trifft nur auf einen zu …

Aber nun kommen wir erst zum Entscheidenden, was im Blick auf diesen Menschen als den wahrhaftigen Zeugen zu sehen und zu sagen ist. Zwischen den beiden eben angegebenen Bedingungen seiner Existenz, die ihrerseits der Reflex des seine Existenz konstituierenden Zusammentreffens von Gott und Mensch sind, besteht natürlich ein innerer Zusammenhang: das Gott von ihm dargebrachte ist nicht ohne Grund auch sein von Gott ausgezeichnetes Leben. Es wäre aber das furchtbarste, das frivolste Mißverständnis – es wäre geradezu die dem wahrhaftigen Zeugen entgegenstehende Lüge – wenn man den Zusammenhang dieser beiden Bestimmungen rechnerisch, nämlich als den eines Do und eines Des, eines Credit und eines Debet, eines Guthabens und einer Schuldigkeit verstehen und erklären wollte. Er besteht vielmehr darin, daß auf beiden Seiten Freiheit die Form und der Charakter des Verkehrs zwischen dem wahren Gott und dem wahren Menschen ist: des Verkehrs, der die Existenz dieses Menschen bestimmt und in dessen Vollzug er die Wahrheit ausspricht und also der wahrhaftige Zeuge ist. So und nur so, in beiderseitiger Freiheit, entspricht dieser Verkehr dem Verhältnis zwischen Gott und Mensch, Mensch und Gott, durch das die Existenz dieses Menschen konstituiert wird.
Die der Zuwendung dieses Menschen zu Gott entsprechende Darbringung, sein Gehorsamsakt, seine Dienstleistung ist seine freie Tat. Sie ist nicht veranlaßt, nicht motiviert, nicht bedingt durch die Absicht auf einen von Gott zu empfangenden Lohn. Er tut sie nicht um der von Gott verheißenen und zu erwartenden Auszeichnung willen, nicht im Blick auf deren Nützlichkeit und Annehmlichkeit, nicht als Mittel zu deren Erwerb, nicht als Bezahlung des Preises, um den sie zu gewinnen sein möchte – und selbstverständlich auch nicht aus Furcht vor irgendwelchen Übeln, die der Unterlassung dieses Werkes, der Nicht-Bezahlung dieses Preises folgen möchte, nicht zur Vermeidung einer Strafe, die ihn, wenn er da versagen sollte, treffen könnte. Seine Darbringung ist darin seine freie Tat, daß er sie nur eben in Erkenntnis Gottes selbst, nur eben in Furcht vor ihm, nur eben aus Freude an ihm, nur um Gottes selbst willen, nur weil und indem er von ihm nicht lassen kann, tut. Sie ist ihm nur dadurch notwendig gemacht, hat nur darin ihren bewegenden Grund, daß Gott für ihn Gott, daß er faktisch sein Herr ist. Sie ist darin seine freie Tat, daß er sie, abgesehen von diesem einen Grund, grundlos, anspruchslos, uninteressiert, umsonst, gratis, tut.
Und genau so ist auch die der Zuwendung Gottes zu diesem Menschen entsprechende Auszeichnung, mit der er diesen Menschen krönt, Gottes freie Tat. Er verleiht sie ihm ungeschuldet. Sie ist nicht seine Gegenleistung zu dessen von ihm geforderter und von jenem erfüllter Leistung. Sie ist wohl Gottes großer Lohn, sie ist aber keine Bezahlung, keine Abgeltung, zu der er auf Grund irgendeines höheren Gesetzes moralisch oder rechtlich verpflichtet wäre. Sie ist keine Ware, die Gott diesem Menschen für den von ihm vorausbezahlten Preis seiner Darbringung, seines Gehorsams, seines Dienstes zu liefern hätte. Gott ist diesem Menschen zu nichts verpflichtet. Er muß ihn nicht auszeichnen, er tut es in eigenster Initiative, in seiner ihm gegenüber überströmenden Güte. Er muß ja auch sein ihm dargebrachtes Leben nicht gutheißen, nicht annehmen. Er muß dieses Menschen Dienst nicht brauchen. Es ist seine eigene höchste, aber freie Weisheit und Gerechtigkeit, wenn er ihn gutheißt, annimmt, braucht. Er krönt ihn, der ihm sich selbst darbringt, aber nicht deshalb, weil dieser solches tut, nicht im Blick auf einen Wert, den das für ihn hätte, auf einen Nutzen und Vorteil, den ihm das einbrächte, sondern einzig und allein in dem souveränen Wohlgefallen, das er an ihm hat, um seiner Erwählung dieses Menschen – also erstlich und letztlich einzig und allein um dieses Menschen willen. Auch die Auszeichnung dieses Menschen ist darin Gottes freie Tat, daß er sie diesem Menschen abgesehen von diesem einzigen Grund grundlos, unverpflichtet, uninteressiert, umsonst, gratis zuteil werden läßt.
In diesem Sinn ist die Freiheit die Form und der Charakter des Verkehrs zwischen dem wahren Gott und dem wahren Menschen, der sich in dieses einen Menschen Existenz ereignet und ihn zum Zeugen der Wahrheit, zum wahrhaftigen Zeugen macht.

Karl Barth Die Kirchliche Dogmatik: 28: IV.3 §§ 70–71: Jesus Christus, der Wahrhaftige Zeuge II

… aber wir können IHN nachahmen !!!