, »da fing er an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen in der ganzen Schrift aus, was darin von ihm gesagt war« (Lk 24,27). Diesen christozentrischen Schlüssel hält er auch den jüdischen Frommen entgegen. Sie lesen zwar die Schrift, aber sie erkennen nicht, dass sie es ist, »die von ihm zeuget« (Joh 5,39f).
Die Verheißungen werden Abraham gegeben »und seinem Nachkommen«. Paulus betont die Einzahl, die hier sehr bewusst gesetzt ist. Er nimmt die Schrift wörtlich ernst. Die Verheißungen an Abraham, gipfeln in der Bundeszusage unter dem Treueversprechen, »ich will dein Gott sein« (vgl. 1 Mo 17,1-8). Das ist das »Erbe« (V. 18), der Segen in Fülle, der Abraham gegeben ist und »seinem Nachkommen«. Die Segensgaben der Fruchtbarkeit und der Landbesitz sind Konkretionen der einen Segensgabe, der unerschütterlichen Gnadenszuwendung Gottes, und die gipfelt im Christus. In ihm legt sich Gott vor aller Augen und für alle Augen geschichtlich greifbar fest: Christus stirbt am Kreuz – das ist endgültige Verwirklichung des Testamentes Gottes: »Ich will euer Gott sein.« Die Verheißung ist nicht durch Israel erfüllt und auf Israel beschränkt, obwohl dieses Volk solche Zusage Gottes oft angeboten bekommen hat, ihm aber nicht glaubte. Die Verheißung ist im Christus und durch Christus erfüllt, und dadurch allen Völkern, auch den Heiden, gegeben. Christus ist der Nachkomme Abrahams, auf den alle Verheißungen zulaufen und in dem sie alle Erfüllung finden. Im Glauben werden die Völker dann zu »Miterben Christi« (vgl. Röm 8,17). Das ist der heilsgeschichtliche Wille Gottes. Nachdem das Testament Gottes – der Inhalt und der Verwirklicher des Testamentes Gottes aufgezeigt sind, zieht Paulus die Folgerung aus diesem alltäglichen Beispiel (V. 15). Im Hintergrund steht ja die Frage, ob durch die Gabe des Gesetzes dieses Testament Gottes abgeändert oder gar aufgehoben wurde

Gerhard Maier – Edition C

Der dritte Punkt der theologischen Argumentation des Paulus ist das Scheitern der Gesetzlichkeit wegen des Vorrangs der Verheißung in den Versen 15-16: Brüder, ich rede nach der Art der Menschen: Wenn es auch nur ein Menschenbund ist, so macht ihn doch, wenn er bestätigt ist, niemand ungültig oder fügt etwas hinzu. Zu Abraham aber wurden die Verheißungen gesprochen und zu seinem Samen. Er sagte nicht: „Und zu Samen, wie zu vielen“, sondern wie zu einem: „Und zu deinem Samen, welcher ist Christus.

In diesen Versen beantwortet er die Frage: „In welchem Verhältnis steht das Gesetz des Mose zum Abrahamitischen Bund?“ Paulus beginnt mit einer menschlichen Veranschaulichung in Vers 15; wenn ein Vertrag einmal unterschrieben ist, können keine Änderungen mehr vorgenommen werden. Es könnten zwar Zusätze hinzugefügt werden, aber keiner dieser Zusätze könnte das Original in irgendeiner Weise ungültig machen, weil das Original Vorrang vor dem Zusatz hat.

Paulus wendet dann die Veranschaulichung in Vers 16 an: der abrahamitische Bund war die Priorität. Der Abrahamische Bund war ein Vertrag, der Abraham gegeben wurde … und [einem bestimmten] Samen, nicht Ismael, sondern Isaak. Der Punkt dieser Wahl war zu lehren, dass er nicht durch die Werke des Gesetzes kommen würde, sondern durch die Verheißung des Glaubens, durch Jesus, den Messias. Der Punkt ist, dass der Abrahamische Bund Vorrang vor dem Mosaischen Bund hat.

Arnold Fruchtenbaum – Das Buch der Galater

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