Und er kam nach Kapernaum, und als er in dem Hause war, fragte er sie: Was habt ihr auf dem Wege verhandelt? Sie aber schwiegen; denn sie hatten sich auf dem Wege untereinander besprochen, wer der Größte (W. größer) sei. Und nachdem er sich niedergesetzt hatte, rief er die Zwölfe; und er spricht zu ihnen: Wenn jemand der Erste sein will, so soll (O. wird) er der Letzte von allen und aller Diener sein.
Elberfelder 1871 – Markus 9,33–35
Sie kamen nach Kapernaum. Als sie im Haus waren, fragte Jesus die Jünger: »Worüber habt ihr unterwegs gesprochen?« Doch sie schwiegen verlegen; denn sie hatten sich darüber gestritten, wer von ihnen der Wichtigste sei. Jesus setzte sich, rief die zwölf Jünger zu sich und sagte: »Wer der Erste sein will, der soll sich allen unterordnen und ihnen dienen.«
Er rief ein kleines Kind, stellte es in ihre Mitte und schloss es in die Arme. 37 Dann sagte er: »Wer solch ein Kind mir zuliebe aufnimmt, der nimmt mich auf. Und wer mich aufnimmt, der nimmt damit Gott selbst auf, der mich gesandt hat.«
Hoffnung für Alle – Mk 9,33–37
Da kam er nach Kapernaum. Und als er im Haus angekommen war, fragte er sie: »Was habt ihr auf dem Weg miteinander diskutiert?« Keiner sagte etwas, denn sie hatten sich auf dem Weg darüber unterhalten, wer von ihnen der Bedeutendste ist. Da setzte Jesus sich hin und rief seine zwölf engsten Gefährten zu sich. Ihnen sagte er: »Wenn einer der Anführer von allen sein will, muss er der Letzte werden, ja, der Diener von allen!«
Das Buch – 2009 – Markus 9:33–35
Jesus und seine Jünger kamen, zum letzten Mal, nachdem sie mehrere Monate fortgewesen waren,nach Kapernaum (vgl. Mk 8,13.22.27). Als sie daheim (vgl. Mk 2,1-2;3,20;7,17) waren, fragte Jesus sie, worüber sie auf dem Weg (en tE hodO; vgl. den Kommentar zu Mk 1,2) gesprochen hätten. Wieder bildete eine Frage von ihm die Einleitung für eine bestimmte Aussage (vgl. Mk 8,27.29).
Walvoord Bibelkommentar
Die Jünger schämten sich zuzugeben, daß sie miteinander darüber verhandelt hatten, wer der Größte unter ihnen sei. Derartige Fragen nach dem Rang des einzelnen waren für die Juden sehr wichtig (vgl. Lk 14,7-10), daher war es ganz natürlich, daß auch die Jünger darüber nachdachten, welche Stellung sie in dem kommenden messianischen Reich einnehmen würden. Die Vorrechte, die Petrus, Jakobus und Johannes eingeräumt worden waren (vgl. Mk 5,37;9,2), hatten die Diskussion vielleicht etwas angeheizt; doch was auch immer der Anlaß war, der Streit der Jünger zeigte, daß die Zwölf die Bedeutung der Leidensankündigung Jesu (V. 31) für sie selbst weder verstanden noch akzeptiert hatten.
Nachdem Jesus sich gesetzt hatte – die traditionelle Pose eines jüdischen Lehrers (vgl. Mt 5,1; Mk 13,1) -, rief er die Zwölf zu sich. Er lehrte sie das Wesen wahrer Größe: Wenn jemand will (vgl. Mk 8,34) der Erste sein, also die höchste Stellung unter den „Großen“ im Gottesreich innehaben will, der soll (aus freiem Willen und Entschluß) der Letzte sein von allen und aller Diener. Der Begriff „Diener“ (diakonos) versinnbildlicht hier eine Person, die die Nöte und Bedürfnisse anderer freiwillig lindert und nicht, weil sie in einer dienenden Position (doulos, Sklave) ist. Jesus verurteilte damit nicht den Wunsch, eine bessere Stellung im Leben zu erringen, machte aber deutlich, daß Größe in seinem Reich nicht eine Frage des Status, sondern des Dienens ist (vgl. Mk 10,43-45).
