Tag: 13. Juni 2023

Schweigen ist Gold?

 «Ich sprach:
,Will wahren vor Versündung durch die Zunge meine Wege 
will wahren meinem Munde den Verschluß 
solang der Frevler vor mir ist.‘ 
So schwieg ich still 
verstummte vor dem Guten 
jedoch mein Schmerz war heftig. 
Heiß war mein Herz in meinem Innern 
in meinem Sinnen loht‘ ein Feuer 
da redet‘ ich mit meiner Zunge: 
Neftali-Herz-Tur-Sinai – Psalm 39,2–4

andere Übersetzungen und ein paar kleine Kommentare 2020…

Kennst du das Gefühl, dass dir ständig die Sorgen und Probleme erzählt werden? Meist noch nicht mal die Sorgen des „Sprechers“ sondern eher die Sorgen von die der „Sprecher“ gehört hat? Doch wie umgehen mit den eigenen Sorgen und Problemen? Wo diese „abladen“?

Der Sänger beschreibt seinen schweren inneren Kampf: Er wollte sich still und stumm unter das beugen, was ihm auferlegt war, vor allem auch um seiner gottlosen Umgebung willen, die aus seinen Klagen nur einen Grund zur weiteren Ablehnung Gottes entnommen hätte. Aber der innere Schmerz war so groß, daß er (ähnlich wie Hiob) doch alles aussprechen mußte.
5–7 Der Sänger findet eine erste Antwort auf seine Fragen durch die Erinnerung an die Vergänglichkeit alles Lebens. Es liegt eine gewisse Ironie in diesen Versen: Der Mensch ist nichts und macht doch so viel Aufhebens von sich und allen seinen kleinen Dingen! Bei dieser Erkenntnis aber beruhigt der Sänger sich nicht. Er betet weiter:

Die Bibel mit Erklärungen: Erklärungen

Das Achthaben auf meine Wege ( – Hi 13,15 Ps 26,11 119,30 – ) ist eine typische Ausprägung eines zu Gott hingewandten Lebens, das Errettung und Bewahrung zugleich erfuhr. Zwar hat David Gott oft genug gebeten, seine Wege zu bewahren, aber in der konkreten Situation kommt es auf ihn selbst an, ob er in der Spur Gottes bleibt oder ob er aus ihr herausfällt. Gottes Behüten und des Menschen Achtgeben sind unauflöslich ineinander verwoben. David wußte, daß es eine Schaltstelle für die Sünde gibt, nämlich die Zunge ( – Hi 27,4 Ps 15,3 34,14 119,172 Jak 3,5ff – ), die lästern und verletzend sein kann und somit dem Bösen Tor und Tür öffnet. Das Sündigen mit der Zunge besteht auch darin, daß der fromme Mensch in an sich berechtigter Entrüstung auf Anschuldigungen von Menschen mit gleicher Heftigkeit reagiert. Weil David aber den Weg Gottes gehen wollte, hatte er sich einst fest entschlossen, an seine Zunge einen Zaum zu legen, und zwar so lange der Frevler vor mir ist. Denn wer sich selbst verteidigt, weil er ein Erwählter Gottes ist, unterliegt am Ende doch. Weil es ja um Gottes Sache geht, die der Frevler am Gottesfürchtigen bekämpft, kann und darf dieser sich nicht selbst verteidigen und schützen. Letzteres gelang David mit Gottes Hilfe eine Zeitlang: Ich verstummte (in) Schweigen. Doch dann durchfuhr David ein Schmerz und heiß wurde mein Herz in meinem Inneren ( – Ps 32,3ff Jer 20,9 – ). Auch an dieser Stelle mußte David die Erfahrung machen, daß der Mensch, auch unter dem Beistand Gottes, einen einmal erreichten inneren Zustand auf die Dauer nicht beibehalten kann. David gebraucht jetzt wieder seine Zunge, nicht um vor Menschen zu reden, sondern allein vor seinem Gott.

Wuppertaler Studienbibel

Der Psalm beginnt mit dem Bericht des Psalmisten über sein Bemühen, nicht zu sündigen, indem er über seine Züchtigung spricht, während gottlose Menschen anwesend sind. Es war eine bewusste Entscheidung: „Ich sagte“ (ein definitives Verb in der Vergangenheit) legt die Umstände dieser Entscheidung vor dem Schreiben des Psalms fest. Dass es sich um eine Zeit der schweren Züchtigung handelt, geht aus den Versen 8-13 hervor. Er befürchtete, dass er den Herrn und die, die auf ihn vertrauten, in Verruf bringen könnte, wenn er sich bei Ungläubigen darüber beklagte, wie der Herr ihn in der Züchtigung behandelte. So beschloss er (Kohortenativ), „zu wachen“ (אֶשְׁמְרָה; s.v. Ps. 12:7) über seine Wege und „halte“ (dieselbe Verbform) einen Maulkorb (מַחְסוֹם) auf seinem Mund, solange Ungläubige anwesend sind (wörtlich „noch vor mir“). Wenn er sich hütete, würde er nicht mehr sündigen. Die verwendete Konstruktion ist ein Infinitiv mit einer Präposition, „vom Sündigen“ (מֵחֲטוֹא; s.v. Ps. 51:1). Dies deutet darauf hin, wovor er sich hütete – mit seiner Zunge zu sündigen, d. h. etwas Falsches oder zu den falschen Leuten zu sagen. Es könnte auch als das beabsichtigte Ergebnis interpretiert werden: „Ich will mich hüten, zu sündigen“. Er war entschlossen, sich selbst zum Schweigen zu bringen, und benutzte deshalb das Bild eines Maulkorbs (ein angedeuteter Vergleich). Das Wort „Maulkorb“ kommt von einem Verb, das „zurückhalten“ bedeutet (חָסַם). Er würde sich beim Reden zurückhalten (in ähnlicher Weise wird in Ps. 73:15 erzählt, wie der Weise seine Zweifel für sich behielt).

Nach Vers 2 blieb er also „still in der Stille“ (נֶאֱלַמְתִּי דוּמִיָּה). Das Verb bezieht sich auf die vergangene Zeit: „Ich schwieg“; und das Substantiv modifiziert das Verb: „Ich schwieg in der Stille.“ Die beiden Wörter betonen, dass er völlig still war.

Er sagt auch, er schwieg „vom Guten“ (הֶחֱשֵׁיתִי מִטּוֹב). Diese Präpositionalphrase ist schwierig zu interpretieren. Delitzsch sagt, der Psalmist wende sich in seinem Schweigen „vom Wohlstand ab“ oder nehme den Wohlstand nicht zur Kenntnis, d. h. von dem, worüber er die Übeltäter frohlocken sah; er versuche, die beunruhigende Diskrepanz zwischen ihrem Wohlstand und dem gerechten Leben zum Schweigen zu bringen. Andere meinen, es bedeute „vergeblich“ oder „nutzlos“ – ich schwieg außer dem Guten, was bedeutet, dass es mir nichts nützte. Goldingay sagt, es könnte übersetzt werden: „Ich habe mehr geschwiegen, als es gut war“. Perowne argumentiert, dass die Präposition nach dem Verb „schweigen“ entweder (1) „fern von Gutem“ (ich schwieg vor Trost und Freude, d. h. ohne Trost und Freude – ich hatte keinen Trost und keine Freude) oder (2) als negative Konsequenz des Schweigens „so dass es mir nicht gut ging“ oder „es funktionierte nicht“ bedeuten würde. Diese zweite Möglichkeit würde dann mit „mein Kummer wurde aufgewühlt“ übereinstimmen. Mit anderen Worten, er versuchte zu schweigen, aber es ging nicht gut für ihn und so musste er sprechen. Was auch immer er mit dieser Formulierung gemeint hat, der Punkt ist, dass er nicht in der Lage war, diese Entscheidung, völlig zu schweigen, aufrechtzuerhalten. Der Kummer oder Schmerz (כְּאֵב, vom Verb כָּאֵב, „Schmerzen haben“) bezieht sich auf den geistigen und körperlichen Schmerz (in Form von Enttäuschung und Unglück), den der Psalmist sicherlich erleiden würde, weil er mit dem Problem seines eigenen Schmerzes und seiner Distanz zu den guten Seiten des Lebens, die er zu ignorieren versuchte, kämpfte. Allmählich begann sich all dies zu regen, so dass er seine aufgestauten Gefühle nicht mehr kontrollieren konnte.

Sein Stress und sein Schmerz wurden so stark, dass er schließlich sprechen musste – aber er sprach zum Herrn. Sein Herz wurde „heiß“ (חַם), denn in seiner Betrachtung der Dinge begann ein „Feuer zu brennen“. Dies sind Bilder für seine zunehmende Angst über sein schmerzliches Dilemma (möglicherweise metonymisch, wenn er fieberte). Inneres Brennen ist in der Schrift ein Begriff, der mit leidenschaftlicher Intensität verbunden ist, die Menschen zum Handeln bewegt (vgl. Jer 20,9; Lk 24,32) – hier ist es der Schmerz und die Angst, die ihn zum Aufschrei bewegen. Das Verb „brennen“ (תִּבְעַר) kann mit „zu brennen beginnen“ oder „brennen“ übersetzt werden, weil die Erregung so groß wurde, dass er nicht mehr schweigen konnte. Das Brennen fand während seines „Grübelns“ statt, d. h. je mehr er darüber nachdachte, desto schmerzhafter wurde es. Das Wort, das mit „grübeln“ übersetzt wird, könnte eigentlich ein Wort für „seufzen“ sein (von הָגַג, „sich sehnen, brennen“, und nicht von הָגָה, „meditieren, sinnieren“. Schließlich konnte er sich nicht mehr zurückhalten und beschwerte sich laut („mit meiner Zunge“) bei dem Herrn (V. 4). Es könnte sein, dass dieses Reden Gott mit seinen Worten zu tadeln schien und in sein Bekenntnis in Vers 9 aufgenommen wurde; oder, was wahrscheinlicher ist, dass das Reden hier einfach sein Schrei zu Gott über seine Qual ist und sich nicht an Ungläubige richtet und daher keine Vergebung nötig wäre. Jedenfalls umfasst der Rest des Psalms das, was er mit seiner Zunge sprach: Er sprach zum Herrn über seinen Kummer, seine Sünde und seine verbleibenden Jahre.

Ein Kommentar zu den Psalmen 1-89 – Kommentar – Kregel exegetische Bibliothek

Tier und Mensch mit gleichem Ende?

Denn was das Geschick der Menschenkinder und das Geschick der Tiere betrifft, so haben sie einerlei Geschick (And üb. Denn ein Zufall sind die Menschenkinder und ein Zufall die Tiere, und sie haben einerlei Zufall; d. h. sie haben kein selbstbestimmtes Dasein) :wie diese sterben, so sterben jene, und einen Odem haben sie alle; und da ist kein Vorzug des Menschen vor dem Tiere, denn alles ist Eitelkeit. Alles geht an einen Ort; alles ist aus dem Staube geworden, und alles kehrt zum Staube zurück. Wer weiß von dem Odem der Menschenkinder, ob er aufwärts fährt, und von dem Odem der Tiere, ob er niederwärts zur Erde hinabfährt?
Elberfelder 1871 – Prediger 3,19–21

Denn das Begegnis(o.: Geschick.) der Söhne des ADaM und das Begegnis des Getiers ja ein gemeinsames Begegnis ist ihnen: wie der Tod dieses einen, also der Tod dieses anderen, und ein Geistwind ist allen, und Vorzüglichkeit des Menschen, mehr als die des Getiers, ist keine, denn das alles ist Dunst. Das alles wandelt zu einem Ort; das alles wurde aus dem Staub, und das alles kehrt zurück zu dem Staub. Wer erkennt den Geistwind der Söhne des ADaM? Ists, dass er aufwärts hinaufsteigt?, und den Geistwind des Getiers: Ists, dass er hinabsteigt, sich abwärts erstreckend zum Erdland?
Dabhar – Kohelet 3,19–21

Tiere und Menschen haben ja einiges gemeinsam: Beide müssen irgendwann mal sterben, beide haben nur einmal die Energie, um zu leben. Der Mensch ist nicht besser als ein Tier, beides wird mal vergammeln, dann war das Leben umsonst und vorbei. Es muss alles wieder dahin zurück, wo es mal hergekommen ist. Alles besteht aus Erde, und alles wird irgendwann wieder zu Erde. Wer hat denn schon mal die Lebensenergie von einem Menschen messen können? Wer hat untersucht, ob diese Energie, wenn man tot ist, nach oben in den Himmel fliegt? Und wer kann das wissenschaftlich belegen, dass die Lebensenergie von Tieren im Boden versickert?
VolxBibel – Prediger 3:19–21

Die gegenwärtige Offenbarung: Salomo zeigt die Begrenztheit des Menschen auf ( Pred 3,18-21 )
Die Verbindung zwischen den Versen 18-21 und dem vorhergehenden Abschnitt wird in den meisten Übersetzungen nicht recht deutlich. Der Ausdruck wegen der Menschenkinder bedeutet wörtlich „um der Menschenkinder willen“, und im allgemeinen sind die Ausleger der Ansicht, daß mit diesen Worten auf die in Vers 16 genannte Ungerechtigkeit Bezug genommen wird. Vers 18 besagt in diesem Fall, daß das Unrecht sowohl um des Menschen willen als auch wegen des Menschen geschieht. Nach Salomo will Gott die Menschen durch das Unrecht prüfen, ihnen jedoch auch klarmachen, daß sie sind wie das Vieh (wörtl.: „sie sind Tiere“). Damit ist nicht gemeint, daß die Menschen auf derselben Stufe wie die Tiere stehen und daher auch keine unsterbliche Seele haben. Es bedeutet nur, daß die Menschen ebenso wie das Vieh sterben (vgl. Ps 49,13.21 ).
Menschen und Tiere entstammen derselben Erde und haben einen Odem, dem sie ihr Leben verdanken (vgl. Hi 34,14-15; Ps 104,29 ), und sie gehen alle an einen Ort, d. h., sie kehren alle zum Staub zurück ( Pred 3,20 ). Daher sagt Salomo, daß der Mensch nichts voraus vor dem Vieh habe, denn beide seien vergänglich ( heBel sollte statt mit eitel mit „vergänglich“ übersetzt werden; vgl. Pred 6,12 und kOl eher mit „sowohl … als auch“ statt mit alles , vgl. Pred 2,14;7,18 ).

Walvoord Bibelkommentar

da möchte man doch fragen: glaubte Salomo wirklich an dies?

Das Judentum nahm diese neue Spiritualität nur langsam auf, da sie zunächst von einer Minderheit übernommen wurde, deren Merkmale sich nicht feststellen lassen. Die älteste Quelle, die den Glauben der Juden an eine unsterbliche Seele dokumentiert, die vom Körper getrennt werden kann und dazu bestimmt ist, nach ihrem Urteil in der Nähe Gottes zu leben, ist das Buch der Wächter, das vor 200 V. CHR. und meiner Meinung nach eher in der späten persischen Zeit verfasst wurde. In den Büchern des jüdischen Kanons ist nie von der Unsterblichkeit der Seele die Rede; Qohelet leugnet sie sogar (Prediger 3,18-21). Der Glaube an eine unsterbliche Seele kehrt jedoch im Buch der Weisheit und in den Schriften des ersten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung in großer Zahl wieder.

Paolo Sacchi – Die Geschichte des zweiten Tempelzeitalters

V 20. In V 20b wird alles noch einmal unter Anspielung auf Gen 2,7.19; 3,19 begründet. Mensch und Tier haben etwas fundamental Gemeinsames: Beide sind aus Staub, und beide kehren zum Staub zurück. Zwar gibt es nach Gen 2,7.19 auch einen Unterschied zwischen Mensch und Tier: Der Mensch trägt – im Unterschied zum Tier – göttlichen Atem in sich (vgl. Ijob 27,3; 32,8; 33,4), doch dieser Unterschied wird in Koh 3,20 zunächst nicht erwähnt. V 21. Erst V 21 greift das Motiv des Atems (רוּחַ) auf. Der Rekurs auf die Tora hat hier offensichtlich die Funktion, die provokative These mit Hilfe »normativer Tradition« plausibel zu machen. Nun ist allerdings die Tora an dieser Stelle nicht eindeutig. Nach Gen 7,15 haben auch die Tiere einen »lebendigen Atem« (רוח חיים; vgl. Gen 6,17; 7,22). So lässt sich V 21 in zweifacher Weise verstehen. Zum einen kann er als Antwort auf einen Einwand verstanden werden, der sich folgendermaßen rekonstruieren läßt: »Der Aussage von der ›Tierebenbürtigkeit des Menschen‹ in V 19–20 lässt sich entgegenhalten, dass der Tier und Mensch gemeinsame Atem nach dem Tode einen je unterschiedlichen Weg einschlägt: Der Atem des Menschen steigt nach oben [zu Gott], der des Tieres in die Unterwelt. Darin zeigt sich die Sonderstellung des Menschen. Er lebt nach seinem Tod bei Gott fort.« Mit der Frage von V 21 »Wer weiß …?« würde Kohelet diese »dogmatische« Ansicht in Zweifel ziehen. Spannung zwischen 3,21 und 12,7b? Bei dieser Interpretation ergibt sich allerdings eine Spannung zu 12,7b. Dort wird nämlich gesagt, dass der Atem (רוּחַ) des Menschen sehr wohl zu Gott zurückkehrt. D. Michel, Qohelet 1988, 167 hat – wie viele andere auch – die Spannung gesehen und als Lösung vorgeschlagen, 12,7 als literarisch sekundär anzusehen. Nun hat A. A. Fischer, Apokalyptik 1998, 347–356 eine Interpretation von 3,21 vorgelegt, die sich spannungslos in die »Eschatologie des (ursprünglichen) Buches« einfügt. Nach A. A. Fischer bezweifelt Kohelet in 3,21 nicht, dass der menschliche Atem nach dem Tode zu Gott aufsteigt. Er bezweifelt lediglich, dass es in dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt. Positiv formuliert: Auch der Atem der Tiere steigt nach oben in die Höhe, ebenso wie der Atem der Menschen. Es handelt sich nach A. A. Fischer, Apokalyptik 1998, 351 bei V 21 um »zwei koordinierte indirekte Satzfragen, die durch ihren sachlichen Kontrast in ein adversatives Verhältnis gesetzt sind«. Damit steht V 21 in gut alttestamentlicher Tradition, in der die zwei Aspekte alles Lebendigen gesehen werden: Alle Lebewesen, Mensch und Tier, kehren im Tod zum Staub der Erde zurück, wobei jedoch Gott ihren Lebensatem zu sich nimmt (vgl. Ps 104,29; 146,4; Ijob 10,9; 34,14f.; Sir 40,11; Tob 3,6).

Im Hintergrund mögen volkstümliche Vorstellungen stehen. Die griechische Version übersetzt רוּחַ in 3,21 mit πνεῦμα. Im Phaidon stellt Kebes die Ansicht, dass die Seele (ψυχή) des Menschen nach seinem Tode den Körper »wie ein Lufthauch (πνεῦμα) oder Rauch (καπνός) verläßt«, in Frage (70a). Der Stoiker Zenon machte sich die volkstümliche Ansicht zu eigen, dass der Stoff, der beim Tod den Körper verlässt, die Seele sei. Diese definierte er als Pneuma, das aus Feuer und Luft besteht (M. Pohlenz, Stoa I 61984, 74). Sie lebt nach dem Tode weiter, ist aber nicht unsterblich. Das Pneuma von Mensch und Tier unterscheidet sich durch eine unterschiedliche Zusammensetzung. Das Pneuma des Menschen ist reiner und leichter als das der Tiere (M. Pohlenz, Stoa I 61984, 83; 95). Für Cicero, Tusculanae disputationes I, 40 war klar, »daß die Seelen, wenn sie den Körper verlassen haben, sich nach oben bewegen, mögen sie luftartig, also hauchartig, oder flüssig sein« (vgl. ebd. I, 43; vgl. M. P. Nilsson, Griechische Religion II 41988, 279; 362). Ähnliche Anschauungen mögen im Hintergrund von Koh 3,21 stehen. Auch die Skeptiker bedienten sich im Rahmen ihres Programms der Entwertung alles Unverfügbaren einer Koh 3,18–21 vergleichbaren Argumentationsstrategie, indem sie Mensch und Tier miteinander gleichsetzten: »Zum Überfluss vergleichen wir jedoch auch noch die sogenannten vernunftlosen Lebewesen mit den Menschen hinsichtlich ihrer Vorstellungen. Denn wir verschmähen es nicht, nach den wirksamen Argumenten, die aufgeblasenen und selbstgefälligen Dogmatiker noch zu verspotten. Bei uns nun pflegt man mit dem Menschen einfach die Masse der vernunftlosen Tiere zu vergleichen« (Sextus Empiricus, Grundriss der pyrrhonischen Skepsis I, 62).

Carpe diem als Ruf in die Gegenwart. In Koh 3,18–21 geht es nicht um eine entfaltete Eschatologie. Die Pragmatik des Textes ist eine andere. Sie ist auf das Carpe-diem-Motiv hingeordnet, wie der Abschluss der Perikope in V 22 nur allzu deutlich zeigt. Die hochkomplexe und provokative Argumentation will vermeintliche Gewissheiten bezüglich einer postmortalen Existenz erschüttern, um den Menschen so für jenen Ruf zu öffnen, V 22. der aus der Gegenwart kommt und in sie hineinführt. Dies zeigt sich im folgenden V 22. Eingeleitet mit וְרָאִיתִי »da sah ich ein« zieht Kohelet hier die Konsequenz aus den vorangehenden Beobachtungen und Überlegungen. Die Texteinheit gelangt hier an ihr Ziel: der Bestimmung dessen, was »gut«, was Glück (טוֹב) für den Menschen ist. Glück findet der Mensch in der Freude »bei seinem Tun«. Mit der Bestimmung »bei seinem Tun« scheint im vorliegenden Kontext der Blick gewissermaßen vom Himmel weg auf die Erde gelenkt zu werden. Es gibt so etwas wie eine fehlgeleitete Form von Eschatologie. Das Gut, auf das der Mensch hin angelegt ist, lässt sich nicht an den Dingen dieser Welt, am »menschlichen Tun« vorbei gewinnen. Zugleich scheint mit der Angabe »bei seinem Tun« über 3,12 (בְּחַיָּיו »in seinem Leben«) hinausgehend angedeutet zu sein, dass die Freude, zu der das Buch aufruft (11,9), eine Art Grundgestimmheit meint, die alles Tun des Menschen durchdringen soll (vgl. 9,7–10; 11,8). Von der aristotelischen Tugendlehre herkommend könnte man von einem Habitus sprechen: Hinsichtlich der Näherbestimmung von Glück setzen die Angaben »in seinem Leben« (3,12) und »bei seinem Tun« (3,22) einen doppelten Akzent: einen »räumlichen« und einen »zeitlichen«. »Räumlich« gesehen geht es um ein Glück »unter der Sonne« – in Abgrenzung von einem falsch verstandenen »Jenseits«; »zeitlich« gesehen geht es um ein gegenwärtiges Glück – in Absetzung von einer der Erfahrung entzogenen Zukunft. Letzteres wird in V 22 unmissverständlich deutlich, wenn hier das Carpe-diem-Motiv mit der rhetorischen Frage nach der Erkennbarkeit der Zukunft begründet wird (כִּי): »Wer könnte ihn [den Menschen] dahin bringen, zu erkennen, was nach ihm sein wird?« Die Frage bezieht sich unmittelbar auf 3,16–21, aber darüber hinaus auch auf die in 2,13–2,23 kritisierten, auf einen bleibenden Gewinn abzielenden Lebensauffassungen zurück. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie einen die individuelle Existenz überdauernden Gewinn zu erlangen versprachen. Ihnen ging es um ein »danach«: Dem Reichen (König) in der Weitergabe seines Besitzes an seinen Erben, dem Weisen (König) in der ruhmvollen Erinnerung nachfolgender Generationen, dem Frommen im Weiterleben nach dem Tod. Mit einer differenzierten Argumentationsstrategie versucht Kohelet, ein solches »danach« in Zweifel zu ziehen. Es geht Kohelet also nicht – was häufig übersehen wird – um eine grundsätzliche Leugnung eines Weiterlebens nach dem Tode. Kohelet vertritt nicht die Lehre vom absoluten Tod (vgl. L. Schwienhorst-Schönberger, Vertritt Kohelet die Lehre vom absoluten Tod? 2003). Wie der weitere Argumentationsgang des Buches zeigen wird, kennt Kohelet durchaus so etwas wie Eschatologie (vgl. 12,7b), allerdings eine Eschatologie, die sich aus der Verheißung der Gegenwart ergibt. Selbst wenn man V 21 im traditionellen Sinn (»Auch der Atem des Menschen steigt hinab in die Erde«) versteht, so würde der Vers wohl einen echten Zweifel ausdrücken (so auch F. Delitzsch 272: »wer weiß« schließt »nicht jederlei Wissen, sondern nur ein sicheres, auf zwingenden Gründen beruhendes aus«). Ein ähnlicher Gedankengang findet sich bei Aristoteles. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Toten noch in irgendeiner Weise vom Glück oder Unglück der Lebenden betroffen werden können, äußert er den echten Zweifel, »daß man bezüglich der Verstorbenen im Ungewissen darüber ist, ob sie an den Gütern und Übeln dieses Lebens noch Anteil haben« (eth. Nic. 1101a.b). Versteht man aber, wie hier vertreten, V 21 mit A. A. Fischer, Apokalyptik 1998, 351 als »zwei koordinierte indirekte Satzfragen, die durch ihren sachlichen Kontrast in ein adversatives Verhältnis gesetzt sind«, dann geht es einfach um die Gleichstellung von Mensch und Tier hinsichtlich des beiden bevorstehenden Todes.

Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament

Nun erfolgt die Begründung für V. 18. Der Mensch ist der übrigen Schöpfung und damit auch dem Vieh letztlich völlig gleichgestellt. Das gemeinsame Widerfahrnis ist der Tod. Der gemeinsame Geist ist die von Gott in die tote Materie gegebene Lebendigkeit. Der gemeinsame Ort, zu dem Mensch und Vieh gehen, ist der Raum des Todes, das Grab bzw. die Scheol, und andererseits wieder die tote Materie: Staub. Nirgnds sonst in der Bibel wird das Todesgeschick des Menschen so offen und radikal dargestellt. Hier erfährt er seine ganze, totale Ohnmacht, tatsächlich ein grundsätzlich hilfloses Ausgeliefertsein, das nicht nur kommt und geht wie die anderen Widerfahrnisse seines Lebens. Wer diese Wirklichkeit ohne den Blick des Vertrauens auf Gott wahrnimmt, muß erschrecken und verzweifeln: Alles ist ein Nichts!
[21] Mit der Schlußfrage Wer weiß leitet Kohelet wieder zur abschließenden Einsicht (V. 22) über. Der Geist des Menschen und der Geist des Viehs meinen wie V. 19 das von Gott in die tote Materie gesetzte Leben. Mit dem Tod weicht das Leben. Gott nimmt es zurück (Ps 104,29f). Mensch und Tier ist damit eine (geschöpfliche) Grenze gesetzt. Unter dem Geist des Menschen kann man darüber hinaus aber auch dessen Tatkraft, seinen Willen, seine Gesinnung und Einstellung verstehen. Sogar seine Einsichtsfähigkeit, also auch sein Verstand steht damit in Verbindung (Hi 32,8). Der Geist des Menschen ist deshalb auch das vorrangige Medium der Kommunikation mit Gott (vgl. Röm 8,16). Darin unterscheidet sich der Mensch deutlich vom Tier. Aber um diesen Unterschied geht es hier wahrscheinlich nicht, wenn die Frage gestellt wird, ob der Geist des Menschen mit dem Ableben nach oben, also zu Gott geht, und der des Viehs hinunter zur Erde, sich also »in Staub auflöst«.
Die Übersetzung und damit auch die Auslegung dieses Verses ist umstritten. In Anlehnung an Pred 12,7 sowie Ps 49,1–13.14–20 und Ps 73,16–22 setzen manche Übersetzungen und Ausleger voraus, daß Kohelet einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier nach dem Tod mache. Der hebr. Wortlaut wird dann so wiedergegeben: »Wer kennt den Geist des Menschen, der nach oben steigt, und den Geist des Viehs, der nach unten zur Erde steigt?« Offensichtlich haben die Masoreten mit ihrer Vokalisierung den Text so interpretiert. Geht man jedoch nur vom Konsonantentext aus, erscheint die Frageform »Wer weiß, ob …« plausibler, so wie es auch von LXX und anderen alten Handschriften und Auslegern schon vor den Masoreten verstanden wurde. Die Entscheidung über die richtige Übersetzung darf auch nicht zuerst an der Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer implizierten Lehrvorstellung fallen. Das Interesse der alten Weisheitslehrer lag nicht in der Erstellung eines dogmatischen Lehrgebäudes, sondern in der Sammlung und Weitergabe von Erfahrungen und Beobachtungen, mit denen die Lebenswirklichkeit beschrieben wird.
Wie aber ist die festgestellte Übersetzung nun sinngemäß zu verstehen? Dazu muß der Zusammenhang berücksichtigt werden. Dabei zeigt sich, daß Kohelet tatsächlich voraussetzt, daß mit dem Tod eben nicht alles aus ist (3,17; 12,7). Der Mensch hat sich vor Gott zu verantworten. Es gibt ein Gericht (V. 17). Nur über das Wie macht sich Kohelet keine Gedanken, weil auch dies »ein Nichts« wäre (V. 22). Demnach ist die Frage nicht so zu verstehen, ob sich Mensch und Vieh nach dem Tod nur wohlgefällig in Staub auflösen würden und der Mensch sich also nicht verantworten müsse. Vielmehr redet hier der Mensch ohne Gott, der sich nur »für sich selbst« (V. 18) betrachtet und im Vergleich mit dem Vieh zu der Einsicht kommt und kommen muß, letztlich gebe es bis in den Tod hinein keinen Unterschied. Was lohne es sich dann, sich anzustrengen. Die sich daraus ergebende Verunsicherung soll nun nicht zur Verzweiflung, sondern zum Vertrauen führen. Das erkennen zu lassen, ist gerade Gottes Absicht (V. 18), um so den Menschen neu in Beziehung zu Gott und damit zur Freude und Dankbarkeit zu bringen (V. 22). Die Linie führt konsequenterweise von hier weiter zum Todesüberwinder Jesus Christus.

Die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier im Tod darf auch nicht von vornherein so verstanden werden, als ob die Richtung nach oben (zu Gott) beim Geist des Menschen in Frage gestellt würde. Dies wird gerade durch 12,7 verneint. Vielmehr kann die Frage auch so aufgefaßt werden: Was hat der Mensch vor dem Tier für einen Vorzug, wenn auch dessen Geist zu Gott käme? Das Seufzen und Warten der Kreatur auf die Erlösung (Röm 8,18ff) macht deutlich, daß es da letztlich keinen Unterschied gibt. Dieser liegt vielmehr in der Stellung des Menschen über die Schöpfung, in die Gott ihn gesetzt hat (1Mo 1,26–28), seine besondere Beziehung zu Gott und die damit verbundene Menschenwürde. Der Mensch, der nur an sich denkt und damit seiner Schöpfungsverantwortung nicht nachkommt, entspricht nicht dem Bild Gottes.

Wuppertaler Studienbibel