Nach langer Zeit »kamen« Jesus und seine Jünger endlich wieder »nach Kapernaum« (Mk 9, 33). Das »Haus«, das ihn dort erwartet, ist immer noch das des Petrus (Mk 1,29; 2,1). In diesem »Hause« angelangt, ergreift Jesus die Initiative zu einem Gespräch. Er leitet es ein mit der Frage: »Worüber habt ihr unterwegs gesprochen?« Er hatte also das Gespräch mitbekommen, vermutlich durch den heiligen Geist, der in ihm wohnte (vgl. Mk 2,8; 8,17; Joh 2,24ff.). Nebenbei stoßen wir hier auf die Tatsache, dass es nicht nur Jüngergespräche mit Jesus gab, sondern auch Gespräche der Jünger untereinander. Und zwar geistliche bzw. theologische Gespräche (vgl. Mk 4,41; 8,16; 9,10; 9,32). An dieser Stelle sollten wir selbst dankbar werden für die vielen Möglichkeiten hilfreicher Gespräche, die wir mit Glaubensgeschwistern führen können. »Unterwegs« heißt: während der Wanderung von Mk 9, 30 ff.
Edition C
Betroffen »schwiegen« die Jünger (vgl. Mt 22,12; Mk 3,4; Lk 14,4; 20,26). »Denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer der Größte sei.« Sie schwiegen also aus Scham. Es fällt auf, dass die Jünger damals Jesus gegenüber häufig schwiegen (vgl. Mk 8,16 f; Mk 9,10; 9,32.34). Im modernen Deutsch würde man sagen: Damals herrschte eine Phase von Kommunikationsstörungen. Verursacht war sie durch den Gegensatz zu ihrem Meister. Während Jesus sich auf die Passion vorbereitete, bereiteten sie sich zum Herrschen im Reich des Messias vor. Denn die Frage, »wer der Größte sei«, zielt natürlich auf das in Bälde erwartete messianische Reich (vgl. Mt 18,1ff.; Lk 9,46ff.; Mk 10,35ff.; Lk 19,11; 22,24; Apg 1,6). Sie hat die Jünger mehrfach umgetrieben, wie zumindest Lk 22,24 bezeugt, aber auch Mt 18,1-5.
Rangstreit unter den Jüngern – gibt es das heute noch? Sicherlich. Und zwar sowohl unter Liberalen als auch unter Evangelikalen. Fragen des Protokolls bekommen hier eine wichtige Bedeutung. Wer was machen oder eröffnen oder vertagen oder planen oder entwerfen oder repräsentieren darf, kann zu endlosen Diskussionen führen. Vielleicht waren die Jünger damals eher an der Ewigkeit interessiert als wir. Besser sind wir jedenfalls nicht geworden. So stellen diese Jünger einen Spiegel unserer eigenen Seele dar.
Jesus greift diese Angelegenheit mit Ruhe und Besonnenheit auf. »Er setzte sich«, berichtet Markus, »und rief die Zwölf« (Mk 9, 35). Wie wir wissen, lehrten die jüdischen Lehrer im Sitzen (vgl. Mt 5,1; Mk 3,9.32; 4,1). Wenn es heißt »er rief die Zwölf«, dann ist anzunehmen, dass er das Problem der »Zwölf« intern behandeln und nicht in die Öffentlichkeit tragen wollte. Ein solches Verhalten sollte uns Vorbild sein. Was im kleinen Kreis oder gar unter vier Augen besprochen werden muss, sollte nicht in den öffentlichen – manchmal auch »frommen«! – Klatsch oder in die Leserbriefspalten geraten.
Was Jesus hier zu sagen hat, drückt ein geistliches Grundgesetz aus: »Wenn jemand der Erste sein will, dann soll er von allen der Letzte sein und aller Diener.« Das heißt: Eine hohe Verantwortung im Reich Gottes wird nur demjenigen verliehen, der demütig ist und der dient. Interessanterweise erklärt Jesus nicht: Es gibt keine »Ersten«. Doch! Es gibt tatsächlich »Erste« (vgl. dazu Lk 19,16ff. und Mt 19,28). Aber der Weg dahin ist völlig anders als in der Welt. In der Welt zählen Energie, Ellenbogen, Ehrgeiz. Im Reiche Gottes zählen die geistliche Gnade, der Verzicht auf Ellenbogen und die Treue im Kleinen. »Von allen der Letzte« heißt in diesem Zusammenhang: »allen« andern in puncto Ehre den Vortritt lassen. Das ist sozusagen die passive Seite. Die aktive Seite aber besteht in dem Dienst, den man anderen erweist: »Aller Diener« soll derjenige sein, der im Reich Gottes als ein »Erster« Verantwortung übernehmen will. Dabei kommt es selbstverständlich nicht auf einen Titel an – z. B. heißt der Papst »servus servorum« (»Diener der Diener«) -, sondern auf das Tun. »Diener« (griech. diakonos) wollte Jesus ja selber sein (Mk 10,45), und nicht sich bedienen lassen. Von daher könnte man sagen: Leben, wie Jesus gelebt hat, macht uns zu »Ersten« im Reich Gottes. Dass dies eine schwierige Lektion ist, zeigt die mehrfache Wiederholung der Aussage Jesu in Mk 10,43ff.; Mt 20,26; 23,11 und Lk 22,26 ff.
Jesu Antwort auf die Frage der Jünger, wer der Größte unter ihnen sei, hat im Bericht des Matthäus den unerbittlichen Ernst, der das ganze erste Evangelium erfüllt. Die Jünger richten selbst ihre Frage an Jesus; nun trifft sie seine Antwort vollends niederschmetternd: So kommt ihr gar nicht in das Himmelreich; erst müsst ihr umkehren. Wohin sie ihre Umkehr bringen muss, beschreibt er mit dem kleinen und geringen Kind; nur so kleine Leute gehen ins Himmelreich ein. Markus zeigt auch bei diesem Anlass die milde Freundlichkeit Jesu, damit niemand sich vor ihm fürchte und den Mut zum Glauben verliere. Er erläutert zunächst, wie die Frage der Jünger vor Jesus kam. Sie war nicht für sein Ohr bestimmt, sondern wurde nur im Kreise der Jünger unterwegs besprochen. Jesus ließ sie aber nicht heimlich in ihrem Herzen gären, da sie ihr Verhältnis zu ihm und zueinander vergiftet hätte, sondern zog sie ans Licht mit der Frage, was sie miteinander besprochen hätten. Als die Jünger beschämt schwiegen, weil sie wohl empfanden, dass ihr Streit nicht nach Jesu Sinn war, legte er ihnen die Regel der echten, wirklichen Größe vor.
Schlatter – Erläuterungen zum Neuen Testament
Ehrgeiziges Großseinwollen schändet und erniedrigt in den Augen Jesu, weil es nicht aus der Liebe stammt und darum zur Sünde führt. Auf diesem Wege bereiten wir uns unsere Größe dadurch, dass wir die anderen drücken und schwächen, gründen unsere Ehre auf die Erniedrigung der anderen, unsere Stärke auf ihre Schwäche und unseren Reichtum auf ihre Armut. Solcher Größe wird Jesus zum Widersacher; er stößt sie um. Auf seinem Weg gehen diejenigen, die es verstehen zu dienen; sie tun seinen Willen und sind deshalb in seinen Augen die Großen, auf die er sein Lob und seine Ehre legt. Darum darf es in seiner Gemeinde kein anderes Streben nach dem Vorrang geben als so, dass wir uns von uns selbst abwenden und nicht uns selbst leben; wir sollen als die Letzten in der Reihe stehen wollen, wenn für uns selbst Ehre, Ruhm, Genuss und Gewinn in Frage kommen, und die Ersten zu sein trachten, wenn es gilt, die anderen mit Wort und Tat zu heben, zu tragen und zu begaben.
Der Hintergrund der Lektion in diesen Versen betraf einen Streit unter den Jüngern: Und es entstand ein Streit unter ihnen, wer von ihnen der Größte sei (Lk. 9:46). Matthäus liefert den Zeitpunkt dieses Streits: In jener Stunde kamen die Jünger zu Jeschua und sprachen: Wer ist denn der Größte im Himmelreich? (Mt. 18,1). Der Streit folgte unmittelbar auf die Lektion des Petrus (In jener Stunde), wobei Jeschua dafür sorgte, dass Petrus‘ Steuer zusammen mit seiner eigenen bezahlt wurde. Infolgedessen könnte der Apostel das Gefühl gehabt haben, dass er in einer privilegierten Position stand. Dieses Ereignis folgte auch auf die Erfahrung der Verklärung, bei der Jeschua nur drei der zwölf Apostel als Zeugen auswählte. So könnten sich Petrus, Jakobus und Jochanan privilegiert gefühlt haben. Nun debattierten die Jünger nicht nur über ihren gegenwärtigen Status, sondern auch über ihren Status im messianischen Reich. Sie glaubten immer noch, dass Jeschua dieses Reich bald errichten würde, und debattierten darüber, wer unter ihnen die höchste Position einnehmen würde.
Arnold Fruchtenbaum – Jeschua – Das Leben des Messias aus einer messianisch-jüdischen Perspektive
Der Streit fand auf dem Weg statt. Nachdem sie das Haus betreten hatten, fragte Jeschua sie: Was habt ihr auf dem Weg überlegt? (Mk. 9,33). Er wusste es, wollte aber auf den Punkt bringen, dass das Problem die gefühlte Überlegenheit der apostolischen Gruppe war. Von einer sitzenden Position aus (Mk. 9,35a) rief Jeschua ein kleines Kind zu sich, stellte es in ihre Mitte und sagte: „Wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, dass ihr umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr auf keinen Fall in das Reich der Himmel eingehen (Mt. 18,2-3). Die Lektion war, dass sie wie Kinder sein müssen, mit kindlichem Glauben, um in das Königreich zu gelangen. Kinder sind von ihren Vätern abhängig, und so müssen Gläubige eine kindliche Abhängigkeit von ihrem himmlischen Vater zeigen. Matthäus fügte hinzu: „Wer nun demütig wird wie ein kleines Kind, der ist der Größte im Himmelreich“ (Mt. 18,4). Während nur der Glaube und das Vertrauen in Jeschua erforderlich sind, um in das Königreich einzutreten, wird die Position eines Gläubigen im Königreich davon bestimmt, wie er seinen Glauben während seines Lebens auslebt. Ein kleines Kind erkennt, dass es keine Autorität im Haus hat, sondern dem Willen des Vaters unterworfen ist. Folglich muss man, um eine große Position im Königreich zu erhalten, erkennen, dass man wie ein Kind keine eigene Autorität hat und Gott unterworfen ist.
Jeschua erklärte: Wer der Erste sein will, der soll der Letzte von allen sein und der Diener aller (Mk. 9:35b). Ein Mensch, der einen höheren Platz im Reich Gottes anstrebt, darf in diesem Leben nicht darum kämpfen, die höchste Position zu erreichen. Er muss sich stattdessen mit der niedrigsten Position und dem Dienst an allen Menschen zufrieden geben. Um ein Herr im Reich Gottes zu werden, muss man jetzt ein Diener sein. Lukas fügt hinzu: Denn wer der Geringste unter euch allen ist, der ist groß (Lk. 9:48). Größe wird durch kindliche Demut erlangt. Kinder kümmern sich nicht um den Status innerhalb des Hauses, denn sie wissen, wer das Haus regiert. Es gibt keine Diskussion über den sozialen Status zwischen dem Kind und den Eltern. In gleicher Weise ist es für einen Gläubigen notwendig, sich umzudrehen und einen kindlichen Glauben und Demut zu erwerben. Man muss einen Geist der Empfänglichkeit für das Unbedeutende haben und bereit sein, ein Kind aufzunehmen: Und wer ein solches Kindlein aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf (Mt. 18,5). Dieser Punkt wird im nächsten Abschnitt näher erläutert.
Zusammenfassend können wir sagen, dass, wie ein Kind von seinem Vater abhängig ist, ein Gläubiger von Gott abhängig sein muss. Das Mittel, um im Reich Gottes Größe zu erlangen, beinhaltet, der Geringste zu werden und ein Diener zu werden.
Scheinbar hat Petrus richtig zugehört! Den beim letzten Passah sitzt er ganz außen – der Sitzplatz für den Diener – und er ist es, dem zuerst die Füße gewaschen werden soll